Der Sprachursprung in Dante Alighieris "De vulgari eloquentia"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1 Einleitung

2 Der Sprachursprung in Dante Alighieris De vulgari eloquentia
2.1 Kurze Darstellung des Inhalts
2.2 Analyse
2.2.1 Evas Gespräch mit dem Teufel
2.2.2 Das erste Wort
2.2.3 certam formam locutionis - Die Ursprache Hebräisch

3 Der Turmbau zu Babel oder die Herkunft und Verbreitung der verschiedenen Sprachen auf der Welt

4 Die Sprachursprungsforschung im wissenschaftsgeschichtlichen Kontext der Linguistik – die Weiterentwicklung der Sprachursprungsforschung nach Dante
4.1 Die Sprachursprungsdebatte im 17. Jahrhundert
4.2 Das Zeitalter der Aufklärung
4.3 Sprachursprung aus heutiger Sicht

5 Schlussbemerkung

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Suche nach dem Ursprung der Sprache hat die Menschheit schon immer fasziniert und beschäftigt. Seit Jahrhunderten befassen sich unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen mit der Frage, wie es dazu kam, dass der Mensch im Gegensatz zu Tieren die Fähigkeit zu sprechen erwarb. Während das Thema im Mittelalter eher von Theologen behandelt wurde, verlagerte es sich in der Neuzeit mehr in das Sachgebiet der Philosophie und später in die neu entstandenen Einzelwissenschaften der Natur - und Geisteswissenschaften, wie z. B. die Linguistik, Archäologie, Ethnologie, Biologie und Psychologie, um nur einige wenige zu nennen, die sich mit der Thematik auseinandersetzen (Gessinger/v. Rahden 1988: 2).

In der vorliegenden Arbeit soll es vorwiegend um die Interpretation des Themas im Spätmittelalter und der Scholastik gehen, anhand des italienischen Poeten und Philosophen Dante Alighieri.

Grundlage der Hausarbeit ist sein unvollendet gebliebenes Traktat De vulgari eloquentia, welches dem Phänomen Sprachursprung und der Verbreitung der Sprachen mehrere Kapitel widmet und eine zentrale Bedeutung in der Sprachursprungsforschung des Spätmittelalters einnimmt.

Nach Borst (1966: 15) brachte Dante sogar „das meiste und Beste von dem vor, was das abendländische Mittelalter, die für diese Fragen zentrale Epoche, über Ursprung und Vielfalt der Sprachen zu sagen hatte“. Seine Leistung bestand darin, dass er wie kein anderer die sprachlichen Wandlungen in Europa Ende des 13. Jahrhunderts erkannte und außerdem die Entfaltung von Lokalsprachen ausmachte, die „unter der alten lateinischen Decke hervorwuchsen“ (Borst 1966: 17), die sich allerdings noch nicht zu standardisierten Nationalsprachen entwickelt hatten.

Im Folgenden soll dargestellt werden, wie Dante das Phänomen Sprachursprung interpretiert, inwiefern er dabei in der wissenschaftlichen Tradition seiner Zeit steht und welche eigenen Ansätze er zur Interpretation dieses Themas liefert.

2 Der Sprachursprung in Dante Alighieris De vulgari eloquentia

2.1 Kurze Darstellung des Inhalts

Dante behandelt das Thema Sprachursprung in Kapitel 4 bis 7 des ersten Buches in De vulgari eloquentia (im Folgenden mit DVE abgekürzt). Er bezieht sich in seiner Deutung auf die Bibel und beschäftigt sich mit folgenden Fragen: Welchem Menschen wurde die Fähigkeit zu sprechen als erstes gegeben? Was war die erste sprachliche Äußerung? Mit wem wurde gesprochen? Wo und wann und in welcher Sprache wurde zuerst gesprochen?

