Identitätsbildung im Internet - Exemplarische Analyse von Beiträgen eines Online-Forums unter soziolinguistischen Gesichtspunkten


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Identitäten und Internet
1.1 Individuelle und kollektive Identitäten
1.2 Gezielte Konstruktion und Aktivierung von Identitäten
1.3 Die Möglichkeiten der Identitätsbildung in Online-Foren
1.4 Ein kritischer Ausblick

2. Die Soziolinguistik: Schnittstelle zwischen Sprachwissenschaft und Soziologie
2.1 Der Gegenstandsbereich der Soziolinguistik
2.2 Die Untersuchungsmethoden der Soziolinguistik

3. Exemplarische Analyse von Beiträgen eines Online-Forums
3.1 Einleitende Bemerkungen
3.2 Das Film-Forum kinokai.de
3.3 Soziolinguistische Betrachtung ausgewählter Beiträge

Schlussbemerkung

Anhang

Literaturverzeichnis

Einleitung

Das Internet bietet seinen Benutzern inzwischen zahlreiche Möglichkeiten um sich von bestimmten Identitätszuschreibungen des Offline-Alltags loszulösen, eigene „Wunsch-Identitäten“ aufzubauen oder sich völlig anonym einer Interessengemeinschaft anzuschließen. Im Hinblick auf Identitätskonstitution und Selbstdarstellung sind dem Individuum dabei kaum mehr Grenzen gesetzt, und die Online-Welt eröffnet dem Selbst ein breites Spektrum an neuen Erfahrungsräumen.

Die vorliegende Hausarbeit will zunächst in einem knappen Überblick darstellen, wie es mit Hilfe des Internets möglich ist neue Teilidentitäten zu generieren, anschließend kurz auf die Soziolinguistik eingehen um dann schließlich im letzten Teil eine exemplarische Analyse von ausgewählten Beiträgen eines Film-Forums durchzuführen. Dabei werden die Äußerungen von einzelnen Forumsteilnehmern einer soziolinguistischen Betrach-tung unterzogen und identitätsrelevante Aspekte herausgestellt. Es wird also aufgezeigt, wie die jeweiligen Mitglieder sprachlich ihre Online-Identität aufbauen und bestimmte Selbstaspekte in den Vordergrund rücken.

Abschließend werden die Untersuchungsergebnisse noch kurz mit den im ersten Abschnitt der Arbeit erörterten Theorien in Beziehung gesetzt, so dass daran anknüpfend ein zusammenfassender Gesamtausblick formuliert werden kann.

1. Identitäten und Internet

1.1 Individuelle und kollektive Identitäten

Das Internet wird von seinen Usern auf vielfältige Weise verwendet: zur Informations-beschaffung, zur schnellen und recht unaufwändigen Kommunikation via E-Mail, ICQ oder Chatroom, zum Bestellen von Büchern, CDs oder DVDs, zum Teilnehmen an Online-Spielen, zum Kennenlernen neuer Leute, zum Austausch mit anderen in Themenforen oder auch einfach nur zum Veröffentlichen des eigenen Gedankengutes. Das World Wide Web ist somit „zum einen eine gigantische Datenbank, zum anderen ein komplexes Kommunikationsnetzwerk“ (RUNKEHL/SCHLOBINSKI/SIEVER 1998: 27), es bietet dem Selbst die Möglichkeit „umfassend in archivierbarer und oft auch identifizierbarer Form“ (DÖRING 2003: 397) die individuelle Identität zu präsentieren, und in ihm „können wir mit anderen plaudern, Ideen austauschen und Rollen spielen, die wir selbst erfunden haben“ (TURKLE 1998: 9). Durch erstmaliges Surfen oder Agieren im Netz kann bereits (bewusst oder unbewusst) eine eigene Online-Identität etabliert werden, denn allein schon die Tatsache, „dass man an der Internet-Kommunikation teilnimmt, birgt die Chance, eine Identität als Netznutzerin oder Netznutzer aufzubauen“ (DÖRING 2003: 372).

Eine in der Sozialpsychologie gängige Konzeption in Bezug auf Identitätsbildung ist dabei die Unterscheidung zwischen personaler und sozialer bzw. zwischen individueller und kollektiver Identität (vgl. ebd.: 330 ff.). Identifiziert sich ein Netznutzer z.B. primär über seine ihm eigentümlichen Besonderheiten, Ansichten oder Fähigkeiten – also die Eigenschaften, in denen er sich in charakteristischer Weise von anderen abhebt – so spricht man von individueller Identität. Identifiziert er sich dagegen mit den Merkmalen, Eigenarten und Interessensgebieten von bereits bestehenden sozialen Gruppen – nimmt er sich also aufgrund von Ähnlichkeiten als Mitglied einer Gemein-schaft wahr – so spricht man von kollektiver Identität. Personale bzw. individuelle Identitäten betonen folglich die Distinktheit von allen anderen, während soziale bzw. kollektive Identitäten „auf der Selbstinterpretation als austauschbares Gruppenmit-glied“ (ebd.: 331) beruhen. Dementsprechend reagieren Individuen auch „stärker auf Bedrohungen der individuellen als der kollektiven Identität“ (ebd.). Bei aktivierter sozialer Identität orientiert sich das Verhalten in der Regel stark an Gruppennormen, und zwischenmenschliche Interaktionen finden als Inter-Gruppen-Begegnungen statt, während sich bei aktivierter personaler Identität in erster Linie an den eigenen Standards und Werten orientiert wird, und man auf die individuellen Besonderheiten des Gegenübers reagiert (vgl. ebd.).

