Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die historische Dokumentation
2.1 Entwicklung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen
2.2 Filmische Stilmittel der historischen Dokumentation
2.3 Authentitizität und Popularisierung
3 Analyse der Dokumentarserie Die Wahrheit über den Holocaust
4 Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die geschichtswissenschaftliche Mediengeschichte beschäftigt sich zum einen mit den verschiedenen Aspekten der historischen EntwicklungderMedien und zum anderen damit,wie historische Ereignisse und die Erinnerung der Konsumenten medial beeinflusst werden.1 Für die Vermittlung von historischen Themen hat sich in unserer Gesellschaft die audiovisuelle Form durchgesetzt.2 Das Interesse einer breiten Öffentlichkeit an Geschichte konnte vor allem durch die Behandlung historischer Themen im Medium Fernsehen gesteigert werden: „Anders als Bücher verfügt Fernsehen über die Möglichkeiten, Neugier und Betroffenheit und Spannung zu wecken. Bewegte Bilder, Geräusche und Originalstimme vermitteln das ‚Abenteuer Geschichte‘als sinnliches Erlebnis, wie es nur das elektronische Medium bieten kann. Deshalb spricht es auch ein anderes Publikum an als das Buch. So mancher, der Geschriebenes kaum in die Hand nimmt, kann via Bildschirm mit historischen Themen erreicht werden.“3 Gemäß einer aktuellen Umfrage4 zu den beliebtesten Fernsehformaten sahen imJahr2016 mehr als13Prozent der Befragten Geschichtssendungen sehr gerne. Unter den Geschichtssendungen wird dem Format der historischen Dokumentation bei der Vermittlung geschichtlicher Inhalte eine besondere Bedeutung beigemessen. Der Begriff„Format“umfasst „alle Elemente des Erscheinungsbildes einer Sendung“5. Die Entwicklung des Formates der historischen Dokumentation im Fernsehen soll als mediengeschichtlicher Aspekt in dieser Arbeit betrachtet werden.
Ein Blick in die Mediengeschichte des deutschen Fernsehens zeigt, dass Geschichte seit den1960er Jahren vor allem durch die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus Verbreitung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland fand, zunächst aber nur mit mäßigem Zuschauerzuspruch. Erst mit der 1979 in den dritten Programmen der ARD ausgestrahlten vierteiligen amerikanischen Filmserie Holocaust gelang es,ein breites Publikum zu erreichen. Die Darstellung des Schicksals einer fiktiven jüdischen Familie mit populären Spielfilmmustern erreichte bis zu40Prozent der Fernsehzuschauer. Die Fernsehanstalten reagierten darauf in den 1980er und 1990er Jahren mit einer Vielzahl von geschichtlichen Fernsehspielen und Dokumentationen zum Nationalsozialismus. Vom gestiegenen Zuschauerinteresse an geschichtlichen Themen konnten auch historische Dokumentarserien wie die ZDF-Produktion Hitlers Helfer profitieren und Ende der 1990er Jahre bis zu acht Millionen Zuschauer erreichen. In den Jahren 1995 - 2003 stellten Geschichtssendungen eines der wichtigsten kulturellen Programmsegmente in Deutschland dar.6 Fernsehfilme wie der Zweiteiler Dresden imJahr2006 oder Stauffenberg 2007 wurden sogar von mehr als zehn Millionen Zuschauern gesehen.7
Fernsehverantwortliche und Filmproduzenten bewegen sich bei der Darstellung geschichtlicher Inhalte stets im Spannungsfeld zwischen Authentizität und Popularisierung. Zwar postuliert eine Studie aus dem Jahr 2008, dass „eine unterhaltungsorientierte Aufbereitung der Inhalte nicht der ´,Richtigkeit‘der historischen Ereignisse entgegensteht“8, trotzdem stellt sich immer wieder die Frage,wie man historische Inhalte publikumsnah präsentieren kann, ohne den wissenschaftlichen Anspruch an eine wahrheitsgemäße und authentische Darstellung zu gefährden. Im Vergleich zu anderen filmischen Formaten wie dem Fernsehspiel, dem Doku-Drama oder der Living History kann die historische Dokumentation vermutlich am besten den Anforderungenin Bezug aufWahrhaftigkeit und Authentizität nachkommen. Wie und mit welchen filmischen Mitteln historische Dokumentationen medial aufbereitet werden sollen,war vom Ende der90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bis hin zum Historikertag in Konstanz im Jahr 2006 Gegenstand einer kritischen und kontroversen Diskussion zwischen Historikern und Fernsehmachern.9 Imdarauffolgenden Jahr wurde von Edgar Lersch und Reinhold Viehoff eine Studie zu den dokumentarischen Formen im Fernsehen veröffentlicht,welche sich mit deren Einfluss auf Popularisierung und Authentizität beschäftigt. Die vorliegende Arbeit basiert auf wesentlichen methodischen Vorgaben dieser Studie.
