Nur dabei statt mittendrin. Rassismuserfahrungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund


Masterarbeit, 2016

141 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Theorieteil

1. Die historische Produktion der ‚Ausländer’
1.1 Rassismus als Konstrukt
1.2 Arbeitsmarkt
1.3 Bildungsinstitution Schule
1.4 Staatsangehörigkeit
1.5 Kulturelle Hegemonie

2. Rassismusforschung
2.1. Die problematische Beziehung von Rassismus und Wissenschaft
2.2. Untersuchungen zu den von Rassismus benachteiligten Personen

3. Theoretische Perspektiven
3.1. Rassismus als Ideologie
3.2. Kultureller Rassismus
3.3. Alltagsrassismus
3.4. Zwischenfazit

4. Studien zu Rassismuserfahrungen
4.1. Der Begriff ‚Andere Deutsche’
4.2. Versuch einer Definition
4.3. Dimensionen von Rassismuserfahrungen (Mecheril)
4.4. Vorgänge einer rassistischen Situation (Terkessidis)
4.5. In Bezug auf die Forschungsarbeit

5. Effekte und Auswirkungen von Rassismuserfahrungen
5.1. Effekte von Rassismuserfahrungen
5.2. Prozesse der Subjektbildung
5.3. Handlungsfähigkeiten & -strategien

6. Die Frage der Zugehörigkeit
6.1. Imagination als Ordnung
6.2. Vom mononationalen Blick und seinen Restriktionen
6.3. hin zu Mehrfach-Identitäten und Vielfalt

Empirischer Forschungsteil

7. Perspektive der Forschungsarbeit
7.1. Genese des Themas & Problemstellung
7.2. Formulierung der Forschungsfrage
7.3. Verortung des Themas
7.4. Forschungsziel

8. Methodik
8.1. Qualitative Sozialforschung
8.2. Das qualitative Interview
8.3. Die Gruppendiskussion
8.4. Das Einzelinterview
8.5. Auswertungsverfahren nach Bohnsack

9. Datenerhebung
9.1. Beschreibung der Institution
9.2. Die Interviews
9.2.1. Interview
9.2.2. Interview
9.2.3. Interview
9.2.4. Interview
9.2.5. Interview
9.2.6. Interview

10. Jugendliche und ihre Erfahrungen
10.1.Bedeutung von Diskriminierung und Rassismus
10.2.Rassistische Artikulationen
10.3.Rassismus - Erklärungsversuche
10.4.Rassistische Diskriminierungen: Differenzen
10.4.1. Diskriminierung als Spaßpraktik
10.4.2. Ambivalenzen: Betroffener & Akteur
10.4.2.1.‚Ausländer’ diskriminieren ‚Ausländer’
10.4.2.2.Homosexualität
10.5.Rassistische Diskriminierung im Alltag
10.6.Rassistische Diskriminierung im Unterrichtskontext
10.7.Rassistische Diskriminierung im Arbeitskontext
10.8.Handlungsstrategien
10.9.Selbst- und Fremdpositionierung
10.10.Der Begriff ‚Ausländer’
10.11.Der dritte Raum als sicherer Raum
10.12.Im Land der Träume

11. Conclusio und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Leitfaden

Transkriptionsregeln

Vorwort

Die folgende Masterarbeit und deren spätere Verteidigung gelten als Abschlussprüfung für mein Masterstudium der Erziehungs- und Bildungswissenschaften an der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck, Österreich.

Rassismus ist überall aufzufinden und beeinflusst das Leben der betroffenen Person erheblich. Lange konzentrierte sich die Rassismusforschung lediglich auf die Meinungen von Einheimischen über MigrantInnen, sie selbst wurden nicht gefragt. Seit einigen Jahren treten immer mehr Forschungen zu den von Rassismus benachteiligten Personen in den Vordergrund. Mir war es wichtig, eine Untersuchung durchzuführen, in der die von Rassismus Betroffenen selbst zu Wort kommen und eine Stimme für das finden, was sie so oft sprachlos macht. Der Titel gibt einen Hinweis darauf, um was es in der vorliegenden Arbeit geht: „Nur dabei statt mittendrin. Rassismuserfahrungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund“.

Ich möchte mich an dieser Stelle herzlichst bei all denen bedanken, die mich bei der Anfertigung meiner Diplomarbeit so kräftig unterstützt haben.

Einleitung

Rassismus ist im deutschsprachigen Raum ein rotes Tuch, über das nicht gerne gesprochen wird und hauptsächlich mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht wird, was auch geschichtliche Gründe hat. Aber was ist eigentlich Rassismus? Wie entfaltet er sich? Wie übt er sich auf die jeweiligen Personen aus und wie beeinflusst er ihr Leben? Dies sind Fragen, auf die niemand eine konkrete Antwort hat. Rassismus fängt jedoch viel früher wie bei Rechtsextremismus an und ist in allen Lebensbereichen aufzufinden, direkt oder indirekt. Menschen mit Migrationshintergrund sind diesem alltäglichen Rassismus besonders ausgesetzt und werden in vielen Lebensbereichen diskriminiert und ausgeschlossen. Ihnen kommen oft nicht die gleichen Möglichkeiten und Chancen zu wie Einheimischen, im Gegenteil, ihnen wird ein Ausländerstatus zugeschrieben und damit ein Stigma, ob sie nun in Österreich geboren sind oder nicht. Optische Merkmale wie Aussehen oder Namen sind scheinbar legitime Merkmale für Diskriminierung und Rassismus. Dies übt sich direkt auf die individuelle Lebensgestaltung der Betroffenen aus, beispielsweise auf ihre Bildungschancen oder auch auf dem Arbeitsmarkt. Im Fall, in dem die betroffenen Personen in Österreich geboren sind, identifizieren sie sich auch mit der österreichischen Kultur, diese Haltung wird ihnen jedoch abgesprochen. Solche Erfahrungen stellen heute die Normalität dar und damit ihnen aktiv entgegengewirkt werden kann, muss mehr über das Thema Rassismus gesprochen und diskutiert werden.

Die vorliegende Arbeit handelt von Rassismuserfahrungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund sowie ihre Reaktionen und Handlungsstrategien darauf. Im Rahmen der Forschungsarbeit wird untersucht, ob und wie Jugendliche mit Migrationshintergrund aus Innsbruck in ihrem Alltag mit Rassismuserfahrungen konfrontiert werden, wie sich dies auf ihr Leben auswirkt und wie sie darauf reagieren. Die erlebten Erfahrungen und die Effekte die Rassismuserfahrungen mit sich bringen sind sehr bedeutend und können das Leben der betroffenen Jugendlichen erheblich beeinflussen. Zusätzlich wird erforscht, welche Reaktionen die Jugendlichen zeigen und welche Handlungsstrategien sie in den konkreten Situationen entwickeln.

Die untersuchende Forschungsfrage lautet:

„Wie reagieren Jugendliche mit Migrationshintergrund aus Innsbruck auf Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen und welche Handlungsstrategien entwickeln sie?“

Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit besteht aus einem theoretischen und einem empirischen Teil.

Um im Bereich Rassismus und Rassismuserfahrungen zu forschen und ein besseres Verständnis zu ermöglichen, ist eine begriffliche Auseinandersetzung notwendig. Im theoretischen Teil wird ein Überblick gegeben:

In einem ersten Schritt wird eine historische Perspektive aufgezeigt, die den Werdegang des ‚Ausländers’ schildert und aufzeigt, dass es sich dabei um eine gesellschaftliche Konstruktion der westlichen Welt handelt. Dabei werden Auswirkungen auf Arbeits- und Bildungskontexte näher beleuchtet, ebenso wie die Rolle der Staatsbürgerschaft und Kultur.

Im zweiten Kapitel wird die Rassismusforschung näher betrachtet. Zum einen wird die problematische Beziehung von Rassismus und Wissenschaft dargelegt, zum anderen werden die wesentlichen Untersuchungen zu den von Rassismus benachteiligten Personen zusammengefasst und reflektiert.

In dem darauf folgenden Kapitel wird versucht, sich der Komplexität des Rassismus zu nähern. Aus verschiedenen Perspektiven wird dessen Bedeutung, Funktion, Ziele und Erscheinungsformen dargelegt und eine begriffliche Definition zu erfassen versucht. Ein Zwischenfazit resümiert die wesentlichen Aspekte.

Das vierte Kapitel arbeitet die Thematik Rassismuserfahrungen auf. Auch hier wird eine begriffliche Definition vorgenommen, danach wird der Begriff ‚Andere Deutsche’ näher betrachtet sowie die Dimensionen von Rassismuserfahrungen nach Mecheril und die Vorgänge einer rassistischen Situation nach Terkessidis erläutert. Die Thematik wird zusätzlich kurz in Bezug auf die Forschungsarbeit behandelt.

In einem fünften Kapitel wird nun ausführlich auf die Effekte und Auswirkungen von Rassismuserfahrungen eingegangen. Dabei werden zunächst mögliche Effekte erläutert, dann werden mögliche Prozesse der Subjektbildung, wie Othering- und Salienzerfahrungen ausführlich beschrieben, sowie deren Wirkungen auf die eigene Person. Des Weiteren werden mögliche Handlungsstrategien und -fähigkeiten, die aus Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen resultieren, genauer beleuchtet und analysiert.

Im letzten und sechsten Kapitel des theoretischen Teils geht es um die Frage der Zugehörigkeit. In einem ersten Schritt wird beschrieben, wie gesellschaftliche Imaginationen entstehen, die schlussendlich zu Ordnungen führen. Dabei steht das gesellschaftliche System als strukturierendes Prinzip im Vordergrund. Danach wird der Blickwinkel auf frühere Umgangsformen in Bezug auf die Einwanderungsgesellschaft gerichtet. Diese war von Restriktionen und Assimilationsprozessen geprägt, die eine totale Anpassung forderten. In einem letzten Schritt wird der Blick auf den gesellschaftlichen Wandel mit einhergehenden Mehrfach-Identitäten und neuen „Ethnizitäten“ gerichtet, die sich von starren Gesellschaftskonstruktionen loskoppeln.

Im empirischen Forschungsteil wird in einem ersten Schritt zunächst die Perspektive der Forschungsarbeit geschildert. Die Entstehung und Verortung des Themas, sowie die Formulierung der Forschungsfrage und Forschungsziel werden ausführlich beschrieben.

Danach wird die zur Datenerhebung angewandte Methodik erläutert und näher beleuchtet. Die Methodik besteht aus qualitativen Interviews, Gruppendiskussionen und das Auswertungsverfahren der dokumentarischen Methode nach Bohnsack.

Im neunten Kapitel geht es um die Datenerhebung, die Beschreibung der Institution und die Vorstellung aller Interviews.

Anschließend werden die Erfahrungen der befragten Jugendlichen im Hauptteil des empirischen Forschungsteils (10.) ausführlich beschrieben und analysiert. Diese sind in unterschiedlichen Kategorien aufgeteilt und wurden nach der dokumentarischen Methode (Bohnsack) ausgewertet.

Die Kategorien sind sehr vielfältig: sie beinhalten die Bedeutung von Rassismus und Diskriminierung aus Sicht der Jugendlichen (10.1), rassistische Artikulationen, die das alltägliche Leben prägen und beeinflussen (10.2.) und zeigen das Suchen nach Erklärungen für das Phänomen Rassismus seitens der Jugendlichen auf (10.3.).

Die befragten Jugendlichen verweisen auf Differenzen und Grenzen in Bezug auf Diskriminierungen, die im Punkt 10.4. näher beleuchtet werden. Diskriminierung als jugendliche Spaßpraktik wird von ‚ernsten’ Diskriminierungen unterschieden. Ebenso zeigt sich, dass die Jugendlichen sowohl Betroffene als auch Akteure von Diskriminierungen sind, beispielsweise in Bezug auf andere Ausländer oder homosexuellen Personen.

