Private Fotosammlungen als Quelle. Vergleichende Analyse von zwei Fotoalben


Hausarbeit, 2004

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Theoretische und methodische Grundlagen
2.1. Begriffe und Definitionen
2.2. Zum methodischen Umgang mit Fotografie
2.3. Knipserfotografie als Quelle

3. Praktische Anwendung und Analyse
3.1. Vorstellung der beiden Fotoalben
3.2. Gemeinsamkeiten und Unterschiede
3.3. Themen und Motive im Vergleich
3.4. Funktionen von privater Fotografie

4. Zusammenfassung

1.Einleitung

Lange Zeit ist die Fotografie in der Geschichts- und Sozialwissenschaft als schmückendes Beiwerk zur Illustration von Texten verwendet worden, selten aber als eigenständige Quelle analysiert. Viele Archive sammeln zwar Fotografien, sie sind allerdings oft schlecht oder gar nicht erschlossen, vom unerschlossenen Fundus in privaten Beständen ganz zu schweigen.[1] Als eigenständige Quellengattung werden Bilder oder Fotos in geschichtswissenschaftlichen Grundlagenwerken höchstens am Rande beachtet.[2] Auch die Fototheorie, die sich mit Gebrauchsweisen und Wirkungen von Fotografie und mit ihrer kulturellen Normierung beschäftigt, liefert zwar Überlegungen zur Objektivität von Fotos, geht aber nicht explizit auf ihre Verwendung als Quelle ein.[3] Seit Ende der 70er jedoch hat das Interesse an Fotos als Quellen vor allem in der Forschung zum Nationalsozialismus und zur Arbeitergeschichte zugenommen.[4]

Spätestens seit den Kontroversen um die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung von 1999 ist die Fotografie als Quelle mit ihren Vorteilen und Problemen in den Blickpunkt der Wissenschaft gerückt. Vor allem die Interpretation und Präsentation erwies sich als problematisch, da beim Einsatz von Fotografien die Wirklichkeit nicht einfach abgebildet, sondern immer auch konstruiert wird. Das geschieht bereits zwangsläufig durch die Wahl der technischen Mittel, des Bildausschnittes usw., nicht selten werden Fotos aber auch regelrecht inszeniert oder gestellt, ohne dass das auf dem Bild später erkennbar wird. Hinzu kommt, dass ein Foto immer nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit wiedergibt und oft nur in einem bestimmten Zusammenhang seine Bedeutung erhält, etwa als Teil eines Fotoalbums. Selbst wenn man von der subjektiven Vermittlung durch den Historiker und der wiederum subjektiven Wahrnehmung jedes Betrachters absieht, ist Fotografie immer „Ergebnis eines Interpretationsprozesses von Wirklichkeit“[5].

Und trotzdem: „Die Fotografie erfüllt die Kriterien, die einer Quelle zukommen, denn sie ist – wie ein Brief oder eine Akte – Träger medialer InformationSie kann als biographisches, soziales, kulturgeschichtliches und als historisches Dokument gelesen werden.“[6] Berg sieht die Fotografie im Gegensatz zur Malerei nicht nur als etwas Gestaltetes, sondern auch als „Abdruck des Wirklichen“ und daher als besonders authentische Quelle. Er räumt jedoch ein, dass die Fotografie deshalb nicht zwangsläufig wahr sein müsse und der Sinn des Fotos erst durch die Deutung des Historikers erwachse.[7] Hier gilt es allerdings zu bedenken, dass sich dieses Problem im Grunde bei allen Quellen stellt.

Einige Vorzüge der Fotografie als Quelle nennt Pagenstecher, der sich für eine Visual History analog zur Oral History ausspricht[8]. Zum einen sei die Fotografie eine zeitgenössische, d.h. eine Primär-Quelle. Weiterhin sieht er die Fotografie als nicht-reaktive Quelle, d.h. ihre Entstehung wird nicht durch den Forscher beeinflusst, wie es z.B. beim Zeitzeugeninterview der Fall ist. Die Fotografie spiegele direkter als ein Text die außersprachlichen, also z.T. auch unterbewussten Wahrnehmungs- und Kommunikationsmuster wider; ein weiterer Vorteil sei, dass sie in großer Anzahl zur Verfügung stehe.

