Anti-Rassismus im deutschen Spielfilm


Masterarbeit, 2017

104 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1. Begriffsdefinitionen
2.1.1. Rasse, Rassismus und Anti-Rassismus
2.1.2. Rechtsextremismus
2.1.3. Identität
2.1.4. Stereotype
2.2. Aktueller Forschungsstand
2.2.1. Rassismusforschung
2.2.2. Rassismus und Audiovisuelle Medien
2.3. Theorien zu Rassismus
2.3.1. Die Konstruktion des Anderen
2.3.2. Theorien der Verhaltensforschung, Humanethologie und Psychoanalyse
2.3.3. Rassismus durch Gruppendynamik und Mitläufertum
2.3.4. Vorurteilsforschung
2.3.5. Materialistisch-ideologiekritische und interessensorientierte Ansätze
2.3.6. Sozialdarwinismus
2.3.7. Übergreifende Theorien
2.4. Filmtheorie
2.4.1. Film und Überzeugungskraft
2.4.2. Stereotype Figuren im Film
2.4.3. Opfer, Täterin und Täter und Heldin und Held im Film
2.5. Rassismus und Anti-Rassismus im Spielfilm
2.5.1. Herangehensweisen an das Thema Rassismus
2.5.2. Rassismus und Anti-Rassismus in Amerika
2.5.3. Rassismus und Anti-Rassismus in Deutschland
2.6. Methode
2.6.1. Filmanalyse
2.6.2. Figurenanalyse nach Jens Eder
2.6.3. Kriterien der Filmauswahl
2.7. Angst essen Seele auf (1974)
2.7.1. Inhalt
2.7.2. Analyse
2.8. Die Kriegerin (2011)
2.8.1. Inhalt
2.8.2. Analyse
2.9.Immigration Game (2016)
2.9.1. Inhalt
2.9.2. Analyse
2.10. Ergebnisse der Analyse
2.10.1. Stereotype Darstellungen
2.10.2. Ursachen des Rassismus
2.10.3. Herangehensweise an die Thematik Rassismus
2.11. Masterprojekt Larvenspiel (2017)
2.11.1. Inhalt
2.11.2. Vergleich zu Analyseergebnissen

3. Zusammenfassung
3.1. Herausforderung für Filmschaffende
3.2. Fazit
3.3. Kritik
3.4. Schluss

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Filmverzeichnis

Abstract

Name: Veronika Marina Irene Partenhauser

Institution: FH Salzburg

Course of Studies: MultiMediaArt

Title: Anti-racism in German film

Key words: Anti-racism-films, racism, race, German film, qualitative film-analysis, identity

What are the causes of racism and how can we as filmmakers contribute to a change for the better, without confirming existing prejudices about foreigners. These are the main research questions this thesis aims to answer. Scientists such as Stuart Hall, Achille Mbembe or Theodor Adorno give us theoretical answers to questions concerning racism and stereotypes. Scientific debates about racism can be found in a wide range of academic fields, such as Psychology, Sociology, History, Pedagogics and Political Science. Therefore explanations where racist attitudes come from vary a lot. With the help of film analysis we try to find out, what different kinds of theories about the cause of racism can be found in german movies and how it changed over time in film history.

Furthermore the character analysis of the three german anti-racism films Angst essen Seele auf (1974), Die Kriegerin (2011) and Immigration Game (2016) should answer the hypothesis whether even films about anti-racism contribute to stereotypic opinions and clichés. Finally we complete this thesis with a comparison of the outcome of the film analysis and our own final film project Larvenspiel (2017) from Sandra Lanzl (director), Veronika Partenhauser (cinematographer) and Ines Abraham (producer).

We would like to give film makers an impression of the challenges involved of realizing an anti-racism-film. The difficulty lies in the problem not to underline prejudice, sterotypes and in the end racism by using inadequate representations of groups and individuals.

Danksagung

Mein besonderer Dank gilt meiner Betreuerin Mag. Julia Schwarzacher und meinem Betreuer Dr. Felix Kramer, Dr. Michael Manfé für seinen theoretischen Input und Dipl. Regisseur Till Fuhrmeister für seine cinematographische Inspiration.

Des Weiteren bedanke ich mich bei meinen Kommilitonen und Kommilitoninnen, die mich immer wieder ermuntert haben weiter zu schreiben. Bei Florian Weber und Paul Schwarzenberger und nicht zuletzt bei Ines Abraham und Sandra Lanzl, die mit mir das Herzensprojekt Larvenspiel umgesetzt haben.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Wir leben in einer Welt, in der wir zunehmend voneinander abhängig werden und uns dennoch immer mehr gegeneinander wenden. Warum stellen sich Menschen gegen das, was sie miteinander verbindet, gegen das, was sie gemeinsam haben – ihr Menschsein? (Gruen 2002: 9)

Rassismus ist ein Phänomen, das die Gesellschaft auf Basis ihrer rein äußerlichen Erscheinung bewertet. Der Mensch wird auf seine Hautfarbe heruntergebrochen und die daraus resultierenden Differenzen werden in der Geschichte „zum Ausgangspunkt zahlreicher Katastrophen und zur Ursache unerhörter psychischer Verheerungen, wie auch zahlloser Verbrechen und Massaker.“ (Mbembe 2014: 13)1

Gerade Rasse, Ethnie, Religion und die darauffolgende Ablehnung des Anderen sind Ausgangspunkt weltweiter Konflikte. Daher sollte die Bekämpfung des Rassismus unsere ständige Aufgabe sein. Den Aufschwung von rassistischen und rechtpopulistischen Haltungen in Europa, verursacht durch die Flüchtlingskrise ab 2014, nahm ich als Anlass für die nähere Beschäftigung mit dieser Thematik. Der Rechtspopulismus ist jedoch nicht als neues Phänomen zu betrachten, sondern er zeigt sich in modifizierter, moderner Weise und insbesondere durch die Verwendung sozialer Netzwerke, drängt er an die Öffentlichkeit. (Vgl. Lippe 2016: 2) Ausschlaggebend für die Diskriminierung an sich, ist aber nach wie vor das Aussehen und diese kennzeichnet sich durch die Hautfarbe und Kleidung.

Die oberflächliche Vorverurteilung und Diskriminierung aufgrund der Rasse bewegte mich dazu, mit meinem Abschlussfilm Larvenspiel (2017), ein Zeichen gegen den stetig anwachsenden Rassismus zu setzen. Steht man jedoch vor der Aufgabe, die richtige Darstellung von rassistischen Phänomenen zu wählen, so ertappt man sich selbst dabei, ebenfalls in alte Klischees zu verfallen. Laut James Baldwin ist es unmöglich, eine Geschichte richtig darzustellen. Auch sollen Filme keine Abbildungen der Realität sein, sondern Probleme in neuem Licht zeigen, die die Zuschauerin und den Zuschauer möglichst nahe an die Problematik heranführen. Because „the purpuse of art, after all, is to engage us critically and sensually to make us think and also enjoy.“

(Fierce 2015: 46)

Es stellt sich die Frage, wieso die Auseinandersetzung mit dem Medium Film generell relevant ist für die Erforschung gesellschaftlicher Problemstellungen.

Films offer us ways of seeing and feeling that we find deeply gratifying [...] All the traditions that emerged – telling functional stories, recording actual events, animating objects or pictures, experimenting with pure form – aimed to give viewers experiences they couldn`t get from other media. (Bordwell/Thompson 2013: 36)

Diese Masterarbeit soll der Frage nachgehen, wie das Medium Film an die Thematik Rassismus herantritt und vor allem - aus welcher Motivation heraus Individuen und Gruppen rassistisch handeln.

Hypothese dieser Masterarbeit ist:

Auch Anti-Rassismus-Filme bedienen sich stereotyper Codes, verfestigen Klischees und verfallen in die immer selben Erzählschemata.

Benutzen auch Anti-Rassismus-Filme stereotype Zugangsweisen und wie entwickelte sich die filmische Darstellung fremder Kulturen in Deutschland und Nordamerika seit Beginn der Filmgeschichte? Diese Fragen sollen zunächst anhand von Theorien beantwortet und im Folgenden an drei ausgewählten Filmen getestet werden. Zudem dient der umfangreiche Theorieteil dazu, einen vertiefenden Einblick in die Rassismusforschung zu liefern.

