Kanu-Wildwasserfahren als Kursangebot im Rahmen der gymnasialen Sekundarstufe II


Examensarbeit, 2005

121 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Pädagogische Intention
1. Der Bildungsauftrag der Schule
2. Legitimation des Schulsports
2.1 Fachdidaktische Konzepte
2.1.1 Das Sportartenprogramm
2.1.2 Die Körpererfahrung
2.1.3 Die Endpädagogisierung
2.1.4 Die Handlungsfähigkeit
2.1.5 Das integrativ-unterrichtstheoretische Konzept
2.2 Aufgaben und Ziele des Schulsports
3. Erlebnispädagogik
3.1 Definition
3.2 Zielsetzung der Erlebnispädagogik
3.3 Inhaltliche Merkmale und geschichtliche Entwicklung
3.3.1 Inhaltliche Abgrenzung
3.3.1.1 Die Natur als Lernfeld
3.3.1.2 Der pädagogische Nutzwert der Natur
3.3.1.3 Die Instrumentalisierung der Natur
3.3.2 Geschichtliche Entwicklung
3.3.2.1 Die „Wegbereiter“ der EP
3.3.2.2 Die Reformpädagogik
3.3.2.3 Kurt Hahns Erlebnistherapie
3.4 Reflexion und Transfer in der EP
3.4.1 Die Reflexion
3.4.2 Der Transfer
3.5 Kritik an der EP
3.6 Zusammenfassung

III. Didaktisch-methodische Konzeptionen zur Einführung in das Wildwasserfahren
1. Wildwasserfahren
1.1 Grundsätzliches über das Wildwasserfahren
1.1.1 Definition und Hydrologie des Wildwassers
1.1.2 Die Grundtechniken des Wildwasserfahrens
1.2 Besonderheiten des Kanufahrens im Wildwasser
2. Wildwasserfahren als Schulsport
2.1 Schulische Strukturen und Rahmenbedingungen
2.2 Zum Umgang mit der Angst
2.2.1 Begriffserklärung
2.2.2 Die spezielle Angst im Wildwasser
2.2.3 Angstreduzierende Methoden im Wildwasserunterricht
2.3 Sicherheit im Wildwasser
2.3.1 Die Rolle der Lehrkraft
2.3.2 Das Material
2.3.3 Die sicherheitsspezifische Methodik
2.4 Didaktisch-methodische Grundüberlegungen
2.4.1 Methodische Ansätze
2.4.1.1 Die Induktive gegenüber der Deduktiven Lehrmethode
2.4.1.2 Die Analytische gegenüber der Ganzheitlichen Lehrmethode
2.4.1.3 Die Handlungsorientierte Lehrmethode gegenüber der Orientierung an Technikleitbilder
3. Zur Einführung des Wildwasserfahrens – Ein Vergleich zweier Konzeptionen
3.1 Die traditionelle Methode
3.2 Der direkte Einstieg ins Wildwasser
3.2.1 Organisationsformen
3.2.1.1 Aufgabentypen
3.2.1.2 Gruppenarbeit
3.2.1.3 Selbstorganisation und Selbstverantwortung
3.3 Zusammenfassung

IV. Praktische Umsetzung
1. Ziele des Wildwasserfahrens in der Schule
1.1 Kognitive Lernziele:
1.2 Motorische Lernziele
1.3 Sozial-affektive Lernziele
2. Organisatorische Rahmenbedingungen
2.1 Die Lerngruppe
2.2 Die Vorbereitung
2.3 Der Lernort
2.4 Das Material
3. Der Projektverlauf
3.1 Wochenplan
3.2 Verlaufsplan zur Übungseinheit am 2. Tag
3.3 Methodisch-didaktische Erläuterungen zum Stundenentwurf

V. Fazit

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

In vielen Bundesländern werden derzeit Änderungen in der Bildungspolitik in Form von Schulreformen vorgenommen. Auch in Niedersachsen erfolgt eine schulstrukturelle Weichenstellung um bildungspolitischen Ansprüchen gerecht zu werden.[1]

Im Schulalltag sehen sich Schülerinnen und Schüler[2] jedoch nach wie vor mit dem Prinzip des Fachunterrichts in einem eng gestecktem zeitlichen Rahmen konfrontiert, der den Lernerfolg einzelner Inhalte erschwert.

Dagegen birgt der Projektunterricht gewisse Möglichkeiten, aus der starren Struktur auszubrechen und durch Lernen in einem geeigneten Umfeld den Bildungsauftrag zu erfüllen. Die Schüler sollen durch mitgestalteten Unterricht in Gruppen bestimmte Schlüsselqualifikationen[3] erwerben, die Voraussetzung für individuelle Entfaltung, gesellschaftliche Entwicklung und verantwortungsvolles Handeln sind (vgl. FREY 1982, 49f.).

