Das Krankenhaus als Tatort? Eine Reflexion zur Studie von Beine und Turczynski


Hausarbeit, 2019

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


„Tatort Krankenhaus?“

Eine Reflexion zur Studie von Beine/ Turczynski

1. Einleitung>

Prof. Dr. Karl-Heinz Beine, Inhaber des Lehrstuhls für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Witten/Herdecke, und Jeanne Turczynski, Wissenschaftsredakteurin des Bayrischen Rundfunks, haben im Jahr 2015 eine bisher unveröffentlichte Studie zum Thema „Gewalt in Kliniken und Heimen“ erstellt und deren Erkenntnisse 2017 monographisch in dem Buch „Tatort Krankenhaus. Wie ein kaputtes System Misshandlungen und Morde an Kranken fördert“ veröffentlicht.1 In dem Klappentext des Buches heißt es, dass die bisher in Deutschland bekannten Mordserien in Krankenhäusern und Pflegeheimen nur die Spitze eines ganzen Eisberges sind. Ihren Studienergebnissen zu Folge werden Patienten in Kliniken bzw. Heimbewohner in Seniorenund Pflegeheimen durch die Hände von Ärzten oder Pflegekräften viel häufiger zum Opfer als bekannt oder vermutet.2

Diese Hausarbeit hat sich zur Aufgabe gemacht, diese zentrale These von Beine und Turczynski kritisch zu reflektieren und zu diskutieren. Dem voran gehend wird der Begriff der Sterbehilfe analysiert, definiert und ethisch sowie rechtlich eingeordnet. In Deutschland wird die Sterbehilfe als gesellschaftspolitisches Thema sehr kontrovers und in weiteren Teilen zugleich emotional debattiert, da der Begriff bei den Menschen ganz unterschiedliche Assoziationen und Einstellungen erweckt und nicht selten in Pround Contra-Debatten mündet: Was für den Einen ein menschenwürdiges Sterben eines todkranken Patienten und Vermeidung eines unnötiges Leidens oder auch die Selbstbestimmung zum Sterben bedeutet,3 lehnen andere vollständig ab und stellen die Sterbehilfe auf die Stufe mit Tatbeständen wie Mord oder Totschlag.4

Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, den Begriff Sterbehilfe exakt zu definieren und seine Bedeutung herauszuarbeiten. Bei der Begriffsdefinition und Begriffsabgrenzung sind auch spezielle, gegebenenfalls medizinisch indizierte Vorgänge zu berücksichtigen. Im Kontext der Sterbehilfe sind auch Handlungen und das Unterlassen von Handlungen zu beleuchten. Unterlassen bedeutet, dass nicht eingegriffen wird, selbst wenn die Möglichkeit hierzu bestände – hierunter sind z.B. Fälle zu subsumieren, in denen eine künstliche Ernährung oder die Beatmung eingestellt wird. Die Unterscheidung zwischen dem Tun und dem Unterlassen bei der Sterbehilfe hat gerade aus medizinethischer, aber auch aus rechtlicher Sicht herausgehobene Bedeutung.5

2. Definition und Abgrenzung der Sterbehilfe

Die Sterbehilfe lässt sich sowohl ethisch als auch rechtlich unterschiedlich betrachten. International und auch im deutschen Recht hat sich weitgehend eine Kategorisierung der Sterbehilfe durchgesetzt.6 Demnach wird zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe unterschieden, wobei letztere sich wiederum weiter ausdifferenzieren lässt.

a) Passive Sterbehilfe

Unter der passiven Sterbehilfe wird der Verzicht von lebensverlängernden Maßnahmen verstanden – das heißt die Therapie einer Grunderkrankung wird begrenzt oder abgebrochen oder eine weitere Therapie wird unterlassen. Dies hat zur Folge, dass – bei Beibehaltung der Grundpflege sowie gegebenenfalls einer schmerzlindernden Behandlung – die altersund/oder krankheitsbedingten Gründe eines Betroffenen zu dessen Tode führen.7 Der Arzt handelt in diesem Fall aktiv lediglich durch die Beendigung einer zuvor begonnenen Maßnahme – hier ist vom „Handeln“ durch „Unterlassen“ zu sprechen.8

