Karl IV. und die Judenpogrome zur Zeit des Pestausbruchs. Mittäter und Profiteur?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

22 Seiten, Note: 1,3

Helena Westendorf (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Jüdisches Leben in der mittelalterlichen Stadt vor dem Ausbruch der Pest

3. Karl IV. und seine Stellung im Heiligen Römischen Reich

4. Die Pest von 1347-1352
4.1 Das Fallbeispiel Straßburg
4.2 Das Fallbeispiel Frankfurt am Main
4.3 Das Fallbeispiel Nürnberg

5. Fazit

6. Bibliographie

1. Einleitung

Unter Karl IV. erlebte Mitteleuropa auf der einen Seite eine kulturelle Blüte. Im Mittelpunkt der Forschung zum Luxemburger Karl IV. steht meist die Konstituierung der Goldenen Bulle vom 10. Januar 1356, welche festlegte, dass bei zukünftigen Königswahlen drei Erzbischöfe und vier weltliche Fürsten mit einfacher Mehrheit übereinkommen müssen.

Doch auf der anderen Seite fiel seine Regierungszeit mit der schlimmsten Katastrophe des Mittelalters, der Pest, zusammen. Der „Schwarze Tod", wie man die Seuche nannte, raffte innerhalb kürzester Zeit über ein Drittel der Bevölkerung des Reiches hinweg. Vermeintlich Schuldige waren schnell gefunden: Die Juden wurden als angebliche Brunnenvergifter für die verheerende Katastrophe verantwortlich gemacht und zu Tausenden ermordet.

Welche Rolle spielte Karls Handeln bei diesen Verbrechen zwischen 1348 und 1350? Aus welchen Gründen versagte er in seiner königlichen Pflicht, seine Untertanten vor den Übergriffen beim Ausbruch der Pest zu schützen? Beging er einen Verrat an den Juden?

Mit Hilfe dreier Themenschwerpunkte werden diese Fragen im Folgenden beantwortet. Hierfür werden zunächst die rechtlichen und historischen Grundlagen des Judenschutzes skizziert und das Leben der Juden im Heiligen Römischen Reich vor den Pogromen und der Pest dargestellt. Auf diese Weise werden sowohl Karls rechtsgeschichtlich herzuleitenden Verpflichtungen den Juden gegenüber, als auch deren Auslegung und sein Umgang mit diesen erläutert. Überleitend folgt die Darstellung der Rezeption des Charakters und der Politik des Monarchen. Die machtpolitische Situation Karls, zur Zeit der Pogrome, stellt eine unverzichtbare Grundlage für die weiteren Untersuchungen dar. Karls Stellung im Reich gilt in der bisherigen Forschung oft als bedeutender Faktor für seine Handlungsweise gegenüber den Juden. Für weitere Erklärungsansätze werden im dritten und wichtigsten Themenschwerpunkt zunächst allgemein die Ursachen, das Ausmaß und der Umgang mit der Pest verdeutlicht. Hierbei werden die Geißler bewusst ausgelassen, um den Themenschwerpunkt nicht verlagern zu müssen. Konkret und beispielhaft wird das Schicksal der Juden unter Karl IV. zur Zeit des Pestausbruchs in den Städten Straßburg, Frankfurt und Nürnberg untersucht. Diese stellen die eindeutigsten und radikalsten Verhaltensweisen Karls dar und müssen somit zwangsläufig Teil dieser Arbeit sein.

Eine ausführliche Untersuchung zur Rolle Karls IV. während der Pogrome findet man in der Forschung nicht vor. In Publikationen zum Monarchen wird dieses Thema nur am Rande behandelt und vielmehr in allgemeineren Veröffentlichungen, wie zum Beispiel in František Graus Werk über das 14. Jahrhundert als Krisenzeit, diskutiert. Die für diese Arbeit relevanten Quellen sind sowohl die straßburgischen Chroniken, als auch die Chronik der fränkischen Stadt Nürnberg. Für die Stadt Frankfurt wird zusätzlich der von Kracauer zusammengestellte Quellenband zur Geschichte der dortigen Juden verwendet.

