Hauptbahnhof München - einer der Treffpunkte der Drogenszene Münchens - Menschen jeglichen Alters sind meist schwerstabhängig und ausgegliedert aus dem sozialen Netz. Nach längerer „Drogenkarriere“ folgt oftmals der einsame Tod auf der Strasse. Schon lange Zeit stellt sich die Frage, wie dieser in jeder Stadt zu findenden Problematik begegnet werden kann. Therapiezwang und abstinenzorientierte Drogenhilfe brachten nicht den gewünschten Erfolg und verursachten immense Kosten durch regelmäßig abgebrochene Therapien. 30 Prozent weniger Drogentote in Deutschland durch erweitertes Hilfsangebot laut Drogenbeauftragter der Bundesregierung Marion Caspers-Merk. 1 Diese Schlagzeile lässt aufhorchen. Weg von rein abstinenzorientierter Drogenhilfe zu einem niedrig schwelligen Ansatz mit einer akzeptierenden Haltung gegenüber Drogengebrauch und Lebenseinstellung des süchtigen Menschen. Zurück zum Hauptbahnhof München. Täglich sind hier Sozialarbeiter im Arbeitsfeld Streetwork zu finden. Sie nehmen Kontakt zu den Schwerstabhängigen auf, vergeben Spritzen und bieten Unterstützung bei verschiedensten Problemen an. Die Drogenabhängigkeit wird akzeptiert und der Mensch in seiner Persönlichkeit angenommen. Wie erfolgreich ist diese Art von Drogenhilfe in München und wie wird sie von den „Süchtigen“ angenommen? Ziel dieser Ausarbeitung ist im folgenden, Ziele und theoretischen Hintergrund der akzeptanzorientierten Drogenarbeit zu erfassen und dies mit der Vorgehensweise der Streetworker der Stadt München zu vergleichen. Dabei werden Konzept, sowie Möglichkeiten und Grenzen dieses niedrig schwelligen Hilfeangebots herausgearbeitet. Abgeschlossen wird mit einer persönlichen Stellungnahme der Autoren. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Wissenschaftlicher Hintergrund
2.1 Geschichte
2.2 Zielgruppe
2.3 Akzeptanzorientierte Drogenarbeit
2.3.1 Arbeitsinhalte/Arbeitsort
2.3.2 Ziele
2.3.3 Konzeption/Beziehungsarbeit
2.3.4 Erfolge/Grenzen
2.3.5 Ausblick
3. Vorgehen
3.1 Methodik
3.2 Angaben zur Person des Befragten
4. Streetwork in München
4.1 Zielgruppe
4.2 Akzeptanzorientierte Drogenarbeit
4.2.1 Arbeitsinhalte/Arbeitsort
4.2.2 Ziele
4.2.3 Konzeption/Beziehungsarbeit
4.2.4 Erfolge/Grenzen
4.2.5 Ausblick
5. Auswertung
5.1 Struktur
5.2 Aufgaben
5.3 Ziele
5.4 Konzeption/Beziehungsarbeit
5.5 Erfolge und Grenzen
5.6 Ausblick
6. Schlussfolgerung
Anhang
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Hauptbahnhof München - einer der Treffpunkte der Drogenszene Münchens - Menschen jeglichen Alters sind meist schwerstabhängig und ausgegliedert aus dem sozialen Netz. Nach längerer „Drogenkarriere“ folgt oftmals der einsame Tod auf der Strasse. Schon lange Zeit stellt sich die Frage, wie dieser in jeder Stadt zu findenden Problematik begegnet werden kann. Therapiezwang und abstinenzorientierte Drogenhilfe brachten nicht den gewünschten Erfolg und verursachten immense Kosten durch regelmäßig abgebrochene Therapien.
30 Prozent weniger Drogentote in Deutschland durch erweitertes Hilfsangebot laut Drogenbeauftragter der Bundesregierung Marion Caspers-Merk.1
Diese Schlagzeile lässt aufhorchen. Weg von rein abstinenzorientierter Drogenhilfe zu einem niedrig schwelligen Ansatz mit einer akzeptierenden Haltung gegenüber Drogengebrauch und Lebenseinstellung des süchtigen Menschen.
Zurück zum Hauptbahnhof München. Täglich sind hier Sozialarbeiter im Arbeitsfeld Streetwork zu finden. Sie nehmen Kontakt zu den Schwerstabhängigen auf, vergeben Spritzen und bieten Unterstützung bei verschiedensten Problemen an. Die Drogenabhängigkeit wird akzeptiert und der Mensch in seiner Persönlichkeit angenommen. Wie erfolgreich ist diese Art von Drogenhilfe in München und wie wird sie von den „Süchtigen“ angenommen?
