"Macht kaputt, was euch kaputt macht!". Aggressive Ausdrucksweisen in jugendlichen Subkulturen


Diplomarbeit, 2001

118 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALT

EINLEITUNG

I. CULTURAL STUDIES
I.I DEFINITION
I.II ENTWICKLUNG UND FORSCHUNG
I.III CULTURAL STUDIES IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM
I.IV INST (INSTITUT ZUR ERFORSCHUNG UND FÖRDERUNG ÖSTERREICHISCHER UND INTERNATIONALER LITERATURPROZESSE)
I.V WAS SOLL DAS GANZE?

II. STIL ALS ABSICHTLICHE KOMMUNIKATION
II.I STIL ALS „BRICOLAGE“
II.II STIL ALS EMPÖRUNG: EMPÖRENDER STIL
II.III STIL ALS HOMOLOGIE
II.IV STIL ALS BEDEUTENDE PRAXIS
II.V IST STIL KUNST?

III. ERKLÄRUNGSVERSUCHE FÜR DIE ENTSTEHUNG AGGRESSIVER JUGENDSTILE
III.I STANLEY COHEN UND „MORAL PANIC“
III.II MIKE BRAKE
III.III PAUL WILLIS UND „PROFANE CULTURE“

IV. AGGRESSIVE AUSDRUCKSWEISEN
IV.I ÄUSSERUNGEN VON GRUPPENMITGLIEDERN
IV.II OPTISCHES ERSCHEINUNGSBILD UND VERHALTEN
IV.III „MACHT KAPUTT, WAS EUCH KAPUTT MACHT!“: MUSIK UND TEXT

ABSCHLUSS-REFLEXION

LITERATUR

EINLEITUNG

Die vorliegende Arbeit setzt sich, wie der Titel vermuten lässt, mit Überlegungen zu Ausdrucksweisen in jugendlichen Subkulturen, die von Aggression geprägt sind, auseinander. Ausdrucksweise wird als „Stil“ bezeichnet, jene Stile aggressiver Art werden näher beleuchtet. Folgende Aspekte fanden in dieser Arbeit Verwendung:

I. Als Einführung wird die Arbeit der Cultural Studies („Kulturstudien“) dargelegt, zum besseren Verständnis der Forschungsarbeit. Daraus ist ersichtlich, dass sich Cultural Studies zwar auch mit anderen, aber zu einem nicht unbedeutenden Teil mit Jugendkulturen auseinandersetzen. An dieser Stelle wird deren Entwicklung und Forschung, deren Rezeption im deutschsprachigen Raum und das INST (Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse) in Österreich erwähnt. Von dieser Darstellung ausgehend, wird übergeleitet zum eigentlichen Thema der Diplomarbeit, Jugendkulturen und aggressive Ausdrucksweisen.
II. Der zweite Punkt stellt einen Versuch dar, den Begriff „Stil“ näher zu beleuchten, um ihn im weiteren Verlauf verständlich anzuwenden. Hier geht es nicht hauptsächlich um die Mechanismen der Stilbildung, vielmehr werden die mannigfaltigen Bedeutungen und Funktionen von Stil aufgezeigt, Stil wird von mehreren Seiten definiert. Dies ist erkennbar durch die Überschriften, die jeweils mit „Stil als...“ beginnen: Bricolage und Homologie sind die wichtigsten Schlüsselbegriffe, die neben Stil als Empörung und bedeutende Praxis bis hin zur Frage, ob Stil Kunst sei, genauer beschrieben werden. In diesem Punkt lehne ich mich zum Teil an die Ausführungen von Dick Hebdige an, der im Bereich von Jugendkulturen und deren Stile Pionierarbeit geleistet hat.
III. Im Weiteren geht es um Erklärungsversuche für die Entstehung aggressiver Jugendstile. Drei Annahmen werden aufgeführt, Stanley Cohen mit dem Schlagwort „Moral Panic“, Mike Brake und Paul Willis mit dem Begriff „Profane Culture“. Sowohl Punkt II. als auch III. sind von Wichtigkeit, um zum besseren Verständnis der Thematik beizutragen, die in dieser Arbeit behandelt wird. Von ihnen wird übergeleitet und übertragen auf konkret formulierte und beobachtbare aggressive Ausdrucksweisen.
IV. Als letzter Punkt werden drei aggressive Ausdrucksweisen dargestellt: Aussagen von Mitgliedern aggressiver Jugendsubkulturen, optische Erscheinungsbilder und Verhalten derselben und Musik und Text, behandelt mit Blick auf den aggressiven Gehalt.

Welchen persönlichen Zugang habe ich zu diesem Thema? Ich bin keine Erzieherin, keine Sozialarbeiterin, ich hatte beruflich mit solchen Jugendlichen nie zu tun. Das Interesse an aggressiven Ausdrucksweisen erwuchs dadurch, dass ich in neuerer Zeit auf etliche Literatur stieß, die sich mit aggressiven Musikbands und die Aussagen ihrer Texte beschäftigt. Dies gab mir die notwendige Motivation, ein Gebiet zu behandeln, das mir bis dato beinah völlig fremd war.

Welche Methoden wurden angewandt? Ich muss gleich zu Beginn anführen, dass ich keine empirische Forschung durchführte, keine teilnehmende Beobachtung. Meine Erkenntnisse fußen auf Literatur, Ausführungen dieser Art wurden auf den praktischen Teil in Punkt IV. übertragen. Diese Arbeit soll niemanden anprangern, niemanden dämonisieren. Es geht darum, die Fragestellung adäquat zu bearbeiten und einen Tatbestand mit genügend theoretischer Information darzustellen.

