Die Rolle der Frau in der Organisierten Kriminalität

Ein Vergleich zwischen italienischer Mafia und chinesischen Triaden


Bachelorarbeit, 2014

42 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Begrenzung der Frau durch biologische Inferiorität

2 Definition der Organisierten Kriminalität

3 Die Welt der Organisierten Kriminalität
3.1 Kampf gegen Fremdherrschaft
3.2 Die Kodizes mafiöser Organisationen

4 Die Rolle der Frau in der Organisierten Kriminalität
4.1 Die Frau als konstitutive Institution
4.1.1 Unantastbarkeit der Mutter
4.1.2 Machtvergrößerung durch Hochzeitspolitik
4.1.3 Sexualität zur Imagesteigerung
4.1.4 Die Frau als ausführendes Instrument
4.1.5 Der Mythos der Mafiapatin
4.2 Die Frau als subversive Institution
4.2.1 Frau als Aussteigerin
4.2.2 Kampf gegen die Mafia

5 Unterschätzung der Relevanz der Frau

6 Ohne Frauen keine Mafia

7 Literaturverzeichnis

1 Begrenzung der Frau durch biologische Inferiorität

Neben der Behauptung „La mafia non esiste“, ist der Glaube, die Frau sei in der Welt der Organisierten Kriminalität nur eine Randfigur des Geschehens, ebenfalls stark verbreitet. Bis in die 1990er Jahre hinein waren sich Rechtsund Politikwissenschaftler einig, dass Frauen keine Rolle für ihre Recherchen spielten. So seien Frauen stets nur ihrem Ehemann untertänig; ihr einziges Verbrechen sei, sich in einen Kriminellen verliebt zu haben. Das Wesen der Frau sei von Natur aus einfältig und minderwertig. Cesare Lombroso sprach diesbezüglich von der biologisch begründeten Unfähigkeit der Frau zum Verbrechen. William Isaac Thomas bestätigte Lombrosos Theorie, indem er die Moral der Frau als emotional-persönlich beschrieb. Ihr Fokus sei daher stets auf Familie und Haushalt gerichtet. Die Zurückgezogenheit der Frau verhindere eine Involvierung in kriminelle Aktivitäten.1

Auch die Ehrenkodizes der Organisationen, die ihre Gültigkeit in der Welt der Organisierten Kriminalität entfalten, lassen auf eine Exklusion der Frau schließen. Frauen dürfen laut Kodex nicht in die kriminellen Aktionen eingeweiht werden, auch eine Mitgliedschaft wird ihnen verweigert. Am Beispiel der italienischen Mafia und der chinesischen Triaden soll in dieser Arbeit erörtert werden, welche Rolle die Frau in der Organisierten Kriminalität tatsächlich spielt. Zunächst wird der Begriff Organisierte Kriminalität genau definiert. Nach einer Betrachtung der Ehrenkodizes, werden die unterschiedlichen Rollenbilder der Frau genauer unter die Lupe genommen. Welche Stellung nimmt die Mutterfigur im mafiösen System ein? Was sind die Aufgaben einer Ehefrau? Gibt es möglicherweise doch weibliche Mafiapatinnen? Nach der genauen Untersuchung der Rolle der Frau innerhalb der Organisation, werden Frauen in den Fokus rücken, die öffentlich gegen die Gruppen der Organisierten Kriminalität ankämpfen. Gibt es Frauen, die gegen Mafia und Triaden antreten und wenn ja, welche Bedeutung hat der weibliche Kampf in Bezug auf eine mögliche Machtbegrenzung der kriminellen Gruppierungen? Das Ziel dieser Bachelorarbeit ist schließlich eine umfangreiche Einschätzung der Bedeutung der Frau in der Organisierten Kriminalität.

