Heinrich Mann, "Der Untertan". Satirische Macht und mächtige Satire

Betrachtungen des Verhältnisses Diederich Heßlings zu Guste Daimchen


Seminararbeit, 2003

33 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Was darf Satire? Alles

2. Formen der Satire nach Petra Süßenbach
2.1 Parallelität im Handlungsverlauf
2.2 Das Einzelwort
2.3 Die Wortgruppe
2.4 Satz und Abschnitt
2.5 Rhetorische Figuren

3. Guste Daimchen und Diederich Heßling im Blickpunkt der Satire
3.1 Der Aspekt der Macht und seine satirische Umsetzung
3.2 Materialismus und Sexualität – zwei Komponenten der Macht
3.3 Macht und Familie

4. Satirische Macht und mächtige Satire

5. Anhang

6. Literaturverzeichnis

1. Was darf Satire? Alles

Kurt Tucholsky

In der vorliegenden Arbeit ist das zentrale Thema die Satire anhand der Beziehung zwischen Guste Daimchen und Diederich Heßling in Heinrich Manns Roman „Der Untertan“[1].

Im Rahmen dieser Arbeit kann keine Diskussion um die Definition von Satire geleistet werden. Satire wird nach Wilpert[2] als eine Spott- und Strafdichtung verstanden, bei der im Falle des „Untertan“ nach Emmerich keine explizite Gegenkonzeption aufgestellt wird, sondern das Ideal vom Leser aus der Negation, ex negativo, selbst erstellt werden muß[3]. Der Satire geht es demnach um den Vergleich von Wirklichkeit und Ideal. Der Autor möchte mit seiner Satire Sachverhalte, die seiner Meinung nach verbesserungswürdig sind, in ihrer Schwäche aufzeigen und tut dies durch Übertreibung, Verzerrung und andere Stilmittel.

Womit wirkt nun Satire? Diese Frage soll auf der Grundlage der Dissertation Formen der Satire in Heinrich Manns Roman „Der Untertan“. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln (Köln 1972) von Petra Süßenbach erhellt werden. Einige ausgewählte Aspekte ihrer Arbeit werden auf das Verhältnis des Untertanen Diederich Heßling zu Guste Daimchen angewandt und stellen somit die satirische Wirkung einzelner von Heinrich Mann angewandter Verfahren heraus. Dabei lassen sich vier Säulen, an denen satirische Kritik geübt wird, festmachen. Zum einen ist dies das Thema der Macht, welches auf die anderen Hauptpunkte der Kritik – Sexualität, Materialismus und Familie – ausstrahlt.

Es sei im besonderen darauf hingewiesen, daß es sich bei Süßenbachs Arbeit um eine mikrostrukturelle Herangehensweise handelt. Ein maßgeblich makrostruktureller Zugang wird nicht erstrebt und würde in Verbindung mit Süßenbach den Rahmen der Arbeit sprengen.

2. Formen der Satire nach Petra Süßenbach

Dieses Kapitel soll die theoretische Grundlage für vorliegende Arbeit bilden. Dabei werden in der von Süßenbach vorgegebenen Reihenfolge die Formen der Satire, die hier Anwendung finden, in ihrem Sinne erläutert.

2.1 Parallelität im Handlungsverlauf

Bestimmte Schlüsselszenen finden sich als Mittel der Satire in Parallelität oder Kontrast – je nach Intention des Autors – wieder[5]. Aus der Parallelität ersieht man den „konstruktiven Charakter des Romans“[6] ; sie dient oft zur Entlarvung doppelbödiger Moral und als Spiegel der Machtverhältnisse. Durch vordergründige Parallelität lassen sich z. B. Kontraste aufzeigen, indem Figuren oder Handlungen gegebenen Ansprüchen nicht entsprechen.[4]

2.2 Das Einzelwort

Süßenbach betont, daß die satirische Romangestaltung sehr komplex und eine abschließende Aussage über die künstlerische Qualität des Romans an den „Elementarformen der Satire“ auszumachen sei[7]. Zu einer wesentlichen dieser Elementarformen gehört das Einzelwort. Innerhalb der Einzelwortanalyse nimmt hier das Adjektiv eine herausragende Stellung ein. Es ist ein in alle anderen Formen eindringendes und sich mit ihnen mischendes Mittel der Satire und dient nicht nur der Kennzeichnung von Personen, sondern auch als Träger von Stimmungen.

