Krieg, Dialog und Macht


Seminararbeit, 2005

20 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Gliederung

1) Annäherungen an einen Begriff von Kultur

2) Kritische Betrachtungen :
2.1) Samuel Huntingtons clash-Theorie
2.2) Der theoretische Ansatz zum interkulturellen Dialog

3) Hakan Gürses: „Krieg, Dialog und Macht“
3.1) „Zwischen kulturellem Krieg und interkulturellem Dialog“
3.2) Die Rolle der Vernunft bei der Kriegsführung des „Westens“
3.4) Biomacht
3.4) Probleme des Dialogs

5) Karl Heinz Pohls Dialog-Orientierter Blick nach China
5.1) Die Frage nach den Menschenrechten und ihrer Universalisierbarkeit

6) Abschließende Bemerkungen

7) Bibliographie

1) Annäherungen an einen Begriff von Kultur:

a) In seiner am stärksten verallgemeinerten Bedeutung bezeichnet der Begriff Kultur zunächst die Gesamtheit alles vom Menschen Geschaffenen.

Außer einer Unterscheidung von Kultur und Natur, also dem, was uns schon „von Natur aus“ gegeben ist, ist damit noch nicht viel erreicht. Eine Erklärung für die Unterschiede zwischen verschiedenen menschlichen Lebensformen kann diese Definition nicht liefern.

b) Eine etwas genauere, aber dennoch stark verallgemeinernde Definition von Kultur liefert Edward Tylor in seinem 1871 erschienenen Buch „Primitive Culture“:

„Culture is [...] that complex whole which includes knowledge, belief, art, morals, law, custom, and any other capabilities and habits acquired by man as a member of society.”[1]

Hier bezeichnet der Begriff Kultur etwas durch Gesellschaftsbildung Erworbenes; Interessant ist, dass hier eine Vermengung von einerseits historisch gewordenen Errungenschaften (belief, art, morals, law…) und andererseits von Natur aus schon gegebenen menschlichen Fähigkeiten und Grundmustern (any other capabilities and habits…) stattfindet.

c) Clifford Geertz hingegen definiert Kultur in seinem Werk „The Interpretation of Cultures” (1966) wie folgt:

The culture concept denotes a historically transmitted pattern of meanings embodied in symbols, a system of inherited conceptions expressed in symbolic forms by means of which men communicate, perpetuate, and develop their knowledge about and attitudes toward life [...].”[2]

Kultur ist dem zufolge quasi als ererbtes Orientierungswissen bzw. als eine unserem Handeln zugrunde liegende Struktur zu verstehen. Sie bezeichnet ein historisch überliefertes System von Bedeutungen, die in Symbolen ausgedrückt werden und mit deren Hilfe wir unser Wissen vom Leben und unsere Einstellungen zum Leben erhalten, mitteilen und weiterentwickeln. Kultur wird hier als ein der Sprache ähnliches Zeichensystem beschrieben, das sämtliche Äußerungen des Menschen[3] in einen Sinnzusammenhang bringt, den man den kulturellen Kontext nennen könnte. Damit sind alle menschlichen Äußerungen als kulturell zu verstehen und je nach kulturellem Kontext unterschiedlich beschreibbar.

Auch Hakan Gürses unterstreicht in seinem 1998 erschienenen Essay „Der andere Schauspieler“[4], die Bedeutung dieser Kontexte für die Wissenschaften vom Menschen:

„Wenn wir indes annehmen, dass Individuen, Diskurse, Institutionen und Bedeutungen in Kontexte eingebettet sind, dann müssen wir diesen Kontexten in der Wissenschaft eine Rolle einräumen und sie einheitlich benennen. Ist Kultur nicht der Kontext par excellence?“[5]

2) Kritische Betrachtungen :

2.1) Samuel Huntingtons clash-Theorie

Bekanntlich spricht Huntington ja von civilizations, inwieweit das den „Kulturen“ im Deutschen entspricht will ich hier nicht näher beantworten; Sicher ist hingegen, dass die civilizations in der Terminologie des „Kampfs der Kulturen“ für die „umfassendste kulturelle Identität, welche einer Gruppe von Menschen gemeinsam ist“[6][7] stehen. Diese civilizations oder „Kulturen“ können Nationalstaaten überlagern und umfassen objektive Elemente wie Sprache, Geschichte, Religion und andere Institutionen, ebenso wie subjektive Gemeinschafts-, Zugehörigkeits- oder Identitätsgefühle mit denen sich der einzelne identifizieren kann. Das entscheidende Kulturmerkmal ist für Huntington dabei die Religion, deshalb geht er bei seiner „Einteilung“ der Welt in 8 Kulturkreise auch von der dieser als Unterscheidungskriterium aus: Er skizziert diese 8 Blöcke wie folgt: Westen, Orthodoxie (Russland), Islam, Konfuzianismus (China), Hinduismus (Indien), Japan, Afrika und Lateinamerika.[8]

