Praktikumsbericht für Lehramtsstudierende. Schwerpunktsetzung Lehrerpersönlichkeit

Sekundarstufe


Praktikumsbericht / -arbeit, 2018

33 Seiten, Note: 15


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Schule

3. Reflexion der eigenen Situation
3.1. Anleitung und Anforderungen im Praktikum
3.2. Unterrichtsbeobachtungen und deren Reflexion
3.3. Die Planung, Durchführung des eigenen Unterrichts
3.4. Die Reflexion des eigenen Unterrichts

4. Beobachtungsschwerpunkt
4.1. Schwerpunktsetzung
4.2. Einordnung in die „Theorie von Schule“
4.3. Analyse und Auswertung der Beobachtungen
4.4. Reflexion

5. Persönliche Reflexion und Schlussfolgerungen

6. Quellenverzeichnis

7. Anhang
7.1 Unterrichtsskizze
7.2 Arbeitsmaterial

1. Einleitung

Der Beruf des Lehrers bringt viel Verantwortung mit sich, da Lehrkräfte die Zukunft von morgen prägen. Natürlich spielen auch andere Faktoren eine Rolle, die den Sozialisierungsprozess eines Menschen beeinflussen, aber der Besuch der Institution Schule und ihre Lehrkräfte bereiten die Schülerinnen und Schüler (im Folgenden abgekürzt mit SuS) auf die Gesellschaft vor. Dabei besteht allerdings eine interdependente Beziehung zwischen SuS und Lehrerinnen und Lehrern. Diese Beziehung erfordert ein gewisses Maß an Empathie und Respekt dem Anderen gegenüber, denn einerseits wird dadurch dem Schulleben ein gewisses Bewusstsein verliehen, andererseits aber auch eine gesunde Lernbereitschaft erzielt. Diese Vorstellung vom Lehrer sein schwebte mir bereits zu Beginn meines Studiums vor und mit genau dieser Vorstellung habe ich mich auch auf mein Praktikum vorbereitet. In Anlehnung daran, habe ich mir vorgenommen den SuS auf Augenhöhe zu begegnen, und dabei trotzdem zu verdeutlichen, dass ich respektiert werden möchte. Darüber hinaus habe ich mir vorgenommen meine Unterrichtsversuche so gestalten, dass die SuS Spaß an dem gemeinsam zu erarbeitenden Inhalt haben und dabei „Aha-Momente“ erleben, sodass meine Unterrichtsversuche nicht nur lehrreich für mich werden, sondern auch für die SuS. Ich habe das Praktikum als eine Chance betrachtet, mich selbst in unterschiedlichen Unterrichtssituationen zu erproben und herauszufinden, wo meine Stärken und Schwächen als Lehrkraft liegen könnten.

Rational betrachtet, hatte ich natürlich auch die Befürchtung, dass meine Vorstellung vom Lehrerberuf entkräftet werden könnte und damit zusammenhängend auch die Zeit meines Praktikums nicht ideal verlaufen könnte. In Zusammenhang damit hatte ich verschiedene Sorgen. Ich habe mir schon immer die Frage gestellt, wie es einer Lehrkraft gelingen kann, die SuS auf ein Leben vorzubereiten, wenn sie aus einem problembelasteten Umfeld kommen. Der Sozialisationsprozess eines Schülers oder einer Schülerin kann durch keine Lehrkraft rückgängig gemacht werden, denn die Spuren dieses Prozesses tragen SuS mit sich. Wie kann sich der Umgang mit solchen SuS gestalten und wie kann eine Lehrkraft eine gesunde Distanz zu den SuS ziehen, ohne sich dabei in eine Elternrolle hinein zu vertiefen. Abgesehen von dieser grundlegenden Frage, hatte ich auch Sorge darum von den SuS nicht ernstgenommen zu werden, da ich letzten Endes nur eine Praktikantin bin. Auch wusste ich nicht ob es mir gelingen wird das Interesse der SuS für den Inhalt meiner Unterrichtsversuche zu wecken. Darüber hinaus hatte ich auch die Sorge nicht adäquat genug auf Unterrichtsstörungen reagieren zu können und dabei fehlende Autorität auszustrahlen, sodass ich die Störung nicht beheben und der Klassenraum in einem Zustand des Chaos‘ versinken könnte. Ich erhoffte mir, dass meine Aufgaben im Praktikum abwechslungsreich sein werden und ich wünschte mir einen Einblick in unterschiedliche Jahrgangsstufen zu bekommen, um ein besseres Gefühl für die unterschiedlichen, altersabhängigen Unterrichtsmethoden zu bekommen.