Ziel dieser Ausarbeitung ist im folgenden, Ziele und theoretischen Hintergrund der akzeptanzorientierten Drogenarbeit zu erfassen und dies mit der Vorgehensweise der Streetworker der Stadt München zu vergleichen. Dabei werden Konzept, sowie Möglichkeiten und Grenzen dieses niedrig schwelligen Hilfeangebots herausgearbeitet. Abgeschlossen wird mit einer persönlichen Stellungnahme der Autoren.
2. Wissenschaftlicher Hintergrund
2.1. Geschichte
Der Ursprung der Drogen ist auf 3500 v. Chr. zurückzuführen. Damals wurde Mohn als „Pflanze der Freuden“ bezeichnet. Homer nannte den Opiumsaft 710 v. Chr. als „Trank der Vergessenheit“, sowohl wegen seiner medizinischen als auch wegen seiner psychoaktiven Wirkungen galt Opium als kulturell-religiöses Mythos.
Erst im Mittelalter erreichte das Opium die Länder Europas nördlich der Alpen und war im 18. und 19. Jahrhundert als Arznei- und Rauschmittel wohl am bekanntesten und weit verbreitet. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Morphium entdeckt, zunächst zur medizinischen Verwendung, der Injektionsspritze. Die großzügige Verwendung in den Kriegen führte dazu, dass viele Soldaten morphiumabhängig wurden, man sprach damals von der „Soldatenkrankheit“. Vorangetrieben wurde die Drogenproblematik durch die Legalisierung des Opiumhandels durch Frankreich und die Vereinigten Staaten. Erst als sich die Zahl der Opiumabhängigen verzwanzigfachte, stellte sich 1917 eine Antiopiumbewegung ein.
Die traditionelle Drogenarbeit war nun gekennzeichnet von der Abstinenzorientierung, das hieß Persönlichkeit und Lebensstil der Drogenabhängigen sollte so verändert werden, dass eine lebenslange Abstinenz der abhängig machenden Drogen bewirkt werden sollte. Bereits in den 20er Jahren wurde Drogenabhängigkeit als soziales Problem angesehen, zuständig für die Drogenabhängigen waren Psychiater und Soziotherapeuthen. In den stationären Langzeittherapien war Drogenfreiheit nicht nur ein Resultat, vielmehr war es Voraussetzung sich durch Beratung und Entgiftung einer Therapie zu unterziehen, um die Persönlichkeit zu verändern.
Schließlich war die Abstinenzorientierung gesetzlich vorgegeben. Stillschweigende Entmündigung der Drogengebraucher drückte sich in den Therapieverträgen aus, die zwischen Einrichtung und Klient geschlossen wurden.
„Gegenläufige“ Ansätze in Europa stellten eher die Ausnahme dar.
In den 70er Jahren wurden in den Niederlanden und der Schweiz beide Ziele gleichzeitig verfolgt. Schadensminderung einerseits, sowie abstinenzorientierte Angebote andererseits. Man ging erstmals davon aus, wenn der Süchtige „ganz unten“ ist, gelingt der Drogenfreiheitswunsch. So erreichte man eine freiwillige Therapiezustimmung.
Die Kriminalisierung und ihre Folgen wurden somit billigend in Kauf genommen um den Umgang mit Drogenabhängigen zu hinterfragen.
Das Motto war „Therapie statt Strafe“.
Trotz der randständigen Bedeutung solle eine „gegenläufige“ Drogenarbeit nicht ausgeklammert werden und bereits Anfang der 80er Jahre orientierte sich die Drogenhilfe außerhalb der bisherigen Therapiekette, nämlich zur lebensweltnahen Unterstützung durch außerstationäre Tätigkeit, der Streetwork.