Von diesem Aspekt ausgehend präsentiere ich mit dem Wildwasserfahren eine erlebnispädagogische Sportart, die auf Grund der unmittelbaren Erfahrungen in der Natur nicht nur den Folgen der zunehmenden Technisierung entgegenwirken kann, sondern darüber hinaus ein erhebliches pädagogisches Potential birgt.

In dieser Arbeit wird der Frage eine zentrale Bedeutung beigemessen auf welche Art und Weise der Unterricht didaktisch-methodisch aufbereitet werden sollte um entsprechende Zielsetzungen zu erreichen.

Der Aufbau der Arbeit ist in drei Teile gegliedert:

Das erste Kapitel beleuchtet die pädagogische Intention der Institution Schule, indem zunächst der schulische Bildungsauftrag dargestellt wird (II.1) und anschließend gezeigt wird, inwiefern der Sportunterricht mit seinen Aufgaben und Zielen diesem Auftrag gerecht werden kann (II.2). In diesem aus Ansprüchen, Aufgaben und Zielen bestehendem strukturellen Rahmen widme ich mich schließlich im Hauptteil dieses ersten Kapitels der Methode der Erlebnispädagogik (II.3). Ich möchte mit der Darstellung der charakteristischen Merkmale und Zielsetzungen auf die erzieherische Wirksamkeit hinweisen ohne dabei jedoch Probleme und Schwierigkeiten dieses Prinzips zu unterschlagen.

Als eine von vielen erlebnisorientierten Sportarten stelle ich im zweiten Kapitel das Wildwasserfahren vor, das sich auf Grund einiger Besonderheiten von der Masse abhebt (II.1). Wie diese Sportart in der Schule umgesetzt werden kann, soll der Hauptaspekt dieses zweiten Kapitels sein. Es ist in diesem Zusammenhang notwendig didaktisch-methodische Grundüberlegungen zu diskutieren (II.2.5), die als Basis für die Konzeption einer Einführung in das Wildwasserfahren gelten können (II.3).

Schließlich präsentiere ich im dritten Kapitel eine exemplarische Unterrichtseinheit, die sich an einem Konzept der Anfängerschulung orientiert, das wesentlich von der Entwicklung der Handlungsfähigkeit auf dem fließenden Wasser bestimmt ist. Dieser Unterrichtsentwurf fügt sich in einen in Kapitel II. verdeutlichten curricularen Rahmen ein und basiert auf den in Kapitel II. diskutierten didaktisch-methodischen Überlegungen. Ich möchte untersuchen, ob und wie das Konzept in einem schulischen Projekt verwirklicht werden kann. Natürlich sind dabei die fiktiven organisatorischen Rahmenbedingungen (IV.1) entsprechend zu adaptieren. Es wird darauf zu achten sein, zu klären, in wie fern einem solchen Modell mehr als ein beispielhafter Charakter zugesprochen werden kann.

Das Fazit bilanziert darüber hinaus die Ergebnisse dieser Arbeit und überprüft das Konzept hinsichtlich seiner Anwendbarkeit und der Finanzierungs- und Transferproblematik.

II. Pädagogische Intention

1. Der Bildungsauftrag der Schule

Das Bildungssystem in Deutschland erfreut sich z. Zt. größter Aufmerksamkeit in der Gesellschaft. Dies ist nicht zuletzt auf die Ergebnisse der jüngsten PISA-Studie von 2003 zurückzuführen, die den deutschen Schülern abermals lediglich einen mittelmäßigen Platz im internationalen Vergleich bescherte.[4] Nach den Ergebnissen von 2000, als deutsche Schüler hinsichtlich ihrer Lesekompetenz durchschnittlich abschnitten, blieben sie nun auch im Bereich Mathematik hinter den Erwartungen zurück.[5] Dadurch sah sich die Landesregierung genötigt zu reagieren, und so veröffentlichte das Niedersächsische Kultusministerium (im Folgenden NK) 2003 in Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Landesinstitut für Schulentwicklung und Bildung (NLI) einen Orientierungsrahmen für die Schulqualität in Niedersachsen. Diese Initiative benennt Kriterien, an Hand derer die „Sicherung und Verbesserung der Qualität von Schule und Unterricht“ gewährleistet werden soll (NK 2003, 3).[6]

Es ist nicht nur die Bildungspolitik eines Landes, die für die Schulqualität verantwortlich ist. Auch Schulleiter und v.a. Lehrer tragen ihren Teil zur Qualitätsentwicklung bei. Demnach muss „geklärt werden, welche didaktischen, erzieherischen oder organisatorischen Maßnahmen einzuleiten sind, um allen Schülern eine möglichst umfassende Bildung und einen optimalen Schulabschluss zu ermöglichen“ (ebd.). Hierfür soll nun diese Veröffentlichung des NK einen Rahmen bieten, an dem es sich zu orientieren gilt.[7]