Nadja I. WIECZOREK

I. CULTURAL STUDIES

I.I DEFINITION

(FISKE u.a. 1998)

In einem einschlägigen Wörterbuch zu den Cultural Studies können wir eine einfache Definition nachlesen, die uns zu erklären versucht, was unter „Cultural Studies“ zu verstehen ist und womit sie sich beschäftigen:

1. Cultural Studies beschäftigen sich hauptsächlich damit, auf welche Weise soziale Gruppen Bedeutung erlangen.
2. Kultur wird als eine Sphäre von Ungleichheiten gesehen, z.B. Klasse, Geschlecht (Gender), Rasse.
3. Kultur ist ebenso ein Mittel, mit dem und durch das verschiedene untergeordnete Gruppen leben und gegen ihre Unterordnung Widerstand leisten. In diesem Fall ist Kultur ein Feld, in dem um Hegemonie (Vormachtstellung) gekämpft und diese durchgesetzt wird (cultural struggles).
4. Cultural Studies haben keine genau definierte intellektuelle oder disziplinäre Domäne wie traditionelle Disziplinen und streben eine solche auch nicht an. Sie nehmen an institutionalisierten Diskursen teil, besonders im Bereich Literaturstudien (literary studies), Soziologie und Geschichte, in geringerem Maße in Linguistik, Semiotik, Anthropologie und Psychoanalyse.
5. Besonders aufsehenerregende Jugendsubkulturen wie Teds, Hippies, Skinheads und Punks werden untersucht als Beispiele für Widerstand durch Rituale (resistance through rituals).
6. Cultural Studies werden charakterisiert durch die Beachtung von Politik, sowohl bei den Methoden der Forschung als auch den akademischen Disziplinen.
7. Cultural Studies zeigen auf, dass die Produktion von Wissen entweder im Interesse derer von statten geht, die Macht besitzen, oder jener, die diese Macht anfechten (S. 77ff.).

I.II ENTWICKLUNG UND FORSCHUNG

(LINDNER 2000)

Cultural Studies sind ein Theorieansatz und Forschungsprogramm, welches die Beziehung zwischen Kultur und sozialem Wandel zu analysieren versucht (S. 11). Die Cultural Studies sollen nach Colin Sparks auf zwei 1958 erschienenen Gründungstexten fußen - „The Uses of Literacy“ von Richard Hoggart und „Culture and Society“ von Raymond Williams (S. 18). Dort kann man die Aufforderung nachlesen, man solle sich von einem Kulturverständnis verabschieden, das sich nur auf ästhetische und intellektuelle Werke und Prozesse bezieht (S. 19).

„‘Culture is ordinary’. Kultur ist etwas Alltägliches, ein Titel, der zur Losung der Cultural Studies geworden ist, die gelebte Erfahrungen und Alltagshandeln als sozial bedeutsame und kulturell bedeutungsvolle Praxen thematisieren“ (ebd.).

Williams führt drei Dimensionen des Kulturbegriffs am Beispiel der Arbeiterklasse vor:

1. Bezeichnung für Kunst und Bildung
2. Synonym für Massenkultur
3. „Whole way of life“ (S. 32)

In weiterer Folge schreibt Stuart Hall, Kultur müsse unter dem Gesichtspunkt der Beziehung zwischen einer sozialen Gruppe und jenen Dingen betrachtet werden, die ihre Lebensweise ausdrücken:

„... also nicht das Bild, der Roman, das Gedicht, die Oper, sondern die Beziehung zu der sozialen Gruppe, deren Leben sich in diesen Objekten widerspiegelt“ (Hall zit. S.33).

Das CCCS (Centre for Contemporary Cultural Studies) wurde an der Universität Birmingham 1964 gegründet. Die Arbeit innerhalb dieses Centres nimmt einen Perspektivenwechsel vor, der verbunden ist mit dem Übergang von den literary studies zu den cultural studies (S. 38).

In der Anfangszeit formulierte Hoggart ebenso die denkbaren Arbeitsgebiete:

1. Historisch und philosophisch: u.a. Historiographie der Kulturdebatte
2. Soziologisch: Literatur- und Kultursoziologie in engerem Sinne
3. Literarische Kritik (als wichtigster Punkt): Analyse der zeitgenössischen kulturellen Formen, die man in der Literaturwissenschaft noch nicht beachtet hatte oder vernachlässigt wurden (S. 39).

Die ersten sieben Projekte des CCCS beschäftigten sich mit der alltagskulturellen Wende aus der Sicht der Literaturwissenschaften:

1. Orwell und die Atmosphäre der 30er-Jahre (Orwell and the Climate of the Thirties)
2. Das Wachstum und die Veränderung in der lokalen Presse (The Growth and Change in the Local Press)
3. Volkslied und Volks-Spracheigentümlichkeiten in der populären Musik (Folk Song and Folk Idioms in popular music)
4. Niveaus der Belletristik und Veränderungen in heutiger Gesellschaft (Levels of Fiction and Changes in Contemporary Society)
5. Private Kunst und Ikonographie zu Hause (Domestic Art and Iconography in the Home)
6. Popmusik und Jugendkultur (Pop Music and Adolescent Culture)
7. Die Bedeutung des Sports und seine Präsentationen (The Meaning of Sport and its Presentations) (S. 40)

Was Stuart Hall 1958 als Aufbrechen des „whole way of life“ in eine Reihe von Lifestyles aufzeigt, formuliert Hoggart als Übergang von der wirklichen Welt wirklicher Menschen zur „Zuckerwatten-Welt“ der medialen Massenkultur (S. 44):

„Für Hoggart bedeutet der sich anbahnende Übergang von der authentischen Klassenkultur (eine Auffassung, die im übrigen Waugh, nur vom anderen Pol der Klassenkulturen aus, teilt) zur gesichtslosen, weil klassenlosen Massenkultur ein Wechsel vom Echten zum Unechten, zum fake, von der attitude, der Haltung, zur bloßen Attitüde“ (S. 45).

So heißt es:

1. Popular Culture = authentische Lebensweise
2. Pop Culture = „Zuckerwatte“ (ebd.)

Melly im Kontrast dazu:

1. Popular Culture: ist sich ihrer selbst nicht bewusst
2. Pop Culture: entwickelt sich aus der bewussten Suche nach Objekten wie Kleidung, Musik und Helden, durch welche eine Haltung ausgedrückt werden kann.
3. „From this it can be said that, whereas the older popular culture stood for the spirit of acceptance, pop culture represented a form of protest“ (Melly zit. ebd.).

Besonders Dick Hebdige hat sich durch die Analyse von jugendlichen Subkulturen einen Namen gemacht. Er trifft die Unterscheidung zwischen absichtsvoller und natürlicher Codierung. Das Erscheinungsbild spektakulärer Subkulturen ist seiner Meinung nach fabriziert, während die Eigenschaften der „mainstream culture“ als natürlich erscheinen. Die eigenen Codes werden von der Subkultur zur Schau gestellt, funktionieren demnach als intentionale Kommunikation (S. 46). Das erste Projekt des CCCS lief unter dem Titel „Resistance through rituals“, das sich ebenso mit der Nutzung von Kleidung als Mittel, um den Gegner zu provozieren, beschäftigt (S. 56f.). Mehr dazu jedoch an anderer Stelle.