Die vorliegende Arbeit will die „privaten“ Fotografie[9] als Quelle zunächst theoretisch untersuchen, und dann am Beispiel von zwei Fotoalben praktisch auswerten. Im Zentrum der eigenen Analyse steht dabei die Frage nach dem Umgang mit Fotografie zu verschiedenen Zeiten (und in verschiedenen Generationen). Am Anfang soll der Begriff der Knipserfotografie bzw. der privaten Fotografie diskutiert werden, danach werden einige unterschiedliche Analyse-Methoden vorgestellt und die Besonderheiten privater Fotografien als Quelle erläutert. Der zweite Teil der Arbeit besteht aus einer vergleichenden Analyse der beiden Fotoalben, in erster Linie unter inhaltlichen bzw. thematischen Gesichtspunkten. Dafür wurden sie erstens zahlenmäßig ausgewertet[10] und zweitens versucht, die Ergebnisse und Tendenzen mit Blick auf den zeitlichen, gesellschaftlichen sowie den persönlichen Kontext der Albuminhaber zu interpretieren und zu erklären.[11] Am Abschluss der Arbeit werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und eine kurze Einschätzung zur privaten Fotografie als Quelle gegeben.

2. Theoretische und methodische Grundlagen

2.1. Begriffe und Definitionen

Will man die Nutzung der Fotografie im privaten Rahmen betrachten, stellt sich die Frage, wie die Praxis des Fotografierens, aber auch des Fotografiert-Werdens, des Sammelns und des Anschauens, die nahezu jeder aus seinem eigenen Alltag kennt, denn nun eigentlich zu bezeichnen ist. Die verschiedenen Definitionen, die diese Frage beantworten, unterscheiden sich sowohl hinsichtlich der verwendeten Begriffe als auch hinsichtlich ihrer Differenziertheit.

Einig sind sich die Autoren, dass die Fotografie als Massenphänomen – und damit auch die Praxis des Knipsens - in den 1890er Jahren aufkam. Voraussetzung dafür war neben der Entwicklung von kleinen leichten Kameras und Rollfilmen auch die Filmentwicklung durch den Hersteller.[12] Aber was macht nun eigentlich das „Knipsen“ aus?

Ronald Berg sieht den Knipser „im Gegensatz zum Profi, der von der Fotographie lebt und dem Amateur, der für die Fotographie lebt.“[13] Der Knipser fotografiere nicht um des Fotografierens willen, sondern weil es ihm um das Abgebildete gehe; charakteristisch für Knipserfotos sei ihre private Vertraulichkeit.

Etwas präziser definiert Timm Starl die Knipserfotografie als einen Teilbereich der Amateurfotografie. Der Knipser lässt sich vom Amateur in Bezug auf Arbeitsweise und Ziel des Fotografierens abgegrenzt. Amateure, die oft höheren Gesellschaftsschichten entstammten, „wandten sich meist mit wissenschaftlicher Neugier der Entwicklung des Mediums zu“ oder „[widmeten] ihre Zeit vornehmlich der Schaffung ästhetisch anspruchsvoller Bildleistungen“[14]. Sie organisierten sich in fotografischen Vereinigungen, beteiligten sich an Ausstellungen und unterschieden sich in Arbeitsweise und Bildproduktion nicht wesentlich von professionellen Fotografen.

Die Motivation des Knipsers sieht Starl dagegen vor allem in der Kompensation von eingeschränkten persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten im kapitalistischen System. Zum einen habe der frühe Knipser seine frei verfügbare Zeit bildlich festhalten wollen, zum anderen sei die fotografische Praxis aber auch selbst Teil der Freizeit gewesen. „ In der Auflehnung gegen die Pressionen des Arbeitsalltags hat der knipsende Amateur eine Möglichkeit gefunden, in der selbstbestimmten Produktion von fotografischen Bildern seine Individualität zu erleben und zu dokumentieren.“[15] An öffentlicher Präsentation, technischen Zusammenhängen und ästhetisch-künstlerischen Maßstäben ist der Knipser im Gegensatz zum Amateur nicht interessiert.[16] Bei diesen Definitionen ist zu bedenken, dass der Begriff „Knipser“ nicht an eine Person, sondern an eine bestimmte Arbeitsweise gebunden ist. Es ist also durchaus möglich, dass dieselbe Person in bestimmten Situationen als Berufsfotograf und in anderen als Knipser agiert.