Eine weitere satirische Form im Bereich des Einzelwortes ist das Wortspiel. Es lebt von der „Wiederaufnahme und Abwandlung eines Wortes“[8] und erreicht hierbei unterschiedliche Schärfegrade.

Die letzte hier verwendete Form des Einzelwortes ist die Zweideutigkeit. Nach Süßenbach „[ist] Eindeutigkeit [...] die Grundvoraussetzung sprachlicher Verständigung“ und aufgrund des erhöhten Verständnisproblems bei Zweideutigkeiten werden diese „in der Sprache als Ausdruck des Zerfalls geistiger Ordnungen gedeutet“[9].

2.3 Die Wortgruppe

Nach Süßenbach führt bei der Wortgruppe „die Art der Verbindung einzelner Wörter zu satirischer Entlarvung“[10]. Zu den Wortgruppen gehören die Alliteration, die Wortreihung und die Wortkoppelung.

Die Alliteration entfalte ihre satirische Wirkung demnach, indem sie „vom Gegenstand der Rede“[11] ablenke.

Die Wortreihung wirkt vor allem dann demaskierend, „wenn kategorial unterschiedliche Begriffe miteinander in eine Reihe gestellt werden; die Zuordnung von Bereichen, die normalerweise getrennt werden, verweist auf die Abweichung des Denkens von den üblichen Maßstäben.“[12]

Bei der Wortkoppelung werden „Einzelwörter [einander zugeordnet] mit Hilfe der Konjunktion ,und‘“[13]. Auch hier können wieder die unterschiedlichsten Bereiche durch syntaktische Verbindungen gekoppelt werden[14].

2.4 Satz und Abschnitt

Die Satire in Satz und Abschnitt ergänzt die bisher aufgezeigten satirischen Verfahrensweisen um „spezifische Formen, die erst von den komplizierteren Sprachgebilden aus verständlich werden.“[15]

Die satirische Entsprechung dominiert in den meisten Textpassagen und tritt des öfteren in Verbindung mit anderen Formen der Satire auf. Die satirische Wirkung wird durch das in der Parallelität liegende Widersprüchliche erreicht. Zu den satirischen Entsprechungen zählen auch die vielfach im Roman vorkommenden Vergleiche der Figuren mit Tieren.

Weitere häufig angewendete Formen der Satire in der Beschreibung des Verhältnisses zwischen Guste und Diederich sind die satirische Diskrepanz und die satirische Aufhebung. Erstere zeigt „die Kluften zwischen dem subjektiven Anspruch der Figur und den objektiven Gegebenheiten“[16] auf, während letztere entsteht, „wo Anspruch und Tatsachen in gar keiner Beziehung zueinander mehr stehen.“[17]

2.5 Rhetorische Figuren

Zu den rhetorischen Figuren, die in dieser Arbeit untersucht werden sollen, gehören der Vergleich, die Metapher, das satirische Wortbild und der satirische Bildbruch. Es handelt sich hierbei nicht um ausschließlich satirische Mittel, sondern um Figuren, die durch ihre Verwendung satirisch wirken[18].

Ein satirisches Wortbild ist der Metapher sehr nahe; auch hier werden Bilder stellvertretend für die Wirklichkeit verwendet. Diese Bilder erscheinen jedoch als „schief und verzerrt“, wodurch sie zu den besten Vertretern der Wirklichkeit werden[19].

Nach Süßenbach ist der Bildbruch ein rhetorischer Verstoß, den der Erzähler absichtlich herbeiführt[20]. Häufigen Einsatz erreicht der Bildbruch, um satirische Wirkung hervorzurufen.

3. Guste Daimchen und Diederich Heßling im Blickpunkt der Satire

Die Beziehung Guste Daimchens und Diederich Heßlings soll anhand vier ausgewählter und miteinander korrespondierender Blickpunkte untersucht werden: Macht, Sexualität, Materialismus und Familie. Wie Satire den Einfluß der Macht auf Guste und Diederich bloßstellt, soll im Kapitel 3.1 dargestellt werden.