Das Thema Organisierte Kriminalität wird auch nach 20 Jahren Forschung eher stiefmütterlich behandelt. Der Großteil der Literatur stammt aus den 90er-Jahren und ist somit nicht auf dem aktuellsten Stand. Der mit der Globalisierung und der verbesserten weltweiten Telekommunikation einhergehende Wandel der kriminellen Gruppen, wird in vielen Werken nicht berücksichtigt. Auf der anderen Seite ist das Thema noch recht jung, da in den 1970er-Jahren der Strafbestand noch nicht einmal existierte. Die Rolle der Frau in der Mafia wurde bisher kaum bearbeitet. Grund dafür, ist auch heute noch der Glaube, dass Frauen keine wichtige Rolle im mafiösen System einnehmen würden. Nur wenige haben in ihren Werken erörtert, dass die Frau eben nicht nur eine Randfigur darstellt. Die Rolle der Frau in den Triaden wurde bisher nicht erarbeitet. Am Rande wird die Mitgliedschaft von Frauen angedeutet, genauer analysiert wurde ihre Stellung jedoch nicht. So präsentiert diese Bachelorarbeit vor allem in Bezug auf die Triaden eine völlig neue Sichtweise, da erstmalig wissenschaftlich bewiesen werden wird, dass chinesische Frauen stärker in die Organisierte Kriminalität eingebunden sind als gedacht.

Zur Analyse der Triaden muss vor allem Berndt Georg Thamm hervorgehoben werden. Thamm berichtet ausführlich, wie sich die Triaden weiterentwickelt haben und wie sie weltweit agieren. Dennoch ist der wissenschaftliche Aspekt des Werkes „Drachen bedrohen die Welt“ in Frage zu stellen. An vielen Stellen wird eine Romantisierung der Triaden deutlich, so fällt eine realistische Einschätzung der Organisation sehr schwer. Über die Rolle der Frau wird selten gesprochen, auch Thamm thematisiert den Aspekt nur am Rande. Weitere Literatur zum Thema gibt es kaum. Julia Kristevas beschäftigt sich als einzige westliche Autorin mit dem Rollenbild der chinesischen Frau. Sie präsentiert die Stellung der Frau im Verlauf der Geschichte und gibt zahlreiche Hintergrundinformationen.

Clare Longrigg beschäftigt sich dagegen eingehend mit dem Thema Frauen in der italienischen Mafia. Sie verwirft das Vorurteil, dass es in der Mafia keine Frauen gebe, und bezeichnet sie sogar als eigentlichen Kern der Organisation. Longrigg thematisiert den Wertverfall der Mafia in der heutigen Zeit und begründet so die Möglichkeit, dass auch Frauen aktiv werden können. Dennoch arbeitet Longrigg stets nur mit Stereotypen und wirft Behauptungen in den Raum, ohne diese wissenschaftlich zu belegen. Stellenweise erinnert ihr Werk „ Die Patinnen “ eher an einen Roman, als an eine wissenschaftlich fundierte Analyse. Renate Siebert arbeitet deutlich präziser. Sie beschäftigt sich zunächst mit den theoretischen Grundlagen und vergleicht diese anschließend mit der tatsächlichen Stellung der Frau in der Mafia. Ihre Thesen sind wissenschaftlich belegt, psychologisch begründet und umfangreich geschildert.

Zusätzlich zur vorhanden Literatur sind persönliche Korrespondenzen für eine Einschätzung der Rolle der Frau in der Organisierten Kriminalität unerlässlich. So berichten Berndt Georg Thamm und Dave O'Brien, Polizeibeamter der Royal Hong Kong Police Association, über zahlreiche unveröffentlichte Fakten. Bei O'Brien wird jedoch deutlich, dass auch er die kriminelle Macht der Triaden unterschätzt. Eine wesentliche Rolle der Frau innerhalb der Triaden verneint er, weiterhin bezeichnet er die Triaden als einfache Straßengangs. Er zeigt die vorherrschende Fehleinschätzung des chinesischen Organisierten Verbrechens.

2 Definition der Organisierten Kriminalität

Fällt der Begriff „Organisierte Kriminalität" denken die meisten an Al Capone, Giovanni Brusca oder Lucky Luciano. Noch bis in die 1970er Jahre hinein diskutierten viele, einschließlich des FBIs, ob Organisierte Kriminalität überhaupt existiert. Wurde dies bejaht, fand eine Gleichsetzung mit der italienischen Mafia statt. Doch unter die Begrifflichkeit fallen eben nicht nur Cosa Nostra, Camorra und Co.

