Leseprobe
Essay zur Gattung Städtelob am Beispiel von Hans Rosenplüts „Lobspruch auf Nürnberg“
Im Spätmittelalter lässt sich ab dem 15. Jahrhundert eine neue Gattung innerhalb des Sangspruches feststellen. Das Städtelob, mit dem viele kleinere und größere Städte gepriesen wurden. Hans Rosenplüt hat im „Lobspruch auf Nürnberg“ eine ausschweifende Lobpreisung in deutscher Sprache verfasst. Mit der Gattung Städtelob „{..} betritt Rosenplüt typologisch wie thematisch Neuland und ist sich dessen auch ausdrücklich bewusst.“1 Mein Interesse gilt der Frage, was objektiv den Lobspruch auf Nürnberg rechtfertigt. Außerdem scheint mir wichtig zu betrachten, welchen Einfluss Rosenplüts persönliche Motive sowie seine Lebenssituation auf den Inhalt des Textes haben könnten. Interessant ist für mich auch zu untersuchen, inwieweit es Veränderungen zu frühen Form des Städtelobs der Antike gibt.
Die Analyse von, den Rahmen des Essays beachtend, exemplarischen Textauszügen wird hier Einblicke in die Welt des Stadtbürgers Rosenplüt geben. Zunächst wird die Situation Nürnbergs, eine der wirtschaftlich erfolgreichsten aufstrebenden Städte, ins Auge gefasst. Ein Blick wird auf die Geschichte des Städtelobes geworfen, um eine Entwicklung und Unterschiede zu ersten Tendenzen der Antike gegenüber dem Spätmittelalter aufzeigen zu können. Außerdem findet die Biographie Rosenplüts Beachtung, da seine soziale und gesellschaftliche Stellung vermutlich relevant für die Inhalte seines Lobspruchs sein könnten. Zuletzt folgt die Betrachtung des Lobspruchs selbst.
Vom Hoch- zum Spätmittelalter wandelte sich die Gesellschaft grundlegend und der Lebensmittelpunkt vieler Bürger veränderte sich. Allmählich löst sich das Feudalsystem auf. Einzelne Höfe gewinnen an Bedeutung, eine Zentralisierung der Macht findet statt. Andere Höfe hingegen verschwinden, arm gewordene Adelsfamilien beginnen andere Adelsfamilien zu überfallen, um ihre Existenz zu sichern. Viele Fürsten verlagern ihren Wohnsitz in Städte. Entscheidend sind nicht mehr einzelne herrschende Personen, sondern entstehende Herrschaftsdynastien. Kleine und größere Städte gewinnen an Bedeutung. Eine Landflucht wird von einer kleinen Eiszeit gefördert, bei der Ernte- und Vieherträge zurückgehen. Die Stadt bietet Sicherheit und ein Auskommen in dieser Krisenzeit. Das Wachsen der Städte fördert den Handel und Kaufleute wachsen in ihrer Zahl. Handelsbeziehungen zwischen Städten, insbesondere nach Norditalien, werden intensiviert. Sie fördern ein komplexeres Finanz- und Bankensystem und einen Bedeutungszuwachs für die Geldwirtschaft. Städte bilden sich als wichtige Wirtschaftszentren heraus. Der gesellschaftliche Status ist nun nicht mehr nur eng mit der Geburt und gesellschaftlichen Tugenden verknüpft. Finanzieller Wohlstand, ökonomischer Erfolg und insbesondere auch handwerkliche Dienste für die Stadt ebnen die Möglichkeit für einen sozialen Aufstieg. Neben dem Handel finden viele Handwerker in den Städten einen festen Ort für ihr Schaffen.
Essentielle Veränderungen in der Gesellschaft und im Lebensalltag der Menschen führt zu neuen Interessen und Gattungen in der Literatur und im Theater. Minnesang erfährt einen Bedeutungsverlust in Städten, da er dem höfischen Leben angepasst ist und der Stützung des Ständesystems dient. Sangspruch als ähnliche Gattung lebt hingegen vor allem im Meistersang weiter und profitiert von seiner didaktischen Vermittlungsfähigkeit und der Flexibilität der behandelten Themen. So gehört auch der behandelte Städtelob zum Sangspruch und geht mit neuem Inhalt auf die Lebenssituation der Menschen in Städten ein.
