Einfluss sozialer Ungleichheit und familienpolitischer Gesetzgebung auf die Prävalenz von Adipositas im Kindes- und Jugendalter


Hausarbeit (Hauptseminar), 2018

33 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Kindeswohl als Bestandteil der Familienpolitik
1.2 Relevanz des Themas

2 Messung
2.1 BMI & Perzentilkurven
2.2 Datenquellen

3 Adipositas als Folge gesellschaftlicher Ungleichheit
3.1 Konsum zuckerhaltiger Erfrischungsgetränke
3.2 Ernährungs- und Bewegungsverhalten
3.3 Ursachen sozialer Unterschiede
3.4 Exkurs: Prävention und Intervention

4 Adipositas und Ungleichheit im internationalen Vergleich
4.1 USA
4.2 Entwicklungsländer

5 Steuerreformen
5.1 Mexiko
5.2 Großbritannien

6 Schlussfolgerungen für Deutschland

7 Quellenverzeichnis

1 Einleitung

„Jeder Mensch hat Rechte - dafür gibt es die Charta der Menschenrechte. Kinder sind auch Menschen, aber sie ha- ben besondere Bedürfnisse in Bezug auf ihre Förderung, ihren Schutz, ihre Mitbestimmung und ihre Entwicklung.“

So argumentiert das Deutsche Kinderhilfswerk für die Anerkennung der UN-Kinderrechtskonvention. Insbesondere das Kindeswohl spielt dabei eine entscheidende Rolle, unter anderem auch bezüglich der Ge- sundheit von Kindern und Jugendlichen. So lautet der Artikel 24 der UN-Kinderrechtskonvention (UNK):

„Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an. [...]“

Obwohl die UNK von beinahe allen Ländern der Welt (mit Ausnahme der USA) unterzeichnet wurde, ist die Gesundheit von Kindern häufig gefährdet: auch in fortschrittlichen, westlichen Ländern, welchen in der Regel alle Möglichkeiten und Mittel zum Schutz der Gesundheit von Kindern zur Verfügung stehen. Eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen hier die gesundheitlichen Folgen einer Fehlernährung und den daraus resultierenden Prävalenzen von Übergewicht und Adipositas. Vor allem, wenn diese eine Folge gesellschaftlicher Ungleichheit ist und die betroffenen Kinder dahingehend Opfer ihres sozialen Umfeldes sind, ist ein klarer Bruch mit der UNK ersichtlich. Wie relevant und gefährdend ein zu hohes Körpergewicht im Kindes- und Jugendalter wirklich ist, welche Ursachen dahinter liegen und welche Maßnahmen dem entgegenwirken ist Inhalt dieser Arbeit.

1.1 Kindeswohl als Bestandteil der Familienpolitik

Eines der zentralen Ziele der Familienpolitik ist es, die zusätzlichen ökonomischen Kosten, welche mit der Geburt und dem Heranwachsen eigener Kinder entstehen, zu kompensieren (Threadshow 2011: 51): Insbesondere in der frühen Kindheit erleben die Eltern Nachteile da- hingehend, dass nur eine Person arbeiten gehen kann. Diese familien- politische Unterstützung kann direkt durch Dienstleistungen, wie auch indirekt durch finanzielle Leistungen erbracht werden. Um im interna- tionalen Vergleich zu messen, ob Maßnahmen effizient zur Erreichung von familienpolitischen Zielen sind, bietet sich die Betrachtung des Kindeswohls als Outcome-Variable an: daran zeigt sich am deutlichs- ten, ob die Maßnahmen dort ankommen, wo sie angedacht sind – bei den Kindern selbst.

Kindeswohl ist allerdings ein mehrdimensionales Konstrukt (Brads- haw 2015: 59). Neben den objektiven Indikatoren wie Kindesarmut, -bildung und -gesundheit messen verschiedene Surveys auch das sub- jektive Kindeswohl anhand von Befragungsdaten. Dabei ist nennens- wert, dass sich diese subjektiven und objektiven Werte im interna- tionalen Vergleich unterscheiden: ein hohes objektives Kindeswohl ist nicht unbedingt Prädiktor für ein gutes subjektives Kindeswohl, so zum Beispiel in Finnland (ebd.: 63). Finnland nimmt im Vergleich der materiellen, gesundheitlichen und bildungsbezogenen Indikatoren international eine Vorreiterrolle ein, während sich die finnischen Kin- der in der subjektiven Bewertung eher im oberen Mittelfeld ansiedeln. Man erkennt, dass die verschiedenen Indikatoren unterschiedliche Din- ge messen und nur eine Betrachtung aller hinreichend für eine generelle Beurteilung des Kindeswohls im internationalen Vergleich sein kann.