In einem weiteren Schritt werden Erfahrungen und Erlebnisse rassistischer Diskriminierung im Alltag (10.5.), im Unterrichtskontext (10.6.) und im Arbeitskontext (10.7.) geschildert und analysiert. Im Abschnitt 10.8. werden konkrete Handlungsstrategien der Jugendlichen herausgearbeitet und veranschaulicht. Die Fremd- und Selbstpositionierung der Jugendlichen war ein großes Thema und wird unter dem Punkt 10.9. behandelt. Im Abschnitt 10.10. wird gemeinsam mit den Jugendlichen über den normalisierten Begriff ‚Ausländer’ diskutiert und versucht, eine De-Konstruktion des Begriffes herbeizuführen. Der Abschnitt „der dritte Raum als sicherer Raum“ (10.11.) veranschaulicht die Zugehörigkeiten der befragten Jugendlichen. Abschließend äußern sie sich „im Land der Träume“ (10.12.) über ihre Wünsche an die Gesellschaft.

In einem Fazit werden die wesentlichen Ergebnisse zusammengeführt, Schlussfolgerungen daraus gezogen und mögliche weiterführende Perspektiven aufgezeigt. Die vorliegende Arbeit wurde gegendert. Zu beachten ist allerdings, dass die befragten Jugendlichen im empirischen Forschungsteil alle männlich sind. Anzumerken bleibt letztlich, dass der begrenzte Rahmen der Forschungsarbeit das Eingehen auf alle Aspekte der Forschung nicht ermöglichte und somit lediglich eine Auswahl in Bezug auf diese Thematik getroffen werden konnte.

Theorieteil

1. Die historische Produktion der ‚Ausländer’

1.1 Rassismus als Konstrukt

In einer historischen Einbettung wird aufgezeigt, dass es den „Ausländer“ schlechthin nicht als solchen gibt, sondern, dass er ein gesellschaftliches Konstrukt ist. Rassismus wurde und wird bis heute des Öfteren, entweder offensichtlich oder aber auch unterschwellig praktiziert und beeinträchtigt das Leben der betroffenen Personen erheblich. Wie kommt es zu dieser Haltung? Wie wurde Rassismus früher gehandhabt, beziehungsweise wie wurden EinwanderInnen diskriminiert? In diesem Kapitel wird die gesellschaftliche Konstruktion des ‚Ausländers’ nachgezeichnet.

Mitteleuropa ist, laut Bukow, mit Blick auf die Geschichte eine „fortgeschrittene Industriegesellschaft mit multikulturellem Charakter“ (Bukow, 1992:133). Die Bundesrepublik ist nach Bukow eine multikulturelle Gesellschaft, die im Prinzip jedoch gar keine sein will und stattdessen eine nationale, homogene Gesellschaft anstrebt. Bukow beschreibt dies als eine Paradoxie, die von gesellschaftlichen Lagen und Entwicklungen bestimmt wird. Vielfalt und Multikulturalität sind die Normalität, dies wollen aber viele nicht sehen und tragen stattdessen eine Idealvorstellung der Gemeinschaft, in der sie leben, in sich, gewechselt haben über die Jahre hinweg lediglich die Ursprungsländer- oder Gegenden, aus der die Menschen mit Migrationshintergrund gekommen sind (vgl. Bukow, 1992:135).

Rassismus ist ein komplexer Bestandteil der Moderne, der besonders seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts theoretisch artikuliert und begründet wird. Die vorhandenen Wissensbestände - und die gibt es in jeder Gesellschaft - verbinden sich dann mit den Praxen, der in der Gesellschaft agierenden Institutionen. Terkessidis beschreibt, dass im Falle von Rassismus in einer Gesellschaft immer bestimmte Gruppen sichtbar gemacht werden und eine Vorzeigerolle übernehmen, weil sie auf eine selbstverständliche Art und Weise in den Institutionen herangebildet und geprägt werden. Andere Gruppen werden als "abnormal" bestimmt, weil sie eben den herrschenden Normen der Gesellschaft nicht entsprechen. So entsteht praktisch gezwungenermaßen eine Trennung d.h. Rassismus. Rassismus ist also das Resultat eines hoch komplizierten Funktionierens einer modernen Gesellschaft (vgl. Terkessidis, 2004:100f).

Wenn Rassismus ein fester Bestandteil der Moderne ist, dann tragen die Institutionen erheblich zur Bildung von getrennten Gruppen bei, sei es zum Beispiel im Nationalstaat oder auf dem Arbeitsmarkt. Dies artikuliert sich auch in der kulturellen Vorherrschaft der einen oder anderen Gruppe. Diese Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe durchzieht unser gesamtes Leben, beispielsweise in Vereinen, Kirchen oder in der Schule. Diese Zuweisung geschieht oft ohne dass wir es merken oder rational wahrnehmen, da die Gegebenheiten schon so selbstverständlich sind, dass sie nicht mehr in Frage gestellt werden. Die Merkmale und Eigenschaften dieser Institutionen bringen soziale Ausschließungen und Ausgrenzungspraxen mit sich, die sich zwar je nach Epoche oder historischer Situation unterscheiden, die es aber im Grunde aber immer gegeben hat. Dabei nehmen die Reichen meistens die privilegierte Position ein, die armen und arbeitenden Menschen jedoch erfahren oft strukturelle, d.h. politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Benachteiligung (vgl. Yuval-Davis, 1992:222).

1.2 Arbeitsmarkt

Die größte Institution des Ausschlusses war und ist laut Terkessidis der Arbeitsmarkt (vgl. Terkessidis, 2004:101). Nach dem zweiten Weltkrieg und dem Mauerbau mangelte es an Arbeitskräften und die westdeutsche Wirtschaft war auf neue Arbeitskräfte angewiesen. Dies war der Beginn der Arbeitsmigration aus den Ländern Süd- und Süd-Osteuropas. Zwischen 1960 und 1972 kamen jährlich bis zu 270.000 Personen nach Deutschland, wobei Nohl darauf hinweist, dass viele dieser Menschen wieder in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sind (vgl. Nohl, 2014:21f.) Auernheimer nennt die 60er Jahre die „Zeit der Gastarbeiter“ (Auernheimer, 2007:35) und beschreibt einen ‚typischen Gastarbeiter’ der in der Regel seine Familie in der Heimat zurückgelassen hatte und von einer baldigen Rückkehr ausging, sobald seine wirtschaftlichen Ziele erreicht waren (ebd.).

Arbeiter aus dem Ausland wurden in untergeordneten Bereichen beschäftigt und übernahmen nichtqualifizierte, schlecht bezahlte und unsichere Arbeitsplätze. Die Gastarbeiter hatten das Gefühl, was in vielen Fällen der Realität entsprach, der Not entkommen zu sein und passten sich den neuen Anforderungen an. Balibar betrachtet dies als institutionelle Diskriminierung, da Arbeitskräfte durch kapitalistische Beschäftigungsstrukturen ausgenutzt werden (vgl. Balibar, 1992:20). Terkessidis beschreibt dies, in Anlehnung an Max Weber, als eine „soziale Schließung“ der Einheimischen gegenüber den ‚Ausländern’. Einheimische hätten von der Arbeitssituation profitiert, da sie wussten, dass ‚Ausländer’ im Falle einer Arbeitskrise durch minderwertige Arbeitsplätze als erste den Arbeitsplatz verlieren würden. Ihre Arbeitsstelle empfanden sie damit nicht als gegeben aber dennoch als sicherer. Den Gastarbeitern wurde also minderwertige Arbeit zugeteilt und dadurch wurden sie automatisch in gesellschaftlich untere Schubladen gesteckt und kategorisiert. Die Arbeiten die Gastarbeiter ausübten, wurden systematisch mit ihren Kompetenzen und Fähigkeiten gleichgestellt. Nicht nur auf persönlicher Ebene, sondern auch innerhalb der ‚Gruppe’ wurde ihnen aufgrund ihrer ‚Fertigkeiten’ eine „innere Homogenität“ zugeschrieben (Terkessidis, 2004:101). Es bildeten sich Unterstellungen die auf Vorurteile und Kategorisierungen beruhten, die beispielsweise besagten, dass ‚Ausländer’ dumm oder faul sind. Solche Kategorisierungen waren sozial konstruierte Unwahrheiten die erklären und legitimieren sollten, warum ‚Ausländer’ minderwertige Positionen in der Gesellschaft einzunehmen hatten. Die Gesellschaft stellte ‚Ausländer’ so dar als hätten sie auf dem Arbeitsmarkt die freie Wahl und sie würden ihre Arbeitspositionen bewusst einnehmen. Vom Prinzip der Chancengleichheit sind wir meilenweit entfernt (ebd.).

Wenn ‚Ausländern’ immer nur minderwertige Arbeitspositionen angeboten wurden, dann ist es unerlässlich, dass sie diese aufgedrungene Zugehörigkeit irgendwann angenommen haben und sie als völlig normal betrachten. Dies übt sich sowohl auf die Gruppe, aber vor allem auf die einzelnen Personen und damit primär auf das Selbstbewusstsein der TeilnehmerInnen aus. Die Fähigkeiten und Kompetenzen der Einzelnen werden von der Gesellschaft kategorisiert und mechanisiert, sodass sie nach einer Zeit sogar von den Beteiligten nicht mehr hinterfragt, sondern einfach angenommen werden. Ohne die gleichen Chancen und eine Unterstützungskraft ist es schwierig Bildungs- oder Aufstiegsaspirationen durchzusetzen. Unterschichtszugehörigkeit ist, laut Terkessidis, somit in gewisser Sicht erblich (vgl. Terkessidis, 2004:102).

1.3 Bildungsinstitution Schule

In dieser Arbeit geht es um Rassismuserfahrungen von Jugendlichen. Kinder und Jugendliche verbringen die meiste Zeit in diesem Lebensabschnitt in der Schule und deshalb soll auch kurz auf die Geschichte der migrationsgesellschaftlichen Bildungsdiskurse eingegangen werden.

In der Schule oder in anderen Bildungsinstitutionen wurden die ausländischen Arbeiterfamilien weitgehend nicht thematisiert. Die Bildungsreformdebatte und die Ausländerpädagogik der sechziger und siebziger Jahre nahmen kaum Notiz voneinander, die Folgen der Arbeitsmigration wurden nicht oder kaum berücksichtigt (vgl. Auernheimer, 2007:35). Gegen Ende der sechziger Jahre war die Zahl der ‚Ausländerkinder’ deutlich erhöht und zeigte somit auch Konsequenzen für die pädagogischen Institutionen. Das Lehrpersonal war in vielen Fällen überfordert und Eltern von ‚einheimischen’ Kindern sahen die Schulausbildung ihre Kinder durch die Anwesenheit der ‚Ausländer’ gefährdet. Mitte der sechziger Jahre wurde die Schulpflicht in Deutschland auf die Gruppe von SchülerInnen mit gesichertem Aufenthalt ausgedehnt (vgl. Mecheril, 2010:56). Dies war lange sehr umstritten, da darüber diskutiert wurde, ob die Kinder der Gastarbeiter überhaupt ein Recht auf den Schulbesuch hätten. Schließlich entschied die Kultusministerkonferenz sich dafür, da die Bundesrepublik an das UNESCO – „Übereinkommen gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen“ gebunden war (vgl. Nohl, 2014:22). Die Tatsache, dass hierüber diskutiert wurde und Schulrecht für alle nicht selbstverständlich war, unterstreicht in welchem Maße Einwanderer und Einheimische nicht die gleichen Rechte hatten, - ein klares Zeichen von krasser Diskriminierung.