Kapitel 3.2 wendet sich der Frage zu, inwiefern Materialismus und Sexualität verknüpft sind und welche Auswirkungen sie auf die Ausübung von Macht haben.

Kapitel 3.3 wird verstärkt auf das Familienbild des Untertanen Diederich Heßling eingehen. Hier lassen sich Machtvorstellungen im Kleinen aufzeigen, die auch auf gesellschaftlicher Ebene wirken.

3.1 Der Aspekt der Macht und seine satirische Umsetzung

Wie Süßenbach bemerkt, behandeln Metaphern oft das Thema der Macht[21]. Da Macht gerade im Verhältnis Diederichs und Gustes das zentrale, bindende Moment ist, lassen sich entsprechend viele Metaphern finden. In diesem Zusammenhang fällt die häufige Verwendung des Bezugswortes „Knie“ auf, auch in Diederichs und Gustes Beziehung[22].

Eine weiterer Bereich für Metaphern, die die Beziehung der beiden kennzeichnen, ist die Aggressivität, insbesondere Bilder des Krieges. Aggressionen dienen zur Erhaltung und Erlangung der Macht. Sie finden sich schon in der Szene der ersten Begegnung:

[...], aber Diederich hielt ihnen sein Billett zweiter Klasse hin und verteidigte sein Recht. Er gab dem Beamten sogar zu verstehen, er möge sich nur nicht die Zunge verbrennen, man könne nie wissen, mit wem man es zu tun habe. Als er dann den Sieg erstritten hatte und die Damen abgezogen waren, kam statt ihrer eine andere. Diederich sah ihr entschlossen entgegen, aber sie zog einfach aus ihrem Beutel eine Wurst und aß sie aus der Hand, wobei sie ihm zulächelte. Da rüstete er ab, erwiderte, breit glänzend, ihre Sympathie und sprach sie an. [...] Und er griff ihr um die Taille. Im selben Augenblick hatte er eine Ohrfeige. (U 84 – 85; Unterstreichungen E.L.)

Guste ist von Diederichs kriegerischer Laune keineswegs abgeschreckt. Aggression oder aggressive Machtausübung scheinen sogar einen wesentlichen Attraktivitätsfaktor auszumachen. Dies zeigt auch Diederichs Gedanke nach Gustes Ohrfeige: „,So eine könnte man getrost heiraten.̒“ (U 85).

Satire entsteht dabei aufgrund der Verbindung zweier extremer Bereiche: Aggression / Macht und Liebe. Es geht darum, den anderen zu beherrschen und zu bezwingen, nicht ihn zu lieben. Diederichs Denkweise wird als extrem machtfokussiert entlarvt.[23]

Macht und Aggression lassen sich nicht nur an Metaphern ablesen. Parallelen und Spiegelungen tragen entscheidend zur Bloßstellung der Beziehung Gustes und Diederichs bei. Von der ersten Begegnung im Zug nach Netzig (U 84 – 86) bis zur Verlobung im Hause der Daimchens (U 287 – 290) läßt sich so eine Graphik erstellen (siehe Anhang), in der die Stärke respektive Schwäche Heßlings und Daimchens eingetragen werden kann[24]. Hierbei stellt die Spiegelbildlichkeit den Wettstreit beider bloß.

Parallelität zeigt sich z. B. auch zwischen dem zur Verlobung führenden Kniefall Gustes und Elsas Kniefall in der Lohengrin-Aufführung (U 293).[25] Sie wird im Roman ausdrücklich betont:

Dies schien noch nicht zu genügen, er verlangte offenbar etwas ganz Besonderes: und so fiel Guste plumps auf die Knie. Da nahte Diederich ihr gnädig. „So soll es sein!“, sagte er und blitzte. (U 289; Unterstreichungen E.L.)

Elsa wußte wohl, warum sie plumps vor ihm auf die Knie fiel. Diederich seinerseits blitzte Guste an, ihr verging das Lachen. Auch sie hatte erfahren, wie es war, wenn alle einen verklatschten, und den ersten war man los und konnte sich nirgends mehr sehen lassen und hätte überhaupt wegziehen müssen: und da kam der Held und Retter und machte sich aus der ganzen Geschichte nichts und nahm einen doch! „So soll es sein!“ sagte Diederich und nickte auf die kniefällige Elsa hinab [...](U 293; Unterstreichungen E.L.)