Detlef Hofmann verwendet für die von Knipsern bzw. Dilettanten ausgeübte fotografische Praxis den Begriff des „privaten Fotografierens“, das Teil der Freizeit ist und die Arbeitswelt ausschließt. Er unterscheidet weiter in „von der Etikette diktierte“ Fotos, bei denen der Dilettant versucht, den Profi nachzuahmen, und Schnappschüsse, die besonders den Freizeitcharakter des Abgebildeten verdeutlichen. Private Fotos sind nach Hoffmann gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Authentizität bei der Wiedergabe von Ereignissen und Umständen.[17]

Auch der Begriff „Familienfotografie“ taucht im Zusammenhang mit privaten Fotobeständen auf.[18] Familienfotografie kann nach Boerdam/Oosterbaan Martinus entweder im engeren Sinne die Abbildung von Beziehungen innerhalb der Familie bezeichnen oder im weiteren Sinne für solche Fotos stehen, die innerhalb der Familie aufbewahrt und angeschaut werden. Im Gegensatz zu den vorher genannten Definitionen ist hier also nicht so sehr die Praxis des Fotografierens, sondern eher der Inhalt und die Rezeption von Fotos ausschlaggebend für ihre Zuordnung. Anders gesagt: Familienfotos sind nicht durch ihren Entstehungskontext, sondern durch ihre Funktion gekennzeichnet. Beide Definitionen können deshalb auch Fotos von Berufsfotografen oder Amateuren mit einschließen.

Die Begriff Knipserfotografie wird im Folgenden mit Bezug auf die Entstehung der Fotos, auf den Akt des Fotografierens, verwendet. Der Begriff Familienfotografie bezieht sich auch auf die Aufbewahrung, Rezeption und Funktion von Fotos im familiären Kontext. Private Fotografie soll als eine Art Oberbegriff dienen und bezeichnet die nicht-professionelle Praxis des Fotografierens, bezieht sich aber zugleich auf die von Privatpersonen aufbewahrten und genutzten Fotos.

2.2. Zum methodischen Umgang mit Fotografie

Zum wissenschaftlichen Umgang mit Fotos gibt es eine Vielzahl von Ansätzen, die aus unterschiedlichen Disziplinen stammen. Hier sollen nur drei der wichtigsten Methoden vorgestellt werden, die auch in die spätere Analyse mit eingeflossen sind.[19]

a) Die Semiotik beschäftigt sich auf eher abstrakter Ebene mit Kommunikationsprozessen. Auch in Bezug auf das Fotografieren geht die Semiotik von einem Nachrichtenaustausch zwischen Sender und Empfänger aus, in dem das Foto bzw. die Nachricht vom „Empfänger“ als Zeichen für eine mögliche Realität wahrgenommen und entschlüsselt wird. Die Fotografie ist zugleich Abdruck der Wirklichkeit und Interpretation oder anders gesagt, sie kann zugleich Überrest und Traditionsquelle sein. Das heißt Fotografien können als realienkundliche Aussagen[20] oder als Mitteilungen, die bestimmte Vorstellungen repräsentieren, betrachtet werden. Die semiotische Bildanalyse untersucht sowohl den Kontext der Entstehung, als auch den der Verbreitung und Wahrnehmung von Fotografien. Im Zusammenhang mit der Bild-Entstehung ist die Spannung zwischen Realität und Abbildung zu bedenken, im Zusammenhang mit der Wahrnehmung ist zwischen „der manifesten Bedeutung des Abgebildeten und den latenten Strukturen der Darstellung zu unterscheiden.“[21] Das heißt, nicht nur der sichtbare Inhalt der Bilder, sondern auch ihre versteckte (symbolische) Botschaft, die meist in einem bestimmten gesellschaftlichen und historischen Kontext steht, ist zu beachten. Die Semiotik sucht also nach einer „Grammatik der Kommunikation“, nach „Regeln, die den kulturellen Wahrnehmungsmustern zugrunde liegen“[22].

[...]


[1] Verschiedene Ansätze zur Erfassung und Analyse von Fotobeständen und zum Umgang mit Knipserbildern werden in Kapitel 2.2 vorgestellt.

[2] Ein allgemeiner Überblick zur Fotografie als Quelle findet sich bei Oelze, Patrick, Fotografien als historische Quelle, online unter: www.uni-konstanz.de/FuF/Philo/Geschichte/Tutorium/Themenkomplexe/Quellen/Quellen- arten/Fotographien/hauptteil_fotographien.html

oder bei Pagenstecher, Cord, Der bundesdeutsche Tourismus. Ansätze zu einer Visual History: Urlaubsprospekte, Reiseführer, Fotoalben, 1950-1990 [Diss. FU Berlin], Hamburg 2003, S.71ff.