Ein neues Arbeiten, nach dem Ansatz akzeptanzorientierte Drogenarbeit, wurde geschaffen. (vgl. Wierling, 2002, S. 12-21)
2.2 Zielgruppe
Der Drogenkonsum ist vor allem als Problem in der Entwicklung der Jugend zu verstehen. Aus verschiedenen Ursachen wird er in der Kindheit begonnen, setzt sich dann im Jugendalter fort, verfestigt sich dort oder wird zum Teil auch wieder beendet. In der Szene sind eher junge Erwachsene und ältere anzutreffen, die schon länger Erfahrung mit Drogen haben. Sie bringen den Beratungsstellen nicht allzu viel Vertrauen entgegen, dass sie bereit wären eine solche Einrichtung aufzusuchen bedingt durch ihre Familiengeschichte, die Entwicklung oder die immer wiederkehrenden Stresssituationen. Sie sind oft kriminalisiert und obdachlos. Entscheidend ist das soziale Milieu, aus dem die Konsumenten stammen, wie Familie, Beruf, Wirtschaftslage, Sozialstatus, die Einstellung zu Drogen. Der Streetworker hat die Aufgabe, jene Klienten aufzusuchen, die mit dem Beratungsangebot nicht erreicht werden. (vgl. Loviscach, 1996, S.39)
Überwiegend handelt es sich bei den Drogenkonsumenten um ein subkulturelles Milieu mit niedrigschwelligem Charakter, die Hilfsangebote nur schwer annehmen. Der Männeranteil liegt bei 75 %, der Frauenanteil bei 25 %. (vgl. Wierling, 2002, S.67)
Die Drogenszene liegt meist an belebten Stellen der Städte, daher muss häufig mit Protest der Anwohner und Geschäftsinhaber gerechnet werden. Aus diesem Grund sollten regelmäßig Treffen stattfinden, an denen involvierte Personen ihre Anliegen zur Sprache bringen können. (vgl. Wierling, 2002, S.47)
Überdosiserfahrungen fanden in erster Linie in der Öffentlichkeit statt.
„Vor diesem Hintergrund erscheint das Gesundheitsraumangebot - vor allem im Blick auf die Gruppe der Obdachlosen, deren Konsum zwangsläufig in z. T. „unentdeckten“ Nischen des öffentlichen Raumes geschieht - bedeutsam, insofern eine unmittelbare Versorgung überdosierter Personen gewährleistet ist“ (Wierling, 2002, S.47)
Konsumiert werden legale und illegale Drogen. Zu den illegalen Drogen gehören Cannabisprodukte, Kokain und Heroin, zu den legalen Drogen gehören Kaffee, Tabak, Alkohol und Medikamente. Die Unterscheidung zwischen legal und illegal ist aufgrund historischer Interessen-Konstellationen gewachsen, sie basiert nicht auf sozialmedizinischer pharmakologischen Erkenntnissen.
Die Drogen lassen sich in sieben Gruppen aufteilen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es ist zu bemerken, dass Alkohol heutzutage in seiner Gesundheitsgefährdung und in seinem Suchtpotential den illegalen Drogen nichts nachsteht. Der Alkohol steht in Deutschland in erster Linie als Genussmittel, was aber für andere Kulturen eine Zerstörung darstellen kann.
Da Rausch und Ekstase allgemein verbreitete Phänomene sind, die auch durch Konsum von Alkohol zu erreichen sind, ist es nahe liegend, dass der Konsument auf das Suchtmittel Alkohol zurückgreift. Der Preis von Heroin ist hoch, die Qualität aber schlecht, und es muss unter unhygienischen Bedingungen konsumiert werden (Gebüsch, Bahnhofstoilette etc.), was die Infektionsgefahr zum Beispiel mit Hepatitis oder Aids erheblich erhöht. Heroin unterliegt unterschiedlicher Qualitätssubstanzen, da es heute häufig gestreckt wird .
Dadurch besteht beim intravenösen Konsum ein unkalkulierbares Infektions- und Überdosisrisiko. (vgl. Wierling, 2002, S.17)
Befürchtungen, der ansteigenden Drogenabhängigen, die von den Massenmedien immer wieder auftauchen, scheinen sich nicht zu bestätigen. In einer Kriminalstatistik der Stadt Frankfurt/Main stellte man einen Anstieg bei den registrierten Drogentodesfällen im Zeitraum von 1988 - 1994 von 28.7 auf 30.8, fest. (vgl. Wierling, 2002, S.67)
Problematisch ist die Wohnungsnot bei den Drogenabhängigen. Sie sind häufig auf Notschlafplätze angewiesen, der Anteil der Obdachlosen lag in Deutschland bei 59 % (Statistik Frankfurt/Main, 1988-1994). (vgl. Wierling, 2002, S.67)
2.3 Akzeptanzorientierte Drogenarbeit
2.3.1 Arbeitsinhalte/Arbeitsort
Die eigentliche Arbeit findet nicht in der Beratungsstelle statt. Der Drogenkonsument sieht die Beratungsstelle eher als Institution, ohne Beziehung, sie kann in einem Beratungs- zimmer nicht hergestellt werden. Der Streetworker geht in die Szene, um Wissensdefizite zu beheben. Sein Arbeitsplatz liegt dort, wo er mit den Drogenkonsumenten lebensweltliche Bezüge schaffen kann. Er arbeitet an Bahnhöfen, auf öffentlichen Plätzen, in Fußgängerzonen, Schnellrestaurants, Diskotheken, Bars, Kneipen oder ganz einfach auf der Straße.