In dieser Zeit entwickelt sich dann eine intensive ‚Ausländerpädagogik’. Pädagogische Konzepte, Strategien und Ansätze, die Defizite der ‚Ausländerkinder’ analysieren, formieren eine Sonderpädagogik (vgl. Mecheril, 2010:56). Insbesondere Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache wurden zum Gegenstand der defizitorientierten Ausländerpädagogik gemacht. Die Schulen reagierten mit einer Doppelstrategie, die bis in die achtziger Jahre hinein angewandt wurde. Da die Präsenz der Gastarbeiter mit ihren Familien immer noch als vorübergehendes Phänomen betrachtet wurde, wurde neben der Einschulung zur Anpassung in die deutsche Gesellschaft gleichzeitig auch die Förderung der Rückkehrfähigkeit eingeleitet. Kinder von Gastarbeitern lernten also nicht nur die deutsche Sprache, sondern erhielten zusätzlich Ergänzungsunterricht in der Nationalsprache des Herkunftslandes (vgl. Nohl, 2014:24f). Dies ist allerdings eine paradoxe pädagogische Ausrichtung, da auf der einen Seite das Ziel der schulischen Integration in den Vordergrund gestellt wurde und auf der anderen Seite alle Vorkehrungen zur Rückkehrfähigkeit der Ausländerkinder getroffen werden (vgl. Mecheril, 2010, 56). Dies bedeutet auch eine Doppelbelastung für Kinder mit Migrationshintergrund in pädagogischer Sicht, eigentlich fragt man von ihnen das Doppelte im Vergleich zu den einheimischen Kindern. Dieser Doppelbelastung waren die wenigsten Kinder gewachsen. Die ‚Ausländerkinder’ wurden somit als Problem des Bildungssystems betrachtet. Ein Zitat aus dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (1976) hebt dies hervor:

„Es ist nicht nur eine humanitäre Frage, ob unser Land den insgesamt 1 Million ausländischen Kindern und Jugendlichen gute Entwicklungschancen bietet, sondern eine Frage der sozialen Stabilität unseres Landes (...) Jeder, der in Kategorien sozialer Prozesse denken kann, der weiß, daß das, was sich hier anbahnt, sozialer Zündstoff mit Zeitzünder ist“ (Cock zit. nach Nohl, 2014:20).

Wie können Kinder mit Migrationshintergrund bei solchen Aussagen überhaupt als gleichwertig und zugehörig betrachtet werden? Die zuständigen Behörden gingen von einer Zerrüttung der Gesellschaft aus falls keine vollständige Anpassung erfolgte. Für Kinder mit Migrationshintergrund wurden nur Mängel und Defizite aufgezeigt und die Gründe dafür wurden oft in den Bildungsorientierungen der Herkunftsfamilien gesucht (vgl. Nohl, 2014:21). Anfang der achtziger Jahre weist die Schulpraxis hauptsächlich einen kompensatorischen Charakter auf, in dem Aspekte ethnischer, lingualer und kultureller Differenz vom Lehrpersonal nicht behandelt werden. Erst Ende der achtziger Jahre setzt man sich mit Fragen der sozialen Einbeziehung von MigrantInnen auseinander. Die Bewusstseinsbildung der Differenz ermöglicht in der Folge die Entdeckung von neuen Kulturen und führt zur Entstehung neuer Begriffe wie ‚multikulturelle Gesellschaft’ oder ‚Interkulturalität’. 1996 wird interkulturelle Bildung als zentrale Qualifikation für alle SchülerInnen gesehen. Man verabschiedet sich vom defizitären Blick auf die ‚Ausländer’ und konzentriert sich von nun an auf eine multikulturelle Ansicht (vgl. Mecheril, 2010:57). Das mag sich in der Theorie positiv anhören, wenn man sich jedoch mit den Gegebenheiten von früher auseinandersetzt, dann erkennt man sehr wohl eine hohe Anzahl an Punkten oder Ansätzen, die leider bis heute immer noch durchscheinen, was sich anhand vom empirischen Material später auch belegen lässt.

1.4 Staatsangehörigkeit

Ein weiteres Instrument, welches eine sehr große Wirkung auf das Leben von Menschen mit Migrationshintergrund hat, ist die Staatsangehörigkeit. Zu Zeiten der Masseneinwanderung der Gastarbeiter regelte man die Staatsangehörigkeit jedenfalls in den germanischsprachigen Ländern nach dem Prinzip des „ius sanguinis“, also dem Kriterium der Abstammung, welches die Gastarbeiter prinzipiell aus der ‚richtigen’ Gruppe ausschloss. Die ‚Ausländer’ wurden laut ihrer Nationalität unterschieden und der Staat regelte die Zulassung von fremden Personen nach Belieben und Bedürfnissen der Wirtschaft. In den meisten kontinentaleuropäischen Staaten fungierten Abstammungs- und „ius-soli“ Prinzip nebeneinander. Das „ius-soli“ Prinzip, welches lange uneingeschränkt (zum Beispiel in Frankreich) galt und die Nationalität vom Geburtsort abhängig macht, galt in Deutschland jedoch als verpönt (vgl. Franz, 1992: 238ff). Das „ius sanguinis“ beruht auf dem Prinzip, dass Staatsangehörigkeit auf keiner rationalen Entscheidung des Einzelnen beruht, sondern angeboren wird. Somit konnte man eigentlich ohne deutsche Verwandtschaft niemals ein ‚richtiger’ Deutscher werden und sogar wenn man dies anstrebte, musste man sich Prüfungen des Lebenslaufes und des Persönlichkeitsbildes unterziehen. Nur derjenige, der sich auch als Deutscher beweisen konnte durch die oben genannten Prüfungen, verdiente die deutsche Staatsangehörigkeit. Deutsche, die sich jedoch nicht als ‚Deutsche’ benahmen, konnten keine Volksgenossen sein. Die deutsche Staatsangehörigkeit galt als eindeutiges Zeichen der Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft (vgl. Franz, 1992:237). Engagierte sich die Person in politischen Organisationen, deren Mitglieder nicht deutscher Abstammung waren, wurde sie abgelehnt. Gegen Ende der siebziger Jahre entschloss sich der Gesetzgeber dazu neue Einbürgerungsrichtlinien festzulegen und damit sozusagen gleichwertige Komponenten für das „ius sanguinis“ zu erstellen. Die endgültige Entscheidung über Aufnahme oder Verwehrung einer Person in die Volksgemeinschaft verblieb immer noch in Händen der Behörden (vgl. Terkessidis, 2010:57).

Betrachtet man diese Richtlinien und Kriterien der siebziger Jahre, klingen die Überzeugungen von damals realitätsfremd, denn ohne Gastarbeiter wäre die deutsche Gesellschaft nach dem zweiten Weltkrieg nicht wieder so schnell aufgebaut worden. Es mag der Eindruck entstehen, dass diese Themen keinen direkten Bezug zum Bild des ‚Ausländers’ haben, aber die Geschehnisse der siebziger und vor allem die konstruierte und völlig überholte Auffassung von ‚Integration’ zeigen, dass Menschen mit Migrationshintergrund unterschwellig diskriminiert wurden, wobei das Gesamtbild so verpackt wurde als hätte man keine andere Wahl und würde lediglich nach dem Gesetz handeln.

Erst zu Beginn der neunziger Jahre kam mit dem Ausländerrecht das Recht auf Einbürgerung. Das Ausländerrecht akzeptierte zwar die dauerhafte Anwesenheit der Gastarbeiter, die jetzt zu Einwanderern geworden waren, aber verwehrte ihnen gleichzeitig auch die volle Integration (vgl. Terkessidis, 2004:102). Mit der Neufassung des Staatsangehörigkeitsrechtes im Jahr 2000 wurde die Forderung auf vollständige Anpassung seitens der Einwanderer aufgegeben, zumindest rechtlich gesehen. Ein Blick auf die damaligen Forderungen kann helfen das heutige Verständnis der ‚Integration’ und den Normvorstellungen zu verstehen. Dazu sagt Terkessidis:

„Tatsächlich hat die alte institutionelle Regelung dazu geführt, dass „Deutschsein“ noch heute eine statische Kategorie ist, die mit Wohlanständigkeit in Verbindung gebracht wird und als etwas gilt, das man passiv, in Empfang nimmt“ (Terkessidis, 2010: 58).

Laut Auffassung der deutschen Union muss der individuelle Integrationsprozess beendet sein, bevor man die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben kann. Was bedeutet ein gelungener Integrationsprozess? Einwanderer müssen unter anderem an Sprachtests teilnehmen und ihr Können ‚beweisen’, wobei die Anforderungen kontinuierlich aussteigen (vgl. Terkessidis, 2010:60). Einbürgerung in Deutschland geht nach Meinungen der Deutschen mit einer Änderung der individuellen ‚Wesensart’ einher: Integration ist eine Aufforderung zur Angleichung an die dominante Lebensform (vgl. Mecheril, 2010:58). Wenige Einwanderer entscheiden sich nach der Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes für die deutsche Staatsangehörigkeit, sodass viele weiterhin über das Ausländerrecht verwaltet werden. Dadurch befinden sie sich in einem Teufelskreis, da sie ohne deutsche Staatsbürgerschaft weiterhin auf dem Arbeitsmarkt Ungleichheit erfahren. Auch politisch gesehen dürfen sie ja auch nicht an Wahlen teilnehmen, somit ist eine Änderung oder Abschaffung der Gesetze, die Ungleichheit befürworten größtenteils unmöglich. Den Prozess der ‚Integration’ erfüllen sie oft auch nicht, da dies die Einstellung der eigenen kulturellen Praxen bedeutet (vgl. Terkessidis, 2004:104).

1.5 Kulturelle Hegemonie

Eine weitere Komponente die große Auswirkungen auf das Leben der Einwanderer hat ist die Kultur. Terkessidis spricht in diesem Zusammenhang von kultureller Hegemonie und bezeichnet damit einen Raum in dem die Ausführungen des Staates, die Ansprüche des Arbeitslebens und die Tätigkeiten der Subjekte zusammen spielen. Damit ist zum einen das Durchsetzen von bestimmten Werten und moralischen Haltungen gemeint, die unter anderem mit Selbstbeherrschung oder Fleiß, das heißt Disziplin erreicht werden. Zum anderen macht kulturelle Hegemonie auf das aufmerksam, was die Nation mit ihren dominanten westlichen Erwartungen ‚eigentlich’ ist (vgl. Terkessidis, 2004:104). In Deutschland geht man davon aus, dass es das Volk als Kulturgemeinschaft schon immer gegeben hat. Anhand zum Beispiel einer gemeinsamen Sprache konstituiert das Volk eine fiktive Einheit und in dieser Folge wird die Menschheit in unterschiedliche Ethnizitäten geteilt. Der Staat verkörpert sich in Symbolen wie Flaggen oder Denkmälern und ‚erfindet’ eine kollektive Abstammung, beruft sich auf die gemeinsame Vergangenheit, die definieren soll was die ‚eigentliche’ Nation nun wirklich ist. Die kulturelle Hegemonie einer Gruppe in der nationalen Gesellschaft als „fiktive Ethnizität“ (Etienne Balibar) definiert nicht nur wer oder was zugehörig ist, sondern deren Hegemonie erstellt auch einen Werte- und Moralkodex an das die Gesellschaftsmitglieder sich halten sollen (ebd). Charakterisierung der Moderne ist Terkessidis nach die vollständige Disziplinierung der Subjekte. Sie unterwerfen sich, freiwillig oder gezwungen, einem kapitalistischen Wertesystem das konkrete Vorstellungen über beispielsweise Freiheit, Pflicht oder Demokratie hat (vgl. Terkessidis, 2004:105). Man konstruiert sich so ein ideales Bild wie die Gesellschaft es möchte oder wie es von einem erwartet wird, um „dazu“ zu gehören. Bukow behauptet, dass Menschen mit Migrationshintergrund zu einer „Neueinrichtung des Selbst“ genötigt werden (Bukow, 1992:136). Hier kann man eine sozusagen ‚neue Ethnisierung’ beobachten: Menschen die aufgrund von ethnischen Merkmalen eigentlich einer ‚anderen’ Gruppe zugeordnet wurden, werden re-produziert, formatiert damit sie in das gesellschaftliche Bild mit den anerkannten Normen und Vorstellungen hineinpassen, ihre eigentliche Ethnizität wird ‚passend’ gemacht.