[3] Mit Fototheorie beschäftigten sich sehr unterschiedliche Autoren wie Walter Benjamin, Pierre Bourdieu, Siegfried Kracauer, Susan Sontag, die oft selbst nicht aus dem historischen Bereich kommen. Ein Überblick über die fototheoretischen Ansätze findet sich ebenfalls bei Pagenstecher, Der bundesdeutsche Tourismus, S.68ff.

[4] Genauere Ausführungen zum veränderten Stellenwert der Fotografie bei Oelze, Fotografien als Quelle.

[5] Zu dieser Problematik vgl. ebd.

[6] Berg, Ronald, Die Photographie als alltagshistorische Quelle, in: Berliner Geschichtswerkstatt (Hrsg.), Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte, Münster 1994, S.187-198, hier: S.187.

[7] Vgl. ebd. S.188f.

[8] Unter Visual History versteht Pagenstecher nach Gerhard Jagschitz die ganzheitliche sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Bild, die spezifische Fragestellungen, Quellen und Methoden umfasst. Sie geht also über eine reine Bildinterpretation hinaus und fragt nach visuellen Wahrnehmungs-, Darstellungs- und Deutungsmustern. Vgl. dazu Pagenstecher, Der bundesdeutsche Tourismus, Kapitel: 2.3. Bildanalyse und „Visual History“. Methodische Vorüberlegungen, S.68ff.

[9] Zur Abgrenzung der Begriffe private Fotografie, Knipserfotografie, Amateurfotografie, Familienfotografie s. Kapitel 2.1.

[10] Für die quantitative Inhaltsanalyse und die Codierung orientiert sich die Verfasserin an den Kategorien von Timm Starl. Vgl. dazu Starl, Timm, Rundbrief Fotografie: Zur Inventarisierung von Fotoalben, Frankfurt a.M. 1996.

[11] Dabei fließen sowohl Überlegungen aus der Semiotik als auch aus der Ikonologie mit ein. Nähere Erläuterungen zu den verschiedenen Methoden werden im Kap.2.3. gegeben.

[12] Ein Meilenstein war dabei die Kodak- „Box“ von 1888, die vergleichsweise billig und unkompliziert zu handhaben war. Nähere Erläuterungen z.B. bei Berg, Photographie als alltagshistorische Quelle, S.192.

[13] Ebd., S.193.

[14] Vgl. Starl, Timm, Das Bildmedium der privaten Welt. Zur Entstehung und Funktion der Knipserfotografie, in: Hochreiter, Otto, Starl, Timm (Hrsg.), Geschichte der Fotografie in Österreich, Bad Ischgl 1983, Bd.1, S.295-310, hier: S.296.

[15] Ebd., S. 298.

[16] Eine genauere Definition von Knipserfotografie findet sich ebd. auf S.303f.

[17] Vgl. Hoffmann, Detlef, Private Fotos als Geschichtsquelle, in: Fotogeschichte, Heft 6, 1982, S.49-58, hier S.50.

[18] Boerdam, Jaap, Oosterbaan Martinius, Warna, Family Photographs – A sociological approach, in: The Netherlands’ Journal of Sociology 16, 1980, S. 95-119.

[19] Die Darstellung orientiert sich an Pagenstechers methodischen Vorüberlegungen. Vgl. Pagenstecher, Der bundesdeutsche Tourismus, S.71ff.

[20] Der Begriff „realienkundlich“ besagt, dass die Fotos über einen tatsächlichen, klar erkennbaren und nachprüfbaren Sachverhalt Auskunft geben sollen.

[21] Ebd. S.74.

[22] Ebd. S.75.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Private Fotosammlungen als Quelle. Vergleichende Analyse von zwei Fotoalben
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Kulturwissenschaften)
Veranstaltung
Sozial- und Kulturgeschichte des Fotografierens
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
20
Katalognummer
V46399
ISBN (eBook)
9783638435970
Dateigröße
516 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Private, Fotosammlungen, Quelle, Vergleichende, Analyse, Fotoalben, Sozial-, Kulturgeschichte, Fotografierens
Arbeit zitieren
Anne Krenzer (Autor:in), 2004, Private Fotosammlungen als Quelle. Vergleichende Analyse von zwei Fotoalben, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46399

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