Es reicht nicht aus, ein- bis zweimal wöchentlich in Lokalitäten zu gehen, der Streetworker wird erst dann akzeptiert, wenn er sich häufig in der Szene zeigt.
(Aussage eines Frankfurter Streetworkers, Sendemanuskript von Schwinn 1983)
„Hier ist der Fixer nicht Gast bei uns, so wie das in den Beratungsstellen gewesen ist, sondern wir sind Gast bei ihm. Wir erleben ihn nicht nur eine Stunde wie früher in den Beratungsstellen in dem einstündigen Gespräch was wir geführt haben, sondern wir erleben ihn permanent von morgens bis abends. Wir erleben ihn dann, wenn er nichts zu drücken hat. Wir erleben ihn dann, wenn er völlig zugedrückt ist, wenn er Wahrneh- mungsstörungen hat, wenn er nur noch rum fällt. Wir erleben ihn praktisch den ganzen Tag, d. h. von morgens zehn bis abends um acht und kriegen halt auch viel mehr mit...“). (vgl. Steffan, 1988, S. 154,155)
Beziehungsarbeit mit dem Klienten in der Beratungsstelle findet nur statt, wenn der Klient dazu bereit ist. Dabei geht es nicht immer um Einzelfallhilfe, der Streetworker arbeitet auch mit Gruppen zusammen, je nach Wunsch der Klienten.
Um hier eine Vernetzung herzustellen, arbeitet die Drogenberatungsstelle mit anderen sozialen Einrichtungen zusammen. So können Ressourcen besser erkannt und entwickelt werden bzw. kann eine Weitervermittlung an andere Stellen ermöglicht werden (Bsp. Therapievermittlung). (vgl. Stöver, 1999, S. 216, 217)
Vorteil in der Szene ist, dass sich Unehrlichkeiten weniger einschleichen können, da der Streetworker näher an der Lebenssituation und Lebensweise des Konsumenten ist. Ob sein Gegenüber vertrauenswürdig ist, vermag der Klient in seiner Umgebung besser wahrnehmen. (vgl. Stöver, 1999, S.108)
Grundvoraussetzung für die Arbeit ist eine kontinuierliche Beziehungsarbeit, verbunden mit einem freiwilligen Kontakt zum Streetworker. (vgl. Steffan, 1988, S.135)
Ausstattung:
Streetworkprojekte müssen über geeignete, szenenahe Räumlichkeiten verfügen.
Eine effiziente Ausübung der Tätigkeit kann nur stattfinden wenn ausreichend Platz für Beratung, Teamaustausch, Büroarbeit und Gruppenarbeit vorhanden ist. Darüber hinaus sollen die Mitarbeiter auch die Möglichkeit haben, sich in einem weiteren zur Verfügung stehenden Raum zurückziehen zu können.
Wichtig ist auch, die Ausstattung den Bedürfnissen des Klienten anzupassen.
Äussere Struktur:
Dem Streetworkteam muss eine möglichst selbständige Arbeitsweise von Seiten des Geldbzw. Arbeitgebers ermöglicht werden. Das macht die methodischen Besonderheiten von Streetwork aus. Da Streetwork nur auf Basis längerfristiger Perspektiven sinnvoll erscheint, ist eine entsprechende finanzielle Absicherung bezüglich der Arbeitsverträge und Dienstverhältnisse sinnvoll.
Die Arbeit ist dann erfolgreich, wenn eine gewisse Kontinuität gewahrt bleibt.
a. Einstellung:
Es sind zwei Personen anzustellen, um eine Teamarbeit zu ermöglichen. Da es keine Ausbildung für Streetworker gibt, sind Schulungen im Bereich
- Methode der Streetwork
- Strukturelle Einbettung des Projektes in das soziale Netz der Stadt/Bezirk
- KlientInnenarbeit notwendig.
b. Finanzierung:
Finanzielle Mittel müssen bereit gestellt werden für:
- die Bereitstellung räumlicher Ressourcen sowie einer entsprechenden Sachausstattung
- bedarfsgerechte Supervision und Fortbildung ist zu garantieren
- Mittel für erlebnispädagogische Angebote und Freizeitaktionen sollen bereit stehen
(vgl. Stöver, 1999, S.215,216,217)
Das Aufgabengebiet von Streetwork umfasst:
1. Beziehungsarbeit mit Klient/Innen: Gruppenarbeit sowie Einzelfallhilfe
Um ein effizientes Arbeiten sicherzustellen, muss genügend Zeit für eine ausreichende Feldanalyse eingeplant werden. Dabei muss zunächst die Beziehung zum Klienten aufgebaut werden. Erreicht wird eine konstruktive Beziehung durch eine gewisse Kontinuität und Toleranz dem anderen gegenüber. Der Streetworker muss sich mehrmals wöchentlich in der Szene sehen lassen, damit ein Kennenlernen gewährleistet werden kann.
