Demokratietheorien. Ingeborg Maus im Bezug zu Globalstaatskonzepten


Hausarbeit, 2017

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Globalstaatskonzepte als Lösungsansatz für grenzüberschreitende Probleme in Zeiten der Globalisierung

2. Ingeborg Maus‘ Kritik an Globalstaatsmodellen als Rückgang der Demokratie in „Vom Nationalstaat zum Globalstaat oder: der Verlust der Demokratie“
2.1 Die vermeintliche Antiquiertheit des Nationalstaates
2.2 Aspekte der Entgrenzung ausgehend von der Entwurzelung neuer nationalstaatlicher Identifikationsmöglichkeiten
2.3 Gegenüberstellung von Carl Schmitts Großraumideologie mit Immanuel Kants Weltbürgerrecht
2.4 Die drei zentralen Probleme globaler Demokratie

3. Otfried Höffes alternatives Konzept eines subsidiären, föderalen Weltstaats
3.1 Ausgangspunkte der Argumentation für eine innovative Globalstaatskonzeption
3.2 Neun Einwände gegen den Weltstaat und daraus resultierende konstruktive Vetos

4.Fazit und Resümee

5.Literaturverzeichnis

1. Globalstaatskonzepte als Lösungsansatz für grenzüberschreitende Probleme in Zeiten der Globalisierung

Globalisierung ist spätestens seit der Gründung der WTO und der Liberalisierung der globalen Finanzmärkte in den 90er-Jahren ein gesellschaftlich höchst relevantes Thema. Während die einen Globalisierung als Segen und Chance begreifen, ist der Begriff für andere deutlich negativ konnotiert und wird als Bedrohung wahrgenommen. Doch auch für alle, die die zunehmende Verflechtung und Vernetzung der Welt kritisch betrachten und für eine Zunahme des Leids, der Ungleichheit und Armut auf globaler Ebene verantwortlich machen, scheint keine Frage nach der Unumkehrbarkeit dieses Prozesses gestellt zu werden. Während das Phänomen anfangs hauptsächlich die Veränderung der Weltwirtschaft und internationalen Finanzmärkte bewirkte, kann Globalisierung längst nicht mehr auf Ökonomie beschränkt gesehen werden. Auch Politik, Kultur, Ökologie, Technologie und Wissen sind der Globalisierung ausgesetzt. Mit der weltweiten Verflechtung in Wirtschaft und anderen Bereichen geht auch die Forderung nach einer globalen Lösung von grenzüberschreitenden Problemen einher – Probleme, die teils durch die Globalisierung erst verursacht oder verstärkt wurden und nun zu weitreichend sind um sie auf nationaler Ebene in Parlamenten zu klären. Um Antworten auf globale Streitfragen und Probleme wie die Klimaerwärmung, Verschmutzung der Weltmeere und steigende Migrationszahlen zu finden, scheint die Errichtung einer globalen politischen Organisation - eines Weltstaates oder einer Weltrepublik – in öffentlichen Debatten nahezu unverzichtbar und unumgänglich. Ingeborg Maus kritisiert in ihrem Werk „Über Volkssouveränität. Elemente einer Demokratietheorie“ die Entwicklung hin zur Befürwortung von Weltstaatskonzepten als Ablösung von Nationalstaaten aufs Schärfste. Sie argumentiert anhand mehrerer Beispiele und Analysen von Weltstaatskonzepten für den Nationalstaat und gegen dessen Auflösung durch die Globalisierung der Politik, da für sie ein Globalstaat nicht ohne grundlegenden Verlust der Demokratie existieren könnte. Im Folgenden wird nach der Darlegung und Analyse von Maus‘ Standpunkten mit der Globalstaatstheorie Otfried Höffes der Frage nach dem Verlust der Demokratie und Volkssouveränität exemplarisch nachgegangen.