2. Jüdisches Leben in der mittelalterlichen Stadt vor dem Ausbruch der Pest

Friedrich II., römisch-deutscher König und Kaiser von 1212-1250, nahm die Juden des Reiches im Juli 1236 ausdrücklich als kaiserliche Kammerknechte unter seinen Schutz und verbot Ritualmordbeschuldigungen. Er versprach, „[…] ein besonders anvertrautes Volk gütig zu regieren und gerecht zu schützen, damit sie […] nicht etwa von Mächtigeren gewaltsam bedrängt […] werden.“1 Friedrich II. bestätigte, würdigte und erweiterte damit das Privileg der Wormser Juden, welches Friedrich I. Barbarossa im Jahre 1157 gewährt hatte. Durch die Ausbildung der Kammerknechtschaft wurden die Juden ein kaiserliches Regal (Hoheits- und Sonderrecht des Kaisers), gleich den Bergwerken, Zöllen usw. Der jeweilige Kaiser galt fortan als allgemeiner Herrscher über die Juden, so dass diese als Gegenleistung für den Schutz hohe Abgaben zu zahlen hatten. Das Judenregal wurde somit eine der wichtigsten Einnahmequelle für das Reichoberhaupt, welche man in Zeiten der Geldnot beliebig erhöhen und wie andere Regale verpfänden oder verkaufen konnte.2

Ein großer Teil der Juden lebte in den Städten des Reiches. Sie bewohnten zumeist nur einen Straßenzug, die sogenannte Judengasse, im Herzen der Stadt und in Reichweite der Synagoge. Die Judengasse war dennoch weder ausschließlich von Juden bewohnt, noch besiedelten die Juden ausnahmslos diesen Straßenzug. Vor 1348 verfügten die Juden in Städten wie Frankfurt und Nürnberg über vergleichbare Rechte wie die Christen und regelten die Besetzung verschiedener jüdischer Ämter und Streitfälle unter Juden größtenteils selbstständig.3

Nürnberg beispielsweise erhielt 1310 die Erlaubnis, dessen Erteilung dem Kaiser vorbehalten war, Juden als Bürger aufzunehmen, sie aus diesem Grund unmittelbar zu schützen und von ihnen Steuern zu erheben. Als die Juden im 14. Jahrhundert in den Städten zunehmend vom Warenhandel ausgeschlossen wurden, wie es auch in Nürnberg ausdrücklich der Fall war, mussten sie sich gezwungenermaßen auf den Geldhandel konzentrieren, der wiederum den Christen verboten war. Die außerordentlich hohen Zinssätze der Kredite lassen sich mit der Monopolstellung der Juden im Darlehensgeschäft, der sich verbreitenden Kreditbedürftigkeit, der leichtfertigen Schuldenmentalität der Zeit, der Rückzahlungsunsicherheit und den auferlegten hohen Abgaben der Juden erklären. Dennoch bedeutete dies nicht, dass die Juden automatisch als wohlhabend bezeichnet werden konnten. Die Gemeinde in Frankfurt am Main z. B. galt insgesamt eher als finanzschwach, obwohl dort vereinzelt auch wohlhabende Juden lebten.4

Im Laufe der Zeit gingen der Judenschutz und die jährlichen Judensteuern durch einfache Übertragungen und befristete oder unbefristete Verpfändungen bzw. Verleihungen an andere Gewalten, wie beispielsweise Territorialherren oder auch Stadtgemeinden über. Nicht immer gab der König und Kaiser gänzliche Rechte ab, oft behielt er sich das allgemeine Besteuerungsrecht vor und blieb unaufhörlich die wichtigste Berufungsinstanz der Juden.5 Der Schutz, den er ihnen bieten konnte, konnte insgesamt kaum das nackte Überleben retten. Ein sicheres Leben hing sowohl vom guten Willen der Bevölkerung, als auch vom Respekt der Untertanten gegenüber dem kaiserlichen Gebot ab.

Wenn man das Verhalten und Handeln Karls IV. in den Krisenjahren 1348-50 beurteilen will, müssen diese Umstände berücksichtigt werden. Karl IV. trat in vielen Reichsstädten die königlichen Rechte gegen große Geldsummen kurz vor oder während der Judenpogrome und des Pestausbruchs ab.