In diesen Richtlinien wird entsprechend evaluiert, welche Merkmale eine Schule, der Unterricht, die Lehrkraft sowie die Schüler aufweisen sollten, damit die Schulqualität verbessert werden kann. Damit ist der strukturelle Rahmen umrissen; es bleibt aufzuzeigen, welche inhaltlichen Aspekte diesen Auftrag füllen sollen. Auch hier reagierte die Landesregierung und veröffentlichte eine Änderung der Verfassung des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG).[8] Unter § 2 des Haushaltbegleitgesetzes wird der Bildungsauftrag definiert. Demnach muss die Schule zunächst „Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern den Erfahrungsraum und die Gestaltungsfreiheit bieten, die zur Erfüllung des Bildungsauftrags erforderlich sind“ (NK 2004, 4).[9] Dieser beinhaltet vornehmlich die Entwicklung der Persönlichkeit der Schüler und die Vermittlung von Wertvorstellungen. Im speziellen sollen laut dieser Quelle die Schüler befähigt werden,

- die Grundrechte […] wirksam werden zu lassen, die […] staatsbürgerliche Verantwortung zu verstehen und zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beizutragen,
- nach ethischen Grundsätzen zu handeln sowie religiöse und kulturelle Werte zu erkennen und zu achten,
- ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Toleranz sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten,
- den Gedanken der Völkerverständigung […] zu erfassen und zu unterstützen und mit Menschen anderer Nationen und Kulturkreise zusammenzuleben,
- ökonomische und ökologische Zusammenhänge zu erfassen,
- für die Erhaltung der Umwelt Verantwortung zu tragen und gesundheitsbewusst zu leben,
- Konflikte vernunftgemäß zu lösen, aber auch Konflikte zu ertragen,
- sich umfassend zu informieren und die Informationen kritisch zu nutzen, […]
- sich im Berufsleben zu behaupten und das soziale Leben verantwortlich mitzugestalten (ebd.).

Darüber hinaus wird die Selbständigkeit der Schüler als Ziel erwähnt, wie auch deren Fähigkeit zur Weiterentwicklung nach der Schulzeit (vgl. ebd.).

Inwiefern diese genannten Lernziele auch in einer besonderen fachspezifischen Betrachtungsweise Beachtung finden, soll das folgende Kapitel veranschaulichen. Es soll deutlich werden, dass auch und im besonderen Maße das Unterrichtsfach Sport dem geschilderten Bildungsanspruch gerecht werden kann und somit legitimiert ist, als Teil des Bildungssystems zu fungieren.

2. Legitimation des Schulsports

Im internationalen Vergleich hat PISA gezeigt, dass die Bildungsausgaben in Deutschland – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – unter dem Durchschnitt der OECD-Länder liegen (vgl. dazu http://www.pisa.ipn.uni-kiel.de). Daher bedarf es in Zeiten von Bildungsreformen insbesondere für den Sportunterricht einer fundierten Rechtfertigung. Denn, wie GRÖSSING treffend feststellt, entscheiden die

ökonomischen und normativen Grundlagen und Grundfragen einer Gesellschaft und deren Bildungs-, Sozial-, und Sportpolitik […] wesentlich mit darüber, welchen Stellenwert der Schulsport im Kanon der Unterrichtsfächer einnimmt, wie viel Stunden in der Woche ihm eingeräumt werden, wie die Ausstattung der schulischen Sportanlagen und die Ausbildung der Sportlehrer aussehen (GRÖSSING 1997, 29).

Insbesondere von gesellschaftlicher Seite wird die Relevanz des Sports häufig hinterfragt: Wie kann ein körperbetontes und freizeitorientiertes Fach den Anforderungen eines marktwirtschaftlich ausgerichteten Gesellschaftsanspruchs gerecht werden (vgl. BALZ 2000, 38)?

Jedoch bietet insbesondere der Sportunterricht, der eine Sonderrolle zwischen „Sitzfächern“ wie Deutsch, Geschichte oder Biologie einnimmt, eine Vielzahl an pädagogischen Möglichkeiten. Als Beispiel soll hier das im Schulgesetz festgeschriebene Lernziel der Verbesserung der sozialen Kompetenz dienen. Sport ist bezüglich der Sozialerziehung aus verschiedensten Gründen mit hohen Erwartungen verknüpft.