Diese Masterarbeit beschäftigt sich mit deutschen Spielfilmen, die explizit auf das Thema Rassismus eingehen und diesen auch anprangern wollen. Zunächst werden Begrifflichkeiten wie Rasse, Rassismus, Anti-Rassismus, Identität, Rechtsextremismus und Stereotyp definiert, um im nächsten Schritt genauer auf die aktuelle Rassismusforschung, sowohl im Bezug auf audiovisuelle Medien, als auch im Allgemeinen einzugehen. In Kapitel 2.3 wird der Versuch unternommen, einen Überblick über unterschiedliche Rassismustheorien zu geben.

Die Entstehung des Rassismus ist dabei zentrales Thema, das von zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie Stuart Hall, Achille Mbembe, Wulf D. Hund, Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Theodor W. Adorno, Erich Fromm, Wilhelm Heitmeyer, Arno Gruen, Franz Fanon, Noelle Neumann, James Baldwin, Robert Miles und Anderen, untersucht wird. Die in diesem Abschnitt herausgearbeiteten Theorien dienen als Bezugspunkt für die spätere Figurenanalyse.

In Kapitel 2.4 zur Filmtheorie werden Fragen zu Film in Zusammenhang mit Überzeugungskraft, stereotypen Figuren, Opfer, Täterinnen und Täter, Heldinnen und Helden geklärt werden. Wie kann an das Thema Rassismus herangegangen werden und wie entwickelte sich die Darstellung des Rassismus und Anti-Rassismus in Deutschland und Hollywood. Antworten darauf werden in Kapitel 2.5 erarbeitet.

Als Basis für die spätere Figurenanalyse wird in Kapitel 2.6 die Methodik und Vorgehensweise der Figurenanalyse nach Jens Eder vorgestellt. Die Figurenanalyse lehnt sich an kognitiven Theorien an, die in die drei Analysebereiche die Figur als fiktives Wesen, die Figur als Symbol und die Figur als Symptom eingeteilt werden. Dabei wird folgenden Fragen nachgegangen: Warum handeln Menschen rassistisch? Aus welchem Milieu kommen Opfer, Täterinnen und Täter, Heldinnen und Helden und Nebenfiguren und inwiefern weisen sie stereotype Auffälligkeiten auf.

Kapitel 2.7 bis 2.9 enthalten die Figurenanalyse der Filme Angst essen Seele auf (1974), Die Kriegerin (2011) und Immigration Game (2016). Die Erkenntnisse der Analyse werden dabei ständig mit den zuvor aufgearbeiteten Rassismus- und Filmtheorien verglichen. Im anschließenden Kapitel werden die Ergebnisse der Analyse und die Herangehensweise an das Thema Rassismus diskutiert und überprüft, ob auch die drei analysierten Filme stereotype Figureneigenschaften enthalten und somit Vorurteile zusätzlich verstärken.

Die Ergebnisse der Filmanalyse werden in Abschnitt 2.11 mit unserem eigenen Masterabschlussfilm Larvenspiel (2017) verglichen, um damit unsere eigene Vorgehensweise zu reflektieren und zu kritisieren, mit dem Ziel, Herausforderungen für Filmschaffende bei der Realisierung von Anti-Rassismus-Filmen herauszuarbeiten.

In der Zusammenfassung wird letztendlich die Forschungsfrage beantwortet, die Hypothese diskutiert und die eigene Vorgehensweise reflektiert. Inwiefern sich das Phänomen Rassismus in Zukunft entwickeln wird und welche Aufgabe dabei der Filmindustrie und den Medien zu Teil wird, wird ebenso besprochen.

2. Hauptteil

2.1. Begriffsdefinitionen

Rasse und Rassismus als „komplexe soziale und psychologische Phänomene“ lassen sich nur schwer auf eine schablonenhafte Definition eingrenzen, dennoch soll hier der Versuch eines Überblickes über unterschiedliche Konkretisierungen der Begriffe Rasse, Rassismus, Anti-Rassismus, Rechtsextremismus, Identität und Stereotype unternommen werden. (Vgl. Kong 2012: 53)

2.1.1. Rasse , Rassismus und Anti-Rassismus

Unter Rasse verstehen wir eine Gesamtheit von Individuen, die eine gemeinsame Herkunft haben und daher im Hinblick auf die biologisch bedingten vererblichen Merkmale eine gewisse genetische Ähnlichkeit bewahren. (Cavalli-Sforza 1994: 367)

Die Rasse ist Phantasiegebilde und Realität zugleich. Zwar werden biologische Unterschiede in der Wissenschaft teilweise anerkannt, dass wir diese aber als unterschiedliche Rassen konstituieren und auf dieser Basis Kategorisierungen vornehmen, kann nur als Simulakrum betitelt werden. Die Einteilung in Rassen geschieht dabei bereits ohne unser Bewusstsein und hat noch keinen negativen Beigeschmack. Erst durch das Hinzukommen von Macht erfährt die Zuweisung von Rasse, auf Basis der Oberflächen unseres Körpers, ihren negativen Charakter. (Vgl. Mbembe 2014: 71ff)

In ihrem Tiefenbezug ist die Rasse sodann ein perverser Komplex, der Ängste und Qualen, Verwirrungen des Denkens und Schrecken, aber vor allem unendliches Leid und Katastrophen herbeiführt. (Mbembe 2014: 27)

Die Andere oder der Andere wird als „bedrohliches Objekt konstituiert, vor dem man sich schützen, das man loswerden oder, da man keine vollständige Herrschaft darüber erlangen kann, einfach vernichten muss.“ (Mbembe 2014: 27) Die Rasse macht es also möglich, bestimmte Gruppen zu identifizieren und einzuordnen, von denen mutmaßlich stärkere, schwächere oder zufällige Bedrohungen ausgehen. (Vgl. ebd.: 77)

Ursprünglich stammt der Begriff der Rasse aus dem Tierreich und gerade deswegen hat er noch heute seinen unterschwelligen, negativen Beigeschmack. (Vgl. Mbembe 2014: 42) Generell wird die Zugehörigkeit zu einer Rasse von der Wissenschaft in Frage gestellt, da wir genetisch bedingt aus einer Mannigfaltigkeit unterschiedlicher Gene bestehen. Eine unverfälschte Reinheit der Rasse kann es somit nicht geben, und dementsprechend ist die Einteilung in Rassen prinzipiell überholt. (Vgl. Cavalli-Sforza 1994: 18) Die Benutzung des Begriffes Rasse ist bei einigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sehr umstritten, da die Verwendung, wie oben erwähnt, eher auf das Tierreich, als auf den Menschen anzuwenden ist. In der vorliegenden Masterthesis wird er jedoch mangels Alternativen verwendet, wenn auch seine biologische Begründung nicht gegeben ist, mit dem Risiko, dass auch die vorliegende Abschlussarbeit zur Festigung der sozial produzierten Differenzen zwischen Schwarz und Weiß beiträgt. (Vgl. Röggla 2012: 12)

Der Begriff Rassismus leitet sich nicht von Rasse ab, sonders Rasse ist ein Produkt des Rassismus. Allgemein lässt sich sagen, dass Rassismus ein Ausdruck für eine Haltung ist, „bei der Menschen einer Rasse die Angehörigen anderer Rassen oder ethnischer Gruppen als minderwertig ansehen.“ (Hund 2006: 14)

Robert Miles differenziert die Definition des Begriffes Rassismus in drei Kategorien:

1. Rassifizierung
2. Ausgrenzung
3. Differenzierende Macht

Unter Rassifizierung versteht Miles die generelle Klassifikation von Gruppen mit bestimmten Eigenschaften. Diese Einteilung kann biologisch, aber auch kulturell bedingt sein. Zur gleichen Zeit wird diese Gruppe von der eigenen abgegrenzt.

Unter Ausgrenzung ist die Benachteiligung bestimmter Gruppen, aufgrund ihrer kulturellen oder biologischen Zugehörigkeit zu verstehen.