2. Ingeborg Maus‘ Kritik an Globalstaatsmodellen als Rückgang der Demokratie in „Vom Nationalstaat zum Globalstaat oder: der Verlust der Demokratie“

Im sechsten Kapitel ihres 2011 erschienenen Buches „Über Volkssouveränität - Elemente einer Demokratietheorie“ argumentiert Ingeborg Maus gegen die Entwicklung hin zu einem Globalstaat statt souveräner Nationalstaaten. Sie geht der Fragestellung nach, ob die zu verabschiedenden Prinzipien durch Globalstaatskonzepte hinreichend bekannt sind. Sie sieht die allgemeine Akzeptanz der Globalisierung als „reales und objektives Verhängnis“ (Maus: 376) als Gefahr an, da im Zuge dieser, institutionelle Angleichungen der Staaten ohne Hinterfragen vorgenommen werden könnten. Während Maus innerstaatliche Souveränität mit Volkssouveränität gleichsetzt, scheint diese in Debatten zur Globalisierung im Gegensatz zu stehen. Zudem sieht sie Volkssouveränität oft mit dem Gewaltmonopol des Staates verwechselt. Ziel ihrer Ausführungen ist die Untersuchung des aktuellen Demokratieverständnisses. (Maus 2011: S. 375f.)

2.1 Die vermeintliche Antiquiertheit des Nationalstaates

Maus sieht als wesentliches Merkmal für die Veraltetheit des Nationalstaats im öffentlichen Diskurs das „Prinzip starrer Staatsgrenzen“ an (Maus 2011: S.377). Dieses Prinzip etabliere durch „territoriale Einhegung einen politischen Partikularismus“ (ebd.). Mit anderen Worten heißt das, dass durch existente Staatsgrenzen innerhalb der Gesamteinheit (Welt) der kleineren Einheit, in diesem Fall der Staat, der Vorzug gegeben wird. Die Bedeutung der Globalisierung, vor allem auch im Kontext der Bekämpfung von Umweltbeschädigung und Migration, wird hierbei den Kritikern zufolge isoliert (Vgl. ebd.).1 Der demokratische Nationalstaat wird angesichts der aktuellen Entwicklungen sowohl in zentralistischer als auch in föderalistischer Form als Hervorbringung eines Zeitalters angesehen, in dem die Staatskonzeption vorwiegend territorial geprägt war und den mittelalterlichen Zusammenhang von Land und Herrschaft betonte. Aufgrund der zunehmenden Mobilität von Menschen und Wirtschaft liegt es scheinbar nahe, dass ein Zerfall des Nationalstaates notwendig wäre (Vgl. S.377 f.). Maus argumentiert jedoch, dass der „Übergang zum demokratischen Nationalstaat“ (Maus 2011: S.378) vor allem dadurch von Statten ging, dass das Prinzip des Personenverbands das Territorialprinzip substituierte.

Dieser Prinzipienwechsel findet sich auch in Kants Friedensschrift wieder, in der er festlegt, dass der Staat „eine Gesellschaft von Menschen“ sei und kein Besitz den man inklusive der auf diesem Territorium lebenden Menschen veräußern könnte. Durch Kants Identifikation des Staates mit dem Volk wird der vermeintliche Zusammenhang zwischen nationalstaatlicher Identität und dem jeweils bewohnten Staatsgebiet aufgelöst. Entsprechend gilt nun das demokratische Gesetz als neuer essentieller Faktor der Identitätsgebung (ebd. S.378f.). Durch diese Wandlung steht die reelle Antiquiertheit des Nationalstaates in Frage.

2.2 Aspekte der Entgrenzung ausgehend von der Entwurzelung neuer nationalstaatlicher Identifikationsmöglichkeiten

Durch die Entwurzelung der neuen nationalstaatlichen Möglichkeiten der Identifikation kommt es zu mehreren „Aspekten der Entgrenzung“ (ebd. S.379), die im Folgenden näher erläutert werden. Durch die neuen demokratischen Verfahren, in denen Staatsbürger durch ihre Partizipation über Inhalte bestimmen, kam es zu einem Bedeutungswandel nationalstaatlicher Grenzen, die fortan „Geltungsradius der demokratischen Verfassung“ (ebd.) waren. Neu ist in erster Linie die Durchlässigkeit dieser Grenzen für alle Personen, die zur Annahme der in ihnen gültigen Rechts-und Verfassungsordnung bereit sind. (ebd. S.379f.)