Er wirkt sich positiv auf die verschiedensten Sozialisationsprozesse aus, da

- er oft in Gruppen stattfindet und die Schüler sich entsprechend eingliedern müssen,
- verschiedene Grundqualifikationen für Rollen-Handeln gemäß der Interaktionistischen Rollentheorie gelernt werden,[10]
- die Schüler mit individuellen Leistungsunterschieden umgehen müssen,
- oft mit Körperkontakt umgegangen werden muss,
- gelernt werden muss Regeln zu akzeptieren und Prinzipien der Fairness zu beachten,
- gelernt wird mit Konflikten umzugehen und Solidarität zu zeigen, etc. (vgl. zu dieser Aufstellung: KOTTMANN/BRUX 1987, 19ff., PÜHSE 1999, 215ff., FUNKE-WIENECKE 1997, 28ff. und GRÖSSING 1997, 143ff.).

Hier setzen BALZ und NEUMANN an und betonen, dass „dem Unterrichtsfach ‚Sport’, wie jedem anderen Schulfach auch, ein verpflichtender Erziehungs- und Unterrichtsauftrag zu Grunde“ liegt (BALZ/NEUMANN 1999, 163). Der Schulsport soll also an der Erfüllung zweier wesentlicher Erziehungsziele mitwirken: Er soll zum einen sportartenspezifisches Können und Wissen vermitteln und zum anderen erzieherisch wirksam sein und damit u.a. zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen. In diesem Sinne unterliegt der Sport einem „doppelten Bildungsauftrag“ (KURZ 2000, 73 ff.).

Hier stellt sich die Frage, ob für ein „Bewegungsfach“ der Erziehungsanspruch nicht überbewertet ist und zu übertrieben ausgelegt wird (vgl. ebd., 162): Kann Sportunterricht überhaupt eine erzieherische Funktion übernehmen? Was kann vom Sport neben der „Ausbildung sportlicher Kompetenzen und eine[r] Einführung in sportliche Handlungskontexte“ noch geleistet werden (BALZ/NEUMANN 1999, 163)? Wie und was kann über den Erwerb motorischer Fähigkeiten hinaus vom Bockspringen, Völkerball und Tischtennis gelernt werden? Und was ist hier überhaupt unter Erziehung zu verstehen?

GRUPE und KRÜGER definieren Erziehung als „diejenigen Maßnahmen und Prozesse […], die den Menschen befähigen, seine Kräfte und Möglichkeiten zu entfalten und mit Hilfe derer er selbständig und mündig werden kann“ (GRUPE/KRÜGER 1997, 62). Darüber hinaus bezeichnen sie „sowohl das konkrete erzieherische Handeln einzelner Erziehungspersonen als auch die unterschiedlichen Sinnbezüge und die strukturellen Zusammenhänge, in die Erzieher, zu Erziehende und Erzogene eingebunden sind“ als Erziehung (ebd., 65). Sie unterscheiden dabei intentionale und funktionale Erziehung, wobei stets die Lehrkraft der entscheidende Faktor ist.[11] Es unterliegt ihrem Gutdünken die Schüler intentional – also mit Absicht und zumeist auf der Grundlage von Verbesserungen ihrer Fertigkeiten und Fähigkeiten – oder funktional zu erziehen. Letztere Alternative umschreibt den „automatischen“ Erwerb bestimmter immanenter Bildungsinhalte, ohne dass es einer speziellen Aufbereitung bedarf (vgl. ebd.).

Die Beziehung zwischen Lehrkraft und Schülern hat, ob intentional oder funktional, immer einen erzieherischen Charakter. MEYER führt diesen Gedanken sogar noch weiter und behauptet, dass Unterricht ohne Erziehung nicht denkbar ist, weil die institutionalisierte Form schulischer Erziehung starken Einfluss auf den Unterricht hat (vgl. MEYER 1997, 27). Diese Auffassung wird von UNGERER-RÖHRICH, SINGER, HARTMANN und KREITER bekräftigt: Demnach beeinflusst das Handeln der Lehrkraft durch die „Art seiner Unterrichtsgestaltung, wie er mit seinen Schülern umgeht, wie er Beziehungsprobleme behandelt, wie er die motorischen Lernziele anzustreben versucht“ das soziale Handeln der Schüler und nimmt auf diese Weise erzieherischen Einfluss (UNGERER-RÖHRICH u.a. 1990, 16).

Anknüpfend an den Entwurf des NK sieht BALZ jedoch nicht nur einen doppelten, sondern einen dreifachen Bildungsauftrag seitens des Schulsports vor. Er liefert drei grundsätzliche Legitimationsgründe des Sportunterrichts:

1. Erziehung zum Sport:

Es soll zu einer Sportartenkompetenz erzogen werden, die die Schüler in den Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Sportart schult und sie im Optimalfall „zum lebenslangen Sporttreiben“ animiert. Der physisch-motorische Bereich steht dabei im Vordergrund.

