In seinen Gleichnissen berichtet Jesus von der Gottesherrschaft und seinem persönlichen Bezug zu ihr. Die Geschichten greifen Bilder aus der alltäglichen Welt der Menschen auf, um sie der alltäglichen Wirklichkeit der Gottesherrschaft entgegenzusetzen und sie durch Erfahrungen und Beobachtungen verständlich zu machen. Sie bieten den heutigen Forschern einen Einblick in die soziale und wirtschaftliche Situation des damaligen Palästina.
Auch das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) verwendet ein Bild aus der israelitischen Arbeitswelt, um die Güte und Gerechtigkeit Gottes auf unerwartete Art und Weise und aus einer neuen Perspektive zu illustrieren. Dabei lassen sich Topoi und Motive aus dem Alten Testament erkennen, wie die Weinberg- und die Weingärtnermetapher.
Vom Weinberg und Weingärtner – Textkritische Beobachtungen zu Mt 20,1-16
In seinen Gleichnissen berichtet Jesus von der Gottesherrschaft und seinem persönlichen Bezug zu ihr. Die Geschichten greifen Bilder aus der alltäglichen Welt der Menschen auf, um sie der alltäglichen Wirklichkeit der Gottesherrschaft entgegenzusetzen und sie durch Erfahrungen und Beobachtungen verständlich zu machen. Sie bieten den heutigen Forschern einen Einblick in die soziale und wirtschaftliche Situation des damaligen Palästina.1 Auch das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) verwendet ein Bild aus der israelitischen Arbeitswelt, um die Güte und Gerechtigkeit Gottes auf unerwartete Art und Weise und aus einer neuen Perspektive zu illustrieren.2 Dabei lassen sich Topoi und Motive aus dem Alten Testament erkennen, wie die Weinberg- und die Weingärtnermetapher.
Zielsetzung des Essays ist eine traditionskritische Beobachtung von Mt 20,1-16 vor dem Hintergrund alttestamentlicher Bildmotive. Zunächst wird das Gleichnis der Arbeiter im Weinberg auf Gliederung, Kontext und Bedeutung analysiert. Anschliessend werden zwei Bilder aufgegriffen, die ihren Ursprung in der alttestamentlichen Literatur haben. Von besonderem Interesse sind das Weinberglied aus Jes 5,1-7, sowie der Psalm 80. Abschliessend wird die neutestamentliche Rezeption erörtert.
Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) kann in zwei Teile gegliedert werden. In V. 1-7 wirbt der Weingärtner die Arbeiter an und stellt sie ein. Die zweite Szene umfasst die Bezahlung der Arbeiter und die Begründung für den gleich ausfallenden Lohn (V. 8-15). Die unterschiedliche Zeiteinteilung – früh am Morgen (V. 1) und Abend (V. 8) – ist für den Höhepunkt des Gleichnisses erzähltechnisch relevant und verrückt den Ort der Handlung vom Markt auf den Gutshof, der in der Perikope nicht erwähnt, jedoch anzunehmen ist, da der Weingärtner die Arbeiter zu sich rufen lässt. Ein einleitender Satz und die Schlussäusserung des Gutsherrn rahmen die Erzählung ein.3
Das Gleichnis steht im Kontext der Jüngerbelehrung über das Himmelreich. In Kapitel 19, 27-30 wird die gleichrangige Belohnung für ein aufopferungsvolles Leben hinterfragt. Petrus, der versucht mit dem Herrn zu handeln, äussert Bedenken: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was werden wir dafür bekommen?“ (V. 27). Jesus antwortet ihm, dass alles, was man für den Herrn tun würde entsprechend belohnt wird. Wer sein Haus verlässt und sein Land oder seinen Besitz aufgibt, würde mit geistlichen Reichtümern beschenkt werden, die jede Vorstellungskraft übersteigen. Der zukünftige Lohn ist das ewige Leben, ein Geschenk, das weder verdient noch erworben werden kann. Wer alles verlässt, erhält eine grössere Fähigkeit, nämlich das Leben im Himmel zu geniessen. Doch Jesus warnt Petrus vor selbstsüchtigen Betrachtungen mit den Worten: „Viele Erste werden Letzte sein und viele Letzte Erste“ (V. 30).4 Zur Erläuterung dieser Aussage folgt das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg.
Die kurze Erzählung bedient sich einer Situation aus der damaligen Arbeitswelt Palästinas. Den Zuhörern Jesus ist das Szenario des Arbeiter anheuernden Weingärtners bekannt. In Palästina gab es viele Weinberge5 und das Anwerben der Tagelöhner entspricht den Verhältnissen zu Lebzeiten Jesu.6 Als besonders arbeitsintensiv galten, wie heute noch, der Rebschnitt im Winter und die Weinlese im Spätsommer. Das Entgelt von einem Denar entsprach dem üblichen Durchschnittslohn eines Tagelöhners.7 Hauptakteur ist der Gutsherr, der den Handlungsverlauf durch den nötigen Anstoss vorantreibt. Mit ihm beginnt das Gleichnis und hört mit seinem Schlusswort auf. Der Verwalter, der in V. 8 seinen Auftritt hat, bestimmt die Lohnregeln, die von den Arbeitern eingehalten werden müssen. Diese Angeworbenen werden in fünf Gruppen eingeteilt. Differenziert werden sie durch den unterschiedlichen Zeitpunkt ihrer Anstellung - von Sonnenaufgang bis zur elften Stunde.