2.2.1 Zeitliche und räumliche Entgrenzung

Dadurch dass sich der demokratische Nationalstaat von allem Bodenständigen löst, kommt es auch zur „Öffnung zur Zukunft“ (ebd. S.380) und somit einer Entgrenzung der Zeit. Das heißt, dass die Identität des Nationalstaats nicht beständig ist, sondern stets neu konstruiert wird. Sobald der demokratische Nationalstaat nicht mehr auf vergangenheitsträchtigen Vorstellungen aufbaut, sondern von der normativen Absprache nährt, was die Nation zukünftig sein soll, so sind Fremde in die wiederkehrende Herstellung der Nation problemlos zu integrieren. Diese beiden Aspekte der Entgrenzung verändern auch die Struktur des sogenannten positiven Rechts. Positives Recht bezeichnet das vom Menschen gesetzte Recht im Gegensatz zum Naturrecht, bezieht seine Legitimität also nicht aus der Überlieferung von Prinzipien, sondern durch die Setzung in demokratischen Verfahren. Die Gültigkeit des Rechts ist somit abhängig von dem momentanen Status und nicht von der Gewohnheit. Diese Lernfähigkeit des modernen Rechts ist laut Maus Voraussetzung für passende Reaktionen auf neue Herausforderungen, die mit der Globalisierung einhergehen, wie zum Beispiel zunehmende wirtschaftliche Grenzüberschreitungen. Die Reformation der Lernfähigkeit nationalstaatlicher Rechtssysteme geht soweit, dass es bei „Grenzüberschreitungen von Privatrechtssubjekten“ (ebd.S.381) teils zur Geltung fremden Rechts im eigenen Territorialgebiet kommen kann (Vgl. S.379ff.). Maus fügt auch Kants „Weltbürgerrecht“ zu ihrer Argumentation für die Beibehaltung nationalstaatlicher Grenzen an. Das „Weltbürgerrecht“ ist ein Regelwerk, das beim Grenzübertritt der Rechtsordnung einer Nation in die einer anderen zu beachten ist. Es beschreibt nicht, wie öfters fälschlicherweise angenommen, eine supranationale Ordnung. Ein Besuchsrecht setzt nationalstaatliche Grenzen beispielsweise erst voraus und versucht nicht diese zu eliminieren (ebd. S.379 ff.).

2.2.2 Entgrenzung gesellschaftlicher Mobilität

Rousseau beendete schließlich vollends den Mythos der Bodenständigkeit des Rechts, da für ihn die Gründung einer Nation allein durch das Einverständnis von Individuen zu einem ersten Gesetzgebungsversuch zustande kommen konnte. Für ihn ist das jüdische Gesetz der „Prototyp aller Gesetzgebung“ (ebd. S.382). Maus zitiert Rousseaus Aussagen über die Juden: ‚Sie überdauern, sie vermehren sich, sie breiten sich auf der ganzen Welt aus. (…) Sie haben keine Führer und bleiben immer Volk; sie haben kein Vaterland und sind immer Bürger. Welche Kraft muss eine Gesetzgebung haben, die solcher Wunder fähig ist‘ (Maus 2011: S. 383). Für Maus zeigt sich hier das Prinzip der Entgrenzung gesellschaftlicher Mobilität, welches zugleich „die innerste Struktur des modernen Rechts ausmacht“ (ebd. S. 383).