2. Erziehung im Sport:

Es soll zu einem selbständigen Handeln im Sport kommen, d.h. die Schüler sollen in der Lage sein sich sinnorientiert mit einer sportlichen Aktivität auseinander zu setzen. Dabei wird die Mehrperspektivität besonders betont:[12] Aus mehreren Beweggründen soll eine (oder mehrere, sicher aber die individuell richtige) Sinnrichtung gefunden werden, die den Jugendlichen an der entsprechenden Sportart Gefallen finden lässt und ihn/sie zum weiteren Sporttreiben anregt.

3. Erziehung durch Sport:

Der Sport soll als ein bereicherndes Element verstanden werden, das den Schülern Möglichkeiten bietet, ihr Leben mit Sinn zu füllen.

Ich habe mich bei der Auswahl der in der Fachliteratur aufgeführten Erziehungsziele des Schulsports an die gängigsten gehalten. Viele Ansichten wiederholen sich oder werden in abgeänderter Form präsentiert. Dem entgegen steht die Position derer, die den überhöhten Erziehungsanspruch und das Überhäufen des Schulsports mit pädagogischen Zielen thematisieren (vgl. BALZ/NEUMANN 1999, 162ff.). Demnach erscheinen das Verständnis einzelner Aufgaben und Ziele des Schulsports sowie einzelne Definitionen grundsätzlicher Begrifflichkeiten schwammig und nicht klar trennbar.

Zudem beleuchten die genannten Überlegungen die Thematik der Erziehung sehr einseitig aus der Perspektive der Lehrer. Sie lassen die Position der Schüler, die im Mittelpunkt des Interesses stehen sollten, auffällig unangetastet. Lediglich BALZ und NEUMANN weisen darauf hin, dass es einem gewissen Grad an Freiwilligkeit von Seiten der Schüler bedarf um sie überhaupt in irgendeiner Form zu erreichen. Ausschlaggebend für die Wirksamkeit aller Erziehungsintentionen ist die Akzeptanz seitens der Schüler. Ohne „dialogische Auseinandersetzung“ ist die von vielen Seiten angestrebte „Erziehung […] zur Selbsterziehung“ nicht umsetzbar (BALZ/NEUMANN 1999, 164).

Weiterhin darf die Diskussion über den Erziehungsauftrag der Schule allgemein und den Sportunterricht im Speziellen nicht darüber hinweg täuschen, dass der Unterricht, in welchem Fach auch immer, lediglich einer von vielen Einflussfaktoren ist, die eine erzieherische Wirkung auf Jugendliche ausüben. Während der Entwicklung steht eine Person stetig sein Leben lang in Interaktion mit seiner Umwelt so dass „sich daraus sein Verhalten und Erleben beeinflussende Konsequenzen ergeben“ (FRÖHLICH/WELLEK 1972, 661). Familie, Kindergarten, Schule, Freunde und Bekannte stellen soziale Bezugssysteme dar, die im alltäglichen Zusammenleben Interaktionen hervorrufen. In derartige „Sozialisationsinstanzen“ ist jeder eingebunden und entwickelt folglich gewisse Interaktionsfähigkeiten (UNGERER-RÖHRICH u.a. 1990, 13).

Dem zu Folge muss, wenn von Wirksamkeit eines bestimmten pädagogischen Prinzips die Rede ist, dies stets in Relation mit anderen Bezugsystemen gesehen werden.

Wie nun die genannten (wenngleich auch nicht deutlich voneinander abgrenzbaren) Erziehungsziele in die Tat umgesetzt werden sollen, möchte ich im anschließenden Teil verdeutlichen. Hier sollen verschiedene fachdidaktische Entwicklungen vorgestellt werden, wobei hervorgehoben werden muss, dass auch in der methodischen Betrachtung kein allgemeiner Konsens besteht. Ich halte mich im Folgenden bei der begrifflichen Einordnung an BALZ’ Definition des fachdidaktischen Konzepts als „ein systematischer gedanklicher Entwurf […], der für die pädagogische Gestaltung des Schulsports bestimmte Ziele, Inhalte und Methoden empfiehlt“ (BALZ 1992, 14).