Cultural Studies beschäftigen sich demnach u.a. mit Youth culture, was nicht auf aggressive Strukturen beschränkt ist. Eher könnte man sagen, dass sich zum Teil mit Bereichen auseinandergesetzt wird, die generell für Jugend und Jugendkulturen ihrer Ansicht nach gültig sind, z.B.:

1. Weigerung, sich einzugliedern, gleichzeitiger Wunsch nach Gemeinschaft
2. Suchen nach Gemeinschaft in Form einer peer group
3. Einstellung gegen die Erwachsenenwelt
4. Überzeugung von der Sinnlosigkeit der Schule (Sec Mods)
5. Energien und Bestrebungen werden auf die informelle Gruppe und zukünftige Arbeitswelt verlegt (S. 50f.).

Cultural Studies legen Wert auf teilnehmende Beobachtung, befragen dazu Jugendliche direkt, die zu einer bestimmten diskutierten Gruppe gehören. So wird durch die Durchsetzung der Popkultur der Jugendliche zum Experten, da er als Informant, als Insider fungiert (S.57f.):

„Im Unterschied zu den Massenkultur-Untersuchungen, die ‘top down’ angelegt sind, verfahren die Cultural Studies ‘bottom up’ und ‘from within’. Das Objekt der Forschung gewinnt durch diesen Perspektivenwechsel einen neuen Status, pathetisch ausgedrückt: eine eigene Würde. Da, wo zuvor ein Verblendungszusammenhang diagnostiziert wurde, wird nunmehr ein Sinn behauptet und danach gefragt, was es bedeutet ein Mod, ein Dallas-Fan, ein Fußball-Hooligan zu sein“ (S. 60f.).

Es wäre zu weit gegriffen, an dieser Stelle die Thematik Stil und Stilanalyse genauer auszuführen, da sie unter Kapitel II ausführlicher behandelt werden. Hier soll ein bescheidener Überblick geboten werden, um die Möglichkeit bereitzustellen, eine Anfangsinformation zu erhalten und sich mehr oder weniger damit anzufreunden. Noch einmal muss an dieser Stelle betont werden, dass die vorhergehenden Zeilen zur Jugendkultur und deren Eigenheiten generell sind und es nicht heißen soll, alle jugendlichen Subkulturen seien aggressiv und gewalttätig. Es soll lediglich eine Grundinformation sein, um im Weiteren auf aggressive Gruppierungen überleiten zu können. Zweitens ist unumgänglich, generelle Eigenschaften von Jugendkulturen aufzuzeigen, weil sie Forschungsgegenstand der Cultural Studies sind.

I.III CULTURAL STUDIES IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM

(GÖTTLICH / WINTER 1999)

Die Rezeption der Cultural Studies steht im deutschsprachigen Raum erst am Anfang. Etliche Aspekte, die für sie entscheidend sind, sind bis dato noch nicht angemessen herausgestellt worden. Göttlich und Winter sehen dafür zwei Gründe:

1. Bislang auf Teilaspekte der Cultural Studies bezogene Rezeption und Anwendung
2. Fehlende Übersetzung von Texten, die grundlegend sind (S. 25f.)

Welche Voraussetzungen gibt es für die Cultural-Studies-Rezeption in Deutschland? Sie hängen zusammen mit:

1. Disziplinarität des deutschen Universitätssystems

a) Geschichte und Strukturen des deutschen Universitätssystems weisen eine Differenzierung der Disziplinen auf. Fachliche Spezialisierung und Vertiefung von Wissen hatten immer Priorität und wird als wichtige Voraussetzung für seine Leistungsfähigkeit gesehen.
b) Auf gewisse Weise stehen die Cultural Studies quer zu diesem Wissenschaftsverständnis, da unter „studies“ immer der Versuch zu verstehen ist, Perspektiven verschiedener Disziplinen zusammenzuführen, ein Versuch, komplexe inhaltliche Fragestellungen zu nutzen und zu erfahren, vor allem eben auch in ihrer Widersprüchlichkeit oder Kontextgebundenheit.

2. Andere Vorstellungen von Kulturwissenschaft

a) Versuch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, den Geisteswissenschaften eine neue Ausrichtung zu geben, indem die disziplinübergreifende Forschung intensiviert wird
b) Einrichtung von Forschungseinrichtungen wie z.B. das Kulturwissenschaftliche Institut in Essen, das 1988 vom Wissenschaftsministerium Nordrhein-Westfalen eingerichtet wurde
c) Versuche, die Kulturwissenschaft als ein disziplinübergreifendes Projekt zu profilieren, das durch Berufsfeldorientierung geprägt ist (S. 30ff.)
d) Fazit: „Die Vielzahl der Aktivitäten und Konzepte verdeutlicht, dass Kulturwissenschaft und Cultural Studies Unterschiedliches meinen und dass die Rezeption der Cultural Studies durch die deutsche Kulturwissenschaft erst beginnt“ (S. 32).

Bis dato gibt es vier größere Kontexte, in denen eine Rezeption gemacht wurde:

1. Anglistik und Amerikanistik
a) Auseinandersetzung mit Autoren aus der Frühzeit der British Cultural Studies und des CCCS
b) Englische und amerikanische Landeskunde: Versuche einer Anwendung und Umsetzung der Cultural Studies zur Medienanalyse
c) Interesse an der Postkolonialismus-Debatte (S. 33)

2. Ethnographie und Alltagskulturforschung sowie der empirischen Kulturwissenschaft / Volkskunde
a) In den Anfängen keine systematische Rezeption
b) Frühe veröffentlichte Aufsätze von Vertretern der Cultural Studies wurden vorerst gar nicht als Arbeiten dieses Projektes wahrgenommen (CCCS Birmingham). Im Vordergrund: Jugendkultur, Alltag der Arbeiter und Angestellten, jene gesellschaftlichen Schichten, die gewöhnlich nicht als kulturell produktiv gesehen werden.
c) In Deutschland (80er-Jahre) Tübinger Institut für empirische Kulturwissenschaft: Studien zur Alltagskultur
d) Seit 80er-Jahren Rezeption von Texten zur Medienanalyse und Medienrezeption, damit verbundener Blick auf die Rolle der Medien für die Jugend- bzw. Populärkultur (ebd.f.)