Mit der achtteiligen Dokumentarserie Die Wahrheit über den Holocaust wurde von der Redaktion Zeitgeschichte des ZDF im Jahr2015 eine neue aufwendige internationale historische Produktionüber dieZeit des Nationalsozialismus zur Prime Time auf dem Kanal ZDFinfo ausgestrahlt. Den Bedarfaneiner weiteren Produktion zu dieser Zeit begründen die Filmemacher damit, dass 70 Jahre nach der Befreiung der Insassen aus dem Konzentrationslager Auschwitz am 27. Januar 1945 ein Großteil der jungen Leute in Deutschland, Frankreich und Israel die historischen Hintergründe des Völkermordes an den Juden nicht mehr kennt. Das Ziel der Dokumentationsseriebesteht darin,eine neue globale Geschichteausinternationaler Perspektive zu berichten. Es soll eine Antwort gegeben werden,wie espassieren konnte, sechs Millionen Juden vor den Augen der Welt umzubringen10.
Ziel dieser Arbeit ist,auf der Basis von Literaturquellen aufzuzeigen,wie sich das Format der historischen Dokumentation im Zeitablauf in der Verwendung verschiedener filmischer Elemente entwickelt hat.Darauf aufbauend wird untersucht,welche dieser Elemente in der historischen Dokumentationsserie Die Wahrheit über den Holocaust genutzt wurden. Es soll festgestellt werden, ob sich ggf. ein Wandel in der Auswahl und Gewichtung der verwendeten Stilelemente vollzogen hat. Bereits der im Titel der SerieverwendeteBegriff„Wahrheit“adressiert den Anspruch an Authentizität und weckt bei dem Zuschauer entsprechende Erwartungen. Inwieweit es den Filmemachern gelungen ist,einerseits Authentizität zu vermitteln und andererseits dem Anspruchaneine populäre, ein breites Publikum ansprechende historische Dokumentationgerecht zu werden,soll abschließend bewertet werden.
2 Die historische Dokumentation
Nach Erwin Leiser ist der Begriff „historische Dokumentation“ nicht klar definiert und „basiert nicht auf einer allgemein anerkannten und sachlich von anderen journalistischen Filmgattungen eindeutig abgesetzten Klassifizierung“11. In der Praxis wird darunter eine nicht-fiktionale Fernsehsendung verstanden, die mithilfe einer begrenzten Anzahl von Stilmitteln versucht, historische Inhalte zu vermitteln. Die wesentlichen Stilmittel sind: Aufnahmen von Archivalien (Dokumente, Originalfilme, Originalfotos), szenische Rekonstruktionen, Aussagen von Zeitzeugen, Neuaufnahmen von Originalschauplätzen, Expertenmeinungen, Kommentartexte und Musik. Historische Dokumentationen werden wegen des kombinierten Einsatzes der verschiedenen Stilmittel auch häufig als Kompilationsfilme bezeichnet. ImFolgenden soll zunächst ein Abriss der zeitlichen Entwicklung des Formates gegeben werden, bevor anschließend die verschiedenen Stilmittel erläutert werden. Das Kapitel schließt mit Ausführungen zu den Begriffen„Authentizität“und„Popularisierung“.