Die Nutzung des Internets bietet nun viele verschiedene Möglichkeiten um neue individuelle und kollektive Teilidentitäten zu konstruieren, und die „Medien-kommunikation kann die Struktur und die Zusammensetzung des Rollen-Selbst verändern“ (KROTZ 2003: 41). Eine Person kann etwa beim Surfen im Netz zufällig auf ein Themenforum aufmerksam werden, sich dort zunächst nur „passiv“ aufhalten, indem sie lediglich die Beiträge anderer liest, dann aber zu „aktiver“ Mitgestaltung übergehen und so z.B. eine Teilidentität als Online-Filmkritiker aufbauen. Oder sie schreibt in einem so genannten Weblog über persönliche Erlebnisse, die Dinge, die sie gerade beschäftigen oder veröffentlicht dort eigene Texte, wodurch bewusst eine individuelle Teilidentität zur öffentlichen Selbstpräsentation etabliert wird.

Angesichts der Vielfalt möglicher Nutzungsweisen lassen sich die Identitäten von Netznutzenden in diverse Typen und Subtypen einteilen, „etwa gemäß Chronizität der Internet-Erfahrung (newbie versus oldbie), gemäß Nutzungsintensität im Sinne von Zeitbudget (light user versus heavy user) oder gemäß Nutzungsstil im Sinne von aktiv-produktiver Beteiligung (lurker versus poster)“ (DÖRING 2003: 372). Je nach Nut-zungsverhalten können also verschiedene Arten von Identität etabliert werden: eine Identität als pragmatischer Internetbenutzer bei sparsamer und primär sachbezogener Nutzung, eine Identität als Chatter oder Mudder bei Partizipierung an einzelnen sozialen Internet-Diensten oder z.B. eine Identität als Internet-Freak bei sucht-ähnlichem Verhalten als Ausdruck von Enthusiasmus (vgl. ebd.: 374).

Identitätskonstituierend ist neben engagierter und regelmäßiger Netznutzung zusätzlich noch die Übernahme von offiziellen Funktionen oder Ämtern wie z.B. als Webmaster, Mailinglisten-Moderator oder Chat-Channel-Operator. Diese Rollen erfordern ein über-dauerndes Engagement und sind mit vielen sozialen Kontakten und Interaktionen verbunden und bieten zusätzliche Einflussmöglichkeiten und Machtstellungen an (vgl. ebd.). Ein Beispiel für eine solche spezifische Nutzeridentität ist die eines so genannten Flashers, der mit Hilfe der Software „Flash“ Vektor-Grafiken und Animationen erstellt und diese dann in Webseiten einbindet. Sofern eine Person der Beschäftigung mit Flash-Design subjektive Relevanz beimisst, kann dadurch eine neue Identität konstituiert werden. „Die Identitäts-Repräsentation erfolgt hier nicht rein textbasiert, sondern vor allem auch über visuelle Symbole“ (ebd.: 375). Im Sinne von Arbeits-proben demonstrieren die Flasher damit ihre Kompetenz und Originalität (individuelle Identität) und konstituieren gleichzeitig durch die Integration in die Flash-Community (z.B. durch die Beteiligung an Foren oder die Verlinkung der eigenen Homepage) auch kollektive Identität (vgl. ebd.).

Die sozialen Szenen, Bewegungen oder Subkulturen, die sich im Zusammenhang mit Internet-Nutzung gebildet haben, sind für die jeweiligen Mitglieder also immer auch mit der Entwicklung neuer Fertigkeiten, Kontakte und Selbstbilder verknüpft (vgl. ebd.).

1.2 Gezielte Konstruktion und Aktivierung von Identitäten

Die Prozesse kultureller Identitätsbildung lassen sich zunächst in „drei Diskussionsfeld-er typisieren […]: In Bezug auf Medien sind dies Fragen des (1.) reflexiven, (2.) frag-mentierten und (3.) differenzstiftenden Charakters“ (HEPP/THOMAS/WINTER 2003: 9). Unter reflexiver Identitätskonstruktion versteht man dabei „die Narration des Selbst über sich, wobei diese Narration als ein fortlaufender Prozess der reflexiven Deutung des Selbst verstanden werden muss“ (ebd.: 10). Bei der fragmentierten Identitäts-konstruktion besteht die eigene Identitätserzählung „aus einer Vielzahl von Strängen, die sich überkreuzen, und ist nicht mehr in der geschlossenen Erzählung des Bildungsromans fassbar“ (ebd.: 11). Die differenzstiftende Identitätskonstruktion schließlich bestimmt sich in einem „fortlaufenden diskursiven Konstitutionsprozess in der Abgrenzung vom Anderen“ (ebd.).