3. Medien- und Kommunikationswissenschaft

1. Phase:

a) Einzelanalysen amerikanischer Seifenopern
b) Ethnographische Analyse der Rezeption von Familienserien

2. Phase:

a) Projekt „Medienspezialkulturen“ 1990: Verhältnis von Medien und kulturellen Unterscheidungen
b) Medienumgang von Horrorfilm-Begeisterten 1995
c) Aneignung von Fernsehtexten durch Zuschauer 1997

3. Phase:

a) Interesse der Medien- und Kommunikationswissenschaft an neueren Theorien und Forschungen zur Medienrezeption und -wirkung
b) Cultural Studies werden erstmals als Konkurrenz gesehen.
c) Eine Abgrenzung von den Cultural Studies kommt selten vor, was etliche Arbeiten belegen, in denen Konzepte und Fragestellungen übernommen werden, am deutlichsten nachzuverfolgen in der Rezeptions- und Publikumsforschung.
d) Feministische Autorinnen: Gender-Verhältnisse, Bilder der Geschlechter in Filmen und Serien (S. 34f.)

4. Außerakademisch geführte Kulturdebatte

a) Gegensatz zwischen Vertretern des kulturkritischen Ansatzes der Kritischen Theorie und denen der Pop-Linken
b) Bezugspunkt: u.a. die Zeitschrift „Spex“, die etliche Beiträge zu den Cultural Studies seit den 90er-Jahren veröffentlichte, 1995 ein „Cultural Studies Special“ in zwei Teilen enthielt (S. 35f.).

I.IV INST(INSTITUT ZUR ERFORSCHUNG UND FÖRDERUNG ÖSTERREICHISCHER UND INTERNATIONALER LITERATURPROZESSE)

(ARLT 1999)

Dem INST geht es um die Erforschung regionaler und internationaler Literaturprozesse, besonders in Zusammenhang mit deren Wechselwirkungen. An deren Entwicklung will produktiv mitgewirkt werden. Die Arbeit begann vorerst mit einer disziplinären aber trotzdem internationalen Ausrichtung, als Basis fungierten wissenschaftsgeschichtliche Überlegungen und Analysen von Entwicklungen in der Gegenwart. Dem Institut geht es um die Frage nach dem Verhältnis von Literatur/Künste/Wissenschaft und Kultur/Gesellschaft (S. 7).

Um einen genaueren Einblick in die Arbeit des INST zu bekommen, betrachten wir uns nun eine Auswahl von in diesem Rahmen wichtigen Zentralbegriffen des Instituts, die grundlegend für seine Forschungen sind:

1. Erkenntnisinteressen

a) Nationalstaatliche Grenzen werden überschritten und Kooperationen aufgebaut. Auf der einen Seite hat man dabei mit einer postkolonialen Welt, auf der anderen mit drei Hauptzentren der Macht zu tun, zwischen denen es etliche neue Verbindungen und Verknüpfungen gibt. Die Beziehungen mit anderen Kontinenten sollen vor allem hervorgehoben werden (S. 31).
b) Es wird sich mit dem Prozess der Konstruktion der westlichen Identität sowie der Konstruktion des Anderen auseinandergesetzt, wobei Letzteres das Zeichen einer asymmetrischen Herrschaftsbeziehung ist. Es kann aufgezeigt werden, welche Funktion der Rassismus in dieser Asymmetrie hat (S. 32f.).
c) Ebenso geht es um „das Aufspüren und Historisieren von Mechanismen und Begriffen, die den europäischen Diskurs generieren und strukturieren und dort als ewige und essentielle Faktoren der Kategorisierung der Menschheit erscheinen“ (S. 33).

2. Kulturprozesse

a) Welche Elemente der Kulturprozesse weisen Kontinuität bzw. Diskontinuität auf?
b) Warum haben sich bestimmte Forschungsstrukturen auf welche Weise entwickelt? (S. 37)
c) Welche Faktoren sind es, die eine Kontinuität verlangen und welche Erneuerungen müssten durchgeführt werden? (S. 38)
d) „Die erforschten Kulturprozesse wären in diesem Sinne eine solide Basis, um für einen Großteil der Gesellschaft befriedigendere Arbeits- und Lebensverhältnisse anzubieten“ (S. 39).

3. Regionalität, Nationalität, Multi-, Inter-, Intra-, Cross- und Transkulturalität

a) Es soll um eine Differenzierung der Identitätsfindung in Europa gehen sowie b) aktuelle Probleme des Zusammenlebens (S. 40f.).
c) In Europa sollen nationalstaatliche Konzeptionen an Bedeutung verlieren und Konzeptionen zur Integration an Bedeutung gewinnen. Konzepte der EU wie „Europa 2000“ versuchen, die transnationalen Elemente in Bezug auf die kulturellen Prozesse verstärkt und systematisch zu entwickeln (S. 45).
d) Einerseits geht es um gemeinsame Strukturen, andererseits um die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten (S. 47).

4. Kulturbegriffe

a) Zahlreiche Dimensionen lassen sich hier unterscheiden, von denen relevante Exempel dargelegt werden sollen, um eine Verbindung zur vorliegenden Arbeit herzustellen:
- Wissenschaftstheoretische und epistemologische Dimension: Wie können wir Kultur und deren Prozesse verstehen?
- Anthropologische Dimension: Kultur als grundlegende Kategorie des Menschseins
- Soziologische Dimension: Gesellschaftliche Strukturen als Teil von Kultur
- Semiotisch-linguistische Dimension: Kultur als Zeichenvorrat einer Gruppe, öffentliche Repräsentationen, sprachliche Reproduktion von Kultur in Diskursen
- Historische Dimension: Kulturelles Erbe, Kulturgeschichte
- Medienwissenschaftliche Dimension: Medienkultur im Zeitalter von TV, Video und Internet (S. 50f.)

b) Allgemeine Definitionen:
- „Gesamtheit der Gewohnheiten, materiellen und geistigen Leistungen und Standardisierungen eines Kollektivs
- Gesamtheit aller öffentlicher und mentaler Repräsentationen, die in einer bestimmten Gemeinschaft von Menschen als Meinungen, Handlungsnormen, kommunikative Bedeutungen, etc. tradiert und stets aufs Neue interpretiert und somit konstituiert werden“ (S. 51).

5. Das Verbindende der Kulturen

a) Herausarbeitung von Elementen widersprüchlicher kultureller Prozesse, die grenzüberschreitend sind und den Fokus auf das Verbindende gerichtet haben. Dies sind vor allem Formen und Strukturen von Kommunikation (S. 54).
b) Welche Elemente haben sich herausgebildet, die dazu beitragen, Gemeinsamkeiten der Kulturen zu verstehen, ohne damit die vielen Prozesse zu negieren und wie sie erforscht werden sollen?
c) Verbindende kulturelle Elemente stehen im Interesse der Arbeit des INST, um auf diesem Wege eine „Culture of peace“ zu fördern (S. 55).

