Die soziale Selektivität des Hochschulzugangs ist von zentralem Interesse der Hochschul- und Ungleichheitsforschung. Obwohl die Entscheidung für oder gegen ein Hochschulstudium durch eine bereits vorselektierte, weitgehend leistungshomogene Gruppe getroffen wird, perpetuieren sich Unterschiede hinsichtlich sozialer Herkunft beim Übergang der Sekundarstufe II in den tertiären Bildungsbereich. Die Gründe hierfür liegen in einem nicht unerheblichen Maße an den institutionellen Rahmenbedingungen des Hochschulzugangs. Das vorliegende Essay möchte dazu die theoretischen Erklärungsansätze Schindlers (2014) und eine empirische Studie Neugebauers (2015) betrachten. Ziel ist es dabei, die Erkenntnisse beider Untersuchungen zu vergleichen und in Zusammenhang zueinander zu bringen.
Einleitung
Die soziale Selektivität des Hochschulzugangs ist von zentralem Interesse der Hoch- schul- und Ungleichheitsforschung. Obwohl die Entscheidung für oder gegen ein Hochschulstudium durch eine bereits vorselektierte, weitgehend leistungshomogene Gruppe getroffen wird, perpetuieren sich Unterschiede hinsichtlich sozialer Herkunft beim Übergang der Sekundarstufe II in den tertiären Bildungsbereich. Die Gründe hier- für liegen in einem nicht unerheblichen Maße an den institutionellen Rahmenbedin- gungen des Hochschulzugangs. Das vorliegende Essay möchte dazu die theoreti- schen Erklärungsansätze Schindlers (2014) und eine empirische Studie Neugebauers (2015) betrachten. Ziel ist es dabei, die Erkenntnisse beider Untersuchungen zu ver- gleichen und in Zusammenhang zueinander zu bringen.
Institutionelle Rahmenbedingungen sozialer Bildungsungleichheit beim Hoch- schulzugang
Beide Artikel befassen sich mit der Frage, ob und inwiefern institutionelle Rahmenbe- dingungen den schichtspezifischen Hochschulzugang verändert haben. Schindlers theoretische Ausführungen gehen dabei explizit der Frage nach, ob durch die instituti- onelle Differenzierung allgemeinbildender und berufsbildender Institutionen und der damit einhergehenden Pluralisierung der Wege zur Studienberechtigung im Zuge der Bildungsexpansion schichtspezifische Bildungsentscheidungen der Hochschulbildung aufgehoben oder verstärkt werden (Schindler, 2014, S. 51). Seine Erklärungsansätze stützen sich dabei auf handlungstheoretische Entscheidungstheorien der rationalen Wahl. Basierend auf diesen, zieht er die sog. Ablenkungsthese und die Inklusionsthese heran. Unter Ersterer versteht man den Umstand, dass in Deutschland und Ländern mit ähnlich ausgeprägten Berufsbildungssystemen ein geringer Anreiz für Schulabgän- ger bildungsferner Schichten besteht, ein Hochschulstudium zu absolvieren. Die Gründe dafür werden in der spezifischen Attraktivität berufsbildender Programme ge- sehen, welche vergleichsweise profitable Arbeitsmarkterträge bei niedrigen individuel- len Kosten erbringen. Hingegen betrachtet Schindler Prozesse als inklusiv, wenn diese dazu führen, dass vermehrt solche Schüler eine Studienberechtigung erlangen, die andernfalls kein Abitur erworben hätten und mindestens ein Teil dieser Schüler durch den Erwerb des Hochschulzugangszertifikat dazu veranlasst wird, ein Studium aufzu- nehmen, obwohl es zu Beginn der Bildungskarriere nicht geplant war (Schindler, 2014, S. 45f.).
Schindler nimmt an, dass diejenigen Schulformen, die dazu instrumentalisiert werden eine Studienberechtigung als Zugangszertifikat für den Berufsbildungssektor zu erwer- ben, tendenziell geringere Studierquoten aufweisen. Diese sind ihm zufolge eher im berufsbildenden Bereich zu finden oder führen zur Fachhochschulreife. Allerdings muss hier auch zwischen den Schulformen des zweiten Bildungsweges differenziert werden. Da der Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung hier sequenziell der Be- rufsausbildung nachgelagert ist, kann hier von einer geringeren Ablenkungswirkung ausgegangen werden. Weiterhin geht er davon aus, dass Schüler in den berufsbilden- den Institutionen aufgrund berufspraktischer Lerninhalte von einem akademischen Hochschulstudium abgelenkt werden (Schindler, 2014, S. 55f.).