2.3 Gegenüberstellung von Carl Schmitts Großraumideologie mit Immanuel Kants Weltbürgerrecht

Ingeborg Maus fügt als nächstes die Theorie des deutschen Staatsrechtlers und politischen Philosophen Carl Schmitt an, der die jüdischen Vertreter des Rechtspositivismus kritisiert. Der Dezisionismus, also die rechtsphilosophische Anschauung, nach der das als Recht anzusehen ist, was die Gesetzgebung zum Recht erklärt, entspricht nicht Carl Schmitts Auffassung von dem ‚Bodenständigen‘ (ebd. S.384). Nach Maus ist er Vertreter des Raums im konkreten Sinn, wenn auch Begriffe wie „Raum“, „Boden“ und „Land“ metaphorisch für gesellschaftliche Strukturen und Institutionen stehen. Diese seien gegen allein auf der Mehrheitsregel basierenden gesetzgeberischen Neuerungen zu schützen. Eine legale Veränderung des bestehenden Systems könnte als Ergebnis schließlich auch die Entstehung eines sozialistischen Systems haben. Im Sinne Carl Schmitts sollte die Welt auch gegen bereits erläuterte zeitliche Entgrenzung, also die Öffnung für die Zukunft, abgesichert sein. Schmitt hat zugleich gegensätzliche Ansichten zu den tatsächlichen Grenzen eines Nationalstaats als Kant sie hat. Maus spricht an dieser Stelle von den „Dämonisierungen des Nationalstaats“ (ebd. S.385). Zur Erläuterung dieser Begrifflichkeit zieht sie Schmitts Feststellung heran, dass die ‚Epoche der Staatlichkeit‘ zu Ende gehe. Die von Schmitt bereits 1939 entworfene neue ‚Raumordnung‘ macht die räumliche Perspektive wieder geltend, wenn sie auch eigentlich zur Ablösung nationalstaatlicher Territorien im Sinne des Strebens nach einer Vorrangstellung in der Welt dient. Maus setzt Schmitts Denkansätze mit denen des aktuellen Grundkonsenses in der Diskussion um die mögliche Abschaffung des Nationalstaates gleich, da beide die Territorialität als Haupteigenschaft des Nationalstaates begreifen. Somit scheint dessen Erhaltung als nicht vereinbar mit den neuesten gesellschaftlichen Entwicklungen angesehen zu werden, beziehungsweise als ökonomisch inadäquat. Maus sieht die Großraum-Ideologien so konstruiert, dass Grenzen bewusst überschritten werden, um eigene Herrschaftsansprüche geltend zu machen. Kant positioniert sich ihrer Auffassung nach wiederum gegen eine globale Abschaffung aller Grenzen, was er im „Weltbürgerrecht“ verdeutlicht. Er gewährt Fremden dementsprechend lediglich ein „Besuchsrecht“ und kein „Gastrecht“. Für ihn sind Grenzen somit nur bedingt durchlässig. Mit dieser eingeschränkten Durchlässigkeit der Grenzen hat Kant besonders den Schutz der Freiheit und Selbstbestimmung der Bewohner im Sinne, welche durch hegemoniale Grenzüberschreitungen und Landnahmen gefährdet sein können und insbesondere zu Kolonialzeiten oft waren. Das Recht auf den Boden ist somit laut Maus als „Recht des Besitzers im Sinne eines Verteidigungsrechts gegen von außen kommende Aggression“ (Maus 2011: S.388) zu verstehen. Zudem ist für Kant die Thematik des Raums bloß ein Mittel zum Zweck der Volkssouveränität. Dazu passend hat für ihn die politische Selbstorganisation von Staaten auch höchste Priorität gegenüber den in Globalstaatskonzepten erläuterten globalen Staatsaufgaben. Kant richtet sich generell gegen die Übergröße von Staaten oder eines Weltstaats, da er deren Vereinbarkeit mit der Demokratie (wie auch Maus) nicht gegeben sieht. Abschließend kritisiert Maus den „Hochmut der Nachgeborenen“ (Maus 2011: S.390), da sie die in aktuellen Debatten als Argument genutzte internationale Kommunikationstechnologie, die man hypothetisch für demokratische Willensbildungsprozesse nutzen könnte, als hinfällig ansieht. Ihr Hauptkritikpunkt lautet, dass klassische Protestformen wie Petitionsrecht oder Demonstrationsrecht bei einem Weltparlament aufgrund eines geringen Handlungsdrucks auf die Abgeordneten massiv an Wirkkraft und Bedeutung verlieren könnten. Ein Weltparlament würde sich leichter tun, Massenproteste auf den Straßen sowie Petitionen zu ignorieren – nicht zuletzt aufgrund der räumlichen Distanz zu den Protestanten (Ebd. 390).