Die Einwanderer wurden also in Bezug Arbeitsmarkt oder Bildungsinstitution, auf Staatsbürgerschaft und kulturelle Hegemonie anders behandelt. Terkessidis beschreibt diesen Prozess als eine „soziale Schließung“, des „Ausschlusses durch Einbeziehung“ (Terkessidis, 2004:106). Auch Balibar spricht in diesem Zusammenhang von einer „weltweiten inneren Ausschließung“ (Balibar, 1992:22). Die Einwanderer werden sozusagen aufgenommen und in die Gesellschaft ‚integriert’, wobei die Gesellschaft nach Klassenverhältnissen unterschieden wird und die Einheimischen die privilegierte Position einnehmen. Jede Gesellschaft hat sein bestimmtes Wissen über die Abstammung der Bürger. In Deutschland war die Volkszugehörigkeit an die Blutsverwandtschaft gekoppelt, dadurch wird es dem Einwanderer unmöglich gemacht sich vollständig zu integrieren und als zugehörig betrachtet zu werden, da er/sie anhand der Kultur immer auf seinen ursprünglichen Zugehörigkeitskontext zugewiesen wird. Diejenigen, welche den Vorstellungen des Nationalstaates nicht entsprechen, stellen eine Gegengruppe dar: sie sind die Anderen (vgl. Terkessidis, 2004:105). Anhand seiner Gesetze ist ein Staat national orientiert und bringt Minderheiten hervor. Die vom Staat festgelegten Regeln produzieren Unterschiede und somit Angst, da sie definieren wer oder was sicher oder unsicher ist. Balibar behauptet, dass der moderne Rassismus eine Beziehung zum Anderen darstellt, die durch den Eingriff des Staates vermittelt und vereinfacht wurde (vgl. Balibar, 1992:23f). Die Werte der Nation haben sich zwar heute im Vergleich zu früher etwas aufgelockert, sind aber dennoch nicht aufgelöst worden.

Vielen wissenschaftlichen Arbeiten zufolge werden AusländerInnen von der Gesellschaft produziert und sind nie vollständig zugehörig, sondern immer speziellen Regelungen unterlegen. Rassismus wurde und ist auch heute noch so alltäglich, dass man ihn in allen Lebensbereichen auffinden kann. Denken wir an die nationalen Symbole auf Geldmünzen, Flaggen oder an Denkmälern, überall ist die Nation vertreten, wird verherrlicht und als die Norm dargestellt. Laut Terkessidis ist das rassistische Wissen deshalb so hartnäckig und glaubhaft, weil es Tag für Tag in der Praxis gelebt wird und mit den sozialen Bedingungen der Realität übereinstimmt (vgl. Terkessidis, 2004:108).

2. Rassismusforschung

2.1. Die problematische Beziehung von Rassismus und Wissenschaft

Den Sozialwissenschaften kam lange die Rolle zu, die Realität zu beschreiben und ein ‚neutrales’ und ‚wahres’ Wissen darzustellen. Die Wissenschaft ist durch sein aktives Forschen selbst in die Produktion von rassistischem Wissen verstrickt, was die Forschung vor erhebliche Probleme stellt. Eigentlich will man dem Rassismus entgegentreten, indirekt (re-)produziert man ihn aber auch. Es ist von erheblicher Bedeutung, eine Forschung zu schaffen, die einer rassismuskritischen Forschung gerecht wird. Es stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien über einen sogenannten ‚Wahrheitsgehalt’ überhaupt entschieden werden kann. Dafür müssen passende Zugänge zum empirischen Material gefunden werden, die es erlauben Ungleichheitsverhältnisse aufzuzeichnen und rassistische Strukturen und Herrschaftsverhältnisse hervorzuheben.

Die Perspektive der Forschung muss laut Terkessidis so angelegt sein, dass Rassismus als Diskussionsthema hervortreten kann (vgl. Terkessidis, 2004:110). Heute wissen wir, dass mittels Wissenschaft zwar Erkenntnisse und Wissen hervorgebracht werden, dies jedoch in keinem Fall ein globaler Gültigkeitsanspruch hat. Mecheril geht sogar so weit zu behaupten in Anlehnung an Eysenck, es gäbe kein wissenschaftliches Wissen (vgl. Mecheril, 1999:231). Wissenschaft ist, dem Soziologe Arno Bammé nach, ein offener, immer weiter währender Prozess, der durch Perspektiven und Interpretationen von Forschenden beeinflusst und diktiert wird. Es kann nicht über die Wahrheit und über die Beurteilung einer Aussage entschieden werden, da diese immer im Auge des Betrachters stattfindet (vgl. Bammé, 2009:21ff). Es ist wichtig zu erwähnen, dass es sicher Aussagen gibt die besser argumentiert sind als andere, aber nicht alles relativiert werden kann, sonst ist Wissenschaft überflüssig. Objektivität, die es also in einer globalen Form nicht gibt, aber die angestrebt werden soll, ist sehr wichtig damit die Untersuchung aussagekräftig ist. Zugleich muss man sich aber eingestehen, dass Objektivität auch sehr perspektivisch und subjektiv ist, da sie die Ansicht der dominanten Gruppe über die sogenannten ‚Anderen’ - die Minoritätsgruppe - darstellt. Laut Terkessidis kann, im Hinblick auf die Migrationsforschung, eine Auseinandersetzung mit Rassismus nicht vorurteilsfrei oder unparteiisch sein (vgl. Terkessidis, 2004:110).

Terkessidis macht darauf aufmerksam, dass alle in der Gesellschaft genutzten Begriffe Wertungen enthalten und auf etwas ganz bestimmtes abzielen. Wenn alle benutzten Begriffe Wertungen enthalten, dann ist es sinnlos eine ‚Objektivität’ anzustreben (ebd). Die in der Gesellschaft inkorporierten Wertungen resultieren aus einem sogenannten „Wissen der Leute“ (Foucault), das keineswegs mit eigentlichem Wissen verwechselt werden sollte, sondern eher ein spezielles, lokales Wissen darstellt (Foucault, 1978 zit. nach Terkessidis, 2004:112; vgl. Mecheril, 1999:242). Dieses Wissen wird oft von einer dominanten Gruppe vertreten und macht auf ungleiche Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft aufmerksam, denn nur die dominante Sichtweise wird für richtig erklärt. Insbesondere bei Forschungen über Erfahrungen von Betroffenen handelt es sich um Außenseiter- und zugleich Machtbeziehungen (vgl. Mecheril, 242). Wissensproduktionen sind unvollständig und müssen auch als solche betrachtet werden. Die Subjektivität und Auffassungen der Menschen sind immer situations- und erfahrungsabhängig. Im Forschungsprozess gilt dies sowohl für den Befragenden wie auch für den Forschenden (vgl. Scharathow, 2014:60).

„Das Wissen ist weder authentisch noch unverfälscht Subjektiv, es ist immer das Ergebnis eines Vermittlungsprozesses – mit den selbst erlebten Situationen, mit den eigenen Interpretationen, mit den Interpretationen der Mehrheit und auch mit demjenigen, dem dieses Wissen mitgeteilt wird“ (Terkessidis, 2004:113).

Menschen reagieren nicht auf die Bedeutung, die diese Dinge für die WissenschaftlerInnen haben könnten, sondern auf ihre eigenen Interpretationen und subjektive Bedeutungen (vgl. Scharathow, 2014:60). Anhand der im Forschungsprozess gewonnenen Informationen wird ein Wissen über Rassismus präsentiert, bei der die Forscher eigentlich ebenso als ‚zu Beforschende’ verstanden werden müssen, da auch ihre Erfahrungen und Perspektiven eine Rolle spielen im Prozess der Wissensbildung. Scharathow erklärt:

„Stattdessen ist eine Wissensproduktion, die auf Erfahrungen in der sozialen Welt Bezug nimmt, als Prozess und Ergebnis einer Interaktion zwischen Forschenden und ‚zu Beforschenden’ zu begreifen“ (Scharathow, 2014:63).

Der Prozess der Wissensproduktion beinhaltet Interpretationen und Produktionen und wird von sozialen und individuellen Machtverhältnissen beeinflusst. Letztlich entscheiden individuelle Erfahrungen und Meinungen darüber, wie die Erlebnisse aufgenommen und vermittelt werden (ebd). Es geht nicht um ‚wahr’ oder ‚nicht wahr’, es geht darum, das erfasste Wissen in seiner eigenen Beschaffenheit zu lassen und so zu erforschen. Die Frage der Glaubwürdigkeit der erlebten Erfahrungen stellt sich dabei nicht. Es geht darum gemeinsam Worte zu finden, für das was die TeilnehmerInnen sprachlos macht oder gemacht hat (vgl. Terkessidis, 2004:114). Auch Mecheril und Teo betonen, dass die Leitlinie einer Untersuchung, insbesondere über Rassismuserfahrungen, vom „sprechen über“ durch ein „sprechen mit“ und ein „sprechen für“ ausgewechselt werden sollte (Mecheril & Teo, 1994:22).

Man kann also behaupten, dass Forschende keine neutralen Beschreibungen und Untersuchungen von einer vermeintlich ‚neutralen’ Welt schaffen können. Dies heißt natürlich nicht, dass der/die ForscherIn nie neutral in die Forschung hineingehen soll, sondern macht lediglich darauf aufmerksam, dass eine absolute Objektivität nie gegeben ist und der/die ForscherIn sich auch dessen bewusst sein sollte. Eine (Selbst-)Reflexivität ist im Bereich der Sozialwissenschaft unerlässlich. Reflexivität hört nicht bei Selbstreflexion auf, es sollte sich zudem individuell mit dem kulturellen Ort, von dem aus gesprochen wird, auseinander gesetzt werden, insbesondere wenn der/die ForscherIn von ‚außen’ also als Mitglied der Mehrheitsgesellschaft forscht (vgl. Mecheril, 1999:245).

Nachdem auf die Beziehung von Wissenschaft und Forschung eingegangen wurde, wird im Folgenden der Standpunkt der Rassismusforschung beleuchtet. Da es nicht möglich ist alle Forschungen aus diesem Bereich darzulegen, wurden die Untersuchungen ausgewählt, die im Kontext der vorliegenden Arbeit besonders relevant sind. Hauptaugenmerk gilt den Forschungen, die sich mit den Folgen der von Rassismus betroffenen Personen auseinander setzen.

2.2. Untersuchungen zu den von Rassismus benachteiligten Personen

Seit den 80er Jahren wird von Rassismusforschung gesprochen wenn Untersuchungen zum Thema Diskriminierung durchgeführt werden. Die Forschung über Vorurteile dominiert die empirische Forschung über Rassismus. Es wurden quantitative sowie qualitative Untersuchungen mit Einheimischen durchgeführt, was prinzipiell nicht verkehrt ist, aber die Ergebnisse der Studien spiegeln die Sicht der einheimischen Gesellschaft. Die Sicht der von Rassismus betroffenen Personen sowie deren Perspektiven, Reaktionsweisen und die darauf resultierenden Folgen bleiben dabei oft unbeachtet (vgl. Terkessidis, 2004:114; vgl. Mecheril, 1999:237; Melter, 2006:59). Melter glaubt mögliche Ursachen dafür zum einen in einer schwachen oder fehlenden Selbstorganisation der betroffenen Personen zu finden, zum anderen sind die meisten Forscher Angehörige der Mehrheitsgesellschaft und tun sich auch leichter Mitglieder dieser zu befragen. Eine weitere Ursache könnte die Spurenhinterlassung des Nationalsozialismus sein sowie die Abwehr der Gesellschaft, sich mit den Folgen ihrer eigenen Diskriminierungspraktiken auseinander zu setzen (vgl. Melter, 2006: 59). In Deutschland war Paul Mecheril einer der ersten, der sich mit den Betroffenen von Rassismus auseinander gesetzt hat. 1997 beschreibt er Untersuchungen über Rassismuserfahrungen würden ‚bei Null’ anfangen, das Forschungsgebiet wäre immens defizitär (vgl. Mecheril, 1997:177).