6. Polylog

a) Die Multiperspektivik wird betont (S. 66).
b) Eagleton sieht Kultur als Bereich, in dem Sprache, Werte, Gebräuche, Lebensstile, Identität eine Rolle spielen (S. 68).
c) Annahme: Das Fremde bleibt fremd, da die Unterschiedlichkeit regelrecht gefeiert wird im Kontext einer kapitalistischen Homogenisierung der Welt. Nicht europäischen Kulturen und Religionen wird eine kompakte Singularität zugewiesen, wodurch sie fremd bleiben und sich an die Modernität nicht mehr anschließen können (ebd.f.).

7. Transdisziplinarität

a) Traditionelle Fächergrenzen zeigen sich als ungeeignet, besonders bei der Beobachtung soziokultureller Phänomene (S. 74).
b) Transdisziplinäre Ansätze ermöglichen ein umfassendes und der Komplexität des Phänomens adäquates Herangehen, nicht Nebeneinander mehrerer Theorien und auch nicht ihre Verbindung mit einem interdisziplinären Erkenntnismodell (S. 75).

8. Strategien

a) Zentraler Begriff: „Wissensgesellschaft mit einer Struktur, in der Wissenschaft eine größere Bedeutung zukommt als in bisherigen Prozessen“ (S. 77).
b) Bisherige Strategie-Diskussionen (Stand: 1999) waren Bekundungen partikulärer Interessen. In Österreich wurde 1999 eine Forschungsstrategie-Diskussion durchgeführt, die versuchte, Entwicklungen bis dato und künftige Anforderungen theoretisch zu erfassen (ebd.).

Die Forschungsprojekte des INST bewegen sich in drei Feldern:

1. Forschungen zur INST-Struktur
2. Allgemeine Forschungen zur Forschung
3. Forschungen zu INST-Forschungsfeldern (S. 79ff.)

I.V WAS SOLL DAS GANZE?

Eine gute Frage. Wie leite ich nun zum Thema Jugendkulturen über? Das funktioniert nur, wenn ich zusammenfassend aufzeige, was in meinen Punkten auf diesen Forschungsbereich hinweist.

Unter I.I wird von sozialen Gruppen und deren Bedeutung gesprochen. Ebenso können wir nachlesen, dass sich Cultural Studies in ihren Forschungen u.a. aufsehenerregenden Jugendsubkulturen zuwenden. „Aufsehenerregend“ soll nicht assoziiert werden mit „aggressiv“, dennoch muss man sich in diesem Kontext generell mit Jugendkulturen und ihren Styles auseinandersetzen, wie ich finde. Auch ist der Punkt zu beachten, dass es um Vormachtstellungen und „cultural struggles“ geht.

Auch unter I.II wird dargelegt, dass sich mit sozialen Gruppen und deren Ausdrucksformen beschäftigt wird. Dies ist identisch mit I.I. I.II beschreibt dies im Rahmen der Entwicklung der Cultural Studies von Großbritannien aus. Hier ist nachzulesen, dass sich ein Projekt mit Jugendkultur und Popmusik beschäftigt. Unter diesem Punkt wird von Pop Culture berichtet, die sich dadurch äußert, dass sich Individuen Objekte wie Kleidung, Musik und Helden suchen, um ihre Haltung auszudrücken. Sie stellt eine Form von Protest dar. Dick Hebdiges kurz erwähnte Stilanalyse jugendlicher Subkulturen rundet diesen Punkt ab. Weiters ist nachzulesen, dass eine Forschungsmethode der Cultural Studies teilnehmende Beobachtung ist und in diesem Zusammenhang Jugendliche als Insider interviewt werden.

Unter I.III wird u.a. das Forschungsgebiet Ethnographie und Alltagskultur erwähnt, in dessen Mittelpunkt in der geschichtlichen Entwicklung neben den Arbeitern auch Jugendkultur stand. Im Interesse stand in den 80er-Jahren die Wirkung der Medien auf Jugend- bzw. Populärkultur.

Punkt I.IV ist für mich am schwersten zu begründen. Von Jugend, Jugendkultur und schon gar nicht von Jugendsubkulturen ist hier die Rede. Warum dann der seitenlange Aufwand? Was die Arbeit des INST anbelangt, können wir von der allgemeinen Darstellung überleiten auf einzelne Gruppierungen. Sobald von Kultur und deren unterschiedlichen Definitionen gesprochen wird, können wir auch Individuen und Gruppen als Bestandteil dieser Kultur und deren Prozesse sehen wie z.B. die Probleme des Zusammenlebens, des Rassismus, der in den anderen Punkten ebenso auftaucht. Die unterschiedlichen Dimensionen des Kulturbegriffs, vor allem die semiotisch-linguistische Dimension, lassen den informierten Leser (hoffentlich) assoziieren mit dem Titel der Arbeit. Man kann einwenden, dass die Darstellungen unter diesem Punkt generell für Kulturen und ihre Individuen gelten, jedoch war dies für mich kein Hindernis, zu übertragen. Natürlich lässt diese Darstellung offen, was aggressive Jugendsubkulturen speziell macht, dennoch glaube ich, dass diese Einführung notwendig war, um einen Anhaltspunkt im Bereich Cultural Studies zu geben, um auf das eigentliche Thema überzuleiten.

Die einzelnen Punkte, vor allem I.III und I.IV, gingen weit über die geforderte Darstellung hinaus. Der Vollständigkeit halber erscheint sinnvoller, eine Gesamtbeschreibung abzugeben als nur das Betreffende herauszufiltern. Es würde einzelne Bereiche der Forschungsprojekte nicht genügend darstellen und ihnen nicht gerecht werden.

II. STIL ALS ABSICHTLICHE KOMMUNIKATION

Dieses Kapitel orientiert sich in seiner Gliederung an den Ausführungen von Dick Hebdige, einem Mitarbeiter des CCCS (1991 u. 1998), wird jedoch zusätzlich durch andere Literatur untermauert.