2. Gemeinwesenarbeit: Arbeit mit der Bevölkerung, Kontakte zu Kommunalpolitiker/Innen, Exekutive Selbständiges Arbeiten in der Öffentlichkeit muss gewährleistet sein. Gerade im Bereich Streetwork ist eine Zusammenarbeit auf politischer Ebene von Nöten. Auch Streetwork soll bzw. die Drogenberatungsstelle dem Neuen Steuerungsmodell angeschlossen werden.
3. Vernetzung mit anderen sozialen Einrichtungen
Eine regionale und bundesweite Vernetzung aller Streetworkprojekte und die Zusammen- arbeit mit anderen sozialen Einrichtungen ist notwendig und vom Arbeitgeber zu ermöglichen.
Durch die Zunahme der alkoholabhängigen Menschen ist es wichtig, eine Vernetzung zwischen der Drogenberatungsstelle, dem Streetworker und mit speziellen Einrichtungen der Alkoholabhängigen herzustellen. Durch die Zusammenarbeit können Probleme schneller erkannt und an die richtige Stelle weitervermittelt werden.
4. Gutachterfunktion
Streetwork hat auf Grund des Szeneeinblicks die Kompetenz, zu sozialpolitischen Themen Stellung zu nehmen.
5. Supervision
Regelmäßig stattfindende Supervision unterstützt die Arbeitsfähigkeit des Teams und ist unerlässlich.
6. Teamarbeit
Um die Qualität, Effizienz und Professionalität von Streetwork zu gewährleisten, ist es unabdingbar, zumindest zu zweit zu arbeiten, wenn möglich gemischtgeschlechtlich, denn die Verwirklichung der Streetworkprinzipien kann nur durch teaminterne Reflexion und Informationsaustausch sowie durch fachlichen Austausch gewährleistet werden. Auch die Kontinuität der Beziehungsarbeit (z. B. bei Krankenstand oder Urlaub) ist an das Vorhandensein einer entsprechenden personellen Ausstattung gebunden. (vgl. Stöver, Heino, Akzeptierende Drogenarbeit, 1990 Lambertus-Verlag)
7. Fortbildung
Um fachliches Wissen zu erweitern, bzw. zu erneuern, sowie in Erfahrungsaustausch mit anderen Kollegen zu treten mit denen man über gemeinsame Probleme sprechen kann, ist eine regelmäßige Fort- und Weiterbildung erforderlich. Dabei sind Schulungen gerade durch die ständige Veränderung des Klientels von großer Bedeutung. Durch Schulungen kann auch mit anderen Mitarbeitern verschiedener Einrichtungen ein Kommunikations- austausch stattfinden, der neue Sichtweisen bringt, eine Vernetzung herstellt und sinnvoll für die Zusammenarbeit ist.
(vgl. akzeptierende Drogenarbeit, Stöver, Heino, 1999 Lambertus-Verlag, Freiburg, Breisgau) (vgl. Stöver, 1999, S. 215,216)
2.3.2 Ziele
Ziel der akzeptierenden Drogenarbeit ist es, gesundheitliche und soziale Risiken zu reduzieren und den Kriminalisierungsdruck abzufedern.
Spritzenentsorgung
Da in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren immer mehr Spritzen gefunden wurden, richten sich nun die Städte an die „aufsuchende Drogenarbeit und mobiler Spritzenentsorgung“. Ziel ist dabei das Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung zu verringern, in dem gebrauchte Spritzen aus der Öffentlichkeit entfernt werden sollen. Verbunden damit ist eine Aufklärungsarbeit bei den DrogenkonsumentInnen als auch berechtigte Ängste bei den Anwohnern abzubauen. Ein besonderes Augenmerk fällt den Spielplätzen zu, da Kinder durch Spielen mit gebrauchten Spritzen gefährdet sind. Konsumenten werden bewusst angesprochen und darauf aufmerksam gemacht, dass sie nicht in der Nähe von Spielplätzen konsumieren sollen und ihr Spritzbesteck sachgerecht entsorgen sollen. (vgl. Wierling, 2002, S.72)
Allgemein formuliert sollen die Lebensbedingungen der DrogenkonsumentInnen im Zusammenleben mit ihren Mitmenschen verbessert werden. Das Recht auf Anderssein von DrogengebraucherInnen (Selbstbestimmungsrecht) soll toleriert werden und macht sich nicht zum Objekt staatlich-administrativer und sozialpädagogisch-therapeutischer Maßnahmen zum Zwecke der Integration durch Abstinenz.