Die Differenzierende Macht bringt letztendlich die dritte Komponente mit ein, nämlich Macht, die die Unterdrückung bestimmter Gruppierungen legitimiert. (Vgl. Terkessidis 2004: 98ff)

In der vorliegenden Masterarbeit wird der Begriff Fremdenfeindlichkeit ebenfalls für rassistische Einstellungen verwendet. Zwar steht der Begriff Fremdenfeindlichkeit nicht unbedingt für die Ablehnung einer bestimmten Rasse, sondern Angriffsobjekt können auch Personen sein, die der weißen Norm entsprechen, jedoch wird der Begriff auch in der Wissenschaft als Synonym zu Rassismus verwendet und dient somit auch in der vorliegenden Arbeit als Ausdruck für rassistische Ansichten.

Unter Anti-Rassismus sind sämtliche Anstrengungen von Individuen oder Gruppierungen zu verstehen, die gegen Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Herkunft, Kultur oder Religion, vorgehen und dabei immer das Ziel der Gleichberechtigung verfolgen. Wichtig ist vor allem Präventionsarbeit und hier können Bildungseinrichtungen Abhilfe leisten, indem sie schon im Kindesalter Aufklärungsarbeit gegen Rassismus leisten. (Vgl. Wahl 1995: 68) Britta Schellenberger betont in ihrem Essay Strategien gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Drei Jahre nach Entdeckung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) besonders die Wichtigkeit des zwischenmenschlichen Gespräches um die Gesellschaft für diese Thematik zu sensibilisieren. Zwischenmenschliche Gespräche sind immer mit Emotionen verbunden und so besitzt auch das Medium Film die Möglichkeit, das Publikum emotional zu erreichen, um auf unrechtmäßiges Verhalten aufmerksam zu machen. (Vgl. Schellenberg 2017: 726ff)

2.1.2. Rechtsextremismus

Das Bundesverfassungsgericht sieht in rechtsextremen Gruppierungen vor allem politische Institutionen, die sich gegen die Demokratie wenden. Ihre Ideologien beinhalten

z.B. die Ablehnung der fundamentalen Gleichheit aller Menschen, die Ablehnung von Menschen- und Freiheitsrechten, des Demokratieprinzips, der Gewaltenteilung, der Oppositions- und Minderheitenrechte. Weiterhin werden Pluralismus und Parteienkonkurrenz negiert, rassistische Einstellungen, ein extremer Nationalismus und das Führerprinzip gepflegt. Demgegenüber handle es sich beim Rechtsradikalismus um eine Anti-Position gegenüber der Moderne, gegen Fremde, gegen ,Überfremdung‘. (Lin 1999: 121)

Obwohl Rassismus nicht alleiniges Thema rechtsradikaler Standpunkte ist, rückt diese Thematik nach dem Beginn des Flüchtlingszustroms seit 2014 immer mehr in den Vordergrund.

2.1.3. Identität

Für Stuart Hall hat der Begriff Identität per se nichts mit der eigenen Psyche oder Biologie zu tun, sondern die Identität entsteht durch den sozialen Diskurs mit den Mitmenschen. Zwar denken wir, dass die Identität subjektiv wäre und sie dringt auch in die Psyche vor, ist jedoch immer sozial konstruiert. Auch kann ein Mensch mehrere Identitäten einnehmen. So kann ein Migrant Vater, Arbeiter oder Liebhaber sein. (Vgl. Hall 1998: 148) Stuart Hall kritisiert einige Vertreterinnen und Vertreter der Postmoderne, die Identitäten als komplett diskursiv sehen. Zwar können Identitäten nicht als starres Gefüge betrachtet werden, dennoch ist es nicht jedem Menschen möglich, beliebige Identitäten anzunehmen. „Jeder weiß, daß selbst, wenn er eine ganz andere Position einnimmt, er das Gepäck der alten ‚Positionalitäten’ weiterträgt, die er zuvor eingenommen hat.“ (Ebd.: 149) Der Begriff der Identität spielt in der Rassismusforschung deshalb eine Rolle, weil die Fremde und der Fremde meine eigene Identität definiert und umgekehrt. Auf die Konstruktion des Anderen und der damit verbundenen Identitätsbildung wird später noch genauer eingegangen.

2.1.4. Stereotype

„Ein Stereotyp ist sozial übermitteltes Wissen oder Pseudowissen über eine bestimmte soziale Gruppierung, das teilweise zusammenhängende, teilweise aber auch vereinzelte Assoziationen umfasst.“ (Förster 2009: 24)

Die Frage, die sich in der Stereotypenforschung stellt ist, wann kann von einem Stereotyp gesprochen werden? In der Wissenschaft lassen sich sieben Grundanforderungen erkennen, die ein Stereotyp, sei es in der Realität oder im Film ausmacht. (Vgl. Schweinitz 2006: 5)

1. Stabilität: Meint die andauernde gedankliche Verankerung in der Gesellschaft.
2. Konformität: „intersubjektiv innerhalb bestimmter sozialer Formationen verbreitet, für die sie Konsens stiftende oder normierende Funktionen besitzen“
3. Second-Hand- Stereotype werden sozial übermittelt und basieren nicht Charakter: auf den Erfahrungen des Individuums.
4. Reduktion: Stereotype Darstellungen begrenzen sich auf wenige Merkmale der Gruppe
5. Affektive Färbung: Das Stereotyp weckt Emotionen.
6. Schablonen- Unbewusst wird das Urteilsvermögen des Individuums

wirkung: verzerrt und somit werden bestimmte Gruppierungen in Schubladen gesteckt, in den sich die Individuen verlieren.

Inadäquatheit: Gruppen werden somit fälschlicherweise unangemessene Eigenschaften zugeschrieben. (Ebd.: 5)

Werden bestimmte Charakteristika einer Gruppierung im Film stetig wiederholt, so ergeben sich Grundtypen von Figuren, die das Handeln der Figur mitunter vorhersehbar machen. Die Stereotypenforschung untersucht unter anderem die Benachteiligungen von Personen, hervorgerufen durch ihre jeweiligen biologischen oder kulturellen Merkmale. Stereotype können dabei durch ihr äußeres Erscheinungsbild, Persönlichkeitsmerkmale, Verhalten, Werte, Vorlieben, Denkweisen etc. definiert werden. (Vgl. Eckes 1997: 22)

Im Film können Stereotype dazu dienen, Sachverhalte schneller einzuordnen. Dies führt jedoch zur zusätzlichen Festigung der Stereotype. Vor allem rechtspopulistische Parteien verwenden immer wieder Stereotype um ihre Meinungen zu bestätigen und sie an die Öffentlichkeit zu tragen. Franziska Marquard erwähnt in ihrem Essay Rechtspopulismus im Wandel. Wahlplakate der FPÖ von 1978–2008 (2013) die vermehrte Verwendung von Stereotypen, wie den gewaltbereiten Ausländer, um die Wählerschaft einzuschüchtern und sie dann im nächsten Schritt zu mobilisieren. (Vgl. Marquard 2013: 357f) Georg L. Mosse sieht in der Stereotypenbildung, die aus rein oberflächlichen Merkmalen besteht, die Basis des Rassismus. (Vgl. Mosse 1996: 5f)

2.2. Aktueller Forschungsstand

2.2.1. Rassismusforschung

Bernhard Weidinger, Lehrbeauftragter der Universität Wien und aktiver Rassismusforscher, kritisiert, dass die wissenschaftliche Forschung im Verhältnis zum Aufschwung rechtspopulistischer Einstellungen aktuell stark hinterherhinkt.

Vor allem das Rassenproblem in den USA wurde von vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aufgearbeitet. So gibt beispielsweise Michael Butter in seinem neu erschienen Buch, einen Einblick in die Rassismusgeschichte der Vereinigten Staaten. In seinem Sammelband Von Selma bis Fergoson – Rasse und Rassismus in den USA (2016) , geht Butter sowohl auf Rassenphänomene, wie urbane Brennpunkte, Protest und Widerstand in der Bevölkerung, aber auch auf filmspezifische Themen wie „Liebe zwischen Schwarz und Weiß im amerikanischen Film und Fernsehen“ ein. (Vgl. Butter 2016: 173) Eben weil sich viele wissenschaftliche Arbeiten mit dem amerikanischen Rassismus im Film beschäftigen, soll diese Masterarbeit vor allem den europäischen bzw. deutschen Raum analysieren.