1990 erforschten Christina Riegel und Josef Held anhand einer quantitativen Fragebogenerhebung und qualitativen Einzel- und Gruppeninterviews wie Jugendliche Integrations- und Ausgrenzungsprobleme in ihrem Stadtteil erleben und wie sie mit Diskriminierung und Benachteiligung umgehen. Themen waren unter anderem das subjektive Integrationsverständnis, persönliche Einstellungen und Verhaltensweisen sowie Handlungsstrategien in Bezug auf Gewalt und Diskriminierungen. Bei der Auswertung wurden die Befragten in ‚Deutsch’ und ‚Nicht-Deutsch’ eingeteilt. Held und Riegel befinden sich hinsichtlich der Kategorisierung in einer Zwickmühle da diese zusätzliche Klassifizierungen mit sich bringen könnten, sehen sie aber gleichzeitig als notwendig um aufzuzeigen, dass besonders Jugendliche ohne deutsche Staatsbürgerschaft benachteiligt werden. Die Autoren beschreiben, welche Vorgehensweisen die Jugendlichen entwickeln um bestimmten Gruppen anzugehören, wie sie institutionelle Diskriminierungen erfahren und wie sie damit umgehen. Sie zeigen die Zurückweisung ethnischer Kategorisierungen indem sie ihre kulturelle Zugehörigkeit verschweigen. Die Jugendlichen benennen ihre Herkunft beispielsweise nicht um so Stigmatisierungen zu vermeiden. Andere Handlungsstrategien gegen Abwertungen sind beispielsweise die Bagatellisierung von Rassismuserfahrungen sowie verbaler und körperlicher Widerstand. Eine andere Umgangsform ist die Anpassung an gesellschaftlichen Vorstellungen der herrschenden ‚Normalität’. Zentrales Ziel der Forschung ist die Erkenntnis, dass die Jugendlichen ihre Zugehörigkeit weder an einer Staatsbürgerschaft, noch an einer kulturellen Herkunft festmachen, dafür aber an Kriterien die mit ihrem Lebensstil, wie Kleidungs- oder Musikstil verbunden sind. Die Jugendlichen sind sich der Position als ‚AusländerIn’ bewusst, lassen sich aber nicht in eine Opferrolle einteilen und entwickeln eine selbstbewusste Haltung und eine Zukunftsperspektive und versuchen die Benachteiligungen durch individuellen Einsatz zu überwinden.

Mecheril widmet sich in seiner grundlegenden Studie „Prekäre Verhältnisse. Über natio-ethno-kulturelle (Mehrfach) Zugeh örigkeit“ (2003) der zentralen Frage der Zugehörigkeit. Er kann anhand seiner Interviewpartner aufzeigen, dass ‚Andere Deutsche’ Zugehörigkeitsarbeit leisten und Handlungsmöglichkeiten bieten, dabei aber stets als ‚doppelt Anders’ angesehen werden: sie sind weder den ‚Deutschen’, noch den ‚Nicht-Deutschen’ zugehörig. Mecheril macht Differenzkonstruktionen deutlich, die im Rahmen von Alltagsrassismus wirksam sind. Er betont, dass es sich dabei nicht um eine einheitliche Gruppe handelt, sondern verschiedene Menschen ähnliche Lebensbedingungen und gemeinsame Erfahrungen aufzeigen. Die prekäre Zugehörigkeitsrealität ist zentrale Untersuchungsperspektive und wird von Mecheril mit dem Begriff „natio-ethno-kulturell“1 gedeutet. Die Interviews von Rava Mahabi und Ayse Solmaz stehen im Mittelpunkt und zeigen Handlungsmöglichkeiten und -Einschränkungen auf, die in Bezug auf den Subjektivitätsprozess zur Geltung kommen. Die Interviewpartner gehen differenzieren in ihren Umgangsweisen: Rava fördert und kultiviert sich in Bezug auf seine Erfahrungen, wehrt seine Verletzungen so ab und handelt lösungsorientiert. Ayse versucht Anerkennung zu bekommen und handelt auch orientiert um diese weiterhin zu bekommen. Mecheril verweist in seiner Studie auf die Differenzkonstruktionen der Gesellschaft, auf die Zugehörigkeitsverständnisse und -erfahrungen sowie auf die Konstruktion des prekären Subjektes die nur anhand der gesellschaftlichen Machtstrukturen entstehen können. Er prägt zudem den Begriff der Mehrfachzugehörigkeit und mit dieser Perspektiverweiterung liefert er auch neue Untersuchungsrichtungen, in denen beispielsweise die homogenen Zugehörigkeitskonzepte hinterfragt werden können.

Mark Terkessidis liefert mit seiner qualitativen Studie „Die Banalität des Rassismus. Migranten zweiter Generation entwickeln eine neue Perspektive“ sehr viele neue Erkenntnisse. Der Fokus der Arbeit liegt auf der Bedeutung der Staatsangehörigkeit, die in der Gesellschaft herrschenden rassistischen Machtverhältnissen und insbesondere auf das verbreitete Wissen um Rassismus. Das Wissen von MigrantInnen wird von der Mehrheitsgesellschaft oft abgewertet, disqualifiziert oder ignoriert, wie wir bei den zuvor dargestellten Untersuchungen bereits gesehen haben. Terkessidis hat zehn bildungserfolgreiche Menschen mit Migrationshintergrund über ihr Wissen und ihre Erfahrungen in Bezug auf Rassismus befragt und wollte herausfinden, ob und wenn ja, welches Wissen sie darüber besitzen. In Folge dessen beschreibt Terkessidis ein Inventar rassistischer Situationen, die in der vorliegenden Arbeit ausführlich beschrieben werden2. Auf die zentrale Forschungsfrage hin zeigt Terkessidis, dass es kein allgemein geteiltes Wissen über Rassismus gibt. Die Befragten äußern ein Gefühl von Unbehagen und Ungerechtigkeit, finden aber keine gemeinsame Sprache für die rassistischen Erfahrungen. Die ‚AusländerInnen’ werden nicht als vollständige Mitglieder der Gesellschaft betrachtet, sondern als Gäste die geblieben sind. Dies äußert sich in allen Lebensbereichen der betroffenen Personen. Die ungleiche Rechtsstellung in Bezug auf die Staatsbürgerschaft sowie die gegebenen Ungleichheiten werden von den Betroffenen Personen als natürlich gesehen und nicht in Frage gestellt. Terkessidis führt die Ergebnisse darauf zurück, dass es keine vollständige Begriffsbildung für Rassismus gibt und der Begriff auch in der Forschung diffus geprägt ist, was unbedingt verändert werden muss.

Auch Claus Melter hat eine empirische Studie in Bezug auf Rassismus und Jugendlichen durchgeführt. In „Rassismuserfahrungen in der Jugendhilfe. Eine empirische Studie zu Kommunikationspraxen in der sozialen Arbeit“ (2006) stehen die Perspektiven von sieben männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Fokus, zusätzlich hat Melter sieben BetreuerInnen interviewt. Zentrales Forschungsinteresse sind die Umgangsweisen und die Handlungsstrategien der Jugendlichen mit institutionellem und Alltagsrassismus, sowie die Frage, inwieweit das pädagogische Fachpersonal ihnen eine Hilfe oder Ansprechpartner ist in Bezug auf die Rassismuserfahrungen. Die Resultate zeigen, dass alle Befragten regelmäßig Diskriminierungserfahrungen in Schulen, Einkaufsläden, im Freundeskreis und in Diskotheken erleben. Institutioneller Rassismus erfahren sie primär bei der Polizei und den Ausländerbehörden. Das Fachpersonal der Jugendhilfe sorgt für schockierende Ergebnisse und wird scharf kritisiert: Sie setzen sich unzureichend oder gar nicht mit den existentiellen Fragen ihrer Jugendlichen auseinander und versuchen sogar ihr Handeln anhand von unterschiedlichen Gründen zu legitimieren. Sie tauschen sich nicht mit den Jugendlichen über ihre Diskriminierungserfahrungen aus und binden diese nicht in ihre Konzepte ein, zeigen Insensibilität und unzureichende Kenntnisse in Bezug auf rassismuskritische Arbeit auf. Melter führt dies auf die Nicht-Thematisierung von Rassismuserfahrungen in der Politik und in Aus- und Weiterbildungen im sozialen Bereich zurück.

In der 2014 verfassten Untersuchung „Risiken des Widerstandes. Jugendliche und ihre Rassismuserfahrungen“ möchte Wiebke Scharathow auf die Ungleichheitsverhältnisse von Jugendlichen mit Migrationshintergrund aufmerksam machen und sie als Teil der gesellschaftlichen Realität erkennbar machen. Sie will zudem aufzeigen, wie Rassismus als gesellschaftliches System analysiert, kritisiert und verändert werden kann. Scharathow entwickelte im Rahmen ihrer qualitativen Forschung ein Kunstprojekt sowie eine Forschungswerkstatt als Grundlage für die geführten Gruppendiskussionen und Einzelinterviews. Die Aussagen von 16 Jugendlichen, neun weibliche und sieben männliche, fließen in die Auswertung der Untersuchung ein. Die Jugendlichen schildern Erlebnisse von offenen und verdeckten Rassismuserfahrungen, rassistischen Zuschreibungen, Abwertungen und Klassifizierungen sowie das Gefühl von Nicht-Zugehörigkeit. Sie selbst sprechen dabei lediglich von ‚Diskriminierungen’, nicht von Rassismus. Scharathow macht die Jugendlichen im Sinne einer rassismuskritischen und reflexiven Sichtweise darauf aufmerksam, dass sie es mit Rassismus zu tun haben. Die unterschiedlichen Auffassungs- und Umgangsweisen der Jugendlichen werden anhand von vielen Beispielen sehr präzise aufgezeigt, wobei Scharathow auch die Vielfältigkeit und Widersprüche ausarbeitet. Es zeigt sich, dass gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse in den Lebensräumen der Jugendlichen kaum oder nicht thematisiert werden. Die Erfahrungen sorgen bei den Jugendlichen für Unsicherheit und Irritierungen, insbesondere weil sie von der Mehrheitsgesellschaft heruntergespielt oder gar geleugnet werden. Die De-Thematisierung von Rassismus und die Normalisierungsstrukturen der Gesellschaft üben sich sehr auf das Selbstbewusstsein einiger Befragten aus. In ihrem Alltag versuchen die Jugendlichen rassismuskritisch vorzugehen, sei dies anhand von Bedeutungsverschiebungen oder Veränderungen von Perspektiven und dominanten Verhältnissen. Scharathow macht abschließend auf die Bedeutung von rassismuskritisch-pädagogischer Arbeit aufmerksam.

Nachdem der Forschungsstand näher betrachtet wurde, kann man schlussfolgern, dass im Laufe der Zeit bereits viele Themen angesprochen wurden und sich einige wertvollen Informationen heraus kristallisiert haben. Im Zuge der Interviews dieser Untersuchung wurden viele Punkte angesprochen, die auch in den bereits stattgefundenen Forschungen thematisiert wurden. Dies wird im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit detailliert und ausführlich dargelegt und besprochen.

Im Hinblick auf die Forschungszwecke sowie auf die Analyse der Forschungsarbeit ist eine theoretische Darstellung wichtiger Begriffe notwendig, damit individuelle, strukturelle, kulturelle sowie gesellschaftliche Zusammenhänge und unterschiedliche Perspektiven beachtet und beleuchtet werden können. Im Folgenden Kapitel soll versucht werden unterschiedlichen theoretischen Positionen und Bezügen nachzugehen.

3. Theoretische Perspektiven

Mit einem Satz auf die Frage „Was ist für dich Rassismus?“ zu antworten ist ein schwieriges, wenn nicht unmögliches Unterfangen. Rassismus beruht jedenfalls auf einem Klassifikations- und Kategorisierungssystem, welches von der Gesellschaft bewusst oder unbewusst konstruiert und ausgeübt wird. Dieses Klassifizieren führt unweigerlich zur Ungleichbehandlung der Menschen innerhalb der Gesellschaft. Die Tendenz oder das Bedürfnis Menschen zu klassifizieren, zu unterscheiden, heißt ganz oft ihnen dann auch weniger Rechte zuzustehen, weil sie von einer sogenannten herrschenden Norm abweichen. Sich dem Begriff Rassismus theoretisch zu nähern ist keine leichte Aufgabe und von Diffusität geprägt. Melter sowie Rommelspacher sehen die Gründe hierfür in der Komplexität der Thematik, in auseinanderweichenden Definitionen sowie in einer herrschenden Uneinheitlichkeit bei der Verwendung von Begriffen (vgl. Melter, 2006:18; Rommelspacher, 2009:25).