Sie wehrt sich zunehmend gegen eine Psychotherapeutisierung von Drogenge- braucherInnen. (vgl. Wierling, 2002, S. 83)
2.3.3 Konzeption/Beziehungsarbeit
Die Akzeptanz gilt nicht nur dem Drogenkonsumenten, sondern auch dem Drogenkonsum. Voraussetzung der Arbeit ist eine akzeptierende Grundhaltung gegenüber dem Konsum und damit verbundene niedrigschwellige Zugangskriterien.
Die akzeptanzorientierte Drogenarbeit hat sich im Gegensatz zur abstinenzorientierten Arbeit neu begründet, da die Frage aufkam ob es Sinn macht, sich bei der Drogenhilfe auf die Beendigung der Sucht zu konzentrieren, oder verhindert die Möglichkeit der Fixierung eher die Hilfe. (vgl. Wierling, 2002, S.34)
Um Ziele effektiv realisieren zu können setzt akzeptanzorientierte Drogenarbeit auf drei Ebenen an:
1. Selbsthilfeebene: Selbsthilfebestrebungen von DrogengebraucherInnen sollen unterstützt werden und eine Zusammenarbeit mit diesen Gruppen (falls von diesen erwünscht) stattfinden.
2. Unmittelbare Unterstützungsebene: Diese beinhaltet konkrete subjektbezogene Hilfestellungen für DrogengebraucherInnen.
3. Mittelbare Unterstützungsebene: Hierunter versteht man die Mitarbeit an der Normalisierung, Entdiabolisierung, Entdramatisierung sowie Verbesserung der Lebensbedingungen von DrogengebraucherInnen auf über´geordneter gesellschaftspolitscher Ebene´, z. B. durch gezielte Gremien- und Öffentlichkeitsarbeit und das Hinwirken auf Gesetzesänderungen. (vgl. Wierling, 2002, S.38)
Laut Stöver gelten für die Praxis der akzeptanzorientierten Drogenhilfe drei Prämissen:
1. „Auch scheinbar unverständliches Drogenkonsumverhalten muß als eine
persönliche Entscheidung akzeptiert werden, als ein möglicher und legitimer Lebensstil, auch wenn man ihn niemals übernehmen wollte.
2. DrogengebraucherInnen haben, auch und gerade unter den Bedingungen des fortgesetzten Konsums, ein Recht auf menschenwürdige gesundheitliche und soziale Lebensbedingungen, sie müssen es nicht erst durch abstinentes und angepasstes Verhalten erwerben.
3. Auch DrogenkonsumentInnen können für sich selbst verantwortlich handeln. Freiwilligkeit in den therapeutischen Beziehungen und anderen Hilfeangeboten bildet daher eine unveräußerliche Grundlage“. (vgl. Stöver, 1999, S.15)
Es geht nicht alleine darum, eine gesundheitliche, emotionale und soziale Stabilisierung zu erreichen, vielmehr eine Normalisierung und damit Verbesserung der Lebensbedingungen der DrogenkonsumentInnen. Jedoch Personen, die ihren Drogenkonsum aufgeben wollen, sollten so gut es geht unterstützt werden.
Akzeptanzorientierte Drogenarbeit kann das Drogenproblem nicht beseitigen, es geht um den Umgang mit der Realität des Drogenkonsums.
