Das Neue Denkmodell und seine Relevanz für die Physiotherapie


Hausarbeit, 2019

12 Seiten, Note: 1,7

Mi Ja (Autor:in)


Leseprobe


1 Einleitung

2 Biografie Antje Hüter- Becker

3 Das Neue Denkmodell
3.1 Entstehung und Entwicklung
3.2 Modellkomponente
3.3 Grundannahmen und Zielsetzung
3.4 Theoretische Aussagen
3.5 Das Beispiel der Sinfonie
3.6 Das Neue Denkmodell und die ICF
3.7 Relevanz für den therapeutischen Beruf

4 Schlussbetrachtung
4.1 Kritischer Diskurs
4.2 Fazit

5 Abbildungsverzeichnis

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit thematisiert das vor ca. 12 Jahren entwickelte „Neue Denkmodell in der Physiotherapie“ und somit das erste deutsche theoretische Konzept. Dieses theoretische Modell gliedert die Physiotherapie nicht mehr in die Fächer der klinischen Medizin, sondern gibt dieser Disziplin eine eigene Struktur und ordnet ihr beinhaltetes Wissen. Sie orientiert sich an den Funktions- und Organsystemen, „an denen physiotherapeutische Interventionen ihre Wirkung entfalten:

- Bewegungssystem
- Innere Organe
- Bewegungsentwicklung und Bewegungskontrolle
- Erleben und Verhalten.“ (Hüter- Becker et al., 2002, S.1).

Das Modell schafft eine Grundlage für neues Denken und Handeln im Therapieberuf und verdeutlicht Inhalte und Absichten, sowie es Behandlungsansätze genau beschreibt. Um eine gewisse Nachvollziehbarkeit für das „Neue Denkmodell“ und seine Bezugswissenschaften (Psychologie, Philosophie, Pädagogik, Soziologie und Medizin) zu gestalten, haben wir uns zu Beginn mit der Biografie seiner Urheberin auseinandergesetzt. Im weiteren Verlauf haben wir uns mit der Entstehung und Entwicklung des Konzepts beschäftigt, um einen Überblick über das Thema der Modellkomponenten zu erlangen. Danach knüpften wir an die Grundannahmen und Zielsetzungen der physiotherapeutischen Intervention an, so dass wir die theoretischen Aussagen herausfiltern und konkretisieren konnten. Als nächstes skizzierten wir das Beispiel der Sinfonie von Antje Hüter-Becker zum besseren Verständnis der Zusammenhänge ihrer Intervention. Im Anschluss empfanden wir die Erläuterung der Relevanz des Modells bezüglich des therapeutischen Berufes von großer Wichtigkeit. Zuletzt begutachteten wir das Modell kritisch, fassten bereits von verschiedenen Autoren geäußerte Kritikpunkte zusammen und bauten abschließend unter diesen Auffassungen und allen vorherigen Themen unserer Arbeit das Fazit auf. Auf den Aspekt der Anthropologie und Ethik dieses Modells kann im Rahmen dieser Arbeit, auf Grund seiner Komplexität und Reichweite nicht eingegangen werden.

2 Biografie Antje Hüter- Becker

Die am 28. Mai 2016 verstorbene, Antje Hüter- Becker, schloss 1964 ihre Ausbildung zur Krankengymnastin in Köln ab. Im Anschluss wurde sie 1968 Physiotherapeutin an der Universitätsnervenklinik in Köln (Scheel, 2013, S.74) und arbeitete in ihrem ersten Praxisjahr hauptsächlich mit querschnittsgelähmten Patienten. Sie übernahm bereits ein Jahr später die Leitung der Krankengymnastikabteilung in der Universitätsnervenklinik in Köln. Während ihrer Tätigkeit bildete sie Physiotherapeuten/-innen und Lehrkräfte aus. Darüber hinaus übernahm sie im Jahre 1975 die Schulleitung an einer in Heidelberg ansässigen Berufsfachschule, an welcher sie 20 Jahre tätig war. Noch im selben Jahr entwickelte Hüter- Becker im Auftrag des ZVK ein Ausbildungscurriculum (Scheele, 2013, S.75). Ungefähr 12 Monate später durfte sie sich Chefredakteurin der Zeitschrift „Krankengymnastik“ nennen. Sie konnte sich mit dieser Arbeit identifizieren und empfand die Zeitschrift als „Aushängeschild des Berufsstandes.“, jedoch gab sie ihre Aufgabe nach ungefähr 30 Jahren ab. Des Weiteren übernahm Sie 1996 die Leitung der Kommission „Struktur des Faches Physiotherapie = Neues Denkmodell“ (Steinecke, 2006, S.7), worauf sie 1997 das Modell veröffentlichte. Zusätzlich wirkte sie als Mitherausgeberin an einer Buchreihe mit(Scheele, 2013, S.75) und engagierte sich in der Berufspolitik als Vorsitzende im ZVK (Deutscher Verband für Physiotherapie e.V.), zunächst auf Landesebene und folglich auf Bundesebene. Insgesamt veröffentlichte die Autorin zwei für ihre Arbeit wichtigen literarischen Texte, wobei der zweite Text lediglich als gedankliche Fortführung ihres „Neuen Denkmodells“ angesehen wird (Scheele, 2013, S. 75).