2.4 Die drei zentralen Probleme globaler Demokratie

Als zweiter Unterpunkt ihrer Globalstaatskritik mit dem Titel „Staatssouveränität als Volkssouveränität und das Dilemma globaler Demokratie“ geht Maus detailliert auf die drei für sie im Zentrum stehenden Probleme globaler Demokratie ein. Als erstes kritisiert sie, dass es keine umfassenden Kriterien zur Homogenisierung von Menschenrechts – und Demokratiestandards zu geben scheint beziehungsweise dass die wechselseitige Abhängigkeit von Menschenrechten und Demokratie nicht hinreichend wahrgenommen wird. Zweiter zentraler Kritikpunkt ist ihre Annahme, dass Globalstaatskonzepte elementare demokratische Prinzipien verletzen bei dem Versuch die Demokratie an eine hyperkomplexe Weltgesellschaft zu adaptieren. Als letztes geht Maus darauf ein, dass die Staaten eines hypothetischen Weltstaats einerseits zu verschieden sind und zudem nur eine Minderheit liberaler Demokratien existiert (Vgl. Maus 2011: S.391). Im Folgenden werde ich jeden der drei genannten Punkte getrennt voneinander genauer erläutern.

2.4.1 Nichtexistenz adäquater Kriterien zur Homogenisierung von Menschenrechts- und Demokratiestandards

Maus‘ Erläuterungen starten mit einem Rückbezug auf Kants demokratisches Postulat der Nicht-Einführung sogar von Demokratien, wenn dies gegen den Volkswillen geschähe. Kant argumentiert damit, dass jegliche Art von Verfassung, wenn auch unter Gesichtspunkten der Rechtmäßigkeit eher gering ausgeprägt, besser als gar keine Verfassung ist. Er sieht somit in jedem irgendwie verfassten Staat das Potential sich in Richtung eines Staates mit republikanischer Verfassung zu entwickeln. Er stellt sich somit auch konsequent gegen die Einmischung eines Staates in die Angelegenheiten eines anderen. Die heutigen weltweiten militärischen Interventionen, unter Anderem ermöglicht durch eine neu interpretierte UN-Charta2, stehen zu dieser Ermöglichung der Volkssouveränität der einzelnen Staatsvölker Maus‘ Ansicht nach in deutlichem Gegensatz. Der UN-Charta entsprechend soll die Achtung vor den Menschenrechten lediglich gefördert, aber nicht erzwungen werden. In den vergangenen Jahrzehnten gab es jedoch eine Entwicklung hin zu einem scheinbaren „Recht“ auf humanitäre Interventionen, da innerstaatliche Menschenrechtsverletzungen mit Bedrohungen des Weltfriedens sowie der globalen Sicherheit gleichgesetzt werden und somit weniger gerechtfertigt werden müssen. Bei Reformationsvorschlägen der UNO soll dementsprechend das Souveränitätsprinzip der Länder bedeutend eingeschränkt werden, so dass es nicht mehr im Widerspruch zur Menschenrechtsdeklaration steht. Somit können humanitäre Interventionen auch leichter durchgesetzt werden. Ingeborg Maus bemängelt, dass sowohl bei geteiltem Menschenrechtsverständnis als auch im umgekehrten Fall das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Staatsbürger verletzt wird. Zugleich erkennt sie eine Tendenz dazu das „Recht demokratischer Autonomie in ein Recht auf vorpolitische Identität“ (ebd. S.393) zu verändern. Anhand des Zusammenbruchs Jugoslawiens in mehrere Einzelstaaten aufgrund des „Ultranationalismus“ Kroatiens führt sie ein weiteres Beispiel für die Dämonisierung des Nationalstaats an. Durch die Abspaltung Kroatiens von dem multikulturellen Nationalstaat kam es zum Zerfall Jugoslawiens in ethno-nationalistische Einzelstaaten.

Die Akzeptanz der kroatischen Segregation durch die westliche Staatengemeinschaft symbolisiert genau den Nationalismus, den es bei Nationalstaaten als zu vermeiden gilt. Nach Maus‘ Auffassung fördert Globalisierung die Dominanz des Raumes und des Völkischen, anstatt sie zu verhindern (Vgl. ebd. S. 391-394)

2.4.2 Verletzung elementarer demokratischer Prinzipien durch Globalstaatskonzepte

Laut Maus werden durch den Versuch von Globalstaatskonzepten, die Demokratie an die „Hyperkomplexität der Weltgesellschaft“ (Maus 1999: S.391) anzupassen, die wesentlichen demokratischen Prinzipien wie Volkssouveränität und Gewaltenteilung angegriffen. Dazu im Folgenden genaue Erläuterungen ihrer Kritikpunkte.