Nach wie vor beschäftigt sich der deutsche Wissenschaftler Wulf D. Hund mit Dimensionen des Rassismus und gibt in seinem 2006 veröffentlichten Buch Negative Vergesellschaftung sehr gute Einblicke in die Rassismusgeschichte und soziokulturellen Einordnung des Phänomens Rassismus. Im theoretischen Kapitel Materialistisch-ideologiekritische und interessensorientierte Ansätze des Rassismus, der vorliegenden Masterarbeit , werden die Theorien Wulf D. Hunds weiter ausgeführt.

Aktuelle Studien zu nationalsozialistischem Gedankengut, rechtsgerichteten Burschenschaften und Ethno-Nationalismus veröffentlicht Bernhard Weidinger, Lehrbeauftragter am Institut für Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Er weißt dabei vor allem darauf hin, dass der Rechtspopulismus durch die Flüchtlingskrise einen starken Aufschwung erfahren hat, er aber auch moderner und öffentlicher geworden ist. So sind rechte Aktivistinnen und Aktivisten verstärkt in sozialen Netzwerken anwesend und auch auf den Straßen zeigen sich Extreme öfter, was auch zu einem Anstieg von Gewalt geführt hat. Rassistisches Gedankengut gehe dabei nicht mehr vom „marginalisierten Glatzkopf mit Springerstiefeln“ aus, sondern findet sich in allen Gesellschaftsschichten wieder. (Vgl. Lippe 2016: 4ff) Weidinger referierte im Rahmen des Inhouse-Seminars in Wien, das 2016 den Schwerpunkt auf den Aufstieg des Rechtspopulismus und des Rechtsextremismus im Zuge der Migrationskrise legte. Das Seminar liefert einige aufschlussreiche Informationen über den aktuellen Stand der Rassismusforschung in Österreich und Europa und deswegen sollen im Folgenden verschiedene Denkansätze und Forschungsergebnisse Erwähnung finden.

Laut Brigitte Bailer ist es die Angst vor Veränderung, die die Gesellschaft in die rechtskonservative Ecke treibt. Generell verschiebt sich die Mitte der Gesellschaft immer mehr nach rechts, was durch den aktuellen Ausgang der Nationalratswahlen in Österreich im November nur bestätigt worden ist. (Vgl. ebd.: 2f) Wie auch Weidinger, so kritisiert Bailer, dass im Gegensatz zu Zeiten Jörg Haiders, empirische, sozialwissenschaftliche Forschung zu rechtem Extremismus „massiv fehlen“. (Ebd.: 4) Edma Ajanovic bestätigt, dass der Großteil der Gesellschaft immer weiter nach rechts abdriftet. In ihrer Dissertation Rassismus als Wissens- und Machtkomplex stellt sie sich die Frage, warum der Rassismus nicht längst durch Bildungsarbeit, Aufklärung und Anti-Rassismus-Arbeit aus der Gesellschaft verschwunden ist. (Vgl. ebd.: 7)

Der Grund sei, dass er sich auf bereits bestehende Wissens- und Machtkomplexe stützen könne, ein Umstand, der vor allem an den Parallelen zum Anti-Semitismus deutlich werde. Das Rassismus Dispositiv könne sich jedoch auch anpassen, wodurch neue Wissens- und Machteffekte entstünden. Genau diese Entwicklung sei heute zu beobachten: Neue Rassismen entstünden und könnten sich leichter in die Mitte schleichen. Dafür sorge die Rechte mit all ihren Gruppen. (Lippe 2016: 7)

Einen großen Beitrag hinsichtlich der empirischen Rassismusarbeit leisten öffentliche Stellen, wie beispielsweise der Verein ZARA, der Verein für Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit in Österreich. In einem quantitativen Erhebungsverfahren veröffentlicht der Verein alljährlich sämtliche, gemeldeten, rassistischen Vorfälle und bietet seit 2015 zudem eine Übersicht über fremdenfeindliche politische Äußerungen. Für das Jahr 2015 beispielsweise konnte aufgrund der Flüchtlingswelle ein enormer Anstieg fremdenfeindlicher Tätigkeiten und Äußerungen festgestellt werden. Rassistische Angriffe finden vor allem in den sozialen Medien statt und dies führt dazu, dass besonders Falschmeldungen nicht mehr überprüft werden und ungefiltert weitergeleitet werden. (Vgl. Brickner 2016: o.S.)

Im aktuellen Rassismusreport 2016 werden 1.107 gemeldete rassistische Vorfälle allein in Österreich aufgezählt. Darunter zählen beispielsweise „rassistische Übergriffe an Bahnhöfen“, Brandanschläge und Beschimpfungen im öffentlichen Raum. (ZARA 2016: 14ff)

Für Deutschland erstellt der Forschungsbereich für Gesellschaftlichen Wandel Leipzig regelmäßig Rassismusberichte. Die Mitte-Studie der Universität Leipzig veröffentlichte 2016 ihren neuesten Bericht, in dem der Zuwachs rassistischer und rechtsextremer Tendenzen festgestellt wurde. Fast 50 Prozent der Befragten zeigen demnach Neigungen zu fremdenfeindlichem Verhalten auf. In zweijährlichem Rhythmus erscheint die Mitte-Studie und vereint dabei quantitative und qualitative Methoden im deutschsprachigen Raum. (Vgl. Decker 2016: o.S)

Das Projekt RAGE (Hate Speech and Populist Othering in Europe) ist eines der wenigen Forschungsprogramme, die sich aktuell europaweit mit sozialen Netzwerken und dem Aufkommen rechtspopulistischer Ansichten beschäftigen. Dabei werden in Österreich beispielsweise Case Studies durchgeführt, die die digitalen Aktivitäten der FPÖ oder Anti-Moschee Initiativen untersuchen. Ziel der Forschung ist es herauszufinden, welche wiederkehrenden Argumente die Nutzerinnen und Nutzer dieser Netzwerke gegen Angehörige verschiedener Religionen und Ethnien aufweisen und ob hier ein Zusammenhang mit rechtspopulistischen und rechtsextremen Anschauungen besteht. (Vgl. Lippe 2016: 6)

2.2.2. Rassismus und Audiovisuelle Medien

Zahlreiche Abschlussarbeiten beschäftigen sich mit der Thematik Rassismus und Audiovisuelle Medien. Dabei werden, wie in dieser Masterarbeit, häufig Filmanalysen verwendet um rassistische Ansichten in Spielfilmen zu erkennen.

Oliver Schlesinger, Absolvent der FH Salzburg, geht mit seiner Masterarbeit Subtiler Rassismus im Film und Fernsehen (2009) vor allem auf die Entstehung rassistischer Stereotype in den Film-und Fernsehmedien ein. Dabei will er psychologische und wirtschaftliche Absichten der Filmschaffenden offenlegen. Schlesinger gibt einen geschichtlichen Überblick über die Entwicklung des Rassismus ab der Antike und geht im zweiten Teil seiner Masterarbeit im Speziellen auf rassistische Klischees und Codes in der Film- und Fernsehlandschaft ein. (Vgl. Schlesinger 2009: IV) Wilhelm Greiner veröffentlichte 1998 seine Dissertation zum Thema Kino Macht Körper. Konstruktion von Körperlichkeit im neueren Hollywood-Film und behandelt dabei Felder wie „Ethnizität und Rassismus im Zeichentrickfilm“, „Die Konstruktion des Anderen in drei Meta-Western“ oder „Rambo, Rassismus und Intertextualität“. Greiner kommt dabei zum Ergebnis, dass „der normative Körper des US-Films nach wie vor der des weißen, heterosexuellen Mannes“ ist. (Greiner 1998: 277) Dabei schreibt Greiner besonders Zeichentrickfilmen aus der Hand Disneys und dem Westerngenre, rassistische Tendenzen zu. So ist der Löwe in Der König der Löwen (1994) „groß, blond, blauäugig – gegenüber stehen Hyänen, auf die dieser Film so ziemlich jedes rassistische Vorurteil projiziert, das in den USA über African Americans zirkuliert.“ (Ebd.: 279)