Das Rassismusverständnis wurde erheblich durch den Nationalsozialismus geprägt, weswegen der Rassismusbegriff lange umgangen wurde und erst seit geringer Zeit wieder mehr Anerkennung erfährt (vgl. Mecheril/Scherschel, 2009:39f). Im öffentlichen Diskurs wird Rassismus als ein gesellschaftlich konstruiertes Randphänomen beschrieben und oft nur mit Rechtsextremismus sowie mit Personen die strukturell schwach, nicht gebildet und unter oder weniger privilegiert sind in Verbindung gebracht (vgl. Arndt, 2011:37; Mecheril/Scherschel, 2009:52). So lange einer Auseinandersetzung mit Rassismus aus dem Weg gegangen wird, bleibt das Phänomen Arndt zufolge weiterhin unbenannt und kann strukturell wie auch diskursiv unangetastet fortwirken (vgl. Arndt, 2011: 37f). Die Gesellschaft muss Rassismus also bewusst anerkennen und nicht vor sich hinschieben, wie viele es heute noch machen. Die Frage stellt sich, warum sich für Rassismus eigentlich keiner verantwortlich fühlt. Rommelspacher sieht den Grund hierfür in der Demokratie. Rassismus steht ihrer Meinung nach dem demokratischen Selbstverständnis einer Gesellschaft unvereinbar gegenüber „und muss deshalb in seiner Bedeutung heruntergespielt, wenn nicht gar ganz geleugnet werden“ (Rommelspacher, 2009:35). Innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses versuchen etliche Autoren sich der Thematik umfangreich zu nähern und doch ist es verwunderlich, wie gering die Versuche zu einer Definition von Rassismus zu gelangen ausgefallen sind (vgl. Terkessidis, 2004:98). Im Folgenden werden einige theoretische Perspektiven erläutert und analysiert.

3.1. Rassismus als Ideologie

Einleitend wird auf Robert Miles und Stuart Hall eingegangen, die sich dem Rassismus aus einer ideologietheoretischen Perspektive annähern. Die Arbeiten beider Autoren sind grundlegend um Rassismus als gesellschaftsprägendes System zu beschreiben. Später entwickelte Definitionen von Rassismus beruhen meist auf diese Ansätze und stellen eine Weiterentwicklung dar (vgl. Scharathow u.a., 2009:10; Scherschel, 2006:32ff).

Miles ist der Meinung, dass sich der Begriff Rassismus nur auf Ideologien3 beziehen sollte, da „der analytische Wert eines Begriffes sich nach seiner Tauglichkeit zur Beschreibung und Erklärung gesellschaftlicher Prozesse bemißt“ (Miles, 2000:22). Die Eigenschaften des Rassismus-Begriffs liegen Miles zufolge in einer informellen Unterscheidung von menschlichen Gruppen aufgrund natürlicher Merkmale. Ideologien sind aufgebaut um Machtverhältnisse als natürliche Gegebenheiten zu etablieren (vgl. Miles, 1991:104f). Laut Miles kann es keine natürliche Aufteilung der Menschen in Gruppen mit angeborenen Unterscheidungen geben, sondern ihnen werden (negativ bewertete) Merkmale zugeschrieben, damit sie für eine Gruppe negative Konsequenzen verursacht. Die festgelegten Merkmale erscheinen oft in einer Ansammlung von Klischees, Zuschreibungen oder Erklärungen die im Alltag entwickelt werden. Der als Ideologie hervorgebrachte Rassismus ist somit nicht auf einzelne Personen zurück zu führen (vgl. Miles, 1991:105ff; Miles, 2000:29). Miles wird im Hinblick auf seine Theorie kritisiert, er würde sich lediglich auf körperliche Merkmale, das heißt auf biologische Fakten beziehen und beispielsweise kulturelle Komponenten außer Acht lassen. Scherschel und Terkessidis sind der Meinung, dass der Ansatz ergänzungsbedürftig ist und einer Weiterentwicklung bedarf (vgl. Scherschel, 2006:42; Terkessidis, 2004:82).

Stuart Hall definiert Rassismus als „ideologischer Diskurs“ in welchem soziale Bedeutungskonstruktionen anhand von Macht entwickelt werden. Hall basiert sich auf Foucaults Diskursbegriff, erklärt ihn jedoch wie folgend:

„Ein Diskurs ist eine Gruppe von Aussagen, die eine Sprechweise zur Verfügung stellen, um über etwas zu sprechen – z.B. eine Art der Repräsentation -, eine besondere Art von Wissen über einen Gegenstand“ (Hall, 1994:150).

Laut Hall liegen dem „Diskurs der Differenz“ als Bedeutungsträger körperliche Merkmale vor, die von der Gesellschaft konstruiert werden (vgl. Hall, 2000:7). Die Bedeutungen der Klassifizierung sind dynamisch, wechselbar und werden in laufenden Diskursen stets verändert. Diese sozialen Bedeutungsmuster sind auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Zusammenlebens wirksam, also auf interaktioneller, institutioneller, diskursiver und auf struktureller Ebene (ebd. 11). Im Gegensatz zu Miles der Rassismus nur auf Ideologien bezieht, gelten für Hall nicht nur Ideologien sondern auch soziale Praxen der Gesellschaft als Rassismus. Hall verdeutlicht, dass Rassismus nicht auf „natürliche, biologische Fakten beruht“ (Hall, 2000:7) sondern sowohl als Ideologie und Machtpraxis aber auch als kultureller Rassismus einzuordnen ist (ebd.).

3.2. Kultureller Rassismus

Der Begriff Kultureller Rassismus, von Etienne Balibar bezeichneter „Neo-Rassismus“ (Balibar, 1990:28) stellt eine Weiterentwicklung des kolonialen Rassismus dar und ist als postkolonialen Rassismus zu verstehen (vgl. Scherschel, 2006:42f). Diese Auffassung von Rassismus wird beschrieben als ein „Rassismus ohne Rassen“ und erklärt den Rasse-Begriff zudem für überflüssig. Es findet somit eine Verschiebung von ‚Rasse’ zu ‚Kultur’ statt. Hier muss jedoch beachtet werden, dass auch der ‚Kultur-Begriff’ sich auf Argumentationen der Differenz basiert. Wulf D. Hund sieht dies als Versuch „die Diskreditierung des Rassenbegriffs dadurch zu unterlaufen, dass er durch Vorstellungen von Kultur ersetzt wird“ (Hund, 2007:11). Leiprecht zufolge wird der Begriff Kultur im Neo-Rassismus als „Sprachversteck für Rassen“ verwendet (vgl. Leiprecht, 2001:28f) und begründet eine statische und essentialisierende Sicht auf Kultur, welche als unveränderbar und naturgegeben gilt.

Mecheril und Scherschel zufolge dient der Kulturbegriff dazu, Ausgrenzungen zu legitimieren. Sie beschreiben den postkolonialen Rassismus als „eine Herrschaftspraxis, die rassistisch wirksam ist, ohne explizit auf das Rassekonzept zurück greifen zu müssen“ (Mecheril, Scherschel, 2009:49). Anhand von Kultur wird eine rassifizierte Differenz konstruiert, die Herabwürdigungen, Ungleichheitsbehandlungen sowie Ausgrenzungspraxen legitimiert (vgl. Balibar, 1990:28). Balibar, Mecheril, Melter und Scherschel sind sich einig, dass dem kulturellen Rassismus keine allgemeingültige Zuschreibung einer Minderwertigkeit zugeschrieben wird, sondern eine Inkompatibilität unterschiedlicher Kulturen darstellt (vgl. Balibar, 1990:28; Mecheril/Melter, 2010:153; Scherschel, 2006:43). Scherschel beschreibt dies wie folgt:

„Rassismus wird als ein Produkt des Zusammentreffens der Kulturen ausgemacht und als eine natürliche Abwehrreaktion gegen das Eindringen Fremder in die eigene Kultur bewertet“ (Scherschel, 2006:43).

Da unsere Gesellschaft in Kategorien der Über- oder Unterordnung eingeteilt ist, können Menschen, deren Lebensweisen die gewisse Differenzen zur dominierenden Norm aufzeigen in unterschiedlicher aber vor allem in sogenannter legitimer Art und Weise herabwürdigt und benachteiligt werden (vgl. Kalpaka, 2009:393). Hier wird ausdrücklich von ‚sogenannter’ legitimer Art gesprochen, denn legitim und herabwürdigend oder benachteiligend gehen nicht zusammen. Wie kommt es dann zu einer sozusagen legitimen Art? Wie bereits im historischen Überblick aufgezeigt wurde, bestimmt der Staat, also die herrschende Nation, was legal oder illegal ist. Die Herabwürdigungen und Benachteiligungen sind sozusagen legal, weil der Staat als oberste Funktion die Gesetze festlegt und damit entscheidet, was erlaubt/nicht erlaubt, legal/illegal ist. Wenn etwas jahrelang als legal und erlaubt gilt, dann hinterfragen die Gesellschaftsmitglieder die fixierten Regeln und Gesetze nicht, denn ‚eigentlich’ handelt der Staat ja im Interesse des Bürgers. Wenn man nicht mehr hinterfragt, sondern die Gegebenheiten annimmt, werden sie für den Einzelnen nicht nur legal, sondern auch auf moralischer Ebene legitim. Wenn jedoch etwas als legitim gilt, heißt dies noch lange nicht, dass es auch richtig und moralisch vertretbar ist.

Rassismus ist historisch spezifisch und somit stets veränderbar. Abhängig von Epoche, Kultur oder Gesellschaftsform in der er vorkommt, kann er sich verändern oder anders auftreten (vgl. Hall, 2000:11). Rassismus, mit seinen einhergehenden Kategorisierungen und Zuschreibungen, unterliegt somit einem stetigen gesellschaftlichen Wandel, wobei auch die stigmatisierenden Gruppen von Epoche zu Epoche unterschiedlich sein können. Die von außen benannten Randgruppen werden wie bereits erwähnt, als homogen und statisch vorgestellt und aufgrund von sozialen Unterschieden mit Ungleichheiten konfrontiert sowie hierarchisch von einer sogenannten Norm abgegrenzt. Bedeutungskonstruktionen von Unterscheidungen sind Mecheril und Scherschel nach das Fundament von Rassismus und spielen eine erhebliche Rolle (vgl. Mecheril/Scherschel, 2009:47).

Mark Terkessidis versteht Rassismus als „Apparat“, welcher sich aus Rassifizierungen, Ausgrenzungspraxen und Macht zusammensetzt. Auch er betrachtet ungleiche Machtpositionen als zentrales Element von Rassismus (vgl. Terkessidis, 2004:98ff). ‚Rassifizierung’ stellt seiner Meinung nach einen Prozess dar „in dem einerseits eine Gruppe festgelegt und gleichzeitig die Natur dieser Gruppe im Verhältnis zur eigenen Gruppe formuliert wird“ (ebd. 98). Der Gruppe werden bestimmte Merkmale in Bezug auf Sprache, Einstellungsmuster oder Herkunft zugeschrieben, die im Falle einer Differenzkonstruktion negativ konnotiert sind (ebd.). Gleichzeitig findet eine Hierarchisierung statt, die den ‚Anderen’ eine untergeordnete Position zuteilt (vgl. Rommelspacher, 2011:29). Ausgrenzungspraxen stellen für Terkessidis ein weiteres Element von Rassismus dar. Die Konstruktion von Differenzen legitimiert Ausgrenzungspraxen. Miles, Hall und Terkessidis weisen auf eine „dialektische Beziehung“ (Miles, 1991:105) innerhalb der Ausgrenzungspraxen hin. Indem die Gruppe von außen her kategorisiert und abwertet, legt sie eigene Gruppenmerkmale und Kriterien fest (vgl. Miles, 1991:105; Hall, 2000:14; Terkessidis, 2004:99). Hall betont, dass soziale Praxen, die auf Bedeutungskonstruktionen beruhen und durch Machtverhältnisse konstituiert sind, von Diskursen begleitet, beeinflusst und geprägt werden (vgl. Hall, 1994:150). Es kann behauptet werden, dass Ausgrenzungspraxen der Stabilisierung und Verteidigung von gesellschaftlichen Machtverhältnissen mit ihren Repräsentationsbildern dienen.

3.3. Alltagsrassismus

Wie bereits erwähnt, ist Rassismus wandelbar und manifestiert sich nicht immer in der gleichen Form. Legitime Bedeutungskonstruktionen verändern sich über die Zeit, was auch die Strukturen und Institutionen einer Gesellschaft verändert. Ein Resultat der Veränderungen ist laut Scharathow eine subtile und latente Form von Rassismus, der sich in immer mehr Bereichen breit macht, der sogenannte Alltagsrassismus (vgl. Scharathow, 2014:43). Der Begriff Alltagsrassismus wurde 1991 von Philomena Essen eingeführt und von verschiedenen AutorInnen wie Claus Melter oder Rudolf Leiprecht aufgegriffen. Leiprecht definiert das Phänomen folgendermaßen:

„Der Begriff Alltagsrassismus kennzeichnet die alltäglichen Formen von Rassismen der Mehrheitsgesellschaft, die keineswegs nur in extremer oder offener Weise auftreten, sondern subtil, unauffällig, verdeckt und latent sein k önnen. Nicht immer handelt es sich dabei um bewusste und gewollte Prozesse, und oft geht es um ein Verhalten innerhalb bestimmter Strukturen, das (m öglicherweise unbeabsichtigt) rassistische Effekte zur Folge haben kann“ (Leiprecht, 2009:319).