2.1 Entwicklung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen
Zielten Programmplaner in den1960er und1970er Jahrennoch darauf ab,ihr Publikum zu leiten und zu bilden, so vollzog sich mit der Einführung des Privatfernsehens in Deutschland im Jahr 1984 ein drastischer Wandel. Im Vordergrund stand nun die Nähe zum Publikum und der Erfolg einer Sendung wurde nur noch mit der Einschaltquote bemessen.12 Dies galt auch für historische Sendungen und deren Anspruch an die Geschichtsvermittlung.13 Fernsehmacher wandten sich von erklärenden und schulisch anmutenden Geschichtssendungenab. Stattdessen trat die Emotionalisierung des Zuschauers mehr in den Fokus, was mit einer Ausrichtung an historischen Ereignissen und Personen einherging. Während in den1960er und frühen1970er Jahren historische Dokumentationen aus den Stilelementen Archivalien, Neudreh von Originalschauplätzen und Kommentator bestanden, wurden jetzt zunehmend auch die anderen Elemente genutzt.14 Thematisch erfolgte ab dem Ende der1980er Jahre durch die Redaktion Zeitgeschichte des ZDF unter der Leitung von Guido Knopp, welche auch für den Stil des Formates prägend werden sollte, eine starke Ausrichtung auf den Nationalsozialismus, veranlasst auch durch den Erfolg der Spielfilmserie Holocaust. Zum Nationalsozialismus existierte eine Vielzahl an Archivalien und Bildmaterial, welche es ermöglichten,Dokumentationen lebendiger zu gestalten. Das bisher in historischen Dokumentationen zentrale Element des Erläuterns der inhaltlichen Aussagen und des Kommentierens wurde zunehmend den gebotenen visuellen Umsetzungsmöglichkeiten untergeordnet. Mit dem Text wurden nur noch die notwendigsten Informationen übermittelt, kombiniert mit schnellen Schnitten, dramatischer Musik, farbigen und schwarz-weißen Filmsequenzen und häufigen Zeitzeugenaussagen. Historische Dokumentationen bedienten sich intensiv der Möglichkeiten fiktionaler Formate.15
Dramaturgisch erfolgte eine Ausrichtung der historischen Dokumentation auf die Gefühle der Zuschauer. Die Emotionalisierung von Geschichte gelang Knopp vor allem durch den Einsatz von Zeitzeugen.DieGefühlesowohlvon Tätern als auch Opfern wurden auf dem Bildschirm sichtbar gemacht. Um beim Publikum Identifikations- und Mitleidsgefühle zu wecken,wurden diese nicht mehr in einer neutralen Blackbox,sondern am Ort ihrer Erinnerungen präsentiert. Der Zuschauer sollte damit näher an die handelnden Personen heranrücken und vermittelt bekommen, in den vergangenen Augenblicken dabei gewesen zu sein. Im Sinne der Emotionalisierung wurde weiterhin eine stark personalisierende Darstellung bevorzugt.16
Als weiteres Stilmittel wurde dieszenische Rekonstruktion intensiv genutzt, wenn zu bestimmten Themen und Ereignissen kein geeignetes Ton- oder Bildmaterial verfügbar war. Akustisch setzte Knopp auf Voice-over-Kommentare mit staccatohafter Sprache, nicht selten mit theatralischer und pathetischer Intonation. Der Kommentartext konzentriert sich auf das Wesentliche und lässt die Bilder sprechen. Als auditives weiteres Stilmittel wurde visuelles Filmmaterial mit dramatisierender Musik untermalt, um Spannung zu erzeugen.17 Insgesamt gelang es den Fernsehproduzenten mit neuen Forschungsergebnissen, erstmals gezeigtem Bildmaterial und neuen Zeitzeugenaussagen, historische Dokumentationen interessant, spektakulär und für die Zuschauer sinnlich erfahrbar zu machen. Filmsequenzen wurden nachkoloriert, um die Distanz zur Vergangenheit zu reduzieren und damit den Zuschauer besser am Geschehen teilhaben zu lassen. Aktualität wurde den historischen Dokumentationen durch die Berücksichtigung neuer Forschungstendenzen und -ergebnisse sowie denBezug zur Gegenwart wie zum Beispiel deren Ausstrahlung an Geburts-, Todes- oder Jahrestagen verliehen.18 Die Vermittlung von Fakten hingegen trat in den Hintergrund.
Anzumerken sei an dieser Stelle, dass dieser von Knopp vollzogene Wandel der historischen Dokumentation vielfache Kritik sowohl in den Feuilletonteilen der Tageszeitungen als auch bei Historikern hervorrief. Neben der generellen Tendenz zur Vereinfachung historischer Inhalte wurde beispielsweise die Vermischung von Rekonstruktionen und historischem Filmmaterial innerhalb einer Einspielung beanstandet.19 Auf die heftige Kritik reagierte Knopp,indem er ab dem Jahr 2001 zunehmend auf den Einsatz der szenischen Rekonstruktion verzichtete. Weitere zentrale Kritikpunkte waren der verfolgte biografische Ansatz und die damit verbundene starke Personalisierung der historischen Dokumentationen sowie die Herauslösung der Zeitzeugenaussagen aus der Gesprächssituation und die Entkontextualisierung deren Inhaltes. Häufig schienen diese lediglich als Bestätigung des Kommentartextes zu dienen. Trotz der massiven und anhaltenden Kritiken wurde der Stil der Redaktion für Zeitgeschichte von anderen Fernsehsendern nachgeahmt und übernommen20, denn nicht zuletzt gelang es dank dieser Ästhetik historische Dokumentationen zu popularisieren und die angestrebten Einschaltquoten zu erzielen.21
2.2 Filmische Stilmittel der historischen Dokumentation
Als Archivalien werden Originaldokumente aus der jeweiligen Zeit bezeichnet. Diese unterscheiden sich in schriftliche Dokumente wie Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Berichte, Referate, Patentschriften und Zeichnungen,Fotografien sowie Film- und Tonaufnahmen: „Erst das Dokument, sei es nun eine Zeitung oder ein Brief, erleichtert dem Zuschauer mit seinem Erinnerungswert den Einstieg in ein Thema. Aktuelle Entwicklungen oder vergangene Ereignisse werden in ihrer Tragweite erst durch das historische Dokument deutlich und vermitteln durch ihre Authentizität das Gefühl des unmittelbaren Erlebnisses.“22 Archivalien geben Dokumentationen Legitimität und Authentizität. Gerne werden diese als Neuentdeckungen dargestellt, welche historische Geschehnisse in einem neuen Licht erscheinen lassen. Archivalien wurden im Jahr 2003 in allen historischen Dokumentationen bei ARD und ZDF genutzt. Sie stellten aber nur in 15Prozentder Sendungen das dominante Stilmittel dar.23
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1 Vgl. Bösch, F./Vowinckel, A. (2012): Mediengeschichte, S. 4.
2 Vgl. Benz, W. (2006): Geschichte in Spielfilmen und Fernsehdokumentationen – Eine Herausforderung für die historisch-kritische Geschichtsforschung, in: 10. Bundeskongress für politische Bildung – Zwischen Inszenierung und Information.
3 Knopp, G. (1999): Zeitgeschichte im Fernsehen, in: Wilke, J. (Hrsg.), Massenmedien und Zeitgeschichte, 1999, S. 46.
4 IfD Allensbach (2016): Beliebteste Fernsehformate in Deutschland in den Jahren 2015 und 2016,in: Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse-AWA 2016
5 Hickethier, K. (2016): Film-und Fernsehanalyse, S. 213.
6 Vgl. Lersch, E./Viehoff, R. (2007): Geschichte im Fernsehen: Eine Untersuchung zur Entwicklung des Genres und der Gattungsästhetik geschichtlicher Darstellungen im Fernsehen 1995 bis 2003, S. 171.
7 Vgl. Cipitelli (2009), S. 7 ff.
8 Lersch, E./Viehoff, R. (2007): Geschichte im Fernsehen: Eine Untersuchung zur Entwicklung des Genres und der Gattungsästhetik geschichtlicher Darstellungen im Fernsehen 1995 bis 2003
9 Vgl. Donaubauer, S. (2011): Geschichte und Fernsehen 1964 - 2004: 40 Jahre Geschichte im Bayerischen Fernsehen, München, Ludwig-Maximilians-Universität, Diss., S. 6.
10 Vgl. ZDFinfo (2014)
11 Leiser, E. (1992): Dokumentarfilm und Geschichte, in: Zimmermann, P. (Hrsg.), Fernseh-Dokumentarismus, Bilanz und Perspektiven, S. 37- 50, S. 41.
12 Vgl. Donaubauer, 2011, S. 62 f.
13 Vgl. Schörken, R. (1995): Begegnungen mit Geschichte.
14 Vgl. Donaubauer, 2011, S. 99.
15 Vgl. Donaubauer, 2011, S. 63 ff.
16 Vgl. Donaubauer, 2011, S. 69 ff.
17 Vgl. Donaubauer, 2011, S. 71 ff.
18 Vgl. Donaubauer, 2011, S. 68.
19 Vgl. Schirrmacher, F. (1998): Es ist nie vorbei. Ein Interview mit dem Filmproduzenten Nico Hofmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.03.2013, Nr. 27, S. 27.
20 Vgl. Näpel, O. (2003): Historisches Lernen durch ,Dokutainment‘? – Ein geschichtsdidaktischer Aufriss. Chancen und Grenzen einer neuen Ästhetik populärer Geschichtsdokumentation, analysiert am Beispiel der Sendereihen Guido Knopps’, Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, S. 213- 244, S. 214 ff.
21 Kantsteiner, W. (2003): Die Radikalisierung des deutschen Gedächtnisses im Zeitalter seiner kommerziellen Reproduktion: Hitler und das „Dritte Reich“ in den Fernsehdokumentationen von Guido Knopp, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 51 (2003), S. 626 - 648, S. 641.
22 Niedermaier, C. (1988): Das Dokumentieren historischen Materials, in: Quandt, S.; Knopp, G. (Hrsg.), Geschichte im Fernsehen, S. 35 - 40, S. 35.
23 Vgl. Lersch, Viehoff, 2007, S. 173.