Für den Deutungshorizont kommen zwei Schwerpunkte in Betracht. Zum einen die Tatsache, dass das ewige Leben nicht vom Umfang der Werke der Menschen abhängig ist, sondern allein von der Gnade Gottes. Sie errettet, beruft und stattet den Gläubigen mit Begabung aus, schenkt das ewige Leben und den Lohn im Himmel. Gott unterscheidet hier nicht zwischen den einzelnen Menschen, denn sie sind individuell auf seine Gnade und sein Erbarmen angewiesen. Passend zu dieser Erkenntnis ist der Vers aus 2 Tim 1,9: „Er hat uns gerettet; mit einem heiligen Ruf hat er uns gerufen, nicht aufgrund unserer Taten, sondern aus eigenem Entschluss und aus Gnade, die uns schon vor ewigen Zeiten in Christus Jesus geschenkt wurde.“ Zweitens rechnet Gott nicht nach den wirtschaftlichen Vorstellungen der Menschen. Für ihn zählen die Taten, die durch ihn und für ihn vollbracht werden, diese geschehen aus Liebe. Somit können kleinere Gaben für Gott genau so kostbar sein, wie grosse Werke in den Augen der Menschen.8
Der Verfasser verwendet in Mt 20,1-16 zwei Bildmotive, den Weinberg und den Weingärtner. Im folgenden Abschnitt soll untersucht werden, auf welche alttestamentlichen Passagen das Gleichnis im Matthäusevangelium zurückgreift.
Als erstes wird das Weinberglied in Jes 5,1-7 untersucht, das Israels Strafe wegen seiner Sünde zur Diskussion stellt.9 Das fünfte Kapitel des sogenannten Protojesajabuchs handelt von der untreuen Geliebten Israel und dem Recht und der Gerechtigkeit Gottes.10 In diesem Lied erinnert sich Jesaja, wie der Herr seinen Weinberg gepflegt hat. Sorgfältig wählte er den besten Ort, pflanzte und kultivierte den Weinberg, sodass er gute Ernte trage. Doch die erwartete Frucht (Gehorsam, Dank, Liebe, Anbetung und Dienst für ihn) blieb aus, ihn erwartete eine Missernte (Ungehorsam, Auflehnung, Götzendienst). Der Herr fragte Juda, was er noch weiteres bewerkstelligen könne und wieso ihm ein solch schlechter Gegendienst erwiesen wurde. Anschliessend gibt er die bevorstehende Strafe bekannt. Der Weingärtner würde den schützenden Zaun entfernen, der Weinberg würde Disteln und Dornen tragen und von einer Dürre heimgesucht werden.11 Jes 5,1-7 handelt von der Konsequenz menschlichen Verhaltens, während Mt 20,1-16 die Jüngergewinnung thematisiert. In Jes 5,1-7 wurde die Metapher des Weinbergs für Israel und das Bild des Weingärtners12 für Gott gewählt.
Auch Ps 80, 9-12 greift dieselbe Motivik auf:
„Einen Weinstock hobst du aus in Ägypten, du hast Völker vertrieben und ihn eingepflanzt. Du schufst ihm weiten Raum, er hat Wurzeln geschlagen und das ganze Land erfüllt. Sein Schatten bedeckte die Berge, seine Zweige die Zedern Gottes. Seine Ranken trieb er bis zum Meer und seine Schösslinge bis zum Eufrat!“
[...]
1 Roloff, Jürgen, Jesus, S. 81-84.
2 Heitmann, Michael, Von den Arbeitern im Weinberg, www.bibelwissenschaft.de (zuletzt aufgerufen am 9.1.19).
3 Ebd.
4 MacDonald, William, Kommentar zum Neuen Testament, S. 117.
5 Gnilka, Jochen, Das Matthäusevangelium, S. 177.
6 Schottroff, Luise, Die Güte Gottes und die Solidarität von Menschen, S. 74f.
7 Schweizer, Eduard, Das Evangelium nach Matthäus, S. 256. Vgl. Heitmann, Michael, www.bibelwissenschaft.de (zuletzt aufgerufen am 9.1.19).
8 Vgl. Küpfer, Adolf, Welche Bedeutung hat das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg?, www.bibelkommentare.de (zuletzt aufgerufen am 9.1.19). Vgl. auch Jak 2,14-20.
9 MacDonald, William, Kommentar zum Alten Testament, S. 935.
10 Zenger, Erich u. a., Einleitung in das Alte Testament, S. 428-431.
11 MacDonald, William, Kommentar zum Alten Testament, S. 935.
12 In ihrem Buchbeitrag „‘Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Weingärtner’ – Zur Semiotik des Weinstocks in Joh 15, 1–8 aus Sicht der Altorientalistik« vertreten Miroslav Novák und Gabriele Elsen-Novák die Ansicht, dass sich hinter dem Bildmotiv des Weingärtners die königlichen Pflichten assyrischer Herrscher verbergen, der für die Jagd und die Kultivierung der Lustgärten zuständig war.
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- Melanie Carafa (Author), 2019, Vom Weinberg und Weingärtner. Textkritische Beobachtungen zu Mt 20,1-16, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/461407