2. Die Schule

Mein Praktikum habe ich für die Fächer Englisch sowie Politik und Wirtschaft für den Zeitraum vom 19. Februar bis 23. März 2018 an einer Schule in Frankfurt am Main absolviert. Die Schule besteht seit 1960 und ist zum heutigen Zeitpunkt eine ganztägig arbeitende Verbundschule mit Grund-, Haupt- und Realschule. Es werden rund 800 SuS von etwa 70 Lehrkräften beschult.

Geographisch betrachtet befindet sich die Schule im Osten eines Frankfurter Stadtteils. Dort ansässig sind viele sozial schwache und kinderreiche Familien. Auch der Anteil an Familien mit einem Migrationshintergrund sind hoch. Der Stadtteil gilt im Rahmen des Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf“ als „Soziale Stadt“ (Stadt Frankfurt am Main o.J.: 5). Das Bund-Länder-Programm zielt darauf ab die Lebensverhältnisse der Bürgerinnen und Bürger vor Ort zu verbessern, um der sozialen Segregation und dem damit zusammenhängenden Ghettoisierungsprozess entgegen zu wirken (ebd.). Soziografisch betrachtet handelt es sich bei dem Stadtteil um einen sozialen Brennpunkt. Als solcher wird ein Wohngebiet definiert, „in denen Faktoren, die die Lebensbedingungen ihrer Bewohner und insbesondere die Entwicklungschancen beziehungsweise Sozialisationsbedingungen von Kindern und Jugendlichen negativ bestimmen, gehäuft auftreten“ (Duthel 2013: 45). Aufgrund ihrer geographischen Lage sowie des sozio-ökonomischen Status’ der SuS kann die Schule somit als eine Brennpunktschule bezeichnet werden (Fölker et al. 2015: 9).

Natürlicherweise bringen die SuS, die aus einem solchen Spannungsfeld kommen Probleme mit sich, tragen diese auch in der Schule aus und sind emotional belastet. Dementsprechend herrscht in der Schule zwischen den SuS aber auch gegenüber der Lehrkräfte ein Klima mit hohem Konfliktpotenzial vor. Die Schulleitung und das Kollegium sind sich des sozio-ökonomischen Status’ ihrer SuS bewusst und haben ihr pädagogisches Konzept sowie ihr Unterrichtsangebot diesem Spannungsfeld angepasst. Daher ist die Schule eine Stadtteilschule mit Schulsozialarbeit. Im Rahmen dessen steht vor Ort eine Jugendhilfe zur Verfügung. Im Zusammenhang damit hat die Schule auch das Gewaltpräventionsprogramm PiT-Hessen (Prävention im Team) eingeführt und zielt darauf in Kooperation von Schule, Polizei und Jugendhilfe „potenzielle Opfer zu stärken, in Gewaltsituationen Handlungsoptionen (...) [aufzuzeigen] und damit präventiv zu wirken“ (Hessischer Bildungsserver 2014), sodass Möglichkeiten aufgezeigt werden, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Außerdem gibt es auch eine Vertrauenslehrerin, die sich den Problemen der SuS annimmt und ihre Unterstützung anbietet. Des Weiteren ist auch das Unterrichtsfach Soziales Lernen fester Bestandteil der Schulkultur. Hierbei werden die sozialen Kompetenzen der SuS geschult, sodass soziale und emotionale Störungen aufgearbeitet und die SuS dadurch auf ein eigenverantwortliches Leben in der Gesellschaft vorbereitet werden können. Darüber hinaus werden nachmittags verschiedene AG’s (Sport, Musik, Schach, Natur) angeboten. Dadurch erhalten die SuS die Möglichkeit sich an verschiedenen Interessengebieten auszuprobieren und eine Art Hobbykultur zu entwickeln.