Zu Beginn gilt es, den Stilbegriff zu klären. Nehmen wir dazu erneut das Fachlexikon zur Hand. Dort wird „Style“ definiert als Ausdrucksmittel. Stile stellen Klassifizierungen von Produkten dar wie z.B. Texte oder Artefakte wie Kleidung, Bilder, Gebäude etc. Vom Stil hängt ab, wie gehandelt wird, z.B. wie Musik vorgetragen wird, welche Sprachen verwendet werden, bis hin zu Kleidung und Haarschnitt. Er drückt erkennbaren Unterschied oder Ähnlichkeit aus. Die Art und Weise, wie gehandelt wird, erlangt Bedeutung, wenn jener Unterschied oder jene Ähnlichkeit erkannt werden. Styles werden erkennbar, wenn sie bestimmte Elemente in einer strukturierten Form kombinieren, die eine erkennbare Position innerhalb weiter reichender sozialer und kultureller Verhältnisse kundtut und beabsichtigt. Sie integrieren Sortimente von Regeln, Codes und Gewohnheiten, die organisieren und in Formen sozialer Interaktion, Kommunikation und Identität angefochten und ausgedrückt werden (FISKE u.a. 1998, S. 305f.).

Analysiert oder diskutiert man unter der Thematik „Stil“, ist nützlich, zwei Ebenen von Fragen zu stellen und miteinander in Verbindung zu setzen:

1. Welche sind die erkennbaren Elemente eines bestimmten Stils? Wie werden sie kombiniert, verschlüsselt und in Beziehung zueinander gebracht? Welche sind ihre charakteristischen Merkmale?
2. Was repräsentieren sie? Wie tun sie eine Identität kund und drücken einen Sinn des kulturellen Standortes aus? (ebd., S. 306)

Wie erwähnt, beschäftigen sich Cultural Studies u.a. mit jugendlichen Subkulturen. Hier können Styles als symbolisches Eigentum sozialer Gruppen gesehen werden, die ihre Orientierung und Stellung innerhalb weiter reichender sozialer, kultureller und stilistischer Beziehungen ausdrücken (ebd.).

Ein Stil wird nicht nur von einem Handelnden hervorgebracht, sondern auch von Interpretationen der Beobachter. Dadurch wird das Ziel von Stil und Stilisierung deutlich:

„Eine Person, die einen Stil produziert, zeigt damit an, dass sie sich in Distanz zu sich selbst und ihrer sozialen Umgebung setzt, d.h., dass sie auch sich selbst beobachtend und interpretierend gegenübertritt. - ‘Stil’ wird so zu einem Ausdrucksmittel und zu einer Darstellungsform sozialer Abgrenzung. Er veranschaulicht ‘Mitgliedschaft in...’ und ‘Abgrenzung von...’ durch bewusste Präsentation und Stilisierung eines Selbst für interpretierende andere (Beobachter)“ (SOEFFNER 1992, S. 81).

Um diese Einführung abzurunden, sei Smudits erwähnt, der drei Punkte anspricht, die in der Diskussion über Jugend-Stile zu bedenken seien:

1. Stile bestimmter Bevölkerungsgruppen gab es schon immer. Seitdem es eine gesellschaftliche Konzeption von Jugend gibt, gibt es Stile jugendlicher Subkulturen. So sind Jugend-Stile keine Erfindung der Jugendkultur seit den 1960ern, doch erst seit dieser Zeit sind sie von Interesse für Sozial- und Kulturwissenschaften.
2. Innerhalb jedes Stils gibt es einen dominanten Code wie Musik, Kleidung usw. und eine konkrete Ausprägungsform desselben. Demnach gibt es ein Schlüssel-Element, ohne das der Stil seine zentrale Bedeutung verliert.
3. Seit Mitte der 1960er-Jahre gibt es auf der einen Seite ausgeprägte Jugend-Stile, auf der anderen dominieren weitgehend musikalische Codes bei der Formierung von Jugend-Stilen (SMUDITS 1995, S. 38).

II.I STIL ALS „BRICOLAGE“

Unter „Bricolage“ wird ein Prozess der Improvisation verstanden, in dem Objekte, Zeichen, Praktiken andere Bedeutungen erhalten. Elementen der herrschenden Kultur werden neue, kritische Bedeutungen gegeben, was oftmals mittels ironischer oder surrealer Nebeneinanderstellungen geschieht. Dieses Konzept, dessen Ursprünge bei französischen Anthropologen der strukturalistischen Richtung zu suchen sind, wird häufig in der Forschung zu Subkulturen und Lebensstilen angewandt. Es lenkt seine Aufmerksamkeit auf Objekte, Rituale und Bedeutungen, die Stile bilden. Weiters geht es darum, diese Styles als Elemente innerhalb eines dynamischen historischen und Kulturprozesses zu betrachten (FISKE u.a. 1998, S. 33).

Mit diesem „Bricolage“-Konzept lässt sich für Dick Hebdige (1998) erklären, wie subkulturelle Stile aufgebaut sind. Er spricht von verborgenen Systemen, die nach außen hin verwirrend scheinen, für deren Benutzer jedoch die Dinge in einen Zusammenhang setzen. Auf diese Weise sind sie in der Lage, ihre eigene Welt zu denken. Das gemeinsame Merkmal dieser Verbindungssysteme ist, dass sie sich grenzenlos ausbauen lassen, da die grundlegenden Elemente in einer Vielzahl von improvisierten Kombinationen verwendet werden können (HEBDIGE 1998, S. 395f.).

Hebdige zitiert im Folgenden eine Definition von T. Hawkes:

„(Bricolage) bezeichnet die Art und Weise, mit der das nichtgebildete, nicht technische Denken der sogenannten ‘primitiven’ Menschen auf die Welt um sich herum reagiert. Der Vorgang umfasst eine ‘Wissenschaft des Konkreten’ (im Gegensatz zu unserer ‘zivilisierten’ Wissenschaft des ‘Abstrakten’), die mit einer ausgefeilten inneren Logik (eine Logik, die anders als unsere ist) die kleinsten Einzelheiten der physischen Welt in ihrer ganzen Fülle sorgfältig ordnet, einteilt und zu Strukturen zusammenstellt. Diese spontanen, improvisiert zustande gekommenen Antworten auf die Umwelt dienen dann dazu, Homologien (Übereinstimmung) und Analogien zwischen der Ordnung der Natur und der Ordnung der Gesellschaft aufzustellen und so die Welt befriedigend zu ‘erklären’ und bewohnbar zu machen“ (HAWKES zit. ebd., S. 396).