Insbesondere gelten die nachfolgenden Maßnahmen als Formen der passiven

Sterbehilfe:

- der Verzicht auf eine künstlichen Beatmung oder deren Abbruch,
- der Verzicht auf eine bestimmte Medikamentengabe oder deren Abbruch,
- der Verzicht auf eine künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr oder deren Abbruch,
- der Verzicht auf eine Dialyse oder deren Abbruch,
- der Verzicht auf eine Reanimation oder deren Abbruch.9

Sofern der Patient aufgeklärt und einwilligungsfähig ist, den Wunsch auf Therapiebegrenzung bzw. -abbruch äußert und dies sein ausdrücklicher Wille ist, ist es rechtlich zulässig und der Arzt aufgrund des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ethisch auch verpflichtet, diesem Unterlassen nachzukommen.10 Der Arzt hat nicht das Recht, eigenmächtig oder gar gegen den Willen eines freiverantwortlich handelnden Patienten einzuschreiten.11 Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ist in Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz verankert und ist „selbst dann zu respektieren, wenn der Patient eine lebensrettende Operation ablehnt“.12

Bei fehlender Einwilligungsfähigkeit des Patienten ist dagegen der mutmaßliche Patientenwille zu ermitteln. Dies kann beispielsweise durch Patientenverfügung erfolgen oder wenn der Patientenwille glaubhaft im Gespräch mit den Angehörigen nachgewiesen werden kann.13 Sofern vorgenannte Maßnahmen jedoch nicht möglich sind, muss der konkrete Fall im Rahmen der Fremdbeurteilung nach allgemeinen Wertvorstellungen vor dem Grundsatz „im Zweifel für das Leben“ bewertet werden. Da allgemeine Wertvorstellungen – in Abhängigkeit gesellschaftlicher Prägungen, des geltenden Rechts, des herrschenden Zeitgeistes, aber auch religiösen Einflüssen und Fragen ökonomischer Relevanz – sehr unterschiedlich sein können, ist diese Beurteilung ethisch ausgesprochen schwierig.14

b) Aktive Sterbehilfe

Unter aktiver Sterbehilfe lässt sich die Abkürzung eines Krankheitsverlaufes verstehen, der den Tod des Patienten herbeiführt oder diesen beschleunigt, um so dem Patienten weitere Leiden zu ersparen. Die aktive Sterbehilfe beendet das Leben bzw. beschleunigt das Ableben eines Patienten direkt durch ein Tun des Arztes oder einer dritten Person.15 Im Rahmen der aktiven Sterbehilfe lässt sich hierbei zwischen der direkten aktiven und der indirekten aktiven Sterbehilfe unterscheiden.

Mit der indirekten aktiven Sterbehilfe wird eine schmerzmildernde Behandlung eines Patienten, zumeist im Behandlungsendstadium, bezeichnet, bei der ein Lebensverkürzungsrisiko in Kauf genommen wird. In der finalen Phase einer schweren Erkrankung eines Patienten, der unter großen Schmerzen oder Ängsten leidet, kann durch diese sogenannte palliative bzw. terminale Sedierung eine Beruhigung des Patienten bis hin zur Ausschaltung dessen Bewusstseins erfolgen. Die Beruhigungsoder Betäubungsmittel sorgen für eine Erträglichkeit der Schmerzsymptome einerseits und andererseits wird das Risiko, dass mit der Medikamentenabgabe das Patientenleben verkürzt wird, bewusst diesem Therapieziel untergeordnet.16 Ostergathe schlägt vor, die Terminologie der indirekten aktiven Sterbehilfe „besser als Therapie […] am Lebensende [zu] bezeichnen“, da die Intention vielmehr auf die bestmögliche Symptomlinderung abzielt, aber die potenzielle Lebensverkürzung nicht gezielt angestrebt, lediglich „als unbeabsichtigte Nebenwirkung in Kauf genommen“ wird.17 Bei der indirekten aktiven Sterbehilfe handelt es sich nach deutschem Recht grundsätzlich um keinen Straftatbestand.18