Als Wirkungsort Hans Rosenplüts ist Nürnberg in der frühen Neuzeit nicht nur als Lebens- und Schaffensort seiner Person interessant, sondern auch insbesondere als Paradigma für die Stadtentwicklung dieser Zeit an sich. Die Stadtgeschichte Nürnbergs ist besonders gut erforscht und durch historische Quellen erschlossen, daher bietet sich eine Beschäftigung mit dieser Stadt an. Nürnberg befand sich auf einem wirtschaftlichen Höhepunkt, ein Zentrum der humanistischen Wissenschaft und des Buchhandels und führte in politischen und religiösen Auseinandersetzungen der Reformationszeit. Die Stadt umfasste zu Beginn des 16. Jahrhundert 1200 Quadratkilometer und wurde zur Mitte des Jahrhunderts der größte Stadtstaat mit 1521 Quadratkilometern – das war doppelt so groß wie Hamburg heute2. Interessant ist für mich insofern die Frage, ob es ein spezielles Bewusstsein der Nürnberger bzw. weiter gefasst der frühneuzeitlichen Stadtbürger generell gab und wie sich dieses im Rahmen dichterischer Tätigkeit, konkret in der Gattung des Städtelobs bei Hans Rosenplüt ausdrückte.
Die seit 1313 freie Reichsstadt Nürnberg war in ihrem ökonomischen Erfolg sehr abhängig von den Bereichen Handel und Handwerk, die streng vom Stadtrat reglementiert wurden. Eine landwirtschaftliche Bedeutung wurde durch schlechte Sand- und Lehmböden des Umlandes ausgeschlossen. Entscheidend war die Anbindung an zwölf große Handelsstraßen, einschließlich der Kreuzung der zwei wichtigsten, die bedeutende oberitalienische Städte mit der Hanse verbanden. Auch die Wasserwege über den Main und den Rhein erlangten schnell eine wichtige Bedeutung.
Ein besonderes Handelsgut seit Ende des 14. Jahrhunderts sind beispielsweise Gewürze, die aus Italien und vor allem aus dem Orient importiert wurden. Nürnberg etabliert sich geschickt als Vermittler des deutschen Handelsverkehrs mit Italien und führt neben Gewürzen Öl, Früchte, Weizen und Leder von in Europa unbekannten Tierarten ein.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Handels sind Metallerzeugnisse einschließlich Waffen. Der große Metallbedarf lässt Handelsbeziehungen bis Ungarn und Böhmen knüpfen.
Durch die wichtige Rolle des Nürnbergers Handelsverkehrs exportierte Nürnberg auch in Forschung und Wissenschaft wichtiges kulturelles Gut.So galt beispielsweise in Prag seit dem 14. Jahrhundert Nürnberger (Handels-)Recht mit positivem Einfluss auf die Geschäftsbeziehungen zwischen den beiden Städten. Enge Handelsbeziehungen brachten auch einen intensiven Informationsfluss mit sich. Daher verbreiteten sich Meldungen über Preisschwankungen, aber auch Kriege, Unglücksfälle und ähnliches schnell. Auch das produzierende Gewerbe der Stadt erlangte bereits im Mittelalter Berühmtheit. O.g. Metallprodukteund nautische und astronomische Instrumente, z.B. die Taschenuhr von Penter Henlein und der erste Globus von Martin Behaim waren weltberühmt. Die hohe Qualität der Nürnberger Waren war bedingt durch die umfassenden Regelungen des Stadtrates, der die Einhaltung dieser intensiv und unnachgiebig kontrollierte und streng sanktionierte. Fälscher von Produkten wurden gebrandmarkt oder verbrannt und lebendig begraben3.
Die Stadt Nürnberg weicht in ihrer Regierungsstruktur von den meisten anderen deutschen Reichsstädten ihrer Zeit ab. Andere Städte haben im 14. Jahrhundert Handwerkerzünften deutliches Mitspracherecht oder sogar die Herrschaft überlassen. In Nürnberg wurde 1348 ein Aufstand der Handwerkerzünfte erfolgreich niedergeschlagen. Die herrschenden Patrizier konnten in Folge ihre Macht auf längere Zeit ausbauen und sichern. Stets vermochten sie es Folgetendenzen der Machtsteigerung durch die Handwerker abzuwehren und bauten erfolgreich ein Regelsystem der Kontrolle und Regeln über das Handwerk auf. Der Rat, sonst ausschließlich bestehend aus herrschenden Patrizierfamilien nahm ab 1370 acht der angesehensten Handwerker auf, um der aufstrebend selbstbewussten Gesellschaftsgruppe ein Gefühl politischer Mitbestimmung zu geben, ohne dass von ihnen eine wirkliche Gefahr ausginge, da sie leicht überstimmt werden konnten4.
Die äußerlich scheinbare soziale Geschlossenheit war in der Stadt aber nicht gegeben. Es bestand eine Abhängigkeit der Stadt von der Landwirtschaft außerhalb dieser und von Reich und Kirche. Eine größtmögliche Integration aller Stadtbürger durch den Stadtrat sollte privates und öffentliches Leben eng verschmelzen lassen und gemeinschaftliches Handeln und gesellschaftliches Bewusstsein mit sich bringen.