Das Wesen der Organisierten Kriminalität ist die Begehung planmäßiger Straftaten. So muss die spontane Strafbegehung als nicht-organisierte Kriminalität deutlich abgegrenzt werden. Auch der Fokus auf Tätergruppen ist für die Definition relevant: So sind keine Einzeltäter, sondern kriminelle Gruppierungen im Bereich der Organisierten Kriminalität tätig.2 Daher definiert „organisiert“ „a group of people who cooperate to accomplish objectives or goals“.3

Das FBI bezeichnet Organisierte Kriminalität als „continuing criminal conspiracy with an organized structure that is succesful because of its use of fear, corruption and violence. The motivation behind this conspiracy is greed“.4 Das wesentliche Merkmal der Organisierten Kriminalität ist also die Anwendung von Gewalt und Erpressung, um gesetzte Ziele zu erreichen sowie die Korruption der Politik-, Justiz-, und Medienlandschaft, um eigene Interessen sicherzustellen.

Typisch sind auch die Netzwerkstrukturen der illegalen Gruppierungen, die die Mitglieder durch Treue, Verschwiegenheit, Abschottung und Zusammengehörigkeitsgefühl an die Gruppe binden.5 Das Netzwerk kennzeichnet sich durch eine pyramidenförmige Hierarchie, an deren Spitze eine Führungsperson steht, die die Zielsetzung der Organisation bestimmt. Die Beziehungen des Netzwerks sind daher stets asymmetrisch. Der „Organized Crime Control Act" und die „President’s Commission on Organized Crime" aus den USA bezeichnen kriminelle Organisationen dieser Art sogar als illegale Unternehmen: „Organized Crime is crime committed by structured criminal enterprises that maintain their activities overtime by fear and corruption".6

Die Definition der Organisierten Kriminalität ist immer noch sehr rar und ungenau. Daher streiten Politikwissenschaftler und Juristen noch heute über die exakte Bedeutung der Begrifflichkeit. Um jedoch eine gültige Definition des Begriffes für diese Arbeit festzulegen, soll die deutsche Definition aus dem Jahre 1991 dienen, die durch die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz entstand.

„Unter Organisierter Kriminalität ist eine von Machtund Gewinnstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten (die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind) durch mehrere Beteiligte zu verstehen, die auf längere und unbestimmte Dauer arbeitsteilig unter Verwendung gewerblicher und geschäftsähnlicher Strukturen oder unter Anwendung von Gewalt oder anderen zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder unter dem Bemühen, auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft Einfluss zu nehmen, zusammenwirken.“7

Die Betätigungsfelder der OK sind indes weitgefächert: Von Drogenhandel und Prostitution, über Menschenschmuggel und -handel, bis zur Kreditkartenfälschung werden alle kriminellen Möglichkeiten ausgelastet, um schnell und viel Geld zu verdienen.8

3 Die Welt der Organisierten Kriminalität

Um die Rolle der Frau in der Welt der italienischen Mafia und der chinesischen Triaden genauer unter die Lupe nehmen zu können, muss ein Blick auf die geschichtliche Entwicklung der kriminellen Organisationen geworfen werden. Aus welcher Motivation gründeten sich die Gruppen und wie entwickelten sie sich im Laufe der Jahrzehnte weiter? Des Weiteren müssen die Ehrenkodizes, die die Grundlage und den Zusammenhalt der Organisation bilden, analysiert werden.

3.1 Kampf gegen Fremdherrschaft

Die Geschichte des Organisierten Verbrechens in Italien ist von der permanenten Behauptung „La mafia non esiste“ geprägt, so wird die Existenz der Mafia bis heute von einem Großteil der sizilianischen Bevölkerung verleugnet. Nichtsdestotrotz beginnt die Entstehungsgeschichte der Mafia bereits im 19. Jahrhundert in Sizilien. In der durch Fremdherrschaft unterjochten Gesellschaft kennzeichnete sich die Bevölkerung durch ein generelles Misstrauen in staatliche Organisationen. Das dadurch entstandene Machtvakuum bot den Nährboden für die Entstehung des Organisierten Verbrechens in Italien.