Aus eigenen Beobachtungen während meiner Hospitation an der Schule erschloss sich mir, dass sich die Lesefähigkeiten sowie die Fähigkeit sich sachlich und fachlich zu artikulieren vielen SuS schwer fiel - unabhängig ihrer Klassenzugehörigkeit und der besuchten Schulform. Dieser Umstand bestätigte die Aussage des Kollegiums, dass viele SuS zu Hause kein Deutsch sprechen und Deutsch als Zweitsprache erlernt haben. Die Schulleitung und das Kollegium sind sich der sprachlichen Schwächen ihrer SuS bewusst und versuchen dem durch vielfältige Leseförderungsangebote wie LRS-Kurse entgegenzuwirken. Darüber hinaus bauen die Klassenlehrerinnen und -lehrer interaktive Projekte (bspw. Theaterprojekte) in ihren Unterricht ein, um damit gezielt die sprachlichen Kompetenzen der SuS zu fördern. Zudem werden für leistungsschwächere SuS Zusatzangebote in den Hauptfächern in Form von Förderkursen angeboten sowie Prüfungsvorbereitungskurse für SuS, die sich im Abschlussjahrgang befinden.

Das Kollegium der Schule ist bunt durchmischt – bestehend aus jungen und älteren Lehrkräften, die unterschiedliche Bildungswege hinter sich haben. Es gibt im Vergleich zu der Schülerschaft nur wenige Lehrkräfte, die einen Migrationshintergrund mit sich bringen. Darüber hinaus gibt es einen Lehrer, der Homosexuell ist und öffentlich dazu steht. Dieser wurde mir als Mentor während meiner Hospitation zugewiesen. Das Kollegium machte auf mich einen sehr engagierten Eindruck. Die Lehrkräfte gestalten gemeinsam mit den SuS Klassenprojekte, besuchen das Deutsche und Englische Theater, stellen Klassenregeln auf und lassen die SuS diese begründen, damit sie ein Verständnis für die Wichtigkeit von Umgangsformen erwerben. Die Lehrkräfte sind sich des sozio-ökonomischen Status‘ ihrer SuS bewusst und versuchen Klassenausflüge durch Spenden zu finanzieren oder unterstützen die Eltern bei der Beantragung von Fördergeldern für Klassenfahrten, sodass keine finanzielle Belastung stattfindet und keine Schülerin bzw. kein Schüler aufgrund dessen ausgeschlossen werden muss.

Trotz des Spannungsfeldes in dem sich die SuS befinden, prägt die Vielfältigkeit der Schülerschaft das Leitbild der Schule wie folgt: „Wir sind eins und doch verschieden, Toleranz wird großgeschrieben. Zuverlässig, offen und ehrlich, das ist für uns unentbehrlich“ und macht sie zu einem Ort multikultureller Begegnungen. Aufbauend auf dieses Leitbild betrachtet die Schule die Vielfalt ihrer SuS als Reichtum für ein gesellschaftliches Miteinander und vermittelt den SuS gleichzeitig soziale Kompetenzen, die gegenseitige Toleranz und gegenseitigen Respekt lehren.

3. Reflexion der eigenen Situation

3.1. Anleitung und Anforderungen im Praktikum

An unserem ersten Tag an der Schule wurden meine Kommilitoninnen und ich herzlich von dem Stellvertretenden Schulleiter Herr O. empfangen. Etwas verspätetet kam auch der Praktikumsbeauftragte Herr W. vor dem Lehrerzimmer an und begrüßte uns. Gleich am ersten Tag haben wir einen groben Überblick von Herr W. über den Aufbau der Schule, die Klassenformen und -einteilungen erhalten. Interessant fand ich die Aufteilung des Schulgebäudes in Grund- und Realschule. Die Hauptschulklassen wurden in Containern unterrichtet oder in Räumlichkeiten des Grundschulgebäudes. Diese Art der internen sozialen Segregation der SuS nach Schulformen empfand ich als äußerst negativ. Allen voran, weil die Hauptschülerinnen und -schüler in den schlechter ausgebauten, geräuschempfindlichen Containern unterrichtet wurden. Das Realschulgebäude ist im Vergleich zu den Containerräumen und des Grundschulgebäudes äußerst modern ausgestattet. Einige Klassenräume besitzen Smartboards sowie Schultafeln und ausnahmslos alle einen Klassencomputer. Die Container hingegen sind marode und besitzen Klassencomputer, die allerdings teilweise nicht funktioniert haben. Der Wasseranschluss ist nicht in jedem Container vorhanden, sodass die Klassen ihr Wasser zum Tafel wischen von außerhalb in Wassereimern holen müssen. Das Grundschulgebäude wiederum ist alt, aber gut ausgestattet, sodass die SuS der Grundschule einen angemessenen Unterricht erhalten können.