3. Karl IV. und seine Stellung im Heiligen Römischen Reich

Ca. 150 Jahre nach der Regentschaft Friedrichs II. folgte Karl IV. als römischer Kaiser, der älteste Sohn des Königs Johann von Böhmen aus dem Hause Luxemburg und der Schwester des böhmischen Königs Wenzel III. Elisabeth.6

In der neueren Forschung wird immer mehr Abstand von der Auffassung genommen, Karl sei ausschließlich ein frommer und klerushöriger Monarch gewesen. Sein Kulturverständnis war zwar stark religiös geprägt und er fühlte sich von Gott für die Krone bestimmt, dennoch galten seine Interessen und seine Aufmerksamkeit allen geistigen Strömungen jener Zeit.

Somit wird er heute zumeist mit den Attributen nüchtern, nachdenklich, kompromissbereit, geduldig, gebildet und vernünftig beschrieben. Dieses Verhalten spiegelte sich größtenteils auch in seiner Politik wider. Ihm wird hierbei großes diplomatisches Geschick zugesprochen, da er entschlossen und zielbewusst handelte und auf Argumente und Zustimmung der zeitgenössischen Öffentlichkeit vertraute, statt auf militärische Auseinandersetzungen und Waffen. Des Weiteren gilt, dass Karl IV. besonderen Respekt vor der Rechtsordnung und ihren Konsequenzen zeigte. Ferner verfügte er über die Fähigkeit, seine Person und seine Politik den Zeitgenossen und der Nachwelt vorteilhaft darzustellen: Als einziger deutscher Monarch verfasste Karl IV. eine detaillierte Autobiografie mit Berichten über seine Kindheit und Jugend. Insgesamt wird der Luxemburger aus diesen Gründen von vielen Historikern als eine der bedeutendsten Herrschaftsgestalt bzw. Persönlichkeit des Spätmittelalters angesehen.7

Karl IV. musste jedoch zunächst einen mühsamen Start seiner Regentschaft erdulden. Durch Hilfe und Agitation des Papstes Clemens VI. wurde der Luxemburger am 11. Juli 1346 in Rhens von den Erzbischöfen von Köln, Mainz und Trier, von König Johann von Böhmen und Herzog Rudolf von Sachsen-Wittenberg, gegen den amtierenden König Ludwig IV. „der Bayer“8 aus dem Hause Wittelsbach, zum deutschen Gegenkönig gewählt. Diese Wahl fand praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, wurde im Reich kaum wahrgenommen und hatte zunächst keinerlei Wirkung. Am 26. November 1346 wurde Karl IV. in Bonn und nicht in der Stadt Aachen, welche weiterhin Ludwig IV. beistand, gekrönt. Somit gab es faktisch erneut zwei Könige im Reich und es war ungewiss, ob sich Karl, der sich in einer deutlich schwächeren Position als Ludwig IV. befand, einen Entscheidungskampf liefern würde bzw. könnte. Karl IV. verfügte weder über die militärischen Mittel, um sofort eine Konfrontation zu suchen, noch wurde er vom größten Teil der Fürsten und der Städte des Reiches unterstützt.9

Der plötzliche Tod Ludwigs am 11. Oktober 1347, ein Schlaganfall bei der Jagd, die Schwäche des neu gewählten Ersatzes, der Wittelsbacher Günther von Schwarzburg, und Karls Diplomatie beim Streit um die Krone änderten alle Verhältnisse. Bis zum Sommer 1349 erlangte Karl IV. allgemeine Anerkennung im Reich: Es gelang ihm schnell, wichtige Reichsstädte, wie beispielsweise Nürnberg, auf seine Seite zu ziehen. Wenig später folgten die elsässischen und dann die schwäbischen Reichsstädte. Die meisten Fürsten und Städte würdigten somit den Monarchen - manche allerdings nur gegen große Geldsummen oder sonstige Begünstigungen.10

Nach der Bestimmung der diplomatisch-politischen Erfolge und Kräfteverhältnisse im Reich sorgte Karl IV. im Bezug auf die Form seiner Erhebung für einen Neuanfang bzw. Richtigstellung. Bei einer erneuten, einstimmigen, vollgültigen Wahl in Frankfurt am 17. Juni 1349 ließ sich Karl IV. erneut wählen. Der zweite Schritt war die Thronsetzung bzw. Krönung in Aachen, die am 25. Juli 1349 folgte. Die böhmische Krone hatte Karl bereits am 2. September 1347, als Nachfolger seines Vaters, erworben.11

Wie bereits angedeutet, zahlte Karl im Kampf um die Krone und zur Erreichung seiner Ziele bereitwillig hohe Summen, verteilte großzügige Privilegien und verpfändete viel Reichsgut.