Auf der Suche nach einem objektivierbaren Maß, dass alle Aspekte der Messung von Kindeswohl mit einbezieht scheint das Körpergewicht – speziell ein gesundheitsrelevant zu hohes Körpergewicht – geeignet zu sein. Das mag im ersten Moment einseitig klingen, hat sich aber in der Forschung der letzten Dekaden als äußerst vielseitig und gut ver- gleichbar erwiesen. Da alle Kinder, egal in welchem Land der gleichen biologischen Grundvoraussetzung folgen, lassen sich Unterschiede im Körpergewicht zweifelsfrei auf die häusliche, wie auch öffentliche Um- gebung zurück führen. Gleichzeitig spielen aber nicht nur objektive Faktoren wie materielle Deprivation eine Rolle. Auch subjektive Be- lastungen, beispielsweise in Form von Stigmatisierungen, äußern sich häufig in Form von Übergewicht und Adipositas. So deutet sich bei- spielsweise an, dass insbesondere gesellschaftliche Ungleichheit einen großen Einfluss auf die Zahlen von Adipositas und Übergewicht haben kann (Kuntz 2018: 51). Das objektive Maß ‚Körpergewicht‘ ermöglicht so bei korrekter Messung die Entwicklung verallgemeinerbarer, fami- lienpolitischer Ansätze zur Bekämpfung von Ungleichheit.

1.2 Relevanz des Themas

Nicht grundlos sprechen verschiedene Autoren heutzutage von einer „Adipositas-Epidemie“ (Mackenbach 2006: 40; Sturm 2007: 495). Dazu Mackenbach (2006):

„ Ob esity threatens to become epidemic in many European countries, and some have speculated that it may in the fu- ture replace smoking as the number 1 health risk.“

Auch wenn sich dieser Ausdruck nicht nur auf Kinder und Jugendliche bezieht, ist er durch die hohen Risiken und Gefahren, die speziell für Kinder auftreten auch in dieser Subgruppe sehr passend. Die Prävalenz von Adipositas und Übergewicht ist „zahlenmäßig bedeutsam“ (Kurth 2010: 643), außerdem lässt sich eine Zunahme verzeichnen: Weltweit waren im Jahre 2010 43 Millionen Kinder übergewichtig oder adipös. Setzt sich der Trend so fort wird im Jahr 2020 eine Zahl von 60 Millio- nen Kindern erwartet – also 9,1% aller Kinder (Onis 2010: 1257). Die- ser kontinuierliche Anstieg besteht weltweit spätestens seit den 90er Jahren (Kurth 2010: 649), der relative Anstieg in den jeweiligen Deka- den wächst aber von 21% in den 90ern auf eine voraussichtlich 36%-ige Zunahme zwischen 2010 und 2020 (ebd.). Die Forscher und Forscherin- nen des Global Burden of Disease (GBD) errechnen aus ihren Daten insgesamt einen Anstieg von Adipositas und Übergewicht bei Kindern von 47,1% zwischen 1980 und 2013 (GBD 2013: 5).

In Deutschland ist sich die Forschung diesbezüglich aber relativ un- einig: Einige Daten deuten darauf hin, dass die Zahl der Kinder mit problematischem Gewicht ungefähr seit 2010 stagniert (Kurth 2010: 649; Krug 2018: 4). In welche Richtung der Trend geht wird man aber wohl erst in ein paar Jahren genauer sagen können. Auf mög- liche Unterschiede in Abhängigkeit von verschiedenen Messmethoden im nächsten Kapitel mehr.

Auch wenn historisch betrachtet Übergewicht ein Zeichen für Wohl- stand war (Onis 2010: 1257), gilt es heute vor allem die negativen Folgen dessen zu betrachten. Vor allem die Folgen von Adipositas im Kindes- und Jugendalter sind dramatisch, da aber jedes vierte Kind mit Übergewicht später eine Adipositas entwickelt (Schienkie- witz 2018: 77; Zwiauer 1997: 1315), liegen diese beiden Fälle nicht weit auseinander. Aus diesem Grund erschien es naheliegend, in der weite- ren Arbeit auch Daten zu Übergewicht zu nutzen. Nicht, weil Überge- wicht gesundheitlich oder gesellschaftlich problematisch ist, sondern aufgrund dieser hohen Gefahr, dass sich aus dem Übergewicht eine weitaus problematischere Adipositas entwickelt. Laut den Autoren und Autorinnen der KiGGS-Studie (2017) ist Adipositas