Nach Ende der Feudalherrschaft verpachteten Großgrundbesitzer ihre Ländereien an die sogenannten „Gabellotis“, die die Felder selbst wiederum an Bauern unterverpachteten. Um ihr Land vor Banditen zu schützen, bildeten die Großpächter Privattruppen aus. In einer Zeit der zunehmenden Gesetzlosigkeit sollten sie die Felder und ihre Pächter beschützen. Die bewaffneten Wächter nutzten ihre Macht jedoch gegen die Bevölkerung und erpressten diese. So wurden die Bauern gezwungen, einen Teil ihrer Ernte als Schutzgebühr abzugeben. Im Laufe der Jahre konnten die Männer, die sich selbst als „Mafiusi“ oder „Camorristi“ bezeichneten, ihren Einfluss ausweiten und übernahmen zunehmend Polizeiaufgaben. So entwickelte sich schnell ein Staat im Staate. Die Organisation schloss die Lücke, die der Staat mit seiner strukturellen Schwäche aufriss und verhinderten so den Zerfall der sizilianischen Gesellschaft. In Italien entstand ein Bündnis zwischen Mafia und Bürger, das von Klientelismus und Patronage geprägt war.9

Als 1922 Benito Mussolini den Faschismus in Italien einführte, schlugen für die „Ehrenwerte Gesellschaft“ schwere Stunden. Die Macht der Mafia stellte für die Faschisten eine Bedrohung dar, daher setze Mussolini alles daran, die Organisation zu zerstören. 1926 wurde der Präfekt Cesare Monti nach Sizilien geschickt, um die Mafia zu zerschlagen. Tausende echte und vermeintliche Mafiosi wurden verbannt oder inhaftiert. Monti gelang es somit, die Mafia in den Untergrund zu verbannen.10

Das Ende des Zweiten Weltkrieges kündigte jedoch den Wiederaufstieg der Mafia an. Die Alliierten suchten 1943 nach Verbündeten gegen die Faschisten und fanden diese in den Mafiabossen. Das Ende des Faschismus kündigte ein erneutes Machtvakuum ein, das die Mafia schließlich füllte. Durch den kriegsbedingten Mangel an allem war es der Organisation möglich einen gewinnbringenden Schwarzmarkt aufzubauen.11 Die Mafiosi unterwanderten das Justizwesen sowie die Medien und die Politiklandschaft mit eigenen Mitgliedern und konnten sich so ihren Einfluss sichern. Die Korrumpierung schuf eine Symbiose von Mafia und Politik.12 Bis in die 1980er Jahre hinein war der Staat machtlos gegenüber des mafiösen Einflusses. Das „Anti-Mafia-Gesetz“ aus dem Jahr 1982, welches schon die Zugehörigkeit zur Mafia als Straftat erklärte, änderte das jedoch. Das Gesetz und die daraus resultierende Anti-Mafia-Kommission ermöglichten eine effektivere Verfolgung der Mafiosi.13

Die sizilianische Bevölkerung ist bis heute mental nicht an den Staat gebunden. Die staatliche Macht erscheint illegitim, da die wirtschaftliche Lage des Südens weiterhin in der Krise steckt. Die Mafia gibt nicht nur ein Zusammengehörigkeitsgefühl, sondern bietet auch eine Einkommensquelle. Camorra, 'Ndrangheta und Cosa Nostra operieren daher heute noch weltweit und gelten mit einem Umsatz von mehr als 140 Milliarden Euro pro Jahr als das erfolgreichste Unternehmen in Italien.14

Auch die Historie der chinesischen Geheimgesellschaften ist geprägt von Unterdrückung und Ausbeutung, staatlicher Schwäche und Fremdherrschaft. Die Gründungslegende der Triaden besagt, dass das erste Syndikat bereits im 17. Jahrhundert gegründet wurde. Mongolische Invasionstruppen bedrohten zu dieser Zeit das chinesische Kaiserreich und Shaolin-Mönche eilten dem Kaiser Tien chi zur Seite. Mit ihrer Hilfe konnten die Truppen besiegt werden. Aus Dankbarkeit erhielten die Shaolin-Mönche zahlreiche Privilegien, wodurch Neider in der kaiserlichen Beamtenschaft geweckt wurden. Die von Missgunst geleiteten Beamten überzeugten den Kaiser, dass die Mönche einen Aufstand planten. Der Kaiser ließ daraufhin das Kloster zerstören und die Mönche töten. Nur fünf Mönche überlebten das Massaker und schworen Rache gegen die Qing-Dynastie.15