Der eindeutige Bezug entsteht nicht nur durch die wortwörtliche Wiederholung „plumps“ und „,So soll es sein!̒“, sondern auch durch die perspektivische Anordnung[26]. Diederich sieht zum Zeichen seiner Überlegenheit in beiden Situationen von oben herunter. Die Macht Lohengrins ist gleich der Macht Diederichs; er wird zu Gustes Helden. Sie erkennt dies und unterwirft sich ihm erneut: „[...] indes Guste, die Lider gesenkt, in reuevoller Unterwerfung gegen seine Schulter fiel“ (U 293). Die satirische Wirkung beruht auf der Parallelität der Worte und Situationen, als auch auf der Unangebrachtheit des Vergleiches Heßlings mit Lohengrin.

Neben den Metaphern und der satirischen Parallelität wirken Adjektive entlarvend auf die Machtstrukturen in der Beziehung Gustes und Diederichs. Sie sind auch in besonderem Maße Stimmungsträger und schaffen damit eine von Angespanntheit dominierte Situation.

Dies kann am Beispiel von Diederichs erstem Besuch bei Daimchens gezeigt werden[27]. Seine Selbstsicherheit, die sich in vielen Adjektiven zeigt („elastisch“ (U 144), „höhnisch“, „weltmännisch überlegen“, „großzügige[r] Unternehmungsgeist“, „stramm nationale Gesinnung“, und „kühne[...] Schnurrbartspitzen“ (U 145; Unterstreichungen E.L.)), verliert sich während des Gespräches mit Guste, die ebenfalls kriegerisch erscheint: „Guste nahm sofort eine feindliche Haltung ein.“ (U 145). Gustes Auftreten („feindliche Haltung“, „spitz“, „drohender Blick“ und „schroff“ (U 145; Unterstreichungen E.L.)) schüchtert Diederich ein. Die Stimmung wird nun als „gespannt“ (U 146) beschrieben. Diederich betreffende Adjektive drücken schließlich seine Niederlage aus: „stark errötet“, „beklommen“ und „mit angstklopfendem Herzen“ (U 146; Unterstreichung E.L.). Gegenseitige Attacken wie diese bestimmen das voreheliche Verhältnis Gustes und Diederichs zueinander.

Diederichs Weltbild ist durchdrungen von der Vorstellung, Unterwerfung und Kontrolle bestimmt das Leben. So sucht er die Nähe zur Macht um sich einerseits unterordnen, andererseits aber selbst beherrschen zu können. Die einzige Macht, die Diederich anerkennt, liegt beim Kaiser. So verleiht er seiner Person gern Bedeutung, indem er sich und seine Handlungen mit ihm in Verbindung bringt. Satirische Bloßstellung erfolgt oft aufgrund der Nichtigkeiten, mit denen der Kaiser dabei in Zusammenhang gebracht wird und den dazugehörigen pompösen Adjektiven. Zum einen macht dies den Kaiser in seiner Machtfülle kleiner, zum anderen gibt Diederich sich durch die Übertreibung der wirklichen Tatsachen der Lächerlichkeit preis.

Während des Fabrikrundgangs versucht Diederich Guste mit seinem „gefahrvollen Posten“ (U 208) zu beeindrucken, den er als Fabrikbesitzer im Kampf gegen die Sozialdemokratie eingegangen sei.

„[...] Furchtlos und treu, ist mein Wahlspruch. Sehen Sie, ich verteidige hier unsere heiligsten nationalen Güter geradeso gut wie unser Kaiser. [...]“ (U 209; Unterstreichungen E.L.)