Die direkte aktive Sterbehilfe stellt dagegen auf die beabsichtigte und aktive Beschleunigung bzw. die Herbeiführung des Patiententodes ab. Der Tod wird vorsätzlich herbeigeführt und geht damit über die Inkaufnahme eines Lebensverkürzungsrisikos zugunsten des Therapieziels, wie es bei der indirekten aktiven Sterbehilfe besteht, weit hinaus.19 Die direkte aktive Sterbehilfe ist in Deutschland strafbar. Wird die Tötung, z.B. auf der Grundlage einer Patientenverfügung oder einer anderen ausdrücklichen und ernsthaften Willensäußerung des Patienten, auf dessen Wunsch hin durchgeführt, so erfüllt dies den Tatbestand nach § 216 StGB „Tötung auf Verlangen“ und kann mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden.20 Liegt eine entsprechende Willensäußerung des Patienten („Tötung auf Verlangen“) nicht vor, so greift der Straftatbestand des Mordes nach § 211 StGB oder des Totschlags nach § 212 StGB und wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe (Mord) bzw. einer Freiheitsstrafe größer 5 Jahren (Totschlag) bestraft.21

Eine Sonderform der direkten aktiven Sterbehilfe ist der assistierte Suizid, die sich auch als Beihilfe zur Selbsttötung beschreiben lässt. Hierunter fallen Hil-feleistungen für die Durchführung der Selbsttötung, z.B. indem ein tödliches Medikament bereitgestellt wird.22 Eine Querschnittsumfrage des Medizinethikers Schildmann unter den ärztlichen Mitgliedern von 5 Landesärztekammern in Deutschland (Stichprobe: 1.989 Ärzte; Rücklaufquote 36,9%) deutet die Relevanz dieses Themas an: 20,7% der befragten Ärzte gaben an, von Patienten im Berufsleben bereits um Beihilfe bei der Selbsttötung gebeten worden zu sein; generell konnten sich 40,2% der befragten Ärzte grundsätzlich eine Bereitschaft hierzu vorstellen.23

[...]


1 Beine, Karl H./ Turczynski, Jeanne (2017): Tatort Krankenhaus. Wie ein kaputtes System Misshandlungen und Morde an Kranken fördert, Droemer-Verlag, München.

2 Vgl. Beine/ Turczynski (2017), Klappentext.

3 Vgl. Taupitz/ Tolmein (2017), S. 75.

4 Vgl. o. V. (2017).

5 Vgl. FAU Erlangen-Nürnberg (2017), S. 6.

6 Vgl. o. V. (2017).

7 Vgl. o. V. (2017).

8 Vgl. FAU Erlangen-Nürnberg (2017), S. 51.

9 Vgl. o. V. (2017).

10 Vgl. Gavela (2013), S. 53.

11 Vgl. BVerfGE 52, 131 (170).

12 BGHSt 11, 110 (113 f.).

13 Vgl. FAU Erlangen-Nürnberg (2017), S. 51.

14 Vgl. FAU Erlangen-Nürnberg (2017), S. 51.

15 Vgl. Hübner/ Frewer (2017), S. 124.

16 Vgl. o. V. (2017).

17 Ostergarth (2017), S. 186.

18 Vgl. o. V. (2017).

19 Vgl. Ostergarth (2017), S. 187.

20 Vgl. § 216 StGB.

21 Vgl. §§ 211 u. 212 StGB.

22 Vgl. o. V. (2017).

23 Schildmann/ Dahmen/ Vollmann (2015), S. e1.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Das Krankenhaus als Tatort? Eine Reflexion zur Studie von Beine und Turczynski
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
19
Katalognummer
V461827
ISBN (eBook)
9783668916425
ISBN (Buch)
9783668916432
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tatort Krankenhaus, Sterbehilfe, aktive Sterbehilfe, passive Sterbehilfe
Arbeit zitieren
Marc Castillon (Autor:in), 2019, Das Krankenhaus als Tatort? Eine Reflexion zur Studie von Beine und Turczynski, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/461827

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