Aus Protest gegen die Fremdherrschaft gründeten sich zwei unterschiedliche Lager: Auf der einen Seite die Jiaomen, auf der anderen Seite die Banghui. Während die Jiaomen auf friedliche und religiöse Art und Weise protestierten, proklamierten die Banghui Gewalt als Mittel zum Zweck. Zwei Banghui-Gruppierungen dominierten: Die „Weiße Lotus Sekte", die primär im Norden des Landes tätig war, und die „Vereinigung der Drei Harmonien", die auch als „Hung-Gesellschaft", „Himmel-und Erde-Gesellschaft" oder als „Triade" bekannt wurde. Die „Vereinigung der Drei Harmonien“ stellte nicht nur eine Gegenorganisation dar, sondern auch eine buddhistische Gegenideologie zum Konfuzianismus. So bildet die „Hung-Gesellschaft" die Grundlage für die heutigen Triaden.16

Im 18. Jahrhundert finanzierten sich die Triaden primär durch Opiumhandel. Obwohl der Drogenhandel 1729 als illegal erklärt wurde, sah das chinesische Volk die Triaden immer noch in einer Robin-Hood-Rolle. Die chinesischen Geheimgesellschaften stellten die einzige Opposition gegen die repressive Obrigkeit.17

Der Höhepunkt des Widerstandes wurde 1899 in Form des Boxeraufstandes erreicht. Die Triaden kämpften gegen das Ende der Fremdherrschaft und für den Sturz der Mandschu-Dynastie. Ziel war noch immer die Wiederherstellung der Ming-Dynastie. Nach der Zerschlagung des Aufstandes kam es zur finanziellen Schwächung der Triaden. Viele Unterstützer flüchteten daher in die Kommunistische Partei Chinas, andere versanken immer tiefer in der kriminellen Unterwelt. Als erste rein kriminell agierende Triade galt die „Grüne Bande“, die im illegalen Salzhandel, das schnelle Geld suchte. Um ihre Interessen sicherzustellen, schleusten sie ihre Mitglieder in den Militärund Polizeidienst. 1970 war so jeder dritte chinesische Polizist ein Mitglied der Triaden. Das einst rein politische Bündnis hatte sich nun endgültig zu einem Verbrechersyndikat entwickelt.18 In den 1990er internationalisierten sich die Triaden und breiteten ihr Netzwerk in den USA und in Europa aus. 2013 agieren Gruppierung wie „14K“ oder „Sun Yee On“ mit insgesamt 450.000 Mitgliedern weltweit.19

Letztendlich führte also die mangelnde bürgerliche Unterstützung der Staatsmacht zur Entstehung des Organisierten Verbrechens in Italien und China. Während die Organisationen sich auf einen breiten Rückhalt innerhalb der Bevölkerung stützen konnten, sank die Legitimität des Zentralstaates immer weiter.

3.2 Die Kodizes mafiöser Organisationen

Die Mafia hat sich im Laufe der Jahrhunderte selbst Regeln auferlegt, um ihre Mitglieder zeitlebens an die Organisation zu binden. Diese Regeln, die auch als Ehrenkodex bekannt sind, sind nicht schriftlich festgelegt. Zum einen erklärt sich das durch die Angst, das Schriftstück könne in die Hände der Justiz fallen, zum anderen war die Anzahl der Analphabeten unter den Ehrenmännern im 19. Jahrhundert sehr hoch, so dass die Richtlinien der Organisation mündlich weitergegeben wurden. Diese Tradition besteht bis heute.20 Das generelle Ziel des Ehrenkodex ist die Erhaltung der Familienehre. Um diese sicherzustellen, müssen sich Anwärter zunächst einem Aufnahmeritual unterwerfen.