„[...] mit weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie kardiovaskulären Erkrankungen, Typ-2-Diabetes sowie dem metabolischen Syndrom, einem gleichzeitigen Auftreten meh- rerer kardiovaskulärer Risikofaktoren [verknüpft].“

Etwas weniger medizinisch, allerdings bezogen auf alle Altersgruppen, drückt sich diesbezüglich Machenbach (2006) aus:

„It [the obesity] is associated with severe losses of life ex- pectancy (because it leads to a raised risk of heart disease and other fatal conditions), but it also leads to severe losses of health expectancy (due to the combined effect of higher death rates and higher prevalence rates of many disabling conditions).“

Daraus entwickelt sich eine höhere Morbidität verglichen mit nor- malgewichtigen Kindern (Wabitsch 2004: 253). Außerdem anzumer- ken ist die Stabilität der Adipositas, denn „eine einmal entwickelte Adipositas bei 2- bis 6-jährigen Kindern ist bei mehr als der Hälfte noch im Jugendalter vorhanden“ (Schienkiewitz 2018: 77). Durch eine ‚frühe Weichenstellung‘ bleiben bestimmte Verhaltensweisen aus dem Kindes- und Jugendaltern oft auch im späteren Leben erhalten (Kuntz 2018: 58) – so auch das Ernährungs- und Bewegungsverhalten, dass die Adipositas bedingt. Hinzu kommen verschiedenste psychosozia- len Belastungen, die für fettleibige Kinder auftreten (Wabitsch 2004: 253), welche in einer Rückkopplung wiederum das Ernährungsverhal- ten beeinflussen. In Deutschland sind folgend der neusten Daten der KiGGS-Studie immerhin fast 6% aller Kinder zwischen 3 und 17 Jah- ren adipös (Krug 2018: 3), in einigen anderen Ländern liegt der Wert deutlich darüber.

2 Messung

Man sollte annehmen, dass die Messung objektiver, medizinischer Da- ten für die Bestimmung von Übergewicht und Adipositas aufgrund der Eindimensionalität leicht ist. Allerdings ist das gerade im Fall von Kindern und Jugendlichen nicht so. Verschiedene Datenquellen, Referenzsysteme und Messverfahren schränken insbesondere die Ver- gleichbarkeit ein.

2.1 BMI & Perzentilkurven

Am weitesten verbreitet ist die Messung mit dem BMI (Body Mass Index) (Kurth 2010: 643). Dieser wird wie folgt berechnet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ab einem BMI von 25 gilt man als übergewichtig, ab 30 als adipös (Kurth 2010: 643). Der BMI hat eine hohe Vorhersagekraft für Adi- positas, da er gut mit der Menge des Fettgewebes, wie auch der Haut- fettfaltendicke korreliert (Zwiauer 1997: 1314). Allerdings wird er vor allem in der Untersuchung von Erwachsenen verwendet, nicht aber bei Kindern und Jugendlichen:

Da sich diese noch in einer Wachstums- und Entwicklungsphase be- finden muss das Alter mitberücksichtigt werden und es werden in der Regel BMI-Perzentilkurven für die Messung verwendet (Kurth 2010: 643). Diese ermöglichen eine Einordnung, „die die Verteilung des BMI unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht in einer Referenzpo- pulation darstell[t]“ (Kuntz 2018: 48). Dabei werden im Referenzsys- tem von Kromeyer-Hauschild (2001) diejenigen Kinder, die über dem 90. Perzentil liegen als übergewichtig, und diejenigen, die über dem 97. Perzentil liegen als fettleibig eingestuft. Neben diesem System gibt es aber auch andere wie beispielsweise das der International Obesity Task Force (IOTF), welche die Vergleichbarkeit internationaler Daten erschweren können.

[...]

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Einfluss sozialer Ungleichheit und familienpolitischer Gesetzgebung auf die Prävalenz von Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Hochschule
Universität Mannheim
Veranstaltung
HS Spezielle Themen des internationalen Vergleichs: Familienpolitik im internationalen Vergleich
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
33
Katalognummer
V464932
ISBN (eBook)
9783668929951
ISBN (Buch)
9783668929968
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gesundheitssoziolgie, Familienpolitik, Adipositas, Übergewicht, Zuckersteuer, Jugend, Kinder, Zucker, Fett, Fehlernährung, Internationaler Vergleich
Arbeit zitieren
Rebecca Hettmann (Autor:in), 2018, Einfluss sozialer Ungleichheit und familienpolitischer Gesetzgebung auf die Prävalenz von Adipositas im Kindes- und Jugendalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/464932

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