3 Das Neue Denkmodell

3.1 Entstehung und Entwicklung

Wie bereits in der Biografie erwähnt, wurde das Theoriemodell im Jahre 1997, in der Zeitschrift „Krankengymnastik“ veröffentlicht. Durch das Modell wollte Frau Hüter- Becker die Strukturlosigkeit der Physiotherapie und ihre Abhängigkeit von der Medizin verändern. Das neue Denkmodell beschreibt die Physiotherapie als eigenständige Disziplin, welche das zentrale Motto „Einheit in der Vielfalt […]“ (Höppner & Richter, 2018, S. 116) innehat. Während in der ersten Veröffentlichung noch die Ebenbürtigkeit der Krankengymnastik zur Physiotherapie besteht, wird in den späteren Veröffentlichungen ausschließlich der Begriff der Physiotherapie verwendet. Wie in der folgenden Abbildung dargestellt ist die Bewegungstherapie fundamental für die Behandlung eines/r Patienten/-in und wird von acht weiteren Therapieformen vorbereitet und ergänzt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Die Bewegungstherapie mit ihren Therapieformen, durch welche sie vorbereitet und ergänzt wird.

Nach weiteren Überlegungen stellte sich Hüter- Becker die Frage, inwiefern die Bewegungstherapie Einfluss auf das Organ- und Funktionssystem nimmt. Folglich entstand ein neuer Wirkansatz: „…die Physiotherapie stellt [sich] als ein eigenständiges Fach [vor], dass seine spezifischen Inhalte sowie seinen Denk- und Handlungsansatz innerhalb der Medizin definiert und seine präventiven, kurativen und rehabilitativen Aufgaben formulieren muss.“ (Hüter- Becker et al., 2002, S.1). Infolgedessen wurden vier „Wirkorte“ gebildet, diese sind das Bewegungssystem, das Erleben und Verhalten, die inneren Organe sowie die Bewegungsentwicklung und –kontrolle. Die Therapeuten arbeiten an allen vier „Wirkorten“ gleichzeitig, indem sie in jeder Behandlung einen anderen Schwerpunkt legen und somit auf alle Komponenten einen Einfluss nehmen können. Darauf integrierte man die Lebensbereiche und Sozialbezüge in das Modell, so dass eine bio- psycho- soziale Ganzheit entstand. Zuletzt ordnete Hüter-Becker im Jahre 2014 zu den bereits erwähnten Modellkomponenten einen fünften Aspekt ein, die Störungsbilder. Durch sie wird ein neuer Aspekt für die Erfassung von Therapiezielen, bei einer Vielzahl ärztlicher Diagnosen, geschaffen. Die Störungsbilder, auch behandlungsbedürftige, funktionelle Auffälligkeiten genannt, können durch die Befundung der Physiotherapeuten/-innen oder die Informationsgabe der Patienten/-innen herausgefunden werden. Infolgedessen rückt die ärztliche Diagnose in den Hintergrund und die physiotherapeutische Diagnostik steht im Mittelpunkt für eine wirksame Behandlung.