Es war und ist eine Bewegung, die sich von der traditionellen Drogenarbeit abzeichnet. Kontraproduktive Effekte der Kriminalisierung der DrogengebraucherInnen für den Heilungs- und Integrationsprozeß wurde in den Mittelpunkt gestellt. Kriminalisierung konnte man nicht verschweigen, sie gehörte zur Drogenhilfe. Radikale Veränderungen des Betäubungsmittelgesetztes sowie des Strafrechts mussten ins Auge gefasst werden, da legale Drogen akzeptiert wurden. (vgl. Stöver, 2002, S.8)
Akzeptierende Drogenarbeit bedeutet:
- Verabschiedung einer drogenfreien Gesellschaft
- Abschied von einer suchtfreien Gesellschaft ( es geht nicht darum, Süchte zu verhindern, vielmehr darum, mit ihnen zu leben, unter Wahrung der Menschenwürde)
- Hilfeangebote müssen in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, einen Königsweg wird es nicht geben
- Schwellenabbau für DrogengebraucherInnen, die hochschwellige drogenfreie Angebote nicht mehr erreichen können, oder wollen
- ein Umdenken ist gefragt hin zu einem neuen Verständnis individueller Konsumverläufen
- die Einsicht, dass es Drogenkonsumenten gibt, die durch Substitutionsbehandlung, Spritzenvergabe oder Druckräume akzeptiert werden sollen (vgl. Wierling, 2002, S.34)
Abstinenzorientierte Drogenarbeit ist überholt. Der Akzeptanzansatz ist immer stärker anerkannt und dient der Ergänzung im Versorgungssystem.
Der Begriff Akzeptanz, lateinisch „accipio“ bedeutet gutheißen, billigen, als auch empfangen, hören, erfahren, aufnehmen und erlernen.
Für die Drogenhilfe bedeutet das, dass man den Hilfesuchenden anhört, ihn in seiner Lebenswelt aufsucht, und Verständnis für sein Handeln entwickelt.
„dass jemand auf den anderen eingeht, seine Gesichtspunkte wirklich gelten lässt und sich insofern in ihn versetzt, dass man ihn zwar nicht als Individualität verstehen will, wohl aber als das was er sagt“ (Bossong o.J.).
Akzeptanz bedeutet daher, Toleranz, da sie verschiedene Lebensstile annimmt, sowie jederzeitige Kommunikation gewährleistet. Es soll nicht billigend sondern ein wechselseitiges Von-einander-Lernen sein. Wichtig ist ein Verhältnis zum Gegenüber zu entwickeln, bzw. herzustellen mit der Option eigene Grenzen nicht zu überschreiten. (vgl. Stöver, 1999, S.14)
Die Umsetzung in der sozialen Arbeit erfolgt dann über ein methodisch/praktisches Vorgehen.
Der Schwerpunkt liegt in der Beziehungsarbeit. Das Herstellen der Arbeitsbeziehung findet nicht in dem gewöhnlichen Rahmen statt, vielmehr wird die Beziehung außerhalb auf der Straße in einer gesellschaftlich nicht anerkannten Umgebung hergestellt. Voraussetzung dafür ist die Annahme der Hilfe. Dabei sollten Teilschritte angestrebt werden, die zur gesundheitlichen, emotionalen oder sozialen Stabilisierung führen. Das geschieht durch das Angebot eine unverbindliche Vertrauensbeziehung herzustellen. Die Klienten können problemorientierte Gespräche mit den Mitarbeitern führen, können sich auch Anregungen und Informationen einholen. Oft geschieht es, dass die Klienten Kontakt zu anderen Konsumenten haben und eigentlich nur ein „offenes Ohr“ bei dem Streetworker suchen. (vgl. Steffan, 1988, S.107)
Der Streetworker trägt eine gewisse Verantwortung, für das, was auf der Straße geschieht. Durch eine Offenlegung der Arbeit, also mit Transparenz, können Ängste und Sorgen verringert werden.