Nunc quoque investigandum esse existimo, cui hominum primum locutio data sit, et quid primitus locutus fuerit, et ad quem, et ubi, et quando; nec non et sub quo ydiomate primiloquium emanavit. (DVE I, iv, 1)

Er sucht die Lösung für seine Fragen in den ersten Kapiteln von Genesis, jedoch sind die Antworten, die er darin findet, für ihn nicht sehr zufrieden stellend. So ist er der Meinung, dass nach Genesis Eva als erstes gesprochen haben muss, als sie das Gespräch mit dem Teufel führte, das schließlich zum Sündenfall der Menschheit und zur Vertreibung aus dem Paradies führte. Dante hält dies jedoch nicht für vernünftig. Er glaubt, dass es Adam war, der zuerst gesprochen hat, ihm sei die Fähigkeit zu sprechen von Gott im Augenblick der Schöpfung gegeben worden. Das erste Wort, das von Adam gesprochen wurde war El, das hebräische Wort für Gott, und zwar in Form einer Frage oder Antwort, nichts Anderes kann von Adam vorher benannt worden sein. Der Zeitpunkt des ersten Sprechens war, sofort, nachdem Adam von Gott das Leben eingehaucht worden war (DVE I, v, 1) und die Sprache, in der Adam gesprochen hat, Hebräisch (DVE I, vi, 7).

2.2 Analyse

Es wird offenkundig, dass Dante sich bei seiner Deutung des Sprachursprungsmythos, wie er in der Bibel dargestellt wird, nicht alleine auf Genesis stützt. Es ist anzunehmen, dass er noch andere Quellen verwendet hat. Das Problem, mit dem er sich konfrontiert sah, war nämlich, dass das alte Testament nicht am Ursprung der Sprache interessiert ist. Auch eine Erwähnung des Hebräischen als Ursprache finden wir erst in frühjüdischer Zeit (Albertz 1988:1).

Nachfolgend wird auf Einzelheiten der Interpretation des Sprachursprungs in DVE mit genaueren Erklärungen eingegangen.

2.2.1 Evas Gespräch mit dem Teufel

Dante schreibt, dass der Bibel zufolge die erste sprachliche Äußerung von Eva getätigt worden sei, in ihrem Gespräch mit dem Teufel in Form einer Schlange, auch, wenn es ihm nicht vernünftig erscheint. Wenn man jedoch die Schöpfungsgeschichte der Bibel liest, so findet man das Erwähnen von Sprache noch viel früher, als bei Evas Gespräch mit der Schlange, das in Genesis 3, 1-6 beschrieben wird:

Genesis 1,3: Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht.

Genesis 2,19: Und Gott der Herr machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, daß er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen.

Oben angegebene Zitate zeigen Umstände, die als chronologisch vor dem Zeitpunkt des Gesprächs mit der Schlange zu betrachten sind. Hier wird es wichtig, zu verstehen, welches Sprachverständnis Dante hatte. Das Sprechen Gottes während des Schöpfungsaktes und das Benennen der Tiere waren für Dante wohl noch kein Sprechen. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte sein, dass sie keine kommunikativen Handlungen waren. Erst Eva handelt kommunikativ, da sie mit der Schlange spricht. So ist auch das, was Dante als erstes Sprechen ansieht, also das Sprechen Adams mit Gott, da er nicht glaubt, dass es Eva war, eine Form der Kommunikation, denn er schreibt, dass es eine Antwort Adams auf eine Frage Gottes gewesen ist. Auf die Bedeutung des Kommunikativen der menschlichen Sprache weist er in seinem Traktat mehrfach hin. Im dritten Kapitel, wo er auf die Unterschiede zwischen Menschen, Engeln und Tieren hinweist, von denen nur die Menschen eine Sprache entwickelt haben, schreibt er, es sei für die Menschen notwendig gewesen, dass sie ein bestimmtes Zeichen hätten, welches sowohl geistig als auch sinnlich wahrnehmbar sei, um sich ihre Ideen gegenseitig mitzuteilen:

Oportuit ergo genus humanum ad comunicandum inter se conceptiones suas aliquod rationale signum et sensuale habere; (…) (DVE I, iii, 2)