Zur Betrachtung der neuen Gattung des Städtelobs, die als exklusive Gattung der städtischen Lebenswelt beschrieben werden kann, war es mir wichtig einen Autor zu finden bei dem als sicher betrachtet wird, dass dieser einen Großteil seines Lebens in eben dieser Stadt verbracht hat. Einer der ersten deutschsprachigen Autoren, der nachweisbar dauerhaft in einer Stadt lebte war Hans Rosenplüt. Nachweise finden sich in großer Anzahl in Akten und Urkunden der Stadt Nürnberg5. Um sein poetisches Schaffen, seine thematisierten Inhalte und Motive einordnen zu können, betrachte ich im folgenden kurz sowohl seinen Lebenslauf als auch seine grundlegende Lebenssituation in Nürnberg, die ihn literarisch tätig sein ließ.
Hans Rosenplüt wird zwischen 1400 und 1404, vermutlich im Umland Nürnbergs, geboren.6 1426 wird er als Neubürger Nürnbergs als Panzerhemdenmacher registriert. Im Jahr darauf erwirbt er das Meisterrecht in Nürnberg, hat also schon vor seiner Nürnberger Zeit seine Gesellenausbildung abgeschlossen. Er könnte auf seiner Gesellenwanderung Nürnberg als Lebensort aufgesucht haben7.Das Leben des Spruchdichters endet 1460, hier wurde letztmals sein Gehalt als Büchsenmeister ausgezahlt. Auf diese öffentliche Position wird später noch genauer eingegangen.
Die Registrierung Rosenplüts in der Stadt Nürnberg erfolgt zunächst als Tagwerker und er wird nach Zahlung der Aufnahmegebühr in der Vorstadt aufgenommen. Da sich die Aufnahmegebühr nach Vermögen richtet, ist davon auszugehen, dass sich dieses knapp oberhalb der Mindestsumme von 100 fl. bewegt.8 Nürnberg war zu dieser Zeit führend in der Waffenindustrie, weshalb er sich vermutlich diese Stadt aussuchte, um bereits ein Jahr nach Einbürgerung hier das Meisterrecht zu erwerben. Der frühzeitige Zuzug in die Innenstadt und die Möglichkeit eine eigene Werkstatt zu betreiben ist an feste Bedingungen geknüpft. Am wahrscheinlisten ist der Forschung nach die Erfüllung der Bedindung, dass Rosenplüt eine Meisterwitwe oder Meistertochter geheiratet hat.9 Zu Beginn seines Meistererwerbes bestehen für Rosenplüt noch gute Berufschancen, in den folgenden Jahren entwickelt sich das Panzerhemdenhandwerk allerdings aufgrund neuer Waffentechnologien, durch den vermehrten Einsatz von Armbrüsten, zum aussterbenden Berufszweig.10 Die finanzielle Situation des Handwerkers und Autors ist in den ersten Jahren seines Lebens in Nürnberg noch recht bescheiden, worauf zum Beispiel hinweist, dass er sich als einer der wenigen Meister nicht vom jährlich verpflichtendem Dienst an Grabenarbeiten der Stadt freikauft11. Häufige Umzuge des Autors mit jeweiligem Werkstatt und Wohnviertelwechsel waren eine Chance seine Situation zu verbessern. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Rosenplüt dann im Salzmarktviertel, welches als besonders angesehenes Viertel gilt. Ein Wechsel, zu datieren in die 30er Jahre, in den Berufszweig des angeseheneren Rotschmieds als Messinggießer brachten ihm in den Folgejahren die nachweislichen Erfolge, die ihm im Jahr 1444 die Anstellung als städtischer Büchsenmeister bis zu seinem Lebensende sicherten. Auch wenn sein Amt finanziell keinen großen Nebenverdienst mit sich brachte, war Rosenplüt mit der Ernennung gesellschaftlich endgültig in Nürnberg etabliert.
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1 Ingeborg Glier: „Hans Rosenplüt“. In: Stephan Füssel (Hg.): Deutsche Dichter - Ihr Leben und Werk: Deutsche Dichter der frühen Neuzeit (1450-1600). Ihr Leben und Werk. o.O. 1993. S.74
2 Vgl. Eckhard Bernstein: Hans Sachs. Reinbek bei Hamburg 1993. S. 17.
3 Vgl. Eugen Kusch: Nürnberg. Lebensbild einer Stadt. Nürnberg 1989. S.171.
4 Vgl. Jörn Reichel: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt. Literatur und Leben im späten Mittelalter. Stuttgart 1985. S. 108 f.
5 Vgl. Reichel: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S. 61 ff.
6 Vgl. Reichel: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S.129.
7 Vgl. Reichel: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S.126 f.
8 Vgl. Reichel: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S.128.
9 Vgl. Reichel: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S.136.
10 Vgl. Reichel: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, 137.
11 Vgl. Reichel: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S. 132.