Die klischeehaften Adjektive erheben Diederich in eine Position, in der er de facto nicht steht. Je pompöser die Adjektive um so kleiner erscheint Diederich und das, wofür er streitet.[28]

Oftmals werden Diederichs Versuche, sein Streben nach Macht mittels edler Motive zu idealisieren, durch die damit in Verbindung stehenden Situationen konterkariert. Als Beispiel soll hier die satirische Aufhebung stehen, die nach Diederichs erhabener Begründung, Guste trotz aller Makel zu heiraten, entsteht. Nachdem Guste auf die Knie gesunken ist, geht Diederich auf sie zu:

„[...] So soll es sein“, sagte er und blitzte. Hier trat Frau Daimchen ein. „Nanu“, bemerkte sie, „was ist denn hier los?“ Und Guste, mit Geistesgegenwart: „Ach Gott, Mutter, wir suchen meinen Ring“ – worauf auch Frau Daimchen sich am Boden niederließ. (U 289)

Das Feierliche der Szene wird durch das abrupte Auftauchen Frau Daimchens zunächst unterbrochen. Das anschließende gemeinsame Umherkriechen auf der Suche nach einem Ring, der überhaupt nicht gefallen ist, läßt die Situation ins Komische abgleiten. Diederichs Motive sind nicht erhaben, sondern niedrig. Allein die Gier nacht Macht und Geld treiben ihn in die Ehe mit Guste. Dazu hat er Guste mit kalter Berechnung in ihre prekäre Lage getrieben, nun kann er verlangen, was er will. Auf seinem Weg nach oben schreckt Diederich nicht davor zurück, anderen nachhaltig zu schaden.

3.2 Materialismus und Sexualität – zwei Komponenten der Macht

Materialismus und Sexualität sind die alles dominierenden Bestandteile des Zusammenlebens Diederichs und Gustes. Sie dienen zur Erlangung der Kontrolle über andere und auch zur Unterwerfung unter die Macht anderer.[29] Sexualität tritt in den Dienst der Macht und wird nicht mehr als Intimität zwischen Liebenden gesehen. So ist Liebe auch im Verhältnis zu Guste irrelevant, Diederichs Unfähigkeit zu wahren Gefühlen wird immer wieder entlarvt. Guste wird zu einem Objekt. Sie liefert Geld und sexuelle Befriedigung, beides wichtige Momente in der Machtausübung gegen sich und andere. Dies zeigt sich auch in der erpresserischen Art und Weise, wie Diederich den Ehevertrag aushandelt. Sobald eine von ihm gestellte Bedingung nicht erfüllt wird, hat „er den Türgriff schon in der Hand“ (U 290), wohl wissend, daß Gustes Wille zur Machtbeteiligung sie ihm um jeden Preis ausliefern wird.[30]

Eine Verbindung von Materialismus (ein Grund zur Versöhnung ist die Tatsache, daß das Zimmer billig ist) und Sexualität findet sich auf der Hochzeitsreise. Im Hotel in Zürich kommt das Ehepaar verstimmt im Zimmer an. Nicht gegenseitiges Verständnis oder Liebe bringt sie wieder zueinander, sondern die äußere Stimulans in Form einer Odaliske:

Mit Zürich und auch mit dem Hotel versöhnten sie sich am Abend. Denn erstens war das Zimmer billig; und dann hing gerade gegenüber den Betten des Ehepaares eine fast lebensgroße Odaliske, der bräunliche Leib hinschwellend auf üppigem Polster, mit den Händen unter dem Kopf, feuchtes Schmachten im schwarzen Spalt der Augen. In der Mitte war sie von dem Rahmen zerschnitten, was dem Ehepaar Anlaß zu Scherzen gab. Am nächsten Tage gingen sie umher mit Blei in den Lidern, verschlangen riesige Mahlzeiten und fragten sich nur, was erst geschehen wäre, wenn die Odaliske nicht in der Mitte zerschnitten, sondern ganz gewesen wäre. (U 305; Unterstreichungen E.L.)

Besonders satirisch wirken hier die Adjektive, die oft in ihrer Üppigkeit eine zweideutige, lüsterne Wirkung hervorrufen. Sexualität ohne Liebe erweist sich als leer und ausgehöhlt; sie funktioniert nicht von sich aus und für sich allein. So wie ein äußerer Antrieb nötig ist, wird nur die äußere Hülle, der Körper, befriedigt. Da nicht innere Zustände die Sexualität auslösen, ist auch geistige Zufriedenheit nicht erfüllbar.

[...]


[1] Heinrich Mann: Der Untertan. 24. Aufl. Leipzig 1983. [Reclams Universal-Bibliothek, 72]. Im folgenden Verlauf der Arbeit werden Zitate aus dem Roman immer nur mit U und der entsprechenden Seitenzahl wiedergegeben.