„Er kannte und schätze den Wert des Geldes weit besser als seine Vorgänger auf dem Thron, wusste es trefflich für seine Zwecke zu gebrauchen und war in der Wahl der Mittel, um in dessen Besitz zu gelangen, nicht zu bedenklich.“12

Durch dieses Verhalten verwickelte sich Karl IV. in schwere Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung, die im folgenden Kapitel ausführlich dargestellt werden. Aufgrund der nahenden oder bereits eingetretenen Pestkatastrophe und der aufgeheizten Stimmung ließen die Städte ihre Juden töten, vertreiben und ihren Besitz beschlagnahmen. Karl IV. nahm den Mord an seinen Kammerknechten zur Kenntnis, aber versprach den Verbrechern in einigen Fällen sogar bereits im Voraus Straffreiheit und verlangte dafür einen Teil der beschlagnahmten Besitztümer. Neben dem Wunsch nach unmittelbaren Profit aufgrund finanzieller Zwänge, trieb ihn auch die Sorge, die Stadträte könnten wieder zu den Wittelsbachern überlaufen, an.13

4. Die Pest von 1347-1352

Im Spätmittelalter beschrieb das Wort Pest zunächst keine spezifische Krankheit, sondern galt als ein Begriff für Tod und Leid aller Art. Die Seuche, die ab 1347/48 grassierte, wird von den Zeitgenossen meist mit pestilencia maxima, pestis oder mortalitas magna betitelt, während seit Anfang des 17. Jahrhunderts auch die Bezeichnung Schwarzer Tod populär wurde.14 Die Farbe schwarz wurde hierbei mit dem Schrecklichen und Furchtbaren in Verbindung gebracht. Nach heutiger Definition ist die Pest eine hochgradig ansteckende Infektionskrankheit mit äußerst kurzer Inkubationszeit.

Für das Mittelalter wird deutlich, dass bereits vor dem Massensterben ab 1347/38 große Massenerkrankungen immer wieder zu erheblichen Bevölkerungsverlusten geführt haben. Aber die Pest verursachte ein unkalkulierbares Sterben und Leiden von zuvor nie gekanntem Ausmaß und kennzeichnete einen unkontrollierbaren Auftakt einer langen Reihe verheerender Epidemien. Der Forschung ist allgemein bewusst, dass Seuchen im negativen Sinne Geschichte schreiben und von fundamentaler Bedeutung für die Geschichtsschreibung sind.15

Es wird davon ausgegangen, dass der Schwarze Tod Europa über die genuesische Handelsniederlassung Caffa, dem heutigen Feodosia, auf der Krim im Jahre 1347 erreicht hat. Seit Monaten wurde diese Stadt bereits von den Tataren belagert, als sich unter den Belagerern plötzlich ein mysteriöses Massensterben ereignete. Doch die Tataren, unwillig zu kapitulieren, beabsichtigten ihre Gegner mit in den Tod reißen. Daraufhin schleuderte die tatarische Kriegsmaschinerie die Leichen der Seuchenopfer in die eingeschlossene Stadt. Auf der Flucht aus dem verseuchten Caffa gelang die Pest an Bord der Schiffe und breitete sich somit aus. Im Reich weitete sich die Pest von Süden nach Norden, ausgehend von Frankreich, aus.16