Des Weiteren hat uns Herr W. auch Mentoren zugeteilt und uns eine Liste der Lehrerinnen und Lehrer sowie ihrer Fächer ausgedruckt mitgebracht, sodass wir bereits wussten wen wir für einen Unterrichtsbesuch ansprechen könnten. Problematisch hierbei war allerdings, dass Herr W. unseren Mentoren nicht Bescheid gegeben hat, dass sie unsere Mentoren waren. Dieses Gefühl der Unbehaglichkeit löste sich bei mir jedoch nachdem ich meinen Mentor kennenlernte. Zunächst machte er einen genervten Eindruck, doch im nächsten Augenblick sagte er auch schon „Du kannst mich aber A. nennen“; und ich durfte ihn auch schon in den Unterricht begleiten. Zu Beginn war das Verhältnis zu Herrn G. etwas distanziert, da er eine autoritäre Persönlichkeit ausstrahlte und permanent gestresst wirkte. Ich hatte kaum Zeit mich nach dem Unterricht mit ihm zu unterhalten, da er meistens sofort weg musste. Im Vergleich zu anderen Lehrkräften hielt er sich auch kaum im Lehrerzimmer auf. Daher hatte ich zu Beginn meine Probleme auf ihn zu zugehen und ihn wegen der Unterrichtsversuche zu fragen. Bis er selbst auf mich zu kam und mir anbot welche bei ihm zu halten. Ich habe mich letzten Endes trotz anfänglicher Schwierigkeiten sehr wohl unter seiner Betreuung gefühlt. Ich durfte immer ausnahmslos mit in seinen Unterricht. Für meinen Unterrichtsversuch hat er mir hilfreiche Tipps und im Anschluss auch konstruktive Rückmeldung gegeben.

Mein Eindruck vom Kollegium war positiv. Zunächst blieben wir recht anonym, wurden kaum beachtet und nur wenig gegrüßt. In der ersten Woche sprach ich die Lehrerinnen und Lehrer an, deren Unterricht ich besuchen wollte. Viele öffneten sich nach der ersten Vorstellung und waren herzlich. Es gab jedoch auch einige Kolleginnen und Kollegen, die eher weniger erfreut über Unterrichtsbesuche waren und mich mit Ausreden versuchten abzuwimmeln. Nichtsdestotrotz hatte ich durch die Offenheit vieler Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit verschiedene Lehrerpersönlichkeiten und Lehrstile kennen zu lernen. Bunt durchmischt – vom autoritären, zum fordernden und strengen aber auch lockeren und kumpelhaften Lehrstil war alles dabei. Mir wurde von den Lehrkräften selbst angeboten in Absprache mit ihnen Unterrichtsversuche zu halten. Ich hatte jederzeit die Möglichkeit Rückfragen zu stellen, meine Unterrichtsplanung mit ihnen durchzusprechen und habe dadurch viele Anregungen und lehrreiche Rückmeldungen erhalten. Darüber hinaus wurde mir und meinen Kommilitoninnen der Materialienraum von Seiten der Schulleitung zur Verfügung gestellt, sodass ich Zugriff auf Schulbücher und Unterrichtsmaterialien für meine Unterrichtsversuche hatte. Rückblickend auf mein Praktikum kann ich sagen, dass ich die Betreuung durch meinen Mentor aber auch durch die anderen Lehrkräfte als gut empfand.