Vor allem aber geht es Greiner um das Thema Körperlichkeit im Film und wie damit hegemoniale Verhältnisse unter Ausschluss von „Gender, Rasse, Ethnizität, Sexualität...“ stetig neu manifestiert werden. (Ebd.: 283)

Der Sammelband Movies in the age of Obama. The era of post-racial and neo-racist cinema (2015), vom Herausgeber David Garrett Izzo, analysiert Anti-Rassismus-Filme ab 2009. Izzo stellt dabei die These auf, dass besonders seit dem Amtseintritt Obamas als US-Präsident vermehrt auf das Thema Schwarze und Rassismus eingegangen wird. Dabei werden Filme wie Django Unchained (2012) , Lincoln (2012) , The Butler (2013), Black Dynamite (2009), The Great Gatsby (2013), The Hunger Games (2012) oder 12 Years a Slave (2013) diskutiert. (Vgl. Izzo 2015: vi)

In Bezug auf den deutschen Film bietet die Schriftenreihe Migration & Arbeitswelt des DGB Bildungswerkes einen guten Überblick über bisherige Anti-Rassismus-Filme im deutschsprachigen Raum. Mit Langspielfilmen, Dokumentationen und Kurzfilmen stellt das DGB Bildungswerk dabei eine große Auswahl an Filmen bereit, die für die schulische oder betriebliche Weiterbildung genutzt werden können. (Vgl. Hexel 2002: 5)

2.3. Theorien zu Rassismus

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Rassismus sind verschiedene Strömungen zu erkennen. Vordergründig wird meist der Frage nachgegangen, wie Rassismus entsteht.

Für derartige komplexe Zusammenhänge von kognitiven wie emotionalen, individuell- wie kollektiv-biographischen, sozialen, ökonomischen, politischen wie kulturellen Variablen gibt es bislang kaum umfassende wissenschaftliche Erklärungsmodelle, sondern eine Vielzahl von teils widersprüchlichen Teiltheorien in Ethologie, Psychologie, Soziologie, Erziehungs- Geschichts- und Politikwissenschaft.“ (Wahl 1995: 17)

Die Ursachen für rassistisches Verhalten sind vielfältig und lassen sich nicht immer von anderen Verhaltensweisen abgrenzen. Gründe für rassistisches Verhalten können also nicht singulär betrachtet werden. „Sozial-, Besitz- und Sexualneid im Verein mit Vorurteilen, Cliquenwärme, Gruppengaudi, Ehrenpusselei, Lust auf ‚action’, Provokation und schiere Aggression“ sind Ursachen für rassistische Verhaltensweisen. (Wahl 1995: 23) Dabei ist auffallend, dass unterschiedliche qualitative, wie auch quantitative Untersuchungen, zum gleichen Thema, zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, was die These bestätigt, dass das Phänomen Rassismus, in welcher Ausprägung auch immer, von unterschiedlichen Faktoren abhängt und es keine einheitliche Erklärung geben kann. Auch muss zwischen den Formen des Rassismus unterschieden werden. So gibt es Untersuchungen zum Rassismus im Allgemeinen, zu Gewalt gegen Fremde, zu politisch motiviertem Rassismus, zu Alltagsrassismus oder Nationalsozialismus. (Vgl. Wahl 1995: 60) In der vorliegenden Arbeit wird Rassismus allgemein behandelt und keine Unterscheidungen zwischen physischer oder psychischer Gewalt getroffen.

Um einen Überblick über unterschiedliche theoretische Ansätze der Rassismusforschung zu geben, wird im Folgenden jede Theorie einer bestimmten Strömung zugeordnet. Folgende Theorieströmungen werden in der Masterarbeit diskutiert:

1. Die Konstruktion des Anderen
2. Theorien der Verhaltensforschung, Humanethologie und Psychoanalyse
3. Vorurteilsforschung
4. Materialistisch-ideologiekritische Theorien und interessensorientierte Ansätze
5. Sozialdarwinismus
6. Rassismus durch Gruppendynamik und Mitläufertum
7. Übergreifende Theorien

(Vgl. Dalkmann 2007: o.S.)

Es ist zu erwähnen, dass die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Theorien fließend sind und einige Theoretikerinnen und Theoretiker auch mehreren Modellen zugeordnet werden können. Theorien, die keiner Kategorie zugeordnet werden können, finden sich im Abschnitt Übergreifende Theorien wieder. Die von mir vorgenommene Zuteilung ist demnach nicht als verbindlich, sondern sehr flexibel anzusehen und dient vor allem der besseren Übersicht.

Anhand der Theorien soll vor allem geklärt werden, aus welcher Motivation heraus Menschen rassistisch handeln. Dies ist auch die Hauptfrage des theoretischen Teils dieser Masterarbeit. Der empirische Hauptteil der vorliegenden Arbeit besteht darin, die herausgearbeiteten Theorien mit den ausgesuchten Filmen zu vergleichen und herauszufinden, ob diese Theorien auch in Anti-Rassismus-Filmen verarbeitet werden. Werden hier die Theorien des Rassismus in unterschiedliche Kategorien eingeteilt, so soll damit nicht die Komplexität des Themas verringert werden.

2.3.1. Die Konstruktion des Anderen

In meiner Recherche zum Thema rassistische Weltanschauung bin ich immer wieder auf die Theorie der Konstruktion des Anderen gestoßen. Da dieser Diskurs in fast allen Unterkategorien rassistischer Erscheinungen auftritt, wird im Folgenden kurz auf the construction oft the otherness eingegangen.

Der Begriff ‚das Andere’ bezieht sich hier auf die Terminologie der Psychoanalyse. Das Andere ist hierbei verstanden als das, was als Nicht-Eigenes projiziert wird, und dessen Ausgrenzung zur Stabilisierung der eigenen Identität dient. (Greiner 1998: 97)

Auch Stuart Hall geht in seinen Theorien auf die Konstruktion des Anderen ein. Er stellt fest, dass Differenz als solches erst einmal neutral ist und sowohl positiv als auch negativ ausgelegt werden kann. Erst wenn Macht wirksam wird, nehmen Differenzierungen rassistische Formen an. (Vgl. Hall 1997: 269) Mit Hilfe der Abgrenzung zum Anderen konstruiert das Individuum seine eigene Identität und kulturelle Verankerung und schafft seine eigene geschlossene Gruppe, in diese die Anderen nur schwer eintreten können. (Vgl. Güler 2009: 2ff) Laut Hall werden die Differenzen zwischen der eigenen Gruppe und dem Anderen genutzt, um gesellschaftliche, politische oder ökonomische Vorgänge zu legitimieren, die die andere Gruppe in materieller und symbolischer Hinsicht benachteiligt. Stuart Hall bezieht sich dabei auf die Hegemonietheorie Antonio Gramscis, die davon ausgeht dass der Rassismus von der jeweiligen herrschenden Gruppe vorangetrieben wird. Da die fremde Gruppe laut herrschender Gemeinschaft nicht der Norm entspricht, rechtfertigt dies die Abgrenzung zu ihnen. (Vgl. Zülfukar 2012: 33)