Beispiele für Bricolage: Umfunktionieren

- eines Motorrollers von einem Transportmittel zu einem bedrohlichen Symbol der Gruppensolidarität
- geschliffener Metallkämme zu improvisierten Waffen
- von Insignien der Geschäftswelt wie Anzug, Hemd, Krawatte, kurzes Haar in „leere Fetische“ (ebd., S. 397).

Der Bricoleur einer Subkultur stelle scheinbar unvereinbare Realitäten auf einer scheinbar unpassenden Skala gegenüber, der Zusammenschluss finde genau an dieser Stelle statt, so zitiert Hebdige Max Ernst (ebd.).

John Clarke definiert Bricolage als „Bastelei - die Neuordnung und Rekontextualisierung von Objekten, um neue Bedeutungen zu kommunizieren, und zwar innerhalb eines Gesamtsystems von Bedeutungen, das bereits vorrangig und sedimentierte, den gebrauchten Objekten anhaftende Bedeutungen enthält“ (CLARKE 1998, S. 375).

Das CCCS-Projekt „Resistance Through Rituals“ setzt sich ebenso mit Bricolage auseinander. Es wird als Versuch definiert, initiale Handlungen und Gesten, an denen sich die moralische Entrüstung aufhängt (primäre Devianz), zu erklären (MAY 1986, S. 11). Von Interesse sind jene Subkulturen, die nur in bestimmten historischen Augenblicken auftreten (ebd., S. 12). Die Entwicklung jugendkultureller Ausdrucksformen wird auf dem Hintergrund der Veränderungen interpretiert, die sich im Schulsystem und im Konsumptionsbereich vollziehen, als ein Teil eines Polarisierungsprozesses. Jugendliche Subkulturen wurden interpretiert als „in Kleidung, Aktivitäten und Lebensstil andere kulturelle Reaktion auf Probleme, die sich den Jugendlichen aufgrund ihrer materiellen und sozialen Klassenposition und -erfahrung ebenso stellen wie allen anderen Mitgliedern ihrer Klasse, die kulturell nicht so eigenständig und herausgehoben sind“ (ebd., S. 13). In diesem Projekt wird davon ausgegangen, „dass auch der Praktiker einer subkulturellen ‘bricolage’ den vorhandenen Bedeutungen der Zeichen innerhalb eines Diskurses - in diesem Falle nämlich der Mode - unterworfen ist“ (ebd., S. 17). Das Konzept der Bricolage wurde mit dem Konzept der Homologie verknüpft (ebd.), welches unter II.III nähere Beachtung finden wird.

II.II STIL ALS EMPÖRUNG: EMPÖRENDER STIL

Im Verlauf seiner Darlegung spricht Dick Hebdige von „Style in revolt“ und „Revolting style“ (HEBDIGE 1991, S. 106) - „Revolte“ wird in der deutschen Übersetzung zur „Empörung“ (HEBDIGE 1998, S. 398). Hebdige orientiert sich in seiner Darlegung an den Punks, beschreibt deren Mittel zur Konfrontation. Die scheinbar unbedeutendsten und unpassendsten Dinge wurden dazu hergenommen. Alles, was den konventionellen Vorstellungen entsprach, wurde untergraben. Beispiele seien hier erwähnt (ebd.ff.):

Kleider-Mode (ebd., S. 399):

- Billige Textilien wie Plastik und Lurex mit vulgärem Design wie z.B. grellen Farben
- Teilstücke aus Schuluniformen: Hemden wurden mit Graffiti oder falschem Blut bedeckt, Krawatten ungebunden getragen
- T-Shirts und Hosen mit unzähligen Reißverschlüssen und sichtbaren Nähten

Schönheit (ebd.):

- Männer und Frauen waren nicht gerade dezent geschminkt. Gesichter wurden zu Bildern der Entfremdung.
- Das Haar wurde gefärbt getragen, nicht nur einfärbig sondern auch mit unterschiedlichen Mustern versehen.

Hang zum Perversen und Anormalen (ebd.):

- Zur-Schau-Stellung von Sado-Maso-Zubehör

Tänze (ebd., S. 400f.):

- Pose: meist getanzt von einem gleichgeschlechtlichen Paar, ohne jeglichen Körperkontakt. Die in diesem Tanz dargestellte Beziehung war rein „professioneller“ Art. Der eine nimmt eine klischeehafte Modepose ein, der andere geht in die Hocke und schießt ein imaginäres Foto.
- Pogo: Die Tänzer bewegen sich immer auf dieselbe Art in abgehackter Weise, in Einklang mit der mechanisch klingenden Musik.
- Robot: weniger spontan aber ausdrucksvoller - kaum wahrnehmbare Hand- und Kopfzuckungen, ausladenderes Rucken und Schlingern, die spontan abrupt gestoppt und nach geraumer Zeit fortgesetzt werden.

Musik (ebd., 401f.):

- Nicht-Können wird zur Tugend.
- In voller Lautstärke wurden unmelodische Klangfolgen gespielt.
- Eine Schreistimme ist im Hintergrund hörbar.
- Songs spiegelten den Hang der Punk-Bewegung zu absichtlichen Schändungsaktionen wider.

Auftritte (ebd., S. 402f.):

- Versuch, näher auf das Publikum zuzukommen in den Bereichen Text und Lebensstil
- Ganze Massen von Punks stürmten auf die Bühne, Stühle wurden bei einem Konzert auf die Bühne geworfen.

Fanzines (ebd., S. 404f.):

- z.B. „Sniffin Glue“ (Klebstoffschnüffler), „Ripped and Torn“ (Zerfetzt und Abgerissen)
- Chaotentum: Tipp-, Grammatik-, Rechtschreibfehler, durcheinandergebrachte Seitenzahlen wurden nicht ausgebessert, Korrekturen oder Streichungen kamen mit ins Heft.
- Der laut Dick Hebdige hervorragendste Propaganda-Slogan der Punk-Subkultur lautet im
„Sniffin Glue“: „Here’s one chord, here’s two more, now form your own band“ (HEBDIGE 1991, S. 112) - „Hier hast du einen Akkord, da noch zwei, jetzt mach’ ‘ne eigene Band auf“ (HEBDIGE 1998, S. 404).
- Zwei Schriftformen:

- Aus Graffitis übernommene Sprühdosenschrift
- Die aus anonymen Erpresserbriefen bekannte Schrift, bei der unterschiedliche Buchstaben aus mehreren Quellen zusammengeklebt waren

- Selbsterniedrigung der Punk-Subkultur: Punk = Schund, Mist (ebd., S. 405)

Diese Darstellung soll exemplarisch aufzeigen, wie sich ein „revolting style“ äußert und woran er sich orientiert.