3.2. Unterrichtsbeobachtungen und deren Reflexion

Bevor ich mein Praktikum begonnen habe, habe ich mir im Vorfeld bereits Gedanken über Beobachtungsschwerpunkte gemacht, auf die ich mein Fokus während des Praktikums legen wollte. Als interessant zu beobachten empfand ich die Lehrerpersönlichkeit. Nachdem ich meinen Mentor Herr G. kennenlernte hat sich die Entscheidung meines Beobachtungsschwerpunktes als interessant zu beobachten erwiesen. Zum einen stellt Herr G. aufgrund seines Lebensstils eine andere mir noch ungewohnte Art von Lehrerpersönlichkeit dar, denn er ist homosexuell, lebt es offen aus, hat einen femininen Kleidungsstil und erscheint auf der Schule geschminkt. Gerade in Bezug auf die Rolle des Lehrers und auf das Klientel der SuS der Schule hatte ich großen Respekt vor seiner Persönlichkeit, da Homosexualität innerhalb der Gesellschaft ein kontrovers diskutiertes Thema ist und auf Ablehnung trifft. Zum anderen erwies sich mir die Persönlichkeit des Herrn G. aber auch als besonders interessant und beobachtungswert, da er während meines Praktikums Klassenlehrer einer 6. Hauptschulklasse war, die sowohl vom Kollegium als auch von anderen SuS als Problemklasse bezeichnet wurde. In Anbetracht meines Beobachtungsschwerpunktes und des Schülerklientels der Schule möchte ich im Folgenden Unterrichtsbeobachtungen aufführen, die ich in Zusammenhang mit dem sozio-ökonomischen Status der SuS setze und dabei auf die Herausforderungen des Lehrerberufs eingehen.

Die Schule besteht wie in Kapitel 2 erläutert aus SuS, die aus sozial schwachen Familien kommen, deren Familienverhältnisse teilweise gestört sind und bzw. oder auch aus Familien mit Migrationshintergrund. Bei Jugendlichen und Kindern, die aus Familien mit einem Migrationshintergrund stammen ist eine an patriarchalischen Werten orientierte Vorstellung von Geschlechterrollen zu beobachten (Schmied und Reidl 2008: 326). Geprägt von dieser Vorstellung haben solche SuS Probleme Lehrerinnen als Respektpersonen anzunehmen, wodurch Konfliktsituationen zwischen Schülern und Lehrerinnen aber auch zwischen Schülern und Schülerinnen auftreten. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass dieser Aspekt mit Hinblick auf den sozio-ökonomischen Status‘ der Familien und der damit zusammenhängenden Bildungsferne zu betrachten ist. Durch diese Beobachtung sollen keine Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund aufgeworfen werden, zumal ich selbst aus einer Familie mit Migrationshintergrund komme. Allerdings konnte ich im Verhalten der SuS mit Migrationshintergrund eine solche Tendenz beobachten, die durch darauffolgende Gespräche mit Lehrkräften Bestätigung fand. Ich habe meinen Mentor Alexander Grund täglich in seinen Unterricht begleitet, dabei ist mir aufgefallen, dass er von seinen SuS aufgrund seiner sexuellen Orientierung nicht ernst genommen wurde. Während einer Unterrichtsstunde in seiner eigenen Klasse weigerte sich einer seiner Schüler nach einer Aufforderung von Herrn G. seine Jacke auszuziehen. Nachdem Herr G. mit einer Strafarbeit drohte, tat er widerwillig was von ihm verlangt wurde. Der selbe Schüler spuckte während der Pause auf die Wand des Schulhofs. Als Herr G. dies bemerkte und ihn deswegen zurecht wies, bestritt er die Tat. In einem Gespräch erzählte mir Herr G. das der Vater dieses Schülers zwei Frauen habe und der Schüler zu Hause eine patriarchalisch geprägte Erziehung genießen würde. Der Vater sei bisher nur zu einem Elternabend erschienen. Die restlichen Elternabende oder -gespräche habe Herr G. mit seiner Mutter durchgeführt, da sich der Vater weigerte in Kontakt mit Herrn G. zu treten. Aufgrund dieser Familienkonstellation weist dieser Schüler Probleme mit weiblichen Lehrkräften auf. Ein anderer Schüler dieser Klasse hat ähnliche Probleme mit weiblichen Lehrkräften. Während meines Praktikums hat er eine Klassenkonferenz gehabt, weil er eine Schusswaffe mitgeführt hat. In seiner Klassenkonferenz hat der Vater dieses Schülers die Waffe als Symbol der Männlichkeit betrachtet und sah es nicht ein seinem Sohn Konsequenzen für sein Fehlverhalten aufzuzeigen. Auf den Vorschlag Herrn G. den Schüler zu Hause einen Monat lang die Toiletten putzen zu lassen, erklärte der Vater, dass dies nicht die Aufgabe eines Mannes sei. Diese sexistische Ansichtsweise des Vaters ist in dem Verhalten seines Sohnes wiederzufinden. Der selbe Schüler hatte bereits vor meiner Praktikumszeit eine Klassenkonferenz, weil er während des Unterrichts einer Lehrerin masturbiert hat. Auch dieses Verhalten wurde von dem Vater belächelnd entschuldigt. Darüber hinaus habe ich während der Praktikumszeit in dieser Klasse auch erlebt, dass Schüler das Gesäß einer Lehrerin heimlich fotografiert und untereinander damit geprahlt haben. Die Lehrerin hat Konsequenzen daraus für die Schüler gezogen und ihnen Strafarbeiten auferlegt. In einer anderen Unterrichtsbeobachtung im Geschichtsunterricht einer 8. Realschulklasse bei Herrn S. konnte ich beobachten, dass sich die Schülerinnen im Vergleich zu den Schülern weniger am Unterricht beteiligen und diesem vielmehr passiv folgten. Während des Unterrichtsbesuchs konnte ich beobachten wie ein Schüler einer Schülerin folgendes zu rief, nach dem sie sich beim Vorlesen verhaspelte: „Mädchen, lern mal lesen!“. In einem Gespräch mit Herrn S. erklärte er mir, dass solche Bemerkungen sich negativ auf die Mitarbeit von Schülerinnen auswirke, da sie sich von ihren Mitschülern eingeschüchtert fühlen würden.