2.1 Fachdidaktische Konzepte

Die folgende Graphik soll einen Überblick über die Vielfalt der didaktischen Modelle bieten. Sie genügt jedoch keinesfalls dem Anspruch auf Vollständigkeit. Ich habe mich im Sinne dieser Arbeit auf einige wesentliche, oft in der Literatur der Sportdidaktik diskutierte Konzepte beschränkt, die ich für geeignet halte einen Überblick zu liefern.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1 Fachdidaktische Konzepte im Überblick (Abbildung nach BALZ 1992, 18)

2.1.1 Das Sportartenprogramm

Das Sportartenprogramm ist ein konventionelles und im Schulalltag durchaus gängiges Konzept, das die Schüler „durch die Ausbildung motorischer Fähigkeiten und Fertigkeiten für den außerschulischen Sport zu qualifizieren“ versucht (BALZ/NEUMANN 1999, 172). Dabei sollen die Schüler durch eine effiziente, geschlossene und lehrerzentrierte Lehrweise zu einem lebenslangen Sporttreiben bewegt werden. KURZ erweitert die Zielsetzung dieser Methodik um zwei weitere Aspekte: Die „Förderung von Interessen, die über den Schulsport hinausgehen“ und „die Ausbildung von Urteilsfähigkeit“ (KURZ 2000, 73).

Es wird fast ausschließlich mit traditionellen Sportarten wie Geräteturnen, Leichtathletik und gängigen Sportspielen gearbeitet. Nicht ohne Grund bezeichnet GRÖSSING dieses Konzept als den „leichte[n] Weg, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis des Sportunterrichts“ (GRÖSSING 1997, 24).

Meines Erachtens entspricht dieses Konzept jedoch nicht den aktuellen sportpädagogischen Erkenntnissen, weil es keinen Anspruch auf erzieherische Wirkung durch Sportunterricht erhebt. Es sollen hier lediglich auf effizienteste Art und Weise sportliche Techniken gelehrt werden, und dabei wird das ausgeklammert, was beim Sporttreiben sonst noch erfahren und/oder gelernt werden kann. Auch die Vermittlung seitens der Lehrkraft ist traditionell geprägt und längst überholt: Wer als Pädagoge noch immer deduktiven Unterricht mit fertigkeitsbezogener Methodenwahl hält um lediglich möglichst fachkompetent sportliches Können zu schulen, kann dem Bildungsauftrag heute nicht mehr genügen.

2.1.2 Die Körpererfahrung

Bei dem Konzept der Körpererfahrung liegt der Fokus anders als beim gerade skizzierten Sportartenprogramm auf dem Körper als solchen. Dabei lautet die Zielsetzung, dass die Schüler eine gewisse Sensibilität dem eigenen Körper gegenüber aufbauen. Sie sollen Erfahrungen im Umgang mit Bewegungsaufgaben sammeln und erkennen, wie ihr Körper reagiert, sich bewegt und funktioniert. Darüber hinaus spielen Aspekte der Körpererziehung mit sportlichen, hygienischen und sozialen Lernzielen eine Rolle.[13] Bei diesem Konzept finden nicht nur traditionelle Sportarten, sondern auch spezielle Berührungs- und Wahrnehmungsspiele, Entspannungsübungen, Atemübungen, Saunabaden, Sinnesübungen und Bewegungsspiele in der Natur Verwendung.[14] Dabei treten „konventionelle Lehrverfahren […] hinter erfahrungsoffenen Unterrichtssituationen zurück“, bei denen die Lehrkraft die Rolle des Anleiters ablegt, passiver agiert und die Unterrichtsgestaltung und -führung in die Verantwortung der Schüler legt (BALZ 1992, 17).

Dieses Konzept halte ich für sehr sinnvoll, und daher spielt es in der späteren fachdidaktischen Begründung meiner Unterrichtskonzeption sowie in der Planung und Durchführung der Unterrichtseinheit eine wesentliche Rolle. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass, sobald es z.B. um Beurteilungen und Leistungsbewertungen der Schüler geht, dieses Konzept auch an seine Grenzen stößt.[15] Daher sollte es vornehmlich als ein bereichernder Teilaspekt des Unterrichts verstanden werden, der ein abwechslungsreiches Element bietet. Der Unterricht sollte jedoch meiner Meinung nach nicht ausschließlich darauf basieren.

2.1.3 Die Endpädagogisierung

Ähnlich dem methodischen Vorgehen des Konzepts der Körpererfahrung sind bei der Methode der Endpädagogisierung die Bewegung und der eigene Körper entscheidender Gegenstand des Unterrichts. Es wird allerdings kein erzieherischer Anspruch erhoben. Der Sport hat in diesem Konzept auch ohne „Überforderung […] durch pädagogische Zielorientierungen“ positive Auswirkungen auf die Schüler, die sich gewissermaßen aus der Sache selbst ergeben (ebd.). Zwanglosigkeit und selbstbestimmtes Leisten-Können sind die wesentlichen Merkmale dieses Ansatzes.[16]

Es ist nachvollziehbar, dass unter bestimmten Voraussetzungen durchaus die Gefahr einer pädagogischen Überfrachtung des Sportunterrichts durch die Lehrkraft besteht. Aber es ist auch bestenfalls naiv davon auszugehen, dass sich pädagogische Zielsetzungen wie z.B. Identitätsbildung und Sinnfindung durch den Sport von ganz allein einstellen, da er „unmittelbar sinnvoll“ (ebd., 15) ist: Gänzlich ohne leitende Vorgaben Sport zu treiben und ─überspitzt formuliert─ lediglich darauf zu warten, dass sich Auswirkungen von selbst ergeben, halte ich für äußerst fragwürdig.