Wie bereits erwähnt ist es nun durch die Nutzung des Internets möglich, gezielt eine bestimmte Identität bzw. Teilidentität zu aktivieren oder eine eigene „Wunsch-Identität“ aufzubauen. Da im World Wide Web eine Fülle an sozialen Verbindungen und Themenforen existieren, die zudem zeitunabhängig und ortsflexibel zugänglich sind, „bietet sich die Chance, bewusst Netzszenarien auszuwählen, die bestimmten – bevorzugten oder auch heiklen – Identitäten weitere Ausdrucksmöglichkeiten ver-schaffen“ (DÖRING 2003: 354). So bieten spezielle, nach Fachrichtungen und Berufen ausdifferenzierte Online-Plattformen z.B. die Möglichkeit, berufliche und fachliche Identitäten zu präsentieren, sich dort weiterzubilden, eventuell eine Expertenrolle einzunehmen oder bei regelmäßigen und aussagekräftigen Postings sogar eine über das einzelne Forum hinausgehende „Netzberühmtheit“ zu erlangen (vgl. ebd.: 354 f.). Auch gibt es Netzforen, in denen spezifische Lebenserfahrungen gefragt sind und es z.B. explizit gewünscht wird, dass auf emotionales Befinden und körperbezogene Identitätsaspekte eingegangen wird. „Während im lokalen Umfeld das Interesse an derartigen Erzählungen oft begrenzt […] ist, lassen sich in öffentlichen Netzforen, die einen ständigen Zustrom von Neulingen verzeichnen und zudem aus einem Kern ernsthaft Interessierter und Mitbetroffener bestehen, in aller Ausführlichkeit jene Selbst-Aspekte thematisieren, die uns persönlich gerade besonders wichtig sind“ (ebd.: 356).

Neben diesen und ähnlichen Optionen zum Aktivieren und Ausdrücken einzelner Teilidentitäten bietet sich bei der Online-Kommunikation auch die Möglichkeit, relativ unaufwändig einen Identitätswechsel durchzuführen und so eine bestimmte „Wunsch-Identität“ aufzubauen. Dadurch erhält man z.B. die Gelegenheit den Kategorisierungen oder Identitätszuschreibungen des Offline-Alltags auszuweichen und bestimmten Selbstaspekten, die etwa mit körperlichen Beeinträchtigungen zusammenhängen, keine Relevanz beimessen zu müssen. Fünf häufig vorkommende Arten von Identitätswechsel sind (1.) der Geschlechterwechsel, (2.) der Wechsel von marginalisierten Identitäten zu Mainstream-Identitäten, (3.) der Wechsel von Mainstream-Identitäten zu Ideal-Identitäten, (4.) der Alterswechsel und (5.) der Ethnizitätswechsel (vgl. ebd.: 378 ff.).

Beim Durchführen eines Geschlechterwechsels kommen Männer z.B. leichter mit „anderen“ Frauen in Kontakt und genießen mehr Aufmerksamkeit von ihren Geschlechtsgenossen, können auf der anderen Seite aber auch schneller Opfer von Belästigungen werden oder unerwünschte E-Mails erhalten. Bei Frauen, die sich als Männer ausgeben, wird dagegen vermutet, dass der Geschlechtswechsel hier dazu dient um als gleichberechtigt zu gelten und wirklich ernst genommen zu werden. „Ein solcher geschlechtsspezifisch motivierter Geschlechterwechsel […] ist theoretisch zunächst einmal eher als strategische Selbstdarstellung, denn als Identitätsarbeit zu verstehen“ (ebd.: 378).

[...]

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Identitätsbildung im Internet - Exemplarische Analyse von Beiträgen eines Online-Forums unter soziolinguistischen Gesichtspunkten
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Seminar für deutsche Literatur und Sprache)
Veranstaltung
Sprache, Kognition und Identität
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
25
Katalognummer
V45813
ISBN (eBook)
9783638431538
ISBN (Buch)
9783638658249
Dateigröße
745 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die vorliegende Hausarbeit will zunächst in einem knappen Überblick darstellen, wie es mit Hilfe des Internets möglich ist neue Teilidentitäten zu generieren, anschließend kurz auf die Soziolinguistik eingehen um dann schließlich im letzten Teil eine exemplarische Analyse von ausgewählten Beiträgen eines Film-Forums durchzuführen. Dabei werden die Äußerungen von einzelnen Forumsteilnehmern einer soziolinguistischen Betrachtung unterzogen und identitätsrelevante Aspekte herausgestellt.
Arbeit zitieren
Tim Fischer (Autor:in), 2005, Identitätsbildung im Internet - Exemplarische Analyse von Beiträgen eines Online-Forums unter soziolinguistischen Gesichtspunkten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45813

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