II.III STIL ALS HOMOLOGIE

Paul Willis war der erste, der den Begriff „Homologie“ auf Subkulturen übertrug, im Rahmen seines Buches „Profane Culture“, in dessen Rahmen er Rocker und Hippies untersuchte. Diesen Begriff benutzte er, um die symbolische Stimmigkeit zwischen den Werten einer Gruppe und deren Lebensstil zu beschreiben, ebenso jene zwischen den subjektiven Erfahrungen und den Musikformen, mit denen diese Gruppen ihre Hauptanliegen ausdrücken oder verstärken. Im „gewöhnlichen“ Volk kursiert die Vorannahme, Subkulturen hätten keine Regeln und Gesetze. Doch Willis ist der Ansicht, dass die innere Struktur jeder Subkultur extreme Ordentlichkeit aufzuweisen hat. Jeder Teil stünde in organischer Beziehung zum anderen. Die Mitglieder einer spezifischen Subkultur würden durch diese Stimmigkeit zwischen den einzelnen Teilen die Welt als sinnvoll erleben (HEBDIGE 1998, S. 405f.).

In „Resistance Through Rituals“ kreuzten Stuart Hall und seine Mitarbeiter das Konzept der Homologie mit dem Konzept der Bricolage, um eine Antwort auf die Frage zu finden, warum ein bestimmter subkultureller Stil eine bestimmte Gruppe von Menschen anzieht. Das Ergebnis:

„The answer was that the appropriated objects reassembled in the distinctive subcultural ensembles were ‘made to reflect, express and resonate... aspects of group life’. The objects chosen were, either intrinsically or in their adapted forms, homologous with the focal concerns, activities, group structure and collective self-image of the subculture. They were ‘objects in which (the subcultural members) could see their central values held and reflected’“ (HEBDIGE 1991, S. 114).

Als Beispiel dazu erwähnt Dick Hebdige die Skinheads, deren Kleidungsstil und geschorenes Haar für sie bedeutungsvoll wird, weil sie die gewünschten Qualitäten ausdrücken, nämlich Härte, Männlichkeit und Arbeiterklasse. Auf diese Weise, so erwähnt Hebdige Stuart Hall, werden symbolische Objekte wie Kleidung, Auftreten, Sprache, rituelle Handlungen, Interaktionsformen und Musik geschaffen, um eine Einheit zu bilden mit den Verhältnissen, der Situation und Erfahrung der Gruppe (ebd.).

Die beste Bestätigung dieser Annahme liefern für Hebdige die Punks:

„Homologe Beziehungen gab es sowohl zwischen den billigen Cut-up-Klamotten und den Stachel-Haaren wie zwischen Pogo und Speed-Tabletten, Rotzen, Kotzen, Aufmachung der Fanzines, den Revoluzzerposen und der seelenlosen, fieberhaft peitschenden Musik. Der zerfetzte Aufzug der Punks war das Kleidungsäquivalent zu ihren Schimpfwörtern: Sie fluchten mit kalkuliertem Effekt Obszönitäten auf Plattenaufdrucken und in Publicity-Sprüchen, in Interviews und in Love-Songs. Gekleidet in Chaos, produzierten sie in der still orchestrierten Krise des Alltagslebens in den späten siebziger Jahren ungebührlichen Lärm - einen Lärm, der auf genau dieselbe Weise und in genau demselben Ausmaß wie ein Stück Avantgarde-Musik (keinen) Sinn ergab“ (HEBDIGE 1998, S. 407).

In diesem Zusammenhang betont Clarke, dass der Stil, der schließlich entsteht, mehr als bloß ein einfaches „Amalgam aller einzelnen Elemente“ sei, da er seine besondere Qualität dadurch erhält, dass er alle Elemente in einem Ensemble arrangiert, das die Gruppenorientierung widerspiegelt (MAY 1986, S. 17).

II.IV STIL ALS BEDEUTENDE PRAXIS

Um unter dieser Thematik adäquat forschen und analysieren zu können, entwickelte sich in der Semiotik ein neuer Zweig, das Polysemie-Konzept. Nach diesem bringe ein Text eine unbegrenzte Spannweite von Bedeutungen hervor. Hierbei wird die Aufmerksamkeit auf einen Punkt des vorgegebenen Textes gelegt, wo das Prinzip von Bedeutung am zweifelhaftesten scheint. Diese Herangehensweise legt nicht so sehr Wert auf die Vorrangstellung von Struktur und System der Sprache, sondern wichtiger wird die „Stellung des sprechenden Subjekts in der Rede“. Hauptsächlich setzt sie sich mit dem Prozess der Bedeutungsschaffung auseinander, weniger mit dem Endprodukt (HEBDIGE 1998, S. 410f.).

„Dieser Ansatz sieht Sprache als eine aktive, transitive (gerichtete) Kraft, die das Subjekt (Leser, Sprecher, Schreiber) formt und ihm seine Stellung zuweist, während sie selbst immer ‘in Bewegung’ und zu unbegrenzter Anpassung fähig bleibt“. Diese Betonung der bedeutenden Praxis wird von den neuen Semiotikern unterstützt. Dahinter steckt deren Auffassung, dass „Kunst der Triumph von Prozess über Fixiertheit, von Unterbrechung über Einheit, von Kollision über Verbindung, also der Triumph des Bedeutenden über das Bedeutet (des Signifikanten über das Signifikat) ist“ (ebd., S. 411).

[...]

Ende der Leseprobe aus 118 Seiten

Details

Titel
"Macht kaputt, was euch kaputt macht!". Aggressive Ausdrucksweisen in jugendlichen Subkulturen
Hochschule
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt  (Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung)
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
118
Katalognummer
V463112
ISBN (eBook)
9783668925809
ISBN (Buch)
9783668925816
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aggression, Gewalt, Jugend, Jugendkulturen, Jugendsubkulturen, Konflikte, Konfliktforschung, Stil, Stilanalyse, Cultural Studies, Kulturforschung, Punk, Skinheads, Skins, Rassismus, Rocker, Hip Hop, Rap, Hooligans, Rechtsextremismus, Kulturpsychologie, Sozialarbeit, Streetworking, Rechtsrock, Kulturpädagogik
Arbeit zitieren
Mag.a phil. Nadja Wieczorek (Autor:in), 2001, "Macht kaputt, was euch kaputt macht!". Aggressive Ausdrucksweisen in jugendlichen Subkulturen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/463112

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