Durch den Initiationsritus verpflichten sich die Männer durch einen Bluteid zu lebenslanger Treue und absolutem Gehorsam. Weiterhin bekräftigt der Kodex die Wahrung der katholischen Sexualmoral – homosexuelle Männer werden daher ausgeschlossen.21 Des Weiteren betont der Ehrenkodex den Ausschluss von Frauen. „Da das Ausgeschlossensein der anderen von einem Besitz insbesondere bei großem Werte desselben eintreten wird, liegt psychologisch die Umkehrung nahe, dass das vielen Versagte etwas besonders Wertvolles sein müsse.“22 Somit steigert die Ausgrenzung der Frauen den vermeintlichen Wert einer Mitgliedschaft. Der monosexuelle Aufbau der Mafia entspringt daher den Grundlagen des Ehrenkodex.

Im Selbstverständnis der Mafia stehen die Glaubensvorstellungen der Organisation im Gegensatz zu den vertretenen Wertvorstellungen des Zentralstaates. Schon im 19. Jahrhundert wurde das Staatsbewusstsein durch das Familienbewusstsein ersetzt. Die staatliche Rechtsprechung wurde so durch die private Rache in Form der Vendetta ausgehöhlt. So untersagt der Kodex auch eine Kooperation mit staatlichen Institutionen. Die damit verbundene Schweigepflicht, die auch als omertá bekannt ist, sichert die Ehre des Mafiosi.23

Die durch ein Blutritual bekräftigten Regelungen sind verbindlich, „denn man tritt durch das Blut in die Cosa Nostra ein und nur das Blut tritt man wieder aus“.24 So wird ein Regelbruch mit dem Tod bestraft. Nichtsdestotrotz erlitt der Ehrenkodex der Mafia in den vergangenen Jahren einen Wertverlust. Die mafiöse Gewalt dient heute zur Akkumulation von Macht und Geld. Der Ehrenkodex versichert, für die Armen zu arbeiten, Frauen und Kindern verschont der ehrenhafte Mafiosi angeblich und doch setzt die Mafia Vergewaltigungen ein, um Gegner zu demütigen. Auch die Ermordung von Kindern ist längst kein Geheimnis mehr.25

Der Ehrenkodex der Triaden wird ähnlich der italienischen Mafia durch 36 geleistete Bluteide anerkannt. Die Triaden, die sich traditionellerweise als Familie verstehen, sichern so den Umgang der Mitglieder miteinander. Daher versichern die Anwärter sich „wie Brüder umeinander zu kümmern, gegenseitig zu helfen, einander zu schützen und mit ganzer Kraft und festem Willen bis zum letzten unterstützen, wie leibliche Brüder es tun würden“.26 Die ersten 35 Schwüre bekräftigen daher die Loyalität der Mitglieder untereinander. Finanzielle Unterstützung, Gastfreundlichkeit, Treue und Verschwiegenheit sind so wesentliche Bestandteile. Auch der Schutz der Frau ist besonders hervorgehoben. So ist es einem Triadenmitglied untersagt, die Ehefrau, Schwester, Tochter oder Geliebte eines anderen Mitgliedes zu verführen. Diese Regelung findet sich sogar in zwei Schwüren wieder.27 Es stellt sich jedoch die Frage, wieso die Regelung monosexuell formuliert ist. Die Frau wird im Kodex lediglich als Familienangehörige beschrieben. Historisch bestreiten die Triaden jedoch eine Ungleichheit zwischen Mann und Frau und auch heute gibt es zahlreiche weibliche Triadenmitglieder. Wieso schließt der Kodex also scheinbar eine Mitgliedschaft der Frau aus, während in der Realität weibliche Mitglieder durchaus üblich sind? Die Schwierigkeit den Ehrenkodex der Triaden genau zu deuten, liegt in der phonetischen Doppeldeutigkeit der chinesischen Sprache. Die erste englischsprachig überlieferte Übersetzung der 36 Bluteide spricht nicht von Ehefrauen, sondern von Schwägerinnen und Schwestern.28 Weitere Übersetzer haben schließlich eine Änderung vorgenommen, da in den vergangenen Jahrzehnten der Glaube, Frauen seien in mafiösen Gruppierung per se ausgeschlossen, vorherrschte. Da der Kodex außerdem zunächst nur mündlich überliefert wurde, ist von einer grundsätzlichen Vereinfachung der Formulierung und einer damit verbundenen Vermännlichung der Sprache auszugehen.