2.4.2.1 Dämonisierung des Begriffes „Volkssouveränität“

Maus‘ Ansicht nach wird der Begriff ‚Volkssouveränität‘ dämonisiert, also schlechtgemacht, weil das Prinzip auf globalstaatlicher Ebene sowieso nicht mehr realisiert werden könnte. Der Begriff des ‚Volkes‘, welcher heutzutage oft fälschlicherweise mit ‚völkisch‘ in Verbindung gebracht wird, hatte zur Zeit der Aufklärung in Demokratietheorien noch verfassungsrechtliche Bedeutung. Konkret heißt das, dass Volksgemeinschaft und Rechtsgemeinschaft zusammen gehörig waren und die Herstellung eines Volkes zugleich der Schaffung eines demokratischen Souveräns diente. Der Ersatz des Begriffs ‚Volk‘ durch ‚Bevölkerung‘ ist also insbesondere deshalb problematisch, da nur ‚Volk‘ politisch aktive Staatsbürger impliziert (Vgl. Maus 2011: S.394 f.). In aktuellen Beiträgen zum Volk als Souverän wie beispielsweise von Sibylle Tönnies wird ‚Volk‘ oft mit sozial unterprivilegierten Bevölkerungsschichten oder Nicht-Akademikern identifiziert, was den Schluss der Demokratie als „Herrschaft der Minderwertigen“ (ebd. S.395) nahelegt. Auch der zweite Wortbestandteil, die ‚Souveränität‘, sieht sich einer Dämonisierung ausgesetzt. Obwohl das Prinzip der Volkssouveränität wechselseitig dem Ausschluss der Tyrannei des Volkes und der der Staatsapparate dient, werden ihm von Globalstaatsvertretern despotische Bedeutungen unterstellt. An sich geht es bei Volkssouveränität aber um die normative Komponente der ‚gerechten‘ Zuteilung beziehungsweise Aufteilung von Macht bei dem staatlichen Monopol der Exekutivgewalt sowie dem Souveränitätsmonopol der Legislative. Mit Zweitem kann eine Monopolisierung der Exekutivgewalt gegebenenfalls korrigiert werden. Maus kritisiert bei gegenwärtigen Globalstaatskonzeptionen in erster Linie, dass sie die Verbindung zwischen ungeteilter Souveränität des Volkes (zumindest bei parlamentarischen Demokratietypen) und der genauen Teilung der Gewalt und Rechts(durch)setzung ohne Angabe einer äquivalenten Alternative verabschieden.

[...]


1 Partikularismus wird in der politischen Philosophie als Gegenbegriff zum Universalismus verwendet.

2 Die UN-Charta ist der Gründungsvertrag der Vereinten Nationen, der zuerst von 50 Mitgliedsstaaten unterzeichnet wurde und am 24. Oktober 1945 in Kraft trat. Mittlerweile hat die UN 192 Mitglieder. In Kapitel 1 „Grundsätze und Ziele“ , Artikel 2 steht geschrieben, dass die „Organisation auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Mitglieder [beruht]“. Zudem steht unter 7., dass aus der Charta keine Befugnis zum Eingreifen in die inneren Angelegenheiten eines Staates abgeleitet werden kann. Im Kapitel 7 ‚Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen‘, Artikel 42 ist jedoch davon die Rede, dass Bei Unzulänglichkeit vorheriger friedlicher Maßnahmen „mit Luft-,See- oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen“ durchgeführt werden können. Siehe: http://www.unric.org/de/charta, Regionales Informationszentrum der Vereinten Nationen für Westeuropa, abgerufen am 17.09.17

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Details

Titel
Demokratietheorien. Ingeborg Maus im Bezug zu Globalstaatskonzepten
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Politikwissenschaft und Soziologie)
Note
2,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
21
Katalognummer
V465053
ISBN (eBook)
9783668930933
ISBN (Buch)
9783668930940
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Globalstaat, Direkte Demokratie, Politische Theorie, Ideengeschichte, Ingeborg Maus, Otfried Höffe, Politikwissenschaft, Demokratie, Demokratietheorie
Arbeit zitieren
Melissa Ihlow (Autor:in), 2017, Demokratietheorien. Ingeborg Maus im Bezug zu Globalstaatskonzepten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/465053

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