Diese Kulturkreise unterscheiden sich nun ganz erheblich hinsichtlich zentraler „Werte“ wie z.B. des Stellenwerts der Religion, der Rechte und Pflichten des Individuums (vs. das Kollektiv), Geschlechterrollen, Freiheit, Gleichheit usw. Aufgrund der weltweiten Globalisierung und Durchdringung der Wirtschaftssysteme behauptet er eine zunehmende Schwächung der Nationalstaaten als „kulturelle Identitätsstifter“ und diese Rolle sieht er in steigendem Ausmaß vom religiösen Fundamentalismus übernommen. Ebenfalls aufgrund der Globalisierung haben sich die Kontakte zwischen den „Kulturen“ vervielfacht und so wird das Bewusstsein für die kulturellen Unterschiede weiter geschärft. Eine von Huntingtons Kernthesen ist nun, dass die Wahrscheinlichkeit von Konflikten dort am höchsten ist, wo sich „Kulturen“ gegenseitig berühren oder überlappen. So deutet er z.B. den Jugoslawienkrieg als exemplarischen Bruchlinienkonflikt zwischen den widerstrebenden Interessen von christlich gesinnten Slowenen und Kroaten, orthodoxen Serben und bosnischen Muslimen.[9]

Der relativ unspezifische Kulturbegriff Huntingtons lässt sich vielleicht an folgendem Zitat gut erkennen:

„Die Verteilung von Kulturen spiegelt die Verteilung von Macht in der Welt wider (...) In der gesamten Geschichte ist die Expansion der Macht eines Kulturkreises für gewöhnlich gleichzeitig mit der Blüte seiner Zivilisation aufgetreten, und fast immer hat der Gebrauch jener Macht die Übertragung dieser kulturellen Werte, Praktiken und Institutionen auf andere Gesellschaften bedeutet. Eine universale Kultur bedarf universaler Macht.“[10]

Kulturen werden hier vorrangig als Organismen beschreiben, die denselben Zyklen von Geburt, Wachstum und Tod unterworfen sind wie ihre natürlichen Pendants. Das Individuum wird in einen solchen Organismus hineingeboren, und die Anpassung und Identifikation desselben mit der jeweils übergeordneten „Kultur“ erfolgt im System Huntingtons beinahe willensunabhängig und automatisch. So kann dann auch von einem Kampf bzw. einem Dialog der Kulturen gesprochen werden, da diese in sich homogen und untereinander verschieden gedacht werden. Eine Schwäche dieses Ansatzes (unter vielen) ist die untergeordnete Rolle des Individuums, das als Teil eines solchen „monolithischen Blocks“ dabei seiner Kultur verhangen bleibt. Es wird also übersehen, dass Kultur letztendlich (auch) von Individuen geschaffen wird, welche einen realen Einfluss auf sie ausüben, auch wenn sie insgesamt von Kollektiven getragen wird und m.E. von dort aus als „Norm“ auf das Individuum zurückwirkt.[11]

2.2) Der theoretische Ansatz zum interkulturellen Dialog:

Der Kulturbegriff der Vertreter des interkulturellen Dialogs unterscheidet sich, wie auch Gürses in seinem Essay herausstellt[12], überraschenderweise kaum von jenem, den Huntington seinen neokonservativen bzw. realistischen Theorien zugrunde legt. In einem Gegenentwurf zur dramatisierten Bedrohung der clash -Theorie wird beim Dialogansatz jedoch zur friedlichen Koexistenz der „Kulturen“ aufgerufen und der Dialog als Mittel zum Abbau von Spannungen zwischen diesen gesehen.