Ein weiterer Aspekt, den ich während der Zeit im Praktikum vermehrt beobachten konnte, ist der Gebrauch einer gewalttätigen Sprache und damit zusammenhängend der Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt. Schülerinnen und Schüler machen geschlechterunabhängig Gebrauch von einer solchen Sprachform, während ich die Bereitschaft Gewalt auch physisch anzuwenden eher bei Schülern beobachtet habe. In Unterrichtsstunden verschiedener Klassen habe ich stets aggressive und beleidigende Ausdrucksweisen beobachten können; „Halt’s Maul!“, „Du Hurensohn!“, „Mädchen, lern mal lesen!“, „Aller, Junge!“. Dabei fielen auch beleidigende Ausdrucksweisen gegenüber Lehrkräften. Darüber hinaus habe ich aber auch vermehrt beobachten können, dass SuS Gewalt gegeneinander angewendet haben. Diese Anwendung von Gewalt hatte verschiedene Dimensionen, die ich im Folgenden exemplarisch erläutern möchte. Während eines Unterrichtsbesuchs in dem Fach Arbeitslehre der Klasse 6 Ha weinte Schülerin S., weil sie sich durch zwei andere Schülerinnen ihrer Klasse gemobbt fühlte. Die Schülerinnen beschimpften sie im Vorfeld als Schlampe und ärgerten sie in den Pausen. Schülerin S. hat diese Angriffe ihrer Mitschülerinnen nicht mehr ertragen und ist in Tränen ausgebrochen. Diese Dimension kann als verbale Gewalt bezeichnet werden, da sie nur psychische Auswirkungen auf die Betroffene hat. In der selben Stunde ereignete sich ein weiterer Vorfall, in der ich eine andere Dimension von Gewaltanwendung beobachtet habe. Schüler D. stand mitten in der Unterrichtsstunde auf, rief seinem Mitschüler N., der einen Tisch hinter ihm saß, „Halt’s Maul jetzt!“ zu und verließ das Klassenzimmer. In einem Gespräch nach der Unterrichtsstunde erklärte er, dass sein Mitschüler N. ihm während des Unterrichts mit „Schlägen“ nach der Schule gedroht hätte. Er erzählte uns auch, dass er bereits des Öfteren nach der Schule von einigen Mitschülern abgefangen und herumgeschupst wurde. Tatsächlich wartete Schüler N. gemeinsam mit zwei anderen Mitschülern nach der Schule im Schulhof auf Schüler D.. Da Schüler D. Angst hatte alleine nach Hause zu fahren, fuhren ich und meine beiden Kommilitoninnen mit ihm gemeinsam im selben Bus. In diesem Fall war zu beobachten, dass die Gewalt angedroht wurde und zu einer psychischen Belastung geführt hat. Dabei ist hinzuzufügen, dass es nicht bei einer Androhung geblieben wäre, wenn der Schüler keinen emotionalen Ausbruch in der Klasse gehabt hätte. Dadurch hat die Lehrerin die emotionale Belastung wahrgenommen und konnte im Weiteren Schritte gegen das Mobbing einleiten.