Erst der 36. Schwur erklärt das eigentliche Ziel der Gruppierung. So setzen sich die Mitglieder aktiv für die Vernichtung der Mandschu-Dynastie ein. Mit dem Ende des chinesischen Kaiserreiches haben die Triaden somit ihre Daseinsberechtigung verloren. Die Triaden des 21. Jahrhunderts sind reine Verbrechersyndikate, die gemeinsam agieren, um Geld und Macht anzuhäufen. Der Ehrenkodex hat daher an Wert eingebüßt. Lediglich die Todesstrafe bei Eidbruch ist scheinbar geblieben. Eidbrüchigen droht daher der Tod durch „fünf Blitzschläge“ oder „Myriaden von Schwertern“. Doch auch hier verliert der Kodex an Durchsetzungskraft: So verwarnen sie Verräter zunächst mit der Abtrennung von Extremitäten. Erst fällt der Finger, dann der Kopf.29

Während der Ehrenkodex der italienischen Mafia also eine Anhäufung von Verboten darstellt, regelt der chinesische Kodex das Miteinander der Mitglieder. Auffällig ist die unterschiedliche Selbstdarstellung der Organisationen. Die Mafia definiert sich selbst durch die pathetische Inszenierung der Männlichkeit und die damit einhergehende Exklusion von Personengruppen. Die Triaden inkludieren Mitglieder und sichern sich so, zumindest auf dem Papier, ein harmonisches Miteinander der gleichberechtigten Mitglieder. Beide haben jedoch die Todesstrafe bei Missachtung der Regeln gemeinsam.

In der Moderne haben die Ehrenkodizes jedoch stark an Gültigkeit verloren. Die Erhaltung der Ehre sowie das vorgeschriebene Miteinander sind heute nur noch Mittel zur Mystifizierung und Romantisierung der Gruppen. Pino Arlacchi verneint daher die Existenz verbindlicher Ehrenkodizes in der heutigen Zeit. Wichtiger als die Wahrung des Kodex sei die Machterhaltung der Organisation.30 So dürfen die überlieferten Regeln der Gruppen nicht als Maßstab dienen, um die Rolle der Frau in der Organisierten Kriminalität zu bestimmen.

[...]


1 Vgl. Funken, Christiane, Frau – Frauen – Kriminelle, Opladen, Westdeutscher Verlag, 1989, S.17-19

2 Vgl. Von Lampe, Klaus, Was ist "Organisierte Kriminalität?", in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 38-39/2013, 16.September 2013, S.3

3 Malleroy, Stephen L., Understanding Organized Crime, Sudbury, Ingram International Inc., 2011, S. 2

4 Vgl. Malleroy, Stephen L., Understanding Organized Crime, Sudbury, Ingram International Inc., 2011, S.5

5 Vgl. Bögel, Marion, Strukturen und Systemanalyse der Organisierten Kriminalität in Deutschland, Berlin, Duncker & Humblot, 1994, S.40-44

6 Walsh, Anthony, Hemmens, Craig, Introduction to Criminology, Thousands Oaks , SAGE Publications, 20112, S. 515

7 Gemeinsame Arbeitsgruppe Justiz/Polizei, 1990/RiStBV 1991, Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) in der ab 01.05.1991 bundeseinheitlich geltenden Fassung, Anlage E

8 Vgl. Neusel, Hans, Organisierte Kriminalität. Gefahren für Staat und Gesellschaft, in: Politische Studien. Sonderheft 3/1997 Organisierte Kriminalität, Zweimonatszeitschrift für Politik und Zeitgeschehen, S.10-11

9 Vgl. Freiberg, Konrad, Thamm, Berndt Georg, Das Mafia Syndrom, Hilden, Verlag Deutsche Polizeiliteratur, 1992, S.40-41

10 Vgl. Casella, Barbara, Frauen und Mafia. Weibliche Lebenswege zwischen Tradition und Moderne, Hamburg, Verlag Dr. Kovač, 2004, S.23-24

11 Vgl. Palumbo, Enrico, Die Mafia in Italien: Ein Staat im Staat, in: Meier-Walser, Reinhard C., Hirscher, Gerhard, Lange, Klaus, Palumbo, Enrico (Hrsg.), Organisierte Kriminalität. Bestandsaufnahme, Transnationale Dimension, Wege der Bekämpfung, München, Hanns-Seidel-Stiftung, 1999, S.114