Rassismus wird so immer präsenter und doch in gewisser Weise immer unterschwelliger und unsichtbarer. Mark Terkessidis spricht in diesem Zusammenhang von einer ‚Banalität des Rassismus’ (2004), Paul Mecheril von einer ‚Normalisierung des Rassismus’ und sieht Rassismus als eine Konstante unserer Gesellschaft, die von einer Normalität ausgeht und diese auch produziert (vgl. Mecheril, 2007:4). Die sozialen Bedeutungsmuster mit ihren rassistischen Systemen müssen dem Einzelnen nicht immer bewusst sein, sie gehören vielmehr selbstverständlich zum Alltag und werden unhinterfragt angenommen (vgl. Leiprecht/Mecheril/Scharathow/Melter, 2009:10). Es herrscht also eine sogenannte Normalität die auf Fiktionen beruht, die Rassismus produzieren und dies wird von den ‚Anderen’ als Normalität betrachtet (vgl. Mecheril, 2007:5ff).

Mecheril hat die Definition von Alltagsrassismus erweitert und unterscheidet zwischen vier Ebenen, in welchen Diskriminierungen und Ausgrenzungen stattfinden. Dies wäre erstens Rassismus auf einer strukturellen Ebene, in dem das gesellschaftliche System mit seinen Rechtsvorstellungen sowie politischen und ökonomischen Strukturen Ausgrenzungen provoziert. Struktureller Alltagsrassismus zeigt sich durch ungleiche Chancen zu materiellen und symbolischen Ressourcen, insbesondere auf dem Gebiet der Erwerbsarbeit oder Bildung (vgl. Rommelspacher, 2009:30).

Zum Zweiten definiert Mecheril Rassismus auf einer institutionellen Ebene. Dieser Rassismus ist aber nur schwer vom strukturellen Alltagsrassismus zu trennen ist, da beide abhängig voneinander sind und in Verbindung zueinander stehen. Der institutionelle Rassismus beruft sich auf Strukturen von Organisationen mit ihren Regelungen und Verordnungen (ebd). Solche Regelungen können gravierende Folgen und Benachteiligungen für Menschen haben, beispielsweise im Hinblick auf das Asylbewerbergesetz oder Aufenthaltsgesetz. Auch unprofessionelles, ausgrenzendes, oder benachteiligendes Handeln von MitarbeiterInnen ist Teil von institutionellem Alltagsrassismus (vgl. 2006:25f). Schule als Institution ist im Rahmen der Forschungsarbeit von großer Bedeutung, da die Jugendlichen viel Zeit dort verbringen und Schule ein wichtiger Lebensraum für sie darstellt. Das Bildungssystem mit seinen Strukturen reproduziert Differenzen indem unterschiedliche Voraussetzungen geschaffen werden, die sich oft negativ auf Kinder mit Migrationshintergrund auswirken. Dirim und Mecheril sind der Meinung, dass Herrschafts- und Machtverhältnisse durch Benachteiligungen im Bildungssystem reproduziert und zusätzlich stabilisiert werden. So wird auch der Zugang zur Arbeitswelt erschwert und die Möglichkeiten der Adressaten werden eingeschränkt (vgl. Dirim/Mecheril, 2010:122&136).

Eine weitere Ebene ist Mecheril nach der Alltagsrassismus von Einzelpersonen und Gruppen, welcher auf subjektive Denk- und Einstellungsmuster beruht. Diese Handlungen können gewollt oder ungewollt sein, beabsichtigt oder unbeabsichtigt durchgeführt werden, aber sind allesamt auf die herrschenden normalisierenden Muster der jeweiligen Gesellschaft zurück zu führen.

Als vierte und letzte Ebene unterscheidet Mecheril Alltagsrassismus in öffentlichen Diskursen wie beispielsweisen in Zeitungen, Internet, Fernsehen oder Radio. So werden negative Bilder mit diskriminierenden Effekten vermittelt, welche die Gesellschaftsmitglieder beeinflussen (vgl. Melter, 2006:25f).

Die herrschenden Wissensbestände unserer Gesellschaft mit ihren Bildern und Fiktionen gehören mehr oder weniger zum ‚Haushalt’. Diese Konstruktion von (diskriminierendem und rassistischem) Wissen hat Edward Said in seiner Studie über den Orientalismus verfolgt. In Anlehnung an Foucaults Diskursanalyse versteht Said unter Orientalismus westliche Darstellungen des Orients, in denen dieser als das ‚Andere’ in Bezug auf Europa dargestellt wird. Prozesse der Repräsentation von sozialen Gruppen mit ihren Repräsentationsbildern werden machtvoll vom ‚Eigenen’ abgegrenzt. Saids Werk wurde sehr kontrovers diskutiert und erntete sehr viel Kritik4. Der Begriff hat sich in postkolonialen Theorien vom Raum des Orients gelöst und wirkt als allgemeine Bezeichnung für die westliche Repräsentation des ‚nichtwestlichen Anderen’ (vgl. Castro Varela/Dhawan, 2005:29ff). Dies wird als ‚Othering’ bezeichnet, worauf später näher eingegangen wird5. Dies ist immer mit Machtprozessen und Stereotypisierungen verbunden, das Hall zufolge wiederum mit symbolischer Gewalt einhergeht (vgl. Hall. 2004:145f). So besteht ein Zusammenspiel zwischen Repräsentationsbildern, Zuschreibungen und Macht damit die herrschende Ordnung aufrecht erhalten bleibt.

Rassismus ist ein „Gesellschaft strukturierendes Machtverhältnis (...), das immer auch mit ökonomischen und anderen sozialen Ungleichheitsverhältnissen zusammenwirkt“ (Scharathow, 2014:47). Die herrschenden Strukturen manifestieren sich hartnäckig in den Lebensweisen und im Alltag der Gesellschaftsmitglieder und werden unhinterfragt angenommen, so dass diese nicht nur in diesen Verhältnissen weiter leben, sondern sie zusätzlich auch noch (re)produzieren. Obschon die Menschen in den rassistischen Wissensbeständen eingebunden sind, können sich nach Scharathow, aber jederzeit widerständig verhalten und sich von den herrschenden binären Konstruktionen loslösen (vgl. Scharathow, 2014:49).

Nachdem die theoretische Perspektive vom Begriff Rassismus näher beleuchtet und analysiert wurde, ist es etwas leichter, sich einem Definitionsversuch von Rassismus zu nähern. Wiebke Scharathow definiert Rassismus wie folgt:

„Rassismus fungiert demzufolge als ein umfassendes, strukturierendes Prinzip gesellschaftlicher Wirklichkeit und ist weder zu individualisieren, also nicht auf individuelle ‚Haltungen’ oder ‚Einstellungen’ zu reduzieren, noch als ‚Randphä nomen’, als Problem spezifischer Gruppen oder Einzelner am Rande der Gesellschaft, zu marginalisieren. Vielmehr sind „rassistische Strukturen und Prozesse als allgemein wirksame Zusammenhänge (...), welche auf generelle Muster der Unterscheidung von Menschen verweisen“ (Scharathow/Melter/Mecheril/Leiprecht 2009, 10) zu verstehen, die auf allen Ebenen gesellschaftlicher Wirklichkeit sowohl produziert als auch wirksam werden“ (Scharathow, 2014:37).

Die Mitglieder einer Gesellschaft agieren alle nach den anerkannten und akzeptierten Normen, weil sie dazu gehörig sein möchten, aber im Endeffekt fühlt sich für Rassismus niemand verantwortlich, denn es betrifft nicht den Einzelnen. Innerhalb der Rassismuskritik wird Rassismus „als Strukturprinzip gesellschaftlicher Wirklichkeit“ (Scharathow/Melter/Mecheril/Leiprecht, 2009:10) definiert, welches diese erheblich prägt und nicht auf Einzelpersonen zurückzuführen ist. Scharathow u.a. sehen Kritik im Hinblick auf Rassismus als ein Bündel von Einstellungen und reflexiven Praktiken, die hegemoniale Machtstrukturen und Ungleichheitsverhältnisse, die durch Rassismus begründet sind, aufdecken und versuchen zu schwächen (ebd.; Mecheril/Melter, 2010:172).

3.4. Zwischenfazit

Das Phänomen Rassismus wurde unter Bezugnahme unterschiedlicher Theorien und Perspektiven dargestellt um ein Verständnis zu entwickeln, wie Rassismus historisch geprägt wurde und sich verändert hat. Es wurde dargelegt, was Rassismus charakterisiert und reproduziert und welche Bedeutung er für die einzelnen Gesellschaftsmitglieder hat. Der Ursprung des Rassismus liegt in der Rassentheorie und auch wenn diese in den fünfziger Jahren falsifiziert wurde, sind ihre Auswirkungen bis heute zu spüren. Rassismus wird sehr unterschiedlich definiert und unter anderem als Ideologie erklärt um Machtverhältnisse zu legitimieren und reproduzieren. Heute beruht Rassismus sowohl auf sichtbaren als auch auf kulturellen Differenzen. Beim sogenannten kulturellen Rassismus wird ein System der Differenz konstruiert, welches auf einer Diskrepanz von heterogenen Kulturen beruht. Anders als beim kolonialen Rassismus (dem eine allgemeine Minderwertigkeit zugeschrieben wird), geht man beim kulturellen Rassismus von einer Inkompatibilität verschiedener Kulturen aus. Das Ziel von Rassismus, sowohl vom ideologischen als auch vom kulturellen Rassismus, ist die Aufrechterhaltung von gesellschaftlichen Herrschafts- und Machtverhältnissen, anhand von ungleichen Machtpositionierungen.

Des Weiteren wurde Rassismus als Vorgang durch die Konstruktion von Rassifizierungen und Ausgrenzungspraxen dargelegt. Die zentrale Rolle von Zuschreibungen sowie Mechanismen zur Herstellung von Differenz wurden aufgezeigt. Die in der Gesellschaft herrschenden Konstruktionen dienen der Legitimation von Diskriminierungen und Ausgrenzungspraxen. Beide Prozesse dienen, wie bereits erwähnt, der Erhaltung und der Reproduktion von herrschenden Machtverhältnissen. Die von der Gesellschaft konstruierten binären Gegensätze teilen die Gesellschaft in ‚Fremd’ und ‚Nicht-Fremd’, ‚Wir’ und ‚Andere’ ein. Dabei handelt es sich um imaginative Repräsentationsbilder, die von einer machtvollen Mehrheit entwickelt werden. Abschließend wurde auf den Alltagsrassismus eingegangen. Es konnte unterstrichen werden, dass Rassismus in unserer Gesellschaft eine Normalität darstellt und es sich keineswegs um ein Randphänomen handelt. Rassismus wirkt auf struktureller und institutioneller Ebene und geht sowohl von Gruppen wie auch von Einzelpersonen aus. Das Ziel von Rassismus ist die Benachteiligung oder gar die Verweigerung bestimmten Gruppen Zugang zu materiellen und symbolischen Ressourcen zu geben, was eine negative Ausübung auf die Lebensrealität und Zukunftschancen der betroffenen Personen bewirkt.

Nachdem der Begriff Rassismus rekonstruiert und analysiert wurde, wird in einem nächsten Schritt auf Rassismuserfahrungen eingegangen.