Im Gegensatz hierzu sei es für die Tiere nicht notwendig gewesen, dass sie eine Sprache hätten, da sie nur vom Instinkt geleitet seien. Tiere der gleichen Spezies hätten die gleichen Instinkte und bedürften keiner Sprache um einander zu verstehen (DVE I, ii, 5). So begründet er auch Adams erstes Sprechen damit, dass es wahrhaft menschlich sei, das Bedürfnis zu haben, sich auszusprechen, sich mitzuteilen bzw. vernommen zu werden:

Nam in homine sentiri humanius credimus quam sentire, dummodo sentiatur et sentiat tanquam homo. Si ergo faber ille atque perfectionis principium et amator, afflando, primum nostrum omni perfectione complevit, rationabile nobis apparet nobilissimum animal non ante sentire quam sentiri cepisse. (DVE I, v, 1)

Für Dante ist Sprechen primär ein kommunikativer Akt, etwas, das es dem Menschen ermöglicht, seine Ideen und Konzepte anderen mitzuteilen, was ihn von den Tieren unterscheidet, die keinen Verstand besitzen und nur von ihren Instinkten geleitet werden.

Der erste kommunikative Akt, den Dante in Genesis vorfindet, ist Evas Gespräch mit dem Teufel in Gestalt einer Schlange. Dennoch zweifelt er daran, dass dies das erste Gespräch gewesen sein soll:

Sed quanquam mulier in scriptis prius inveniatur locuta, rationabile tamen es tut hominem prius inveniatur locuta, rationabile tamen es tut hominem prius locutum fuisse credamus; et inconvenienter putatur tam egregium humani generis actum prius a femina quam a viro profluisse. (DVE I, iv, 3)

Er hält es also für unschicklich, dass etwas so Großartiges wie die menschliche Sprache als erstes von einer Frau ausgeübt worden sein soll. Wenn man jedoch in Betracht zieht, welche Bedeutung Dante der menschlichen Sprechfähigkeit beimisst, so beruhen seine Zweifel vielleicht nicht auf einem mittelalterlichen Geschlechterverständnis, sondern auch darauf, welchen Inhalt dieses Gespräch hatte. So kann es für ihn nicht möglich sein, dass etwas so Vollkommenes wie die Sprache ihren Ursprung in einem Gespräch haben sollte, das mit dem Teufel geführt wurde und das schließlich zum Sündenfall der Menschheit führte. Man hält diese Argumentation auch für einen Spiegel der Religiosität Dantes und seiner Moralvorstellungen, welche stark an Thomas von Aquin angelehnt waren (Castaldo 1982: 12).

Ein weiterer Aspekt ist, dass im Mittelalter der Gedanke von einer adamitischen Ursprache weit verbreitet war und man davon ausgeht, dass Dante Kenntnisse dieser Schriften hatte (Paustian 1979: 173). So war sein Denken stark geprägt von patristischer und scholastischer Theologie und Philosophie. Er bezog sich auf die Bibelauslegung von Hieronymus (347-420 n. Chr.) Sophoniam III, Augustinus (354- 430 n. Chr.) in den Büchern De Genesi ad Litteram und De Civitate Dei, Isidor von Sevilla (560-636 n. Chr.), in Etymolgiae. 9. Buch, Kapitel 1: De Linguis Gentium und später auch Thomas von Aquin (1225-1274) Summa Theologica, wo eine adamitische, (eventuell)1 hebräische Ursprache Erwähnung findet (Cremona 1965: 141).