„Interkulturell“ bedeutet folglich in der Kommunikation mit dem „Anderen“ einen Standpunkt zwischen zwei Kulturen einzunehmen[13], wie K.H. Pohl es in seinem Essay über den Dialog mit China ausdrückt. Einen Standpunkt, der weder nur in der einen, noch nur in der anderen Kultur begründet ist. Es wäre jedoch kurzsichtig, darin nicht mehr als eine Kompromisshaltung zu erblicken. Ebenso ist wohl der Glaube, sämtliche „Kulturen“ der Erde müssten „nur“ zu einem gemeinsamen, überkulturellen Standpunkt kommen und dann könnte der Dialog reibungslos funktionieren, ein irriger. Solch eine Annahme wäre universalistisch und würde schon deshalb einem echten Dialog von vornherein widersprechen, denn dieser kann weder in einer idealistischen Verschmelzung der Horizonte aller Beteiligten bestehen, noch darf er sich von erdrückenden Imperativen hinsichtlich seines Ablaufs beschränken lassen. Sein Ausgang muss offen sein und das Ergebnis des Dialogs kann erst in seinem Vollzug gefunden werden, denn warum sonst sollte man sich überhaupt auf einen Dialog einlassen? Eine Verständigung unter Zwang kann nicht funktionieren, denn eine ihrer Grundbedingungen ist Übereinstimmung[14] ; nicht unbedingt in den Meinungen, aber zumindest in der Anerkennung des Anderen und in der Wahl der Kommunikationsformen. Meines Erachtens wäre hier auch viel eher eine Haltung gefordert als der von Pohl beschriebene Standpunkt. Denn ein solcher interkultureller Standpunkt müsste sich in jeder speziellen Kommunikationssituation erst herausbilden und wäre nur auf diese anwendbar und höchst relativ auf alle anderen Dialogkonstellationen. Dann würde den interkulturellen Dialog aber nicht mehr viel vom ohnehin schon täglich in der Politik stattfindenden „Verhandeln und Kompromisse schließen“ unterscheiden.

[...]


[1] Zit. nach Hervé Varenne: http://varenne.tc.columbia.edu/hv/clt/and/culture_def.html

[2] Zit. nach: Hervé Varenne

[3] Hier sind neben den rein sprachlichen auch performative Äußerungen eingeschlossen.

[4] Gürses, Hakan: Der andere Schauspieler. Kritische Bemerkungen zum Kulturbegriff, in: Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren 2, (S. 62-81), Wien 1998

[5] Hakan Gürses 1998: §10

[6] Hier stütze ich mich hauptsächlich auf eine Online-Publikation von Thomas Volken, Lehrbeauftragter an der philosophischen Fakultät der Universität Zürich. (Link: Bibliographie)

[7] Thomas Volken: Kulturkampf (S.5)

[8] Da ich davon ausgehe, dass die Grundzüge der Kritik an Huntingtons „unscharfen“ Begriffen bekannt sind, möchte mich hier nicht näher damit beschäftigen dies zu reproduzieren. [D.S.]

[9] Wenig überraschend steht der Westen dabei den katholischen Slowenen und Kroaten, die sich von Jugoslawien abspalten wollten zur Seite, was eventuell noch mit Religionsverwandtschaft erklärbar sein mag. Dass der „christliche“ Westen aber den muslimischen Bosniern gegen die (ebenfalls christlichen) Serben zu Hilfe kommt, führt die Behauptung Huntingtons allerdings ad absurdum.

[10] Zit. nach: Thomas Volken: Kulturkampf (S.9)

[11] Eine ähnliche Dichotomie trifft man bei Saussure in der strukturalistischen Linguistik an: Er unterscheidet die soziale langue (Sprache als geregeltes System) von der individuellen parole (individueller Sprechakt). Beide beeinflussen sich gegenseitig und können nicht getrennt voneinander erklärt werden. Ähnlich verhält es sich m.E. nach mit der Kultur: Auch sie kann nicht gedacht werden ohne das individuelle Handeln des Einzelnen, und ist dennoch nicht nur aus diesem erklärbar. [D.S.]

[12] Gürses, Hakan: Krieg, Dialog und Macht, in: Verständigung in finsteren Zeiten - Interkulturelle Dialoge statt "Clash of Civilizations" Leah Czollek (Hg.), Köln: PapyRossa-Verlag, 2003 : passim

[13] Pohl geht wie wir später noch sehen werden, von einem Dia log zwischen dem Westen (v.A. Deutschland) und China aus. (Vgl. S. 57)

[14] Vgl. zu Übereinstimmung: Gürses 2003: S.207

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Krieg, Dialog und Macht
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Seminar "Globalisierung und Philosophie"
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
20
Katalognummer
V46300
ISBN (eBook)
9783638435239
ISBN (Buch)
9783638874366
Dateigröße
768 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschäftigt sich mit einem kulturkritischen Text von Hakan Gürses, der in der Zeitschrift "Polylog" für interkulturellen Dialog erschienen ist. Der Autor kritisiert darin die naive Antwort auf die vielzitierte "clash-theorie" Huntingtons, die in einem "Dialog der Kulturen" liegen soll und zeigt die (macht)politische Motiviertheit des euro-amerikanischen Kulturbegriffs, in dessen Kalkül der Krieg, genauso wie die Menschenrechte ein fester Bestandteil ist...
Schlagworte
Krieg, Dialog, Macht, Seminar, Globalisierung, Philosophie
Arbeit zitieren
David Schachinger (Autor:in), 2005, Krieg, Dialog und Macht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46300

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