Das soll heißen, dass beispielsweise gebrauchte Spritzen nicht in der Öffentlichkeit weggeworfen werden. Der Streetworker hat die Aufgabe mit dem Klienten in guten Kontakt zu treten, das wiederum bedarf einer guten Beziehungsarbeit um das Ziel zu erreichen. (vgl. Wierling, 2002, S.48)
Ganz wichtig ist hier die Verschwiegenheit des Streetworkers, er steht unter Schweigepflicht, ihm ist es nicht erlaubt, Auskünfte über den Drogenkonsum zu geben. (Praktikantinnentreffen Österreich-Schweiz-Deutschland, 1996,Berlin)
Die Arbeit in Konsumräumen kann als Abwertung in der Qualifikation des Streetworkers wahrgenommen werden. Zum einen gilt die Tätigkeit als Unterforderung (einfache Dienstleistung wie Kaffee kochen), bzw. sind sie überfordert durch Extremsituationen, wie (Gewalt, Aggressivität, Leid und Tod) zum anderen wird vom Streetworker verlangt, seine Arbeitszeiten dem Szeneleben anzupassen. (vgl.Wierling, 2002, S.52)
Therapievermittlung:
Konsumenten haben oftmals wenig oder kein Vertrauen in die Möglichkeit ihre Lebenssituation zu verbessern, weil viele Entzüge und Therapieversuche gescheitert sind und weil sie oft über ein geringes Selbtbewußtsein verfügen. Dazu muss man sagen, dass das Problem nicht bei den Konsumenten liegt sondern auf die langjährige Prohibitionspolitik zurückzuführen ist. Zahlen der Therapievermittlung lassen sich nicht genau festmachen. (vgl. Gerlach/Engemann, 1999, S.69)
Zusammenfassend ist zu sagen, dass es sieben Aufgaben- und Angebotselemente gibt:
a. Förderung und Unterstützung von Selbsthilfeaktivitäten
b. Einleitung und Begleitung von Substitutionsmaßnahmen
c. Unterstützung von Ausstiegsversuchen aus der Drogenbindung
d. Risikominimierung/Vermittlung von Safer-Use Kenntnissen
e. Zielgruppenspezifische Angebote
f. Öffentlichkeitsarbeit/drogenpolitsches Engagement
g. Gesellschaftspolitische Aufgabenstellungen
(vgl. Gerlach/Engemann: Zum Grundverständnis akzeptierender Drogenarbeit)
Zu
a) Die Unterstützung von Selbsthilfeaktivitäten stellt für die akzeptanzorientiere Drogenhilfe eine vorrangige Aufgabe dar. Das bedeutet, dass eine Kooperation mit den Betroffenen unerlässlich ist. Es bedarf einem fundiertem Wissen über die Drogebensubkultur, denn nur durch den unmittelbaren Einbezug der Betroffenen kann ein Umsetzungsprozess stattfinden. So wurden Lernprozesse und Selbstorgan- isationsmöglichkeiten eröffnet. Die DrogengebraucherInnen brauchen keine `Experten`, die sie vom Drogengebrauch abbringen müssen oder Lösungs- möglichkeiten aufzeigen müssen. Es haben sich hier Selbsthilfeorganisationen gegründet, wie JES-Gruppen (Junkies, Ehemalige und Substituierte) die sich als positive Beispiele einer Gebrauchskultur illegalisierter Drogen gründeten.
b) Durch das vielfältige Angebot von Substitutionsmitteln lässt sich mittlerweile auch durch bundesdeutsche Forschungsergebnisse belegen, dass in relativ kurzer Zeit ein Großteil des Kriminalisierungsdrucks auf DrogengebraucherInnen und deren soziale und psychische Verelendung abgeschwächt werden konnte (vgl. Gerlach 1993). Besonders gesundheitsgefährdender Konsum verunreinigter Drogen, die Benutzung unsteriler Spritzbestecke sowie polyvalente und polytoxikomane Gebrauchsmuster werden stark verringert.
c) Äußern DrogengebraucherInnen, den Wunsch, aus dem Drogenmilieu und dem Drogengebrauch auszusteigen, sollte ihnen eine breite Palette von Angeboten zur Verfügung stehen, wie Kompakttherapien (Kurzzeittherapie mit integrierter Entgif- lung), Mutter- bzw. Eltern-Kind-Therapien, ambulante Betreuungen, Substitions- möglichkeiten, Originalstoffvergabe, frauenspezifische Angebote sowie Möglich- keiten des kostenlosen stationären, `kalten´und `warmen´ Entzugs. (vgl. Gerlach/Engemann: akzeptierende Dorgenarbeit).
d) Nicht jeder Drogenkonsument möchte oder kann seinen Konsum einstellen, daher sollte die akzeptanzorientierte Arbeit darauf ausgerichtet sein, den eigenständigen Lebensstil zu akzeptieren (vgl. Heudtlass/Stöver/Winkler 1995; Zurhold 1995a). Wichtig ist hier, Gebrauchsregeln zu stützen oder diese zu vermitteln. Dies betrifft Gebrauchsregeln wie:
- Einhaltung bestimmter Gebrauchsgelegenheiten
- Distanzhaltung zur Drogenszene
- Kalkulation des Finanzbudgets (bewusste finanzielle Mittelaufwendung)
- Prioritätssetzung drogenunspezifische Äquivalente im Arbeits- und Freizeitbereich
- Vermeidung von Konsum in Krisensituationen
- Beachtung risikobewußter Applikationsformen (etwa sniefen, rauchen, kein Needle-Sharing (vgl. ausführlich: Weber/Schneider, Wolfgang 1992).
Wichtig ist hier gerade mit szenebewanderten Personen zu kooperieren, da sie aufgrund eigener drogaler Erfahrungen Informationen über Szenenetzwerke besitzen.
[...]
1 aus Süddeutsche Zeitung vom Freitag 9. August 2002
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