In Anbetracht des Verhaltens der SuS weisen die Lehrkräfte stark verhaltensauffälligen SuS sozial-emotionale Störungen zu. Eine sozial-emotionale Störung ist nach Manfred Döpfner ein Gesundheitszustand, der eine psychische Störung aufweist und

durch eine bedeutsame Dysfunktion der Kognitionen, der Emotionen oder des Verhaltens einer Person (...) [gekennzeichnet ist]. Diese Dysfunktion bezieht sich auf psychologische (...) Entwicklungsprozesse, die den mentalen Funktionen zugrunde liegen. Wesentlich für (...) die psychische Dysfunktion (...) [ist] eine Beeinträchtigung des psychosozialen Funktionsniveaus oder der Partizipationsfähigkeit des Kindes oder Jugendlichen (...). Diese Beeinträchtigung kann sich auf verschiedene Bereiche, wie die Beziehungen in der Familie, zu anderen Bezugspersonen oder zu Gleichaltrigen, die schulische beziehungsweise berufliche Leistungsfähigkeit oder die Partizipationsfähigkeit in der Freizeit erstrecken (2013: 32-33).

Das bedeutet, dass SuS, die bereits im frühen Alter durch das Elternhaus und dem Umfeld, in dem sie aufgewachsen sind, von psychosozialen Merkmalen beeinflusst wurden, die ihre gesundheitliche Entwicklung und ihr Verhaltensmuster negativ geprägt haben. Zu diesen psychosozialen Merkmalen zählen beispielsweise die Disharmonie und/oder die finanzielle Notlage ihrer Familien und damit einhergehend auch das Wohnviertel in dem sie aufwachsen (Lauch et al. 2002: 7) – das steht auch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem sozio-ökonomischen Status‘ der Familien. Die Auswirkungen einer solchen Dysfunktion haben Folgen auf die sozial-emotionale Entwicklung eines Kindes, wodurch die Betroffenen im gravierendsten Fall die Beherrschung über sich verlieren und Wutausbrüche erleiden können oder aber sie haben Probleme dem Unterricht konzentriert zu folgen, sodass ihre Leistung im Unterricht beeinträchtigt wird. Darüber hinaus besitzen sie ein gestörtes soziales Verhalten (Lauch et al. 2002: 16). SuS mit einer starken sozial-emotionalen Störung werden im Schulalltag von Integrationshelfern begleitet.

[...]

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Praktikumsbericht für Lehramtsstudierende. Schwerpunktsetzung Lehrerpersönlichkeit
Untertitel
Sekundarstufe
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Soziologie)
Note
15
Autor
Jahr
2018
Seiten
33
Katalognummer
V465741
ISBN (eBook)
9783668948440
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Praktikumsbericht, Gesamtschule, Lehrerpersönlichkeit, Unterrichtsversuch, Reflexion, Beobachtung, Hospitation, Praktikum, Schule, Schulpraktikum, Lehramt
Arbeit zitieren
Filiz Malci (Autor:in), 2018, Praktikumsbericht für Lehramtsstudierende. Schwerpunktsetzung Lehrerpersönlichkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/465741

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