Auch Neugebauers empirische Studie zur Hochschulpartizipation hochschulferner Schichten hat eine Bildungsreform zum Anlass. In seiner Untersuchung geht er explizit der Frage nach, ob die Umstellung von Diplomstudiengängen auf Bachelorstudien- gänge herkunftsabhängige Zugangsmuster durchbrechen kann. Neben der Studien- zeitverkürzung, welche dazu dienen soll, bereits nach ca. drei Jahren einen ersten berufsqualifizierenden akademischen Abschluss zu erwerben, enthält die Bologna Re- form auch eine „soziale Dimension“. Im Rahmen derer, sollen insbesondere Schüler aus ressourcenschwachen Schichten in den tertiären Bildungsbereich integriert wer- den. Der zugrundliegende Gedanke basiert auf der Annahme der Humankapitaltheo- rie, wonach eine verkürzte Ausbildungsdauer und damit reduzierte Opportunitätskos- ten dazu führen sollen, dass mehr Schulabgänger aus bildungsfernen Gruppen ein Hochschulstudium aufnehmen (Neugebauer, 2015, S. 592f.). Um diese Überlegung zu prüfen, zieht Neugebauer mehrere Querschnittstudien aus Daten des Konstanzer Stu- dierendensurveys aus den Jahren 1996-2009 heran und erstellt ein Pseudo-Panel. Dabei werden Kohorten auf Basis des Zeitpunktes des Studienbeginns erstellt und im Zeitverlauf miteinander verglichen. Es zeigt sich, dass die Verkürzung der Studien- dauer keinen positiven Effekt auf die Hochschulpartizipation sozioökonomisch benach- teiligter Akteure hat. Dies betrifft sowohl Universitäten, als auch Fachhochschulen, welche weniger sozial selektiv sind als traditionelle Universitäten. Auch lassen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen verschiedenen Studiengängen feststellen (Neugebauer, 2015, S. 597ff.). An dieser Stelle ist jedoch anzumerken, dass die Er- gebnisse nur unter Vorbehalt gültig sind, da die Stichproben der einzelnen Studien- gangskohorten teilweise sehr klein sind und die Analyse lediglich einen temporären Zustand widerspiegelt. Die Reform ist immer noch relativ neu und es ist durchaus vor- stellbar, dass sich die Bestrebungen im Zeitverlauf ändern. Angesichts Schindlers for- mulierter Ablenkungsthese ist dies jedoch fraglich. Hinzu kommt die Risikoaversion dieser Gruppe, da der Großteil der Arbeitgeber nicht gewillt ist Bachelorabsolventen anzustellen.
Beide Texte stützen sich auf handlungstheoretische Entscheidungstheorien der ratio- nalen Wahl. Schindler geht davon aus, dass die Ablenkungsthese auch in anderen Ländern mit ähnlich lukrativen Berufsbildungssystemen Gültigkeit besitzt. Er nennt al- lerdings keine Beispiele und es bleibt unklar, ob die Hypothese angenommen werden kann. Hier besteht ein weiterer Ansatz für künftige Forschung, denn dies wäre auch im Zusammenhang mit den Befunden Neugebauers interessant, da sich beide Analysen gegenseitig ergänzen. Demnach wird die von Schindler beschriebene Ablenkungs- these als Erklärung Neugebauers für die stagnierte Hochschulbeteiligung sozioökono- misch schwächerer Schichten herangezogen (Neugebauer, 2015, S. 595). Zudem spricht die Tatsache, dass Neugebauers Untersuchung in Widerspruch zu Studien in anderen Ländern steht dafür, eine umfassende, vergleichende internationale Studie von Herkunftseffekten vor und nach der Bologna- Reform durchzuführen, um so nati- onale Besonderheiten aufzudecken.
Fazit
Die zwei Texte ergänzen sich in gewisser Weise und tragen beide dazu bei soziale Disparitäten beim Hochschulzugang zu erklären. Es lässt sich festhalten, dass die ver- gangenen bildungspolitischen Reformen zwar die Intention verfolgen, Bildungsun- gleichheiten des Hochschulzugangs abzubauen, es aber in der Praxis nicht gelingt, mehr Schüler aus bildungsfernem Elternhaus in den tertiären Bildungsbereich zu in- tegrieren. Die oftmals proklamierte Behauptung, die Bildungsexpansion habe Bil- dungsungleichheiten nur auf ein höheres Niveau verlagert, kann als zutreffend be- trachtet werden.
Um mehr Chancengleichheit zu erreichen, kann der Ansatzpunkt allerdings nicht direkt am Hochschulzugang liegen, da es sich hierbei um einen relativ späten Übergang han- delt. Vielmehr müssen die zentralen Übergänge und Verläufe im schulischen Bildungs- system berücksichtigt werden. Um ein umfassenderes Bild der institutionell veranker- ten Bildungsungleichheiten in Deutschland zu erhalten, bietet sich der Sammelband von Becker und Lauterbach (2015) an. Dieser enthält neben vielschichtigen Analysen der institutionellen Rahmenbedingungen auch Überlegungen und Ansätze zur Besei- tigung von Bildungsungleichheiten in sekundären und tertiären Bereichen des deut- schen Bildungssystems.
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- Quote paper
- Anna Fuß (Author), 2016, Herkunftseffekte beim Hochschulübergang, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/463200
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