2.3.2. Theorien der Verhaltensforschung, Humanethologie und Psychoanalyse

Im Modell der Humanethologie, das maßgeblich von Irenäus Eibl-Eibesfeldt begründet wurde, wird angenommen, dass Fremdenangst auf natürliche Weise Fremdenfeindlichkeit hervorruft. Eibl-Eibesfeldt geht davon aus, dass „menschliches Verhalten weitestgehend auf den gleichen Reiz-Reaktion-Schemata beruht, wie allgemein die Instinkthandlungen von Tieren.“ (Çakır 2014: 83f, Herv. d. Verf.) Eibl-Eibesfeldt sieht das Bestehen der Fremdenfeindlichkeit als natürlichen Trieb des Menschen an, der kaum durch unser Denkvermögen bezwungen werden kann. So beschreibt Eibl-Eibesfeldt beispielsweise Buschkinder, die im Alter von sieben Monaten beginnen sich vor Fremden zu fürchten. Nähern sich Fremde dem Kind, so wird der Fremde meist abgewiesen. Prinzipiell, so Eibl-Eibesfeld, trägt der Homo Sapiens Aggressivität in sich. Menschen suchen „Auseinandersetzungen, und Möglichkeiten, Aggressionen in ritualisierter Form auszuleben“. Als Beispiel nennt Eibl-Eibesfeld die weltweite Beliebtheit von Kampsportarten, die nicht nur dem sportlichen Aspekt dienen, sondern auch dazu, Aggressionslust zu stillen. (Vgl. Eibl-Eibesfeld 1984: 130) Dass Menschen von sich aus Aggressivität nutzen, um zum Ziel zu kommen, können wir schon im Babyalter feststellen. Das Kleinkind protestiert und schlägt eventuell auch um sich, wenn es nicht gleich an die Brust der Mutter kann. Daraus bildet sich auch die Frust-Aggressions-Theorie, die besagt, dass Nicht-Erfüllung von Bedürfnissen aggressives Verhalten beim Menschen auslöst. (Vgl. ebd.: 128ff)

Günter Grass würde der Meinung Eibl-Eibesfeldts zwar nicht zu 100Prozent zustimmen, dennoch geht auch er davon aus, dass Menschen generell zur Fremdenfeindlichkeit neigende Veranlagungen haben. Und diese skeptische Haltung gegenüber Fremden wird nicht nur durch deren Hautfarbe hervorgeführt. So können auch andersartige Dialekte, die negativ geprägte Vergangenheit der anderen Gruppe oder eingefahrene stereotype Vorstellungen zu Ablehnung der jeweiligen Person oder Gruppierung führen.

„Denken Sie daran, wie unbeliebt Sachsen in Norddeutschland waren, weil sehr viele Volkspolizisten in der DDR Sachsen waren, was dann insgesamt auf die Sachsen übertragen wurde. (Grass 1998: 64)

Theodor W. Adorno, Erich Fromm und weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen in ihrer sozialwissenschaftlichen Studie zum Autoritären Charakter die Tendenzen weißer Amerikanerinnen und Amerikaner im Zusammenhang hin zu antidemokratischen, faschistischen Einstellungen und führen diese nicht rein auf politische oder wirtschaftliche Ursachen zurück, sondern machen die autoritätsgebundene Charakterstruktur eines Individuums dafür verantwortlich. (Vgl. Adorno 1973: XI)

Faschistisches Gedankengut, und darin auch Tendenzen zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, lassen sich also zum einen auf politische und wirtschaftliche Einstellungen, aber auch auf unterdrückte seelische Bedürfnisse zurückführen. Dabei untersuchen Adorno und Fromm Frauen und Männer der Mittelschicht, die potentielles faschistisches Gedankengut aufweisen, sich aber nicht öffentlich dazu bekennen, zumal die Studie kurz nach dem zweiten Weltkrieg erstellt wurde und keiner eigene Sympathien zu faschistischen Weltanschauungen offenbaren wollte. Adorno und Fromm wollen in ihrer empirischen Studie der Frage nachgehen, welche Faktoren zum faschistischen Denken einer Person führen, welcher Personenkreis davon besonders betroffen ist und welche Lebensläufe sie aufweisen. (Vgl. ebd.: 2)

Die Forscher orientieren sich dabei stark an Freud und den ödipalen Strukturen des Kindes und fanden dabei heraus, dass besonders in der frühkindlichen Phase das Denken durch die Eltern geprägt wird. Erfährt das Kind eine aufgeschlossene Umgebung, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass es als Erwachsener offener gegenüber anderen Kulturen und Denkweisen ist, größer. Das Kind ist elterlichen Zwängen ausgeliefert, die zu aggressivem Verhalten gegenüber den Eltern führen. Es unterdrückt laut dieser Theorie die natürliche Aggression gegen die Eltern und verschiebt sie hin zu anderweitigen Gruppen. Vor allem schwächere Gruppierungen, wie ethnische Minderheiten, dienen dann als Angriffspunkt, um angestaute Aggressionen abzubauen. Im Gegensatz dazu verhält sich das Kind jedoch unterwürfig gegenüber höhergestellten Institutionen wie den Eltern beispielsweise. Fromm interpretiert die Ergebnisse auch in dem Sinne, dass das Individuum noch nicht mit der neu gewonnen Freiheit, nach der vorindustriellen Phase, umgehen kann und erneut nach festen Strukturen sucht, die ihm Sicherheit geben (vgl. Von Randow 2016: o.S.)

Laut der wissenschaftlichen Verhaltensforschung geht Rassismus vor allem aus der Angst vor dem Fremden hervor. Rassismus basiert grundsätzlich auf dem Phänomen der Abgrenzung. Dabei wird zwischen Uns und Ihnen differenziert. (Vgl. Dalkmann 2007: o.S.) Das Fremde wird im Phänomen des Rassismus als Bedrohung empfunden, er ist entweder auszulöschen oder unterzujochen (vgl. Mbembe 2014: 27).

Franz Fanon, Rassismusforscher aus Martinique, sieht die Gegenwart des Rassismus wie Hall und Mbembe aus der Sicht eines Schwarzen kolonialisierten Mannes (vgl. ebd.: 161). Fanon spricht vom Minderwertigkeitskomplex der Schwarzen gegenüber den Weißen, der aus zwei Quellen entspringt. Zum Einen basiert er auf ökonomischen Faktoren, zum Anderen auf der Verinnerlichung der Minderwertigkeit. (Vgl. Fanon 2013: 11) Für Franz Fanon ist vor allem die Sprache wichtiger Faktor der Macht und somit wird Fremdsein nicht nur durch Unterschiede des Aussehens unterstützt, sondern sprachliche Barrieren schüren die Abschottung zusätzlich. Weiß sein impliziert, so Fanon in Bezug auf die Antillaner, die Sprache richtig zu beherrschen. (Vgl. ebd.: 20)

In einer Gruppe junger Antillaner ist derjenige, der sich gut ausdrückt, der die Sprache beherrscht, überaus gefürchtet; man muss auf ihn achtgeben, er ist fast ein Weißer. In Frankreich sagt man: wie ein Buch reden. Auf Martinique: wie ein Weißer reden. (Fanon 2013: 20)

Fanon gibt einen sehr interessanten Einblick darüber, was Schwarzsein in Bezug auf Bildung, Vorurteile, menschliche Beziehungen, Arbeitsplatz, Ansehen und dem ständigen Streben nach Weißsein bedeutet. Mit dem Titel seines 1952 erschienen Buches Schwarze Haut, weiße Masken, spielt er auf das Schicksal der Schwarzen an, sich in die Welt der Weißen einfügen zu müssen und dies kann unter anderem, nur durch das oberflächliche Aufstülpen einer weißen Maske geschehen. (Vgl. ebd.: o.S.)

Für Arno Gruen hat Fremdenhass auch immer etwas mit Selbsthass zu tun. Der Grund warum wir Fremden Leid zufügen ist in unserer eigenen Ablehnung zu suchen.

Denn der Feind, den wir in anderen zu sehen glauben, muß ursprünglich in unserem eigenen Innern zu finden sein. Diesen Teil von uns wollen wir zum Schweigen bringen, indem wir den Fremden, der uns daran erinnert, weil er uns ähnelt, vernichten. (Gruen 2000: 10)

Das Eigene wird somit zum Fremden deklassiert vor dem man sich schützen muss. „So wird unsere Menschlichkeit zum Feind, der unsere Existenz bedroht und der überall – in uns selbst wie auch in Anderen – bekämpft und vernichtet werden muß.“ (Ebd.: 16) Zur Veranschaulichung ein Beispiel aus Der Fremde in uns (2000):

Eine Studentin in einem Therapiekurs fragt mich während einer Vorlesung: ‚Wie kommt es, daß ich selbst in meiner Arbeit mit Asylanten plötzlich rassistische Gedanken hege? Vorgestern sprach ich mit einer Gruppe jugendlicher Albaner. Einige sagten: ‚Ich will eine Lehrlingsstelle.’ Daraufhin hatte ich das Gefühl, daß sie überhebliche Ausländer sind. Jetzt, durch Ihren Vortrag, erkannte ich plötzlich etwas Altes, Vergessenes: Ich durfte nie ich will sagen, sondern nur ich möchte. So haßte ich diese jungen Albaner für das, was ich an mir selbst hassen gelernt hatte. (Gruen 2000: 16)

Wir wollen es nicht wahrhaben, dass uns mit dem Gegenüber Gemeinsamkeiten verbinden. Das fremde Gegenüber ist unser Spiegelbild, das wir nicht anerkennen wollen. (Vgl. ebd.: 18) Indem wir die Fremde und den Fremden als minderwertig deklassieren, befreien wir uns selbst von unserer Schuld. Wir lenken negative Eigenschaften auf Andere, um nicht selbst für unsere Taten bestraft zu werden. „Es ist, als würde man sich durch diesen Vorgang selber reinigen.“ (Ebd.: 20) Dabei wird der oder dem Anderen das Menschsein aberkannt, er wird zur Gruppe ohne individuellen Lebenslauf und Eigenschaften. Das Zur-Gruppe-Werden des fremden Individuums impliziert, dass wir keine Empathie und Gefühle mehr für das fremde Individuum empfinden und somit wird die Grenze der Unmenschlichkeit überschritten und der Weg steht offen für leidvolle folgenschwere Handlungen.

„Der Prozeß, durch den das Eigene zum Fremden wird verhindert also, daß Menschen sich menschlich begegnen – mit Anteilnahme, Einfühlungsvermögen und gegenseitigem Verstehen. Und so wird die Abstraktion der „Fremde“ zur Basis unserer Beziehung.“ (Gruen 2000: 20)

Wie schon erwähnt, ist die Ursache dieser Abgrenzung in der Kindheit zu suchen. Adolf Hitler, Paradebeispiel für hasserfülltes Gedankengut, erwähnt 1934 „Jedes Kind ist eine Schlacht“ und spielt damit auch auf die Erziehung an. Zwischen Kindern und Eltern besteht ein Machtverhältnis, mit dem Ziel, den Willen des Kindes zu unterbinden. Sowohl Hitler, als auch Freud waren der Ansicht, dass das ungezügelte Kind eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt und diese Erkenntnis wird im dritten Reich an sämtliche Eltern weitergeleitet, um das Heranwachsen empathischer Menschen zu verhindern. (Vgl. ebd.: 20f) So ist es nicht verwunderlich, dass Ausländerinnen und Ausländern, oder angeblich minderwertigen Gesellschaftsmitgliedern, ähnliche Attribute zugesprochen werden, wie den Kindern. Eigenschaften wie „Unsauberkeit, Unreinheit, Gier, Unstetigkeit, Zerstörungswut“ sind Beispiele für unterdrückte eigene Veranlagungen, die im Gegenüber gesucht werden und für Ablehnung sorgen. (Ebd.: 22)

Laut Julia Kristeva erinnert uns die Fremde und der Fremde an die Tatsache, dass wir unser Leben auch anders leben könnten und steht somit stellvertretend für das unterdrückte Selbst. Es kann auch von einer narzistischen Kränkung gesprochen werden, indem der Westeuropäer erkennt, dass sein Reichtum nicht durch Eigenleistung entstanden ist, sondern weil er zufälligerweise im bevorzugten Teil der Erde aufgewachsen ist. Auch fühlt sich der europäische Mann von der zunehmenden Anzahl an männlichen Flüchtlingen bedroht, die als sexuelle Konkurrenten auftreten könnten. (Vgl. Wahl 1995: 51f)

Im Rahmen einer qualitativen Studie bestätigte Christel Hopf die These, dass rechtsextreme Jugendliche tendenziell schlechtere Bindungserfahrungen in Bezug auf ihre Eltern vorweisen. Sie erfuhren in ihrer Kindheit weniger Führsorge, Liebe und Geborgenheit und dieser Mangel kommt nun in Form von Fremdenhass und auch Frauenfeindlichkeit zum Vorschein. (Vgl. ebd.: 57) Generell muss hier allerdings angemerkt werden, dass unterschiedliche Studien auch immer wieder zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. So zeigen Gerichtsurteilsauswertungen von Willems et al., dass Familienverhältnisse nicht unbedingt ausschlaggebend für rassistisches Verhalten sein müssen.

Die Täter kamen – nach Ansicht der Gerichte – aus intakten Familien wie aus zerrütteten Familienverhältnissen, dabei aber eher aus autoritären als liberalen Elternhäusern – und auch aus finanziell gesicherten, äußerlich geordneten Familienverhältnissen. (Wahl 1995: 59)

Auch ist auffällig, dass sich Jugendliche oftmals Ersatzautoritäten im rechtsextremen Milieu suchen wenn ihre Eltern ihnen diese Autorität nicht geben konnten.

Hans-Joachim Maaz spricht bei Jugendlichen im Gegensatz dazu von der These des Gefühlsstau, die besagt, dass Fremdenfeindlichkeit unter anderem auf „autoritäre Verhältnisse in Gesellschaft, Erziehung und Familie“ zurückzuführen ist. Der Gefühlsstau entsteht dadurch, dass sich das Individuum in eine innere und äußere Welt spaltet. Während die äußere Welt von „Wohlanständigkeit, Disziplin, Ordnung und Tüchtigkeit“ geprägt ist, zeichnet sich das Innere durch Aggressionslust, Ablehnung, Angst, Traurigkeit und Schmerz aus. Dies führt dazu, dass sich das Individuum distanziert von seinen Gefühlen verhalten muss und somit versucht, sich Gründe zu suchen, die die inneren Gefühle nach außen transportieren. Menschen, die von der Norm abweichen, wie Homosexuelle, Arbeitslose oder Ausländer, bieten die gesuchte Angriffsfläche, um die persönlichen Spannungen abzubauen. (Wahl 1995: 58)

Durch die fehlenden Chancen der eigenen Partizipationsmöglichkeiten in einer immer undurchsichtiger werdenden Welt, schafft die Abgrenzung zum Anderen eine gewisse Stabilität und Kontrolle im eigenen Leben. Dazu führte Wilhelm Heitmeyer 2005 eine Studie mit 2000 Befragten durch, die vor allem die Orientierungslosigkeit und die fehlende Sicherheit als Grund für zunehmendes rassistisches Verhalten verantwortlich machten. (Vgl. Heitmeyer 2005: 15ff) Besonders junge männliche Erwachsene sind laut Heitmeyer von rechtsextremen Gedanken befallen.

1995 kommt er in einer Studie zu dem Ergebnis, dass

„die lebensweltlich immer früher ansetzenden Konkurrenzbeziehungen, die Anonymisierung in Großstadtsiedlungen, die Ausdehnung der Lohnabhängigkeit, Chancen und Belastungen der gewachsenen Freizeit, soziale und geographische Mobilität, Entsolidarisierung durch sozialstaatliche Sicherungssysteme, Prozesse, die zu individueller Abschottung, Vereinzelung und neben bleibenden vertikalen auch zu horizontalen Ungleichheiten führen. (Wahl 1995: 35)

Ist das Individuum von sozialer Unsicherheit gezeichnet, hat wenig Einfluss auf seine Umwelt und wenig gute soziale Kontakte, so kann es dazu kommen, dass sich die Person ein Opfer sucht, das es demütigen und provozieren kann, um somit selbst in eine Herrschaftsposition zu kommen. Und Opfer sind vor allem jene Menschen, die die deutsche Sprache nicht gut beherrschen. Heitmeyer benennt dieses Phänomen als Instrumentalisierungskonzept und spricht diese Art des Rassismus vor allem Jugendliche zu. Viele Jugendliche distanzieren sich von den Aussagen nationalsozialistischer Meinungsführerinnen- und führer, verfallen aber Aufgrund ihrer sozialen Lage in aggressive Stimmungen gegen Ausländerinnen und Ausländer. So ist laut Heitmeyer nicht die Arbeitslosigkeit Schuld an rechtsextremen Haltungen in der Gesellschaft, sondern vor allem die Qualität des Arbeitsplatzes. Es ist festzustellen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit hoher Selbstverwirklichung am Arbeitsplatz und größerer Eigenständigkeit weniger rassistische Einstellungen vorweisen. Heitmeyers Studien kommen zu dem Ergebnis, dass fremdenfeindliches Verhalten nicht unbedingt auf bestimmte Milieus zurückzuführen ist, sondern in unterschiedlichen Klassen, unabhängig von der Schuldbildung und dem sozialen Status der Eltern, zu finden ist. (Vgl. Heitmeyer 2005: 38f) Er erwähnt jedoch auch, dass sich Rassismus tendenziell in der Mitte und am Rand der Gesellschaft abspielt und in Bezug auf Gewalttaten vor allem von Männern ausgeführt wird. Rassismus auf Seiten der Frauen äußert sich eher in indirekten „Aggressionsformen wie Gerüchte ausstreuen oder Kontakt abbrechen in Bezug auf das Opfer“ (Ebd.: 49)