2.2.2 Das erste Wort

Dante schreibt, das erste Wort, das von Adam gesprochen wurde, war El, der hebräische Name für Gott. Die Bibel schreibt jedoch nichts über das erste Wort. Damon (1961: 61) hält Dantes Behauptung für einen Interpretationsfehler einer Behauptung des Kirchenvaters Hieronymus. Dieser schrieb: „Primum apud Hebraeos Dei nomen El dicitur2 “, wobei „primum“zuerst bedeuten soll, was Dante jedoch als am Anfang übersetzte (Damon 1961: 61), weshalb er schließlich darauf kam, dass das erste Wort, das gesprochen wurde El war. Diese Behauptung vertritt er auch in Convivio. Er hat sich im Laufe seines Lebens recht intensiv mit diesem Thema befasst. So revidiert er seine vorher gemachten Aussagen über das erste Wort und die erste Sprache auch später in der Göttlichen Komödie (Paradiso XXVI, 124). Dort trifft Dante auf Adam und stellt ihm mehrere Fragen, unter anderem auch, welchen Charakter die erste Sprache hatte. Hier ist es nun Adam selbst, der die erste Sprache kreiert, Gott habe ihn nur mit der Sprechfähigkeit ausgestattet. Diese erste Sprache ist jetzt auch schon vor der Sprachverwirrung zu Babel nicht mehr vorhanden. Das erste Wort ist nun auch nicht mehr El, sondern I, aus welchem sich später erst El entwickelt:

La lingua ch'io parlai fu tutta spenta

innanzi che a l'ovra inconsummabile

fosse la gente di Nembròt attenta:

ché nullo effetto mai razionabile,

per lo piacere uman che rinovella

seguendo il cielo, sempre fu durabile.

Opera naturale è ch'uom favella;

ma così o così, natura lascia

poi fare a voi secondo che v'abbella.

Pria ch'i' scendessi a l'infernale ambascia,

I s'appellava in terra il sommo bene

onde vien la letizia che mi fascia;

e El si chiamò poi: e ciò convene,

ché l'uso d'i mortali è come fronda

in ramo, che sen va e altra vene.(Paradiso XXVI: 124)

Es ist nicht klar, warum Dante nun, anstelle des Wortes El, das Wort oder den Buchstaben I als Gottes Namen wählt. Es könnte in Zusammenhang mit Ja stehen, welches der achte auf der Liste der zehn göttlichen Namen des Hieronymus ist (Damon 1961: 61). Jedoch stellt sich hier die Frage, warum Dante nicht das Wort Ja gewählt hat und was ihn dazu brachte, zu behaupten, dass es zeitlich vor El war. Der Autor vermutet hier einen Versuch einer non-vokalischen Transliteration des Tetragrammatons JHWH. Borst (1966: 22) misst dem Wort I eine andere Bedeutung bei. Er bezeichnet es als Freudenruf, als einen Urlaut, der dem italienischen Wort Dio nahe steht. Gleichfalls ist er der Meinung, dass solche Ansichten für den mittelalterlichen Leser sehr ungewöhnlich gewesen sein müssen, ebenso wie die These, dass Adam seine Sprechfähigkeit nach seinem freien Willen zur Ausbildung seiner eigenen Sprache benutzte. Die vielen unterschiedlichen Ansätze zeigen, dass man sich bisher noch nicht darüber klar geworden ist, was Dante dazu veranlasst hat in Paradiso das Wort I anstelle von E l zu wählen. Es gibt noch eine weitere mögliche Erklärung:

[...]


1 Nicht alle Gelehrten waren sich sicher, dass Hebräisch die Ursprache war. Bei Dante gilt es jedoch als Fakt (Siehe auch 2.1.3)

2 Eigentlich hat dies Isidor von Sevilla geschrieben, mit Bezug auf Hieronymus (Etymologiarum libri XX, liber vii), der Autor macht jedoch keine bibliographischen Angaben, nennt allerdings Hieronymus als Quelle: „He had taken primum in Jerome's statement „Primum apud Hebraeos Dei nomen El dicitur,“ to mean „in the beginning“ instead of „first of all“ (Damon 1961: 61).

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Der Sprachursprung in Dante Alighieris "De vulgari eloquentia"
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Romanisches Seminar)
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V459863
ISBN (eBook)
9783668909342
ISBN (Buch)
9783668909359
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sprachursprung, dante, alighieris
Arbeit zitieren
Julia Peemöller (Autor:in), 2006, Der Sprachursprung in Dante Alighieris "De vulgari eloquentia", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/459863

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