4. Studien zu Rassismuserfahrungen

In Deutschland hat Paul Mecheril den Begriff Rassismuserfahrungen in den Bereich der Rassismusforschung eingeführt (1994). Ihm zufolge werden die Täter des Rassismus viel mehr thematisiert als die Opfer, was an der Nicht-Thematisierung von Rassismuserfahrungen liegt (vgl. Mecheril, 2006:462). Man darf Rassismus nicht als böse Eigenschaft eines Menschen verstehen, sondern als „allgemeines Ordnungsprinzips ‚westlicher’ Gesellschaften unter Bedingungen des Postkolonialismus“ (Mecheril, 2006:467). Rassismus beruht, wie bereits erwähnt, zum einem auf der Wissenschaft die versucht eine Erklärung kultureller Unterschiede zu finden, zum anderen auf dem Nationalstaat mit seinen gesellschaftlichen Ordnungen und Herrschaftsverhältnissen6. Der Nationalstaat ist auf eine Unterscheidung zwischen ‚Wir’ und ‚Anderen’ angewiesen und kategorisiert und ordnet nach Klassifikationsverhältnissen. Wenn man also davon ausgeht, dass der Staat einer rassistischen Struktur unterliegt, dann erleben die Gesellschaftsmitglieder notgedrungen Rassismuserfahrungen. Sie erleben Rassismus auf unterschiedliche Weisen und in unterschiedlichen sozialen Verhältnissen (vgl. Mecheril, 2006:467f).

4.1. Der Begriff ‚Andere Deutsche’

Bevor versucht wird den Begriff ‚Rassismuserfahrung’ zu definieren, soll auf den von Mecheril und Teo konstruierten Begriff ‚Andere Deutsche’ eingegangen werden. Wie bereits erwähnt, unterscheidet die Gesellschaft zwischen zwei großen Begriffen ‚Normal’ und ‚Fremd’ oder ‚Deutsch’ und ‚Nicht-Deutsch’. Mecheril und Teo verwenden den Ausdruck ‚Andere Deutsche’ um klar zu machen, dass die Tatsache ‚Deutsch’ zu sein nicht an physiognomischen oder sozialen Merkmalen festgemacht werden kann, sondern daran, ob die Person sich in Deutschland wohl fühlt und ihren Lebensmittelpunkt dort sieht. Der Ausdruck ‚Andere Deutsche’ soll begreiflich machen, dass die Betroffenen anders als die Deutschen, aber auch anders als die ‚AusländerInnen’ sind. Irgendwie gehören sie auf beiden Seiten nicht vollständig dazu (vgl. Melter, 2006:32). Zu ‚Anderen Deutschen’ gehören Mecheril und Teo zufolge Personen die in Deutschland leben, die Staatsangehörigkeit aber nicht haben, Personen die bei der Geburt keine deutsche Staatsangehörigkeit erhielten, sie aber später erworben haben, Kinder aus Partnerschaften die mehreren Kulturen angehören sowie Personen, die nicht ‚Deutsch’ aussehen (vgl. Mecheril/Teo, 1994:13).

Melter sieht den Begriff ‚Andere Deutsche’ nur geeignet, um in Bezug auf Rassismus eine Beschreibung vorzunehmen die möglichst wenig diskriminierend ist. Er betrachtet Definierungen wie ‚nicht Deutsch’ oder ‚weiß’ als angemessener. Anhand des Begriffs wird wieder einmal hervorgehoben, dass diese Personen eben keine ‚richtigen’ Deutschen sind. Mecheril verdeutlicht 2003:

„Andere Deutsche Gibt es nicht.

Andere Deutsche ist ein Werkzeug der Konzentration, Typisierung und Stilisierung, das im sozialwissenschaftlichen Diskurs über Migranten, kulturelle Differenz und Vielfalt im allgemeinen und im Diskurs der Interkulturellen Pädagogik im Besonderen Sinn machen k önnte“ (Mecheril, 2003:12).

Der Begriff ‚Andere Deutsche’ beschreibt eine Gruppe die ‚Deutsch’ ist, ohne vollständig zum dominierenden Gesellschaftsbild zu gehören. So beschreibt Mecheril:

„Viele Andere Deutsche werden sich selbst eher selten als Deutsche bezeichnen und vermutlich noch viel weniger von der deutschen Öffentlichkeit als Deutsche identifiziert“ (Mecheril, 1997:178).

Genau dies spiegelt sich in den Ergebnissen der Forschung, worauf im praktischen Teil näher eingegangen wird. Die Tatsache als ‚Anders’ gesehen zu werden ist ein sehr wichtiger Teil der Realität der interviewten Jugendlichen. Es handelt sich dabei um ein „doppeltes Anderssein“: Sie sind anders als die ‚Deutschen’, aber auch anders als die ‚AusländerInnen’ (Mecheril & Teo, 1997:178). Sie befinden sich irgendwo dazwischen und für diese Sphäre machen Mecheril und Teo gebrauch vom Begriff ‚Andere Deutsche’.

4.2. Versuch einer Definition

Rassismuserfahrungen sind individuell und werden auf unterschiedlichen Weisen wahrgenommen. Eine Erfahrung ist laut Mecheril und Hoffarth eine Bedeutungszuschreibung und eine Repräsentation, die sich im Kontext von Handlung konstitutiv äußert und in Handlungsvollzügen herausbildet. Des Weiteren sind Erfahrungen subjektive Erlebnisse, die in sozialen Verhältnissen konstruiert werden (vgl. Mecheril/Hoffarth, 2006:225). Scharathow zufolge sind Erfahrungen immer interaktiv, produktiv und beinhalten eine konflikthafte Auseinandersetzung mit der Welt und mit erlebten Alltagssituationen. Anhand von Erfahrungen eignet sich der Mensch sein Wissen und Verständnis, seine Einstellungen und Handlungsweisen an (vgl. Scharathow, 2014:50). Sie sind in diskursiven Zusammenhängen eingebunden und werden auch dort hervorgebracht. Des Weiteren müssen sie als Phänomene verstanden werden, die aus „sozialen, sprachlich-kulturellen und politischen Kontexten resultieren“ (Mecheril/Hoffarth, 2006:227).

Mecheril definiert Rassismuserfahrungen als „sozial bedingte und sozial gerahmte, subjektive Zustände“ (Mecheril, 2006:468), die durch die Erfahrung an sich und durch den gesellschaftlichen Umgang damit in den Fokus geraten. Betroffen sind Personen, die aufgrund von physiognomischen Merkmalen, wie zum Beispiel die Hautfarbe, die Haarfarbe oder der Kleidungsstil aber auch sozialen Merkmalen wie unterschiedliche Umgangsformen oder Sprachen auffallen und dadurch als Nicht-Zugehörig kategorisiert und minderwertig behandelt werden (vgl. Mecheril, 2006:469). Erfahrungen gehen also aus den herrschenden Gesellschaftsverhältnissen hervor und sind von Zugehörigkeitszuteilungen abhängig. Sowohl Personen, die eine privilegierte Position, wie auch Personen die eine minderwertige Position einnehmen oder zugeteilt bekommen, machen Rassismuserfahrungen. Personen, die dabei die starke Rolle, also die privilegierte Rolle einnehmen, verstehen die Erfahrung meist nicht in einem rassistischen Rahmen, da sie das Erlebte als gegeben und selbstverständlich wahrnehmen - es stört sie also gar nicht, sondern wird als normal angesehen. Personen hingegen, die eine unterprivilegierte Rolle einnehmen, sehen sich mit Zuschreibungen, Kategorisierungen, Herabwürdigungen und Nicht-Zugehörigkeit konfrontiert (vgl. Mecheril/Hoffarth, 2006:226f). Mecheril macht darauf aufmerksam, dass jede Erfahrung, die auf Differenzkonstruktionen basiert und eine Person aufgrund von physiognomischen und sozialen Merkmalen in eine deprivilegierte Position verweist, als Rassismuserfahrung zu bewerten ist. Als Beispiel: die in einem durchaus interessierten Tonfall gestellte Frage, wo eine Person herkäme, mag vielleicht nicht auf einer bewussten Herabwürdigung beruhen, resultiert aber trotzdem aus einer subtilen Praktik einer selbstverständlichen Unterscheidung und ist somit, laut Mecheril, eine Rassismuserfahrung (vgl. Mecheril, 2006:469).

4.3. Dimensionen von Rassismuserfahrungen (Mecheril)

Mecheril unterscheidet Rassismuserfahrungen analytisch nach vier Bedeutungsdimensionen, die im Folgenden tabellarisch veranschaulicht werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(vgl. Mecheril, 2006:469f).

Es wird deutlich, dass Rassismus sich nicht nur anhand von körperlichen Angriffen äußert, sondern auf unterschiedliche und vielfältige Art und Weisen möglich ist. Rassismuserfahrungen müssen nicht notwendig zu einer Last werden oder zu einem Trauma bei der betroffenen Person führen, dies hängt vom Ausmaß und Kontext der Erfahrung ab (vgl. Mecheril, 2006:470). Rommelspacher nimmt ebenfalls, in Anlehnung an Miles, eine Unterscheidung von Rassismusdimensionen vor und differenziert zwischen implizitem und explizitem Rassismus. Implizit bedeutet, dass die Maßnahmen nicht in einer direkten Beziehung zur betroffenen Gruppe stehen und somit auf eine bewusste Herabsetzung von ‚Anderen’ zielen. Eine implizite Form von institutionellem Rassismus ist beispielsweise die schulische Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund durch die angewandte Lehrformen und Bildungsinhalte. Wird dies aufgedeckt und dennoch nichts an der Lage verändert, geht es im explizitem Rassismus, da die Benachteiligung nicht aufgehoben wird (vgl. Rommelspacher, 2009:31f). Scharathow fasst den Begriff Rassismuserfahrungen, in Anlehnung an Mecheril, wie folgt zusammen:

[...]


1 Siehe Kapitel 6.3. ... hin zu Mehrfach-Identitäten und Vielfalt

2 iehe Kapitel 4.4. Vorgänge einer rassistischen Situation (Terkessidis)

3 Allgemein bezeichnen Ideologien Einstellungen, Überzeugungen und Normensysteme, deren Verfechter ihnen weltanschauliche Bedeutung mit dem Anspruch sozialer und politischer Veränderung zugemessen, z.B. Kommunismus, Sozialismus, Liberalismus oder Nationalsozialismus. Oft dienen Ideologien missbräuchlich mit dem Hinweis auf die absolute Gültigkeit ihrer normativen Aussagen der Verschleierung veränderungsbedürftiger gesellschaftlicher Zustände und der Erhaltung bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnisse (Köck, Peter/Ott, Hanns (2002): Wörterbuch für Erziehung und Unterricht. 7. Auflage. Donauwörth: Auer. S.312).

4 Saids Werk wurde unter anderem dafür kritisiert, dass er die Repräsentation des ‘Orients’ in einem ungleichen Dualismus darstellt und somit ein binäres Verhältnis herstellt, was er eigentlich kritisiert. Indem er Diskursteile des ‚Westens’ oder Widerstandstheorien der Kolonisierten nicht in seiner Untersuchung ausblendet, bringt er Ambivalenzen und Widersprüche erneut vor (vgl. Castro Varela/Dhawan, 2005:37ff)

5 Siehe Kapitel 5.2. Prozesse der Subjektbildung

6 Anmerkung: der Nationalstaat ist ein Konstrukt der französischen Revolution und verallgemeinert sich im 19. Jh. Der neue Rassismus, der auf den biologischen Merkmalen beruht und der, die Menschen in mehr und weniger wertvollen Rassen einteilt ist auch ein Produkt des 19. Jh. sowie der Entwicklung der biologischen d.h. naturwissenschaftlichen Forschung des 19.Jh. Vorher gab es schon Rassismus aber der war entweder religiös begründet – siehe Antisemitismus – oder auch wirtschaftlich – siehe wiederum gegen die Juden, die angefeindet wurden, weil sie Geldverleih praktizierten, was den Christen lange durch ihre Religion untersagt war.

Ende der Leseprobe aus 141 Seiten

Details

Titel
Nur dabei statt mittendrin. Rassismuserfahrungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund
Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck  (Erziehungswissenschaft)
Note
1,5
Autor
Jahr
2016
Seiten
141
Katalognummer
V464197
ISBN (eBook)
9783668976481
ISBN (Buch)
9783668976498
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rassismus Erfahrungen Rassismuserfahrungen Jugendliche Migration Migrationshintergrund
Arbeit zitieren
Liesbeth De Cuyper (Autor:in), 2016, Nur dabei statt mittendrin. Rassismuserfahrungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/464197

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