Im eigentlichen Sinne ist die Pest keine Krankheit des Menschen, sondern eine Krankheit spezifischer Nagetiere, darunter der schwarzen Hausratte (rattus rattus). Die Übertragung der Seuche findet während des Kontakts mit diesen Tieren über ihre Flöhe statt, wobei das schnelle Sterben des Wirtes den Wechsel der Rattenflöhe zum Menschen entscheidend begünstigt hat. Darüber hinaus wurde auch der Menschenfloh zum Überträger der Krankheit und die Übertragungskette Ratte-Floh-Mensch wurde somit um ein Glied verkürzt. Des Weiteren haben sich Menschen untereinander angesteckt, wie es sich die Tataren zu nutzen gemacht hatten. Die Pest wurde bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts endemisch17 und trat immer wieder in drei verschiedenen Formen auf : In der zu 90-95% tödlichen Lungenpest, der Beulenpest mit einer Sterblichkeitsrate von 20 bis 75%, sowie der fast zu 100% tödlichen septikämischen Pest, bei der eine tiefpurpurne, fast schwarze Verfärbung der Haut auftrat.18

Bei den Versuchen einer Behandlung und Heilung der Krankheit blieb man zunächst in den naturwissenschaftlich und medizinisch vorgegebenen Denkschemata gemäß der Lehren der anerkannten antiken und mittelalterlichen Autoritäten wie Hippokrates, Galen, Ptolomäus und Avivenna verhaftet.19 Auch Chronisten ging es nicht um medizinisch relevante Beobachtungen, sondern vielmehr um die Überlieferung der hohen Sterblichkeit und die damit verbundenen weitreichenden Folgen für den Alltag, wie das Verschwinden von Menschlichkeit und Panikhandlugen:20 Sterbende wurden von ihren Angehörigen zurückgelassen, Geistliche verweigerten das Spenden der Sterbesakramente und auch Ärzte behandelten nicht aus Furcht vor Ansteckung.

Für das Städtewesen, Ballungsräume und Handelsrouten stellten Seuchen die größte medizinische Bedrohung dar. Die überwiegend unhygienischen Verhältnisse in den dicht bevölkerten Städten boten einen idealen Nährboden für die Verbreitung von Infektionskrankheiten. Der Schwarze Tod entvölkerte so innerhalb kürzester Zeit die Städte des Reiches. Kleinere Lebensgemeinschaften, weniger dichte Besiedlungen, Abgelegenheit und geringe Verkehrsdichte wiederum waren Faktoren, die der Ausbreitung und dem Erhalt des Erregers entgegen standen. So blieben Gegenden im Zentrum Frankreichs wie Gebiete im südlichen Polen, in Schottland oder auch die kaiserliche Residenzstadt Prag in Böhmen zunächst verschont.21

Als Erklärung für das ganze Leid führte das Christentum, neben „wissenschaftlichen“ Erläuterungen wie ungünstige Sternenkonstellationen und Winde, die Strafe Gottes an. Obwohl das Massensterben im Deutschen Reich keinesfalls anders wirkte, als im restlichen Europa, kam es gerade dort zu massiven Verfolgungswellen, den Judenpogromen. Unter Folter soll ein Jude in Frankreich die Brunnenvergiftung gestanden und auf diese Weise das Massensterben hervorgerufen haben. Dieses Gerücht verbreitete sich noch schneller als die Pest selbst. Aus diesem Grund wurden in viele Städten die Judengemeinden noch vor Einbruch der Pest ausgelöscht. Ob das einzige Motiv dieser Taten ausschließlich die Furcht vor der vermeintlichen Brunnenvergiftung und dessen Folgen war, bleibt fraglich.

Die Verfolgungen des Spätmittelalters hängen zweifellos mit der genannten religiösen und ökonomischen Sonderstellung der Juden zusammen. Die vorrangige Bedeutung materieller Interessen und die Habsucht der Massen sind dabei nicht von der Hand zu weisen: Schuldner jüdischer Geldverleiher sahen sich mit einem Schlag ihrer Rückzahlungsverpflichtung entledigt. Darüber hinaus wurden auch die Hinterlassenschaften der Ermordeten nahezu gänzlich geplündert. Papst Clemens VI. verwies mit einer päpstlichen Bulle, als einzige Autorität, auf die Unschuld der Juden hin und verdeutlichte unmissverständlich, dass die Seuchensterblichkeit unter den Juden ebenso hoch sei, wie unter den Christen. Trotzdem zeigte die Intervention des Heiligen Stuhls keine Resultate.22