[2] Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. 8., verb. und erw. Aufl.Stuttgart2001. S. 717-720.

[3] Wolfgang Emmerich: Heinrich Mann: „Der Untertan“. München 1993. S. 85.

[4] Petra Süßenbach: Formen der Satire in Heinrich Manns Roman „Der Untertan“. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln. Köln 1972.

[5] Süßenbach, Formen der Satire, 1972, S. 85.

[6] Ebd., S. 85.

[7] Ebd., S. 89.

[8] Ebd., S. 100.

[9] Ebd., S. 107.

[10] Ebd., S. 116.

[11] Ebd., S. 116.

[12] Ebd., S. 117.

[13] Ebd., S. 119.

[14] Ebd., S. 119.

[15] Ebd., S. 121.

[16] Ebd., S. 125.

[17] Ebd., S. 127.

[18] Ebd., S. 138.

[19] Ebd., S. 143.

[20] Ebd., S. 145.

[21] Ebd., S. 142.

[22] Ebd., S. 142. Textbeispiele befinden sich im Anhang.

[23] Nicht nur Diederichs Vorstellungen einer (Liebes)Beziehung werden in ihrer Macht-orientiertheit entlarvt, auch Guste versucht Kontrolle auszuüben. Vgl. dazu auch im Anhang.

[24] Siehe Abbildung im Anhang.

[25] Süßenbach behandelt die satirische Darstellung der Roman-Realität mit der Opern-aufführung „Lohengrin“ ausführlich. Hierbei kommen u. a. auch die von mir in dieser Arbeit angeführten Aspekte zur Sprache. Süßenbach, Formen der Satire, 1972, S. 87-89.

[26] Zur besonderen Bedeutung der Perspektive in der Satire siehe auch Emmerich, Der Untertan, 1980, S 81-83. Der Einsatz der verschiedenen Szenenarrangements und satirischen Erzählwinkel ist demnach ein Arbeitsverfahren des Satirikers. Die szenische Regie verweise auf einen vorgeordneten Sinn und lehne eine Illusionserzeugung ab. Besonders interessant für das Thema dieser Arbeit ist eine Art des Szenenarrangements: die (Wider)Spiegelung einzelner Szenen.

[27] Diederich selbst faßt hier im übrigen das Werben um Guste als einen Kampf auf, womit die Bedeutung der Metaphern noch einmal unterstrichen werden kann. Nachdem sein Telegramm in der Zeitung abgedruckt wurde und kein Dementi von kaiserlicher Seite kam, fühlt er sich selbstbewußt und allem gewachsen: „Dies war der Moment, gegen Guste Daimchen vorzugehen. Diederich machte Besuch.“ (U 144). Gegen jemanden vorzugehen zeigt eine sehr offensive Grundeinstellung.

[28] Politische Brisanz erreicht die Satire hier, durch die Infragestellung der kaiserlichen Bedeutung. Gerade der Vergleich Heßling – Kaiser läßt Zweifel an der Wichtigkeit des Kaisers aufkommen. In der Person des Untertanen wird die Person des Kaisers lächerlich gemacht.

[29] Zum Thema Macht und Sexualität siehe Textbeispiel im Anhang.

[30] Der Abschluß des Ehevertrages wird gefeiert. Hier kommt es zu einer satirischen Entlarvung mittels einer Wortreihung. Textbeispiel im Anhang.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Heinrich Mann, "Der Untertan". Satirische Macht und mächtige Satire
Untertitel
Betrachtungen des Verhältnisses Diederich Heßlings zu Guste Daimchen
Hochschule
Universität Trier
Veranstaltung
Proseminar III: Heinrich Mann 'Der Untertan'
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
33
Katalognummer
V46374
ISBN (eBook)
9783638435796
ISBN (Buch)
9783638658713
Dateigröße
526 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Heinrich, Mann, Untertan, Satirische, Macht, Satire, Betrachtungen, Verhältnisses, Diederich, Heßlings, Guste, Daimchen, Proseminar
Arbeit zitieren
Evelyn Lehmann (Autor:in), 2003, Heinrich Mann, "Der Untertan". Satirische Macht und mächtige Satire, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46374

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