Im Rahmen einer Langzeitstudie (2002-2011) etablierte Wilhelm Heitmeyer den Begriff der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, der sich in Form von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Heterophobie, Islamophobie, Etabliertenvorrechte oder Sexismus zeigt. (Vgl. Heitmeyer 2014: 17f)

Menschenfeindlichkeit zielt nicht auf ein Feindschaftsverhältnis zu einzelnen Personen, sondern bezieht sich auf Gruppen. Werden Personen aufgrund ihrer gewählten oder zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit als ungleichwertig markiert und feindseligen Mentalitäten der Abwertung und Ausgrenzung ausgesetzt, dann sprechen wir von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. [...] Nicht nur Personen fremder Herkunft sind mit Feindseligkeiten und Gewalt konfrontiert, wenn sie bestimmten Gruppen zugeordnet werden, sondern auch Menschen gleicher Herkunft, deren Verhaltensweisen oder Lebensstile in der Bevölkerung als „abweichend“ von einer als beruhigend empfundenen Normalität interpretiert werden. (Heitmeyer 2014: 6)

Heitmeyer benennt einige konkrete Merkmale, wie sich gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit äußert. So werden Ausländerinnen und Ausländer von Rechtextremen als Objekte bezeichnet. Besonders Jugendliche betiteln Fremde zum Beispiel als „letzten Dreck“ und bringen damit ihre Dominanz gegenüber den Betroffenen zum Ausdruck. Auch ist auffallend, dass Fremde nur selten beim Namen genannt werden und somit für die Täterinnen und Täter austauschbar und unpersönlich sind. (Wahl 1995.: 37)

Ähnlich wie Theodor W. Adorno ist Wulf D. Hund der Ansicht, dass Kultur und Tradition nicht ausreichen, um die Stabilität einer Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Die Anwendung des Rassismus macht es aber möglich, bestimmte Gesellschaftsgruppen auf natürlichem Wege auszugrenzen, um schon damit die knappe Verteilung, auch an kulturellen Ressourcen, zu erleichtern. (Vgl. Hund 2014: 209) Fremdenfeindlichkeit legitimiert dementsprechend die Exklusion und damit Verachtung anderer Kulturen, um die eigene soziale Inklusion voranzutreiben. Die Herabsetzung und Entwürdigung von Menschen und damit Erniedrigung bestimmter Gruppen setzt Hund dabei unter dem Terminus Negative Vergesellschaftung. (Vgl. Hund 2006: 123) Indem wir uns von angeblich untergebenen Gruppierungen distanzieren und sie damit zusätzlich herabwürden, sichern wir uns unseren eigenen Platz in der Gesellschaft und stellen uns über sie. Hund unterstreicht seine Thesen mit folgenden Beispielen:

Gegenüber Barbaren wird der Banause zum Hellenen. Gegenüber Juden kann der gemeine Mann die Kommunion mit den oberen Ständen vollziehen. Gegenüber Schwarzen können sich deklassierte Weiße als Angehörige einer Herrenrasse fühlen. (Hund 2006: 123)

Kurz gesagt schaffen sich fremdenfeindliche Personen ihre eigene Identität auf Kosten anderer und sichern sich dadurch zusätzlich die Herrschaft über sie. (Vgl. ebd.: 123) Vor allem der „kleine Weiße“ konnte das Gefühl haben, ein Mensch zu sein, wenn er die Unterschiede zwischen ihm und dem Neger kultivierte.“ (Membe 2014: 79)

2.3.3. Rassismus durch Gruppendynamik und Mitläufertum

Will man die Prozesse der Gruppendynamik und des Mitläufertums verstehen, so bietet Noelle Neumann eine geeignete Grundtheorie, die Antwort auf die Entstehung der öffentlichen Meinung gibt. Die Meinung des Individuums wird, laut Neumann, aus zwei Richtungen gebildet. Zum einen entsteht Meinung durch eigene Erfahrungen in der Umwelt und „ihren Signalen von Billigung und Mißbilligung“ und zum anderen durch den Einfluss der Massenmedien. Auf dieser Basis entwickelte Noelle Neumann die Theorie der Schweigespirale, die annimmt, dass Menschen möglichst vermeiden, sich von der Gesellschaft zu distanzieren und zu isolieren. (Vgl. Neumann 1980: xiii)

Wer sieht, daß seine Meinung an Boden verliert, verfällt in Schweigen. Indem die einen laut reden, öffentlich zu sehen sind, wirken sie stärker, als sie wirklich sind, die anderen schwächer, als sie wirklich sind. Es ergibt sich eine optische und akustische Täuschung für die wirklichen Mehrheits- die wirklichen Stärkeverhältnisse, und so stecken die einen andere zum Reden an, die anderen zum Schweigen, bis schließlich die eine Auffassung ganz untergehen kann. (Neumann 1980: xiii)

Dadurch, dass man sich durch die angebliche Dominanz der Meinungsführerinnen- und führer unterdrückt fühlt, schließt man sich aus Bequemlichkeit der Meinung der Anderen an und diese ist in den letzten Jahren immer mehr nach rechts gerückt. Die Jugendumfrage des Spiegel (1994) bestätigt, dass Meinungen gegenüber Fremden nur sehr selten auf eigenen Erfahrungen mit ihnen beruhen und vor allem von „kulturellen Traditionen, den Medien, von politischer Propaganda und von Führern der öffentlichen Meinung geprägt sind“. (Vgl. Wahl 1995.: 13)

Rechtsextremismus zieht sich dabei durch alle Gesellschaftsgruppen hindurch, doch vor allem Jugendliche sind anfällig und besonders in diesem Bereich spielt die Gruppendynamik und das Mitläufertum eine große Rolle.

Vor allem Gruppen geben Jugendlichen Stabilität und Sicherheit und so sind rassistische Übergriffe oftmals Gruppentaten. (Vgl. ebd.: 21)

Die Gruppe macht stärker, mutiger, unverantwortlicher – insbesondere, wenn sie sich in noch breiteren Massen lokalisieren kann, in ihr schaukelt sich offenbar entgrenztes Verhalten leichter hoch, besonders unter alkoholbedingtem Kontrollverlust. (Wahl 1995: 21)

Der Spielfilm Clockwork Orange (1971) spiegelt diese Aussagen wieder, dessen Gewaltszenen vor allem durch die Gruppendynamik entstehen. (Vgl. ebd.) Natürlich ist es nicht nur die Gruppe, die das Individuum zu rassistischen Handlungen treibt, sondern auch hier soll nochmals erwähnt werden, dass mehrere Gründe zu rassistischem Verhalten und Übergriffen führen können.

[...]


1 Zitiert wird in der vorliegenden Masterthesis nach der Harvard-Methode.

Ende der Leseprobe aus 104 Seiten

Details

Titel
Anti-Rassismus im deutschen Spielfilm
Hochschule
Fachhochschule Salzburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
104
Katalognummer
V465977
ISBN (eBook)
9783668939912
ISBN (Buch)
9783668939929
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Anti-Rassismus-Filme, Rassismus, Rasse, Identitat, deutscher Spielfilm, Rassismusforschung, Qualitative Filmanalyse
Arbeit zitieren
Veronika Partenhauser (Autor:in), 2017, Anti-Rassismus im deutschen Spielfilm, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/465977

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