Zwar steht die umfassendste Verfolgungswelle des Mittelalters nicht isoliert dar und ihre Erklärung kann sich nicht ausschließlich auf die Auswirkungen der Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts beschränken, dennoch werden im Folgenden beispielhaft die Ereignisse und das Vorgehen der Städte Straßburg, Frankfurt und Nürnberg bei den Judenpogromen verdeutlicht, um die Reaktion und das Handeln Karls IV. analysieren und bewerten zu können. Die Judenmorde in den drei Städten fanden mit einem halben Jahr Abstand statt. Mit Hinblick auf Karls IV. Stellung im Reich bedeutet dieser Umstand, dass Karl IV. bei den Judenpogromen in Straßburg im Februar 1349 noch nicht ein zweites Mal einstimmig und vollgültig gewählt worden war. Das änderte sich im Juni 1349 in Frankfurt - einen Monat bevor dort das Judenschlagen stattfand. Als im Dezember des Jahres 1349 die Nürnberger Juden ermordet wurden, hatte Karl IV. seine Stellung bereits stärker gefestigt und war zudem auch erneut gekrönt worden.

[...]


1 Schoeps, Julius H. / Wallenborn, Hiltrud (Hrsg.): Juden in Europa. Ihre Geschichte in Quellen (Band 1: Von den Anfängen bis zum späten Mittelalter), Darmstadt 2001, S. 55.

2 Kracauer, Isidor: Geschichte der Juden in Frankfurt A. M. 1150 – 1824 (Band 1), Frankfurt am Main 1925, S. 16 f.

3 Isenmann, Eberhard : Die deutsche Stadt im Spätmittelalter. 1250-1500 Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988, S. 100.

4 Seibt, Ferdinand (Hrsg.): Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, München 1978, S. 124.

5 Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, S. 100.

6 Huber, Alfons, "Karl IV." in: Allgemeine Deutsche Biographie 15 (1882), S. 164-169 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/gnd118560085.html#adbcontent (20.03.2017).

7 Hoensch, Jörg K. : Die Luxemburger. Eine spätmittelalterliche Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung 1308-1437, Stuttgart 2000, S. 105 ff.

8 Ludwig IV. wurde von kurialen und papstnahen Quellen in gezielter Herabsetzung mit dem Beinamen „der Bayer“ belegt. Vgl. Schütz, Alois, "Ludwig der Bayer" in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 334-347 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/gnd118574957.html#ndbcontent (18.03.2017).

9 Rogge, Jörg: Die deutschen Könige im Mittelalter. Wahl und Krönung, Darmstadt2 2011, S. 69.

10 Prietzel, Malte: Das Heilige Römische Reich im Spätmittelalter. Darmstadt 2010, S. 68.

11 Seibt, Ferdinand, "Karl IV." in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 188-191 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/gnd118560085.html#ndbcontent (21.03.2017).

12 Die Geschichte der Juden in Frankfurt A.M., S. 31.

13 Das Heilige Römische Reich im Spätmittelalter, S. 69.

14 Meier, Mischa (Hrsg.) : Pest. Die Geschichte eines Menschheitstraumas, Stuttgart 2005, S. 145.

15 Ebd., S. 142.

16 Bergdolt, Klaus: Die Pest in Europa 1347-1349, in: Scheibelreiter, Georg (Hrsg.): Höhepunkte des Mittelalters, Darmstadt 2004, S. 166 f.

17 Ein andauernd gehäuftes Auftreten einer Infektionskrankheit in einer begrenzten Region.

18 Pest, S. 146.

19 Pest, S. 147.

20 Fritsche Closener’s Chronik 1362, in: Hegel, K. (Hrsg.): Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert (Band 8). Straßburg (Band 1), Stuttgart2 1961, S. 120.

21 Jankrift, Kay Peter: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter, Darmstadt 2 2012, S. 86 f.

22 Krankheit und Heilkunde im Mittelalter, S. 88.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Karl IV. und die Judenpogrome zur Zeit des Pestausbruchs. Mittäter und Profiteur?
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
22
Katalognummer
V464317
ISBN (eBook)
9783668930551
ISBN (Buch)
9783668930568
Sprache
Deutsch
Schlagworte
karl, judenpogrome, zeit, pestausbruchs, mittäter, profiteur
Arbeit zitieren
Helena Westendorf (Autor:in), 2017, Karl IV. und die Judenpogrome zur Zeit des Pestausbruchs. Mittäter und Profiteur?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/464317

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