3.2 Modellkomponente

Man bezeichnet die Physio- und Bewegungstherapie als zentrale Komponenten des „Neuen Denkmodells“. Darüber hinaus beinhaltet es die vier „Wirkorte“, Erleben und Verhalten, das Bewegungssystem, die Bewegungsentwicklung und -kontrolle und die inneren Organe, die miteinander vernetzt sind und sich gegenseitig beeinflussen. Des Weiteren agieren exogene Faktoren mit den vier Wirkorten. Dazu gehören beispielsweise Familie, Arbeitsplatz, Sport, Ernährung, Gesellschaft, Einstellungen u.v.m. Daraus folgt, dass, wie in der folgenden Abbildung skizziert, die äußere komplexe Lebenswelt nicht nur mit einem „Wirkort“ in Beziehung steht, sondern auf alle einwirkt. Demzufolge haben Hoffnungen und Wünsche bezüglich der eigenen Gesundheit Einfluss auf die gesamten „Wirkorte“ und nicht nur auf den „Wirkort“ des Erlebens und Verhaltens. Jedoch werden zur Verknüpfung der sozioökologischen Faktoren, also der Umwelt mit den Wirkorten das Nervensystem und körpereigene Informationsnetze benötigt. Deshalb ist es von großer Bedeutung die „gesamte Lebenswelt der Patient*innen“ (Höppner & Richter, 2018, S.122) in die Therapie zu integrieren. Dies wird an dem Beispiel von chronischen nicht-spezifischen Rückenschmerzen deutlich. Laut der „Nationalen Versorgungsleitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerzen“ (BÄK, KBV & AWMF 2017:18) wird sichtbar, dass z.B. Arbeitsplatzgefährdung oder eine sichere Arbeitsstelle mit angenehmer Arbeitsatmosphäre Auswirkungen auf die Entstehung von Rückenschmerzen hat. Zudem kann der Missbrauch von Giftstoffen (beispielsweise Alkohol und/oder Nikotin) oder die Gestaltung der Freizeit positiven als auch negativen Einfluss auf Rückenschmerzen nehmen. Deshalb werden Lebenshintergründe bei der Therapie hinterfragt, um Faktoren zu finden, die den Krankheitszustand beeinflussen können. Es wird nicht nur nach gesundheitsgefährdenden Aspekten gesucht, sondern Ressourcen und auch „Kraftquellen“ haben eine große Relevanz für den Heilungsprozess. Es ist bedeutend für eine angemessene und wirksame Behandlung der Krankheit.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Erweiterte Darstellung des neuen Denkmodells, welches die gegenseitige Beeinflussung der einzelnen „Wirkorte“ beschreibt

Zusätzlich integrierte man die Ebene der Störungsbilder, die einen weiteren Einflussfaktor für die vier Wirkorten des Modells darstellt. Zu den Störungsbildern und den „Wirkorten“ zeigen sich weitere Aspekte auf, die mit einbezogen werden müssen. Hierzu gehören die Wirkabsichten, die Wirkprinzipien und die Wirkmittel, die in einer Intervention der Physiotherapie einfließen. Wirkabsichten sind als vereinbarte Ziele zu erklären, die durch eine aufklärende und aufhellende Kommunikation zwischen dem/der Therapeuten/-in und dem/der Patient/-in sichtbar werden. Dadurch werden gemeinsame Therapieziele, sowie Wünsche und Erwartungen verdeutlicht. Die nächste Ebene, die als Wirkprinzipien benannt wird, werden als „allgemein geltende Gesetzmäßigkeiten“ (Höppner & Richter, 2018, S.127) verstanden, die einer physiotherapeutischen Behandlung zu Gute kommen. Hüter-Becker (2014:93) definierte die Wirkprinzipien als bio-psycho-sozio-ökologische Zusammenhänge und als Grundlage des Einflusses auf die Physiotherapie. Im Allgemeinen sind die Wirkprinzipien zu kombinieren und können eine Neuerung in mehreren Wirkorten auslösen.

Zuletzt sind die Wirkmittel zu erläutern, die „Techniken, Methoden und Konzepte der physiotherapeutischen Bewegungstherapie“(Höppner & Richter, 2018, S. 127) darstellen. Sie entfalten überall ihre Wirkung, wobei sie, je nach Auswahl der Technik, in einem Bereich effektiver sind und in einem anderen unterschwellig wirksam empfunden werden. Die Integration unterstütz die Vorgehensweise des Untersuchungsprozesses und der Therapie. Nichtsdestotrotz ist die Beziehung zwischen Therapeut/-in und Patient/-in nicht außer Acht zu lassen. Sie ist ein wichtiger Bestandteil des ganzen Systems und hat einen hohen Stellenwert für den Behandlungsprozess und sein Ergebnis, denn „Die Schwerpunktsetzung zugunsten eines Funktionskreises erfolgt durch die Zielformulierung der Patienten/-innen.“ Zusammenfassend bezeichnet man dieses komplexe und strukturierte Netzwerk als „biopsychosoziale Ganzheit“.

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Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Das Neue Denkmodell und seine Relevanz für die Physiotherapie
Hochschule
Fachhochschule Münster
Note
1,7
Autor
Jahr
2019
Seiten
12
Katalognummer
V460875
ISBN (eBook)
9783668889736
ISBN (Buch)
9783668889743
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Therapiewissenschaften, AntjeHüterBecker, Physiotherapie, DasNEueDenkmodell, Theorie
Arbeit zitieren
Mi Ja (Autor:in), 2019, Das Neue Denkmodell und seine Relevanz für die Physiotherapie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/460875

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