Ein guter Unterricht sollte m.E. auch den Rahmen für zweckfreies Sporttreiben bieten, denn häufig erleben die Schüler in solchen Momenten den Spaß an der Bewegung, und der Sport gerät nicht in die Gefahr institutionell vereinnahmt bzw. pädagogisch überladen zu werden (vgl. ebd.). Dennoch schließt das eine das andere nicht aus: Auch Sport, der einen speziellen didaktischen Hintergrund hat und eine Zielsetzung verfolgt, kann ─ und v.a. sollte ─ auch Spaß machen.

2.1.4 Die Handlungsfähigkeit

Das Konzept der Handlungsfähigkeit[17] dagegen unterscheidet sich in einem ganz entscheidenden Aspekt von dem Konzept der Endpädagogisierung: Hier steht sehr wohl die pädagogische Wirksamkeit des Sports für die Schüler im Vordergrund. Durch dieses Konzept soll der in Kapitel I.2 dargestellte doppelte Bildungsauftrag erfüllt werden. Demnach soll nicht nur eine Sportart gelehrt und das damit zusammenhängende Wissen vermittelt werden, sondern auch erzieherischer Einfluss geltend gemacht werden.

Detaillierter dargestellt lautet die Zielsetzung dieses Konzepts „die umfassende Handlungskompetenz innerhalb eines breit angelegten Handlungsfeldes Sport“ zu verbessern (GRÖSSING 1997, 23). Im Sinne dieser Leitidee gelten Schüler als handlungsfähig, wenn sie „in der Lage sind, aus der Vielfalt sportlicher Sinnbezüge einige ihnen angemessene Formen zu finden und diese im eigentlichen Sporttreiben befriedigend, vielleicht sogar lebensbereichernd zu verwirklichen“ (BALZ 1992, 14). Den Schülern soll eine möglichst große Palette an Möglichkeiten offeriert werden, aus der dann die entsprechende individuelle Motivation zum Sporttreiben erwachsen soll. Die Schüler sollen hinterfragen, was der Sport, den sie gerade treiben, für ihr persönliches Leben bedeutet. So ist es möglich, sportliche Aktivitäten auf sinnvolle Weise in den Alltag der Schüler zu integrieren.

Jedoch ist laut KURZ „die Voraussetzung dafür, dass Schüler aus einer Aufgabe aus dem Sport etwas für ihr Leben Bedeutsames lernen,[…][die], dass sie sich erstmal auf die Aufgabe einlassen, ohne sofort an einen späteren Nutzen zu denken“ (KURZ 2000, 76). Daher formuliert er sechs Sinnbezüge, um zu gewährleisten, dass jeder angesprochen und motiviert wird. Diese Sinnbezüge beinhalten sinngemäß folgende Aussagen:

1. Sport ermöglicht es, die Wahrnehmungsfähigkeit zu verbessern und Bewegungserfahrungen zu erweitern.
2. Sport kann die Fitness verbessern und ein Gesundheitsbewusstsein entwickeln.
3. Sport führt zu einem gemeinsamen Handeln, Spielen und Kommunizieren.
4. Durch Sport kann das Leisten erfahren und reflektiert werden.
5. Sport ermöglicht es, sich körperlich auszudrücken und Bewegungen zu gestalten.
6. Im Sport kann vieles gewagt und verantwortet werden(vgl. ebd., 74).

Ich stimme damit überein, dass auf diese Weise den Schülern zu einem durchdachten und selbst verantworteten Verhältnis zum Sport verholfen werden kann. Es ist m.E. durchaus erstrebenswert die Schüler an der Planung, Durchführung und Auswertung des Unterrichts zu beteiligen“ (KURZ 1992, 199).

Sicherlich stoßen bei der Umsetzung einige Lehrer an ihre Grenzen. Jedoch sollten Pädagogen auch diesen didaktischen Entwurf in ihr persönliches Repertoire aufnehmen, denn ich bin überzeugt, dass es die Kombination der verschiedenen Konzepte ist, die einen vielfältigen und qualitativ guten Unterricht ermöglicht. Sie sollten einander nicht ausschließen, sondern ergänzend wirken und Alternativen bieten.

