Die Darstellung von Maskulinität in Thomas Manns "Der Zauberberg". Hans Castorp als Anti-Typ des männlichen Ideals des 20. Jahrhunderts


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Konstruktion von Männlichkeit vom 18. - 20. Jahrhundert

3. Hans Castorp – Anti-Typ des bürgerlichen Männlichkeitsideals
3.1 Hans Castorps äußere Erscheinung und Charakter
3.2 Hans Castorp und Homosexualität

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der folgenden Hausarbeit soll es um die Darstellung von Maskulinität in Thomas Manns 1924 veröffentlichten Roman Der Zauberberg gehen.

Zunächst wird ein historischer Überblick zu der Konstruktion von Maskulinität und den entsprechenden männlichen Idealen vom 18. – 20. Jahrhundert herausgearbeitet, um weiterhin zu argumentieren, dass die Hauptfigur des Romans, Hans Castorp, nicht den damaligen Idealen eines Mannes entspricht.

Anhand einer detaillierten Analyse der Hauptfigur und wichtiger Textstellen des Romans soll die These, die von seiner Unmännlichkeit aus damaliger Sicht ausgeht, bewiesen werden.

Außerdem soll dargestellt werden, dass Hans Castorp homosexuelle Tendenzen und Phantasien aufweist, die er schon im Alter von dreizehn Jahren in Gestalt seiner Verliebtheit für den Schulkameraden Pribislav Hippe wahrnimmt und im Lungensanatorium in Davos erneut erlebt.

Es wird dabei argumentiert, dass Hans Castorps Verliebtheit für die Russin Clawdia Chauchat während seines Aufenthalts im Sanatorium auf ihrer Ähnlichkeit mit seiner früheren Vernarrtheit für den Schulkameraden Pribislav Hippe basiert und sie somit eine bloße „Inkarnation Hippes“1 und seiner homosexuellen Phantasie ist.

Abschließend wird der Schluss gezogen, dass Hans Castorp aufgrund seiner homosexuellen Neigungen als Anti-Typ des männlichen Ideals des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden kann.

2. Die Konstruktion von Männlichkeit vom 18. - 20. Jahrhundert

Die Konstruktion des Ideals von der modernen Männlichkeit ist zeitlich nicht ganz genau eingrenzbar, jedoch ist festzustellen, dass zwischen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und dem Beginn des 19. Jahrhunderts begonnen wurde Maskulinität zu systematisieren und Stereotypen zu bilden.2

Bereits während der Aufklärungsepoche wurde ein neues und umfassendes Konzept von Männlichkeit entworfen, das auf dem Prinzip der Geschlechtsidentität beruhte und den Fokus auf biologische Unterschiede und Kategorisierungen von Mann und Frau legte.3 Nicht nur die Rolle des Mannes und die Männlichkeit wurden neu definiert, sondern auch Frauenrollen und Weiblichkeit; die Umstrukturierung des Konzepts von Männlichkeit bezog sich demzufolge nicht nur auf die männliche Bevölkerung, sondern auf die gesamte Gesellschaft.4 Geschlechterdiskurse in der Literatur, aber auch in medizinischen und moralischen Ratgebern fanden großen Anklang und leisteten ihrerseits einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung des hegemonialen Männlichkeitsmodells, das stets überlegene Männlichkeit propagierte.5

Im 19. Jahrhundert zielte das neue Geschlechtskonzept vor allem auf die Ausgestaltung von Gegensätzen zwischen Mann und Frau: die physische Verfassung des Mannes, verglichen mit der Frau, wurde als größer, fester, stärker und kräftiger dargestellt, wobei diese Unterschiede als von der Natur gegeben begründet wurden.6 Der Körper einer Frau sei auf das Gebären abgestimmt und der des Mannes auf das Erzeugen, wodurch gerechtfertigt wurde, dass Frauen an anderen Krankheiten litten als Männer.7 Das Folgende Zitat des deutschen Chirurgen Philipp Franz von Walther aus dem Jahr 1808 verdeutlicht dieses Verständnis:

Das Männliche ist etwas durch sich selbst, in allen seinen Attributen rein positiv, daher das Uranfängliche. […] Die beyden Geschlechter verhalten sich untereinander wie Allgemeines und Besonderes. Das eine ist das Erschaffende, wahrhaft Erzeugende, Positive, das andere ist das lediglich Empfangende, Negative; und der ganze Zeugungsprozeß ist nur eine Vernichtung aller Negativität des Weiblichen durch die positive, belebende Kraft des Männlichen: - Die Kraft des Mannes erschafft sich selbst.8

Philipp Franz von Walther macht in diesem Zitat seine Vorstellung von der Gegensätzlichkeit des Männlichen und Weiblichen deutlich, indem er es kontrastiert: das Männliche ist das Positive, das Weibliche das Negative. Von Walther stellt sogar die Behauptung auf, dass der Zeugungsprozess lediglich die Vernichtung der Negativität des Weiblichen zum Ziel hat. Das Zitat verdeutlicht also nicht nur die Vorstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit als etwas Gegensätzliches, sondern auch die Überlegenheit der Männlichkeit, die der Weiblichkeit dazu verhelfen soll etwas Besseres, weniger Negatives zu sein.

Die Abgrenzung von Weiblichkeit und Männlichkeit wurde mit Erkenntnissen aus verschiedenen Wissenschaften, wie beispielsweise der Medizin oder der Anthropologie begründet.9 Die Anthropologie zur Zeit der Aufklärung bestand hauptsächlich aus der Inszenierung des idealen männlichen Körpers in Zusammenhang mit einer gesunden geistigen und moralischen Verfassung, denn es herrschte die Annahme vor, dass Äußerlichkeiten die geistige Gesundheit widerspiegeln.10 Dies entsprach auch der damaligen Auffassung der Medizin, die ebenfalls von einer Untersuchung der körperlichen Verfassung Rückschlüsse auf den Charakter zog; demnach hinterließen Krankheiten nicht nur Spuren auf dem Körper, sondern auch auf dem Charakter.11 Es wurde beispielsweise argumentiert, dass Masturbation, damals ein moralisches Vergehen, einen Mann äußerlich bleich und verweichlicht werden lässt und innerlich melancholisch und willensschwach.12 Außerdem wurden Krankheiten häufig mit Lastern gleichgesetzt und ein schlechter Gesundheitszustand mit einem Mangel an Männlichkeit.13

Das männliche Schönheitsideal orientierte sich an der antiken griechischen Plastik und entwickelte sich grundlegend in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter Einfluss des Kunsthistorikers Johann Joachim Winckelmann.14 Der ideale männliche Körper sollte demnach Haltung, Kraft, Harmonie, Proportion und Athletik besitzen.15 Charakterliche Eigenschaften, die Männlichkeit suggerierten, waren zudem Mut, Willenskraft und Ehre, die durch den im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts populären Leitspruch „Sei ein Mann“ verinnerlicht werden sollten.16

Die Ehre eines Mannes wurde bereits seit dem 16. Jahrhundert durch Duelle, den Kampf zwischen zwei Männern, bewiesen und ausgetragen.17 Um 1900 war das Ziel solcher Duelle den Gegner zu töten, um die eigene Maskulinität und Selbstkontrolle unter Beweis zu stellen.18

Die Wissenschaft der Pädagogik hat bereits zur Zeit der Aufklärung Erziehungskonzepte- und Programme entwickelt, die als „Zwangspädagogik“ oder „Schwarze Pädagogik“ bezeichnet werden.19 Das Ziel war dabei das Erziehen einer Geschlechtsidentität, die den zuvor genannten Konzepten von Männlichkeit und Weiblichkeit folgte. Die „Schwarze Pädagogik“ ging davon aus, dass das männlich sein nicht hauptsächlich von Vorprägungen abhängig sei, sondern durch Erziehung als ein „Mannwerden“ angeeignet werden könne.20 Sexualität und erotische Phantasien wurden den jungen Männern in der Zwangspädagogik ausgetrieben, um sie zu moralisch besseren Menschen zu machen.21

Die Annahme, dass die Männlichkeit aller Männer geformt werden kann, nahm im späten 18. Jahrhundert in Form der Körperpädagogik weiteren Einfluss. Johann Friedrich GutsMuths gilt als Begründer der Körperpädagogik und erklärte in seinem Werk Gymnastik für die Jugend von 1793 die Wichtigkeit von Gymnastik für die Gesundheit, die Abhärtung und den Mut junger Männer.22 Die Gymnastik sollte dazu führen, dass an den körperlichen und von Natur aus vorhandenen Eigenschaften gearbeitet wurde, um zu einer idealen Männlichkeit zu gelangen.23 Die Abhärtung und der „Schliff“ des männlichen Körpers war allerdings nicht die einzige Funktion der Gymnastik, denn sie suggerierte ebenso moralische Konsequenzen für die jungen Männer; „ein durchtrainierter und schöner Körper [deute] auf eine edle Seele hin“.24 Somit sollte die Gymnastik den männlichen Körper stärken, seine Schönheit und den guten Charakter hervorbringen.25 Die „wahre“ Männlichkeit anzuerziehen war also zum Ziel der Bildung geworden26 und der Sport wurde dabei, gepaart mit der Militarisierung des Mannes im 19. Jahrhundert, zu einem wichtigen Hilfsmittel.27

Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde, kam es vielerorts zu Protesten, da diese Neuregelung bei allen Gesellschaftsschichten für Widerspruch sorgte.28 Sie wurde dennoch eingeführt und ging mit einem Um-und Ausbau des Militärwesens einher und stellte sich als eines der wichtigsten Elemente des in der Aufklärung entwickelten Männlichkeitsmodells heraus.29 Die allgemeine Wehrpflicht sollte neben den Staatszielen und der Verteidigung körperlich starke Männer hervorbringen; aus dieser Zielsetzung entstand das „Leitbild ‚patriotisch-wehrhafter‘ Männlichkeit.30 Einerseits wertete die Funktion des Mannes als Krieger den Wehrdienst als ehrenhafte Aufgabe auf31 und inkludierte alle Männer, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem gesellschaftlichen Stand, aber andererseits führte diese auch zu Exklusionen, beispielsweise von Frauen oder Kriegsverweigerern.32

Ähnlich wie die Körperpädagogik fungierte die Wehrpflicht als eine „Schule der männlichen Nation“33, die den jungen Männern mit erzieherischen Instrumenten zu Männlichkeit, Tugend, Moral und Ehre verhelfen sollte. Das Militär verstand sich also als Institution, durch die junge Männer erst zu männlichen Männern geformt werden.34

Trotz des anfänglichen Unmuts gegen die allgemeine Wehrpflicht entwickelte sich das Militär zum „Männertraum“; Soldat zu sein stand für ein „hohes allgemeines patriotisches Ziel, für das es sich sogar zu opfern oder sterben lohnte“.35

[...]


1 Härle, Gerhard: Die Gestalt des Schönen. Untersuchung zur Homosexualitätsthematik in Thomas Manns Roman ‚Der Zauberberg‘. Königstein 1986, S. 35. Im Folgenden zitiert als: Härle: Die Gestalt des Schönen.

2 Mosse, George L.: Das Bild des Mannes. Zur Konstruktion der modernen Männlichkeit. Frankfurt am Main 1997, S. 12. Im Folgenden zitiert als: Mosse: Das Bild des Mannes.

3 Schmale, Wolfgang: Die Geschichte der Männlichkeit in Europa. Wien 2003, S. 152. Im Folgenden zitiert als: Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit.

4 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 154.

5 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 154.

6 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 174.

7 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 174.

8 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 174.

9 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 176.

10 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 182.

11 Mosse: Das Bild des Mannes, S. 40.

12 Mosse: Das Bild des Mannes, S. 40.

13 Mosse: Das Bild des Mannes, S. 84.

14 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 182.

15 Mosse: Das Bild des Mannes, S. 43.

16 Mosse: Das Bild des Mannes, S. 9.

17 Mosse: Das Bild des Mannes, S. 27.

18 Mosse: Das Bild des Mannes, S. 31.

19 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 177.

20 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 178.

21 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 179.

22 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 179.

23 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 180.

24 Mosse: Das Bild des Mannes, S. 63.

25 Mosse: Das Bild des Mannes, S. 66.

26 Mosse: Das Bild des Mannes, S. 15.

27 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 181.

28 Frevert, Ute: Soldaten, Staatsbürger. Überlegungen zur historischen Konstruktion von Männlichkeit. In: Männergeschichte Geschlechtergeschiche, hg. v. Thomas Kühne. Frankfurt am Main 1996, S. 75. Im Folgenden zitiert als: Frevert: Soldaten, Staatsbürger.

29 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 195.

30 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 195.

31 Frevert: Soldaten, Staatsbürger, S. 79.

32 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 198.

33 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 196.

34 Frevert: Soldaten, Staatsbürger, S. 82.

35 Schmale: Die Geschichte der Männlichkeit, S. 195.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Darstellung von Maskulinität in Thomas Manns "Der Zauberberg". Hans Castorp als Anti-Typ des männlichen Ideals des 20. Jahrhunderts
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Philologie)
Veranstaltung
Der Zauberberg
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
19
Katalognummer
V458185
ISBN (eBook)
9783668875746
ISBN (Buch)
9783668875753
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Thomas Mann, Der Zauberberg, Hans Castorp, 20. Jahrhundert, Maskulinität
Arbeit zitieren
Katharina Zeiger (Autor:in), 2014, Die Darstellung von Maskulinität in Thomas Manns "Der Zauberberg". Hans Castorp als Anti-Typ des männlichen Ideals des 20. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/458185

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