12 Vgl. Freiberg, Konrad, Thamm, Berndt Georg, Das Mafia Syndrom, Hilden, Verlag Deutsche Polizeiliteratur, 1992, S.46

13 Vgl. Köppl, Stefan, Das politische System Italiens. Eine Einführung, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2007 S.238

14 Vgl. o.A. Wirtschaftsmacht Mafia http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kriminalitaet-in-italien-wie-die-mafia-geschaefte-macht-1.1254487, vom 10.02.2012, aufgerufen am 13.10.2013

15 Vgl. Thamm, Berndt Georg, Drachen bedrohen die Welt. Chinesische Organisierte Kriminalität (Triaden), Hilfen, Deutsche Polizeiliteratur, 1996, S.31

16 Vgl. Lange, Klaus, Die internationale Dimension des organisierten Verbrechens, Oberhaching, Hanns-Seidel-Stiftung e.V., 1994, S.34-35

17 Vgl. Thamm, Berndt Georg, Drachen bedrohen die Welt. Chinesische Organisierte Kriminalität (Triaden), Hilfen, Deutsche Polizeiliteratur, 1996, S.99

18 Vgl. Paetsch, Martin, Shanghai, in: Geo Epoche, Magazin für Geschichte, Mafia. Die Geschichte des Organisierten Verbrechens, Nr. 48, 28. März 2011, S. 55-56

19 Vgl. Harnischmacher, Robert F.J, Weltweit auf leisen Sohlen: Chinas Triaden http://www.kriminalpolizei.de/articles,weltweit_auf_leisen_sohlen_chinas_triaden,1,185.htm, vom März 2008, aufgerufen am 13.10.2013

20 Vgl. Hess, Herner, Mafia, Zentrale Herrschaft und lokale Gegenmacht,Tübingen, J.C.B. Mohr, 19883,S..111

21 Vgl. Stille, Alexander, Die Richter, der Tod, die Mafia und die italienische Republik, Frankfurt am Main, Verlag, 1997

22 Simmel, Georg, Soziologie: Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, München, Suhrkamp Verlag, 19927, S.408

23 Vgl. Freiberg, Konrad, Thamm, Berndt Georg, Das Mafia Syndrom, Hilden, Verlag Deutsche Polizeiliteratur, 1992, S.42

24 Falcone, Giovanni, Padovani, Marcelle, Inside Mafia, München, Herbig, 1992, S.92

25 Vgl. Siebert, Renate, Im Schatten der Mafia. Die Frauen, die Mafia und das Gesetz, Hamburg, Hamburger Edition, 1997, S.32

26 Thamm, Berndt Georg, Drachen bedrohen die Welt. Chinesische Organisierte Kriminalität (Triaden), Hilfen, Deutsche Polizeiliteratur, 1996, S.47

27 Vgl. Bökemeier, Rolf, Hongkong unter der Hand, in: GEO, Das neue Bild der Erde, Nr. 2, Februar 1989, S.108

28 o.A., Oath taken by members of the Triad society and notices of its origin, in: The Chinese Repository, vol. XVIII, June 1849, No 6, p.282-287

29 Vgl. Freiberg, Konrad, Thamm, Berndt Georg, Das Mafia Syndrom, Hilden, Verlag Deutsche Polizeiliteratur, 1992, S.13-14

30 Vgl. Arlacchi, Pino, Mafia von innen, Frankfurt am Main, Fischer Verlag, 1993, S.135

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Details

Titel
Die Rolle der Frau in der Organisierten Kriminalität
Untertitel
Ein Vergleich zwischen italienischer Mafia und chinesischen Triaden
Hochschule
Universität Regensburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
42
Katalognummer
V456832
ISBN (eBook)
9783668902732
ISBN (Buch)
9783668902749
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Organisierte Kriminalität, Organisiertes Verbrechen, Frau, Gender, Genderrollen, Mafia, Triaden, Italien, China
Arbeit zitieren
Cornelia Kauruff (Autor:in), 2014, Die Rolle der Frau in der Organisierten Kriminalität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/456832

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