Im Folgenden wird daher das integrativ-unterrichtstheoretische Konzept vorgestellt, das ich für eine geeignete Alternative zu den gängigen Konzepten halte. GRÖSSING erkennt die Vereinbarkeit der verschiedenen Ansätze und stellt darauf basierend ein Konzept vor, das mehrere Aspekte einzelner Positionen zusammen führt.

2.1.5 Das integrativ-unterrichtstheoretische Konzept

Hierbei handelt es sich um

ein integratives Konzept, daß Sportarten, offene Bewegungshandlungen und die Übungen der Körpererfahrungen in den pädagogischen Auftrag des Schulsports einbindet und im Sportunterricht das zentrale Geschehen der Verwirklichung der erzieherischen Absichten erblickt (ebd.).

Anders als bei BALZ wird von lediglich zwei grundsätzlichen Aufgaben des Schulsports ausgegangen: der Erziehung zum Sport und der Erziehung durch Sport.

Die Erziehung zum Sport hat die Zielvorgabe, sportliches Handlungsvermögen zu vermitteln und verbessern. Ähnlich wie in BALZ’ Ausführungen steht dabei die Leistungssteigerung im Vordergrund. Jedoch spielt für GRÖSSING die Erweiterung der sportlichen Handlungsfähigkeit eine ausschlaggebende Rolle. Bei der Erziehung durch Sport unterstreicht GRÖSSING in erster Linie die Persönlichkeitsbildung mit Hilfe des Sports.

Diese beiden Zielvorgaben, die, so hebt er ausdrücklich hervor, in jeder Aktion des Schulsports stets präsent sind und gleichzeitig wirken, sollen Berücksichtigung finden „in der Behandlung aller Unterrichtselemente, der Ziele, Inhalte, Verfahren und Organisationsformen und aller Rahmenbedingungen des Sportunterrichts“ (ebd., 28).

Das Konzept gliedert sich in drei Theorieebenen: Die „Bedingungsebene“, die „Entscheidungsebene“ und die „Auswertungsebene“. GRÖSSING zeigt, in welcher Art die Voraussetzungen des Unterrichts (Rahmenbedingungen wie Schule, Politik, Schüler und Lehrkräfte), die Durchführung (Entscheidungen über Lernziele, methodische Vorgänge, Unterrichtsmittel und Inhalte) und schließlich die Auswertung (die Analyse und Beschreibung des gehaltenen Unterrichts) mit einbezogen werden müssen um eine fundierte Basis für das Konzept zu gewährleisten.

Im Zuge des Legitimationsversuches wurde der Sportunterricht bislang vom curricularen Bildungsanspruch[18] aus beleuchtet und anschließend in einen fachdidaktischen Rahmen eingebettet. Im Folgenden soll nun eine klare Zielsetzung formuliert werden, die der moderne Sportunterricht für sich beanspruchen kann.

2.2 Aufgaben und Ziele des Schulsports

Die fachspezifischen Lernziele des Schulsports fußen auf dem in Kapitel I.1 beschriebenen allgemeinen Bildungsauftrag der Schule, der sich in fachliche und erzieherische Aufgaben gliedert. Unter letztgenanntem Punkt fallen persönlichkeitsentwickelnde Förderungen, die den Heranwachsenden hilfreich sein sollen sich möglichst problemlos in ein von der Gesellschaft geprägtes Werte- und Normensystem einzugliedern.

An dieser Stelle setzt GRÖSSING an und weist explizit darauf hin, dass die

Lernziele eines Unterrichtsfaches […] mit den gesellschaftlichen Zuständen und sozialen Normen verwoben, in der Bildungs- und Schultradition verankert, den weltanschaulichen und politischen Grundfragen einer Epoche verpflichtet und von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Entwicklungen beeinflusst [sind] (GRÖSSING 1997, 96).

Mit anderen Worten beanspruchen die Lernziele des Schulsports, die im Folgenden dargestellt werden, keinen Anspruch auf uneingeschränkte Gültigkeit. Es bedarf einer ständigen Aktualisierung, bei der aktuelle Strömungen und Tendenzen in den angesprochenen Bereichen berücksichtigt werden müssen.

Die Grundsätze des Schulsports enthalten zwei zentrale Bezugspunkte, die seine Aufgaben grob umreißen: Man spricht von der Bewegungsentwicklung und der Bewegungskultur.

Unter der Bewegungsentwicklung ist die Förderung der „körperlichen, kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung“ (NK 2005, 5)[19] der Schüler zu verstehen. Zudem wird „das Erleben und Erfahren der eigenen Körperlichkeit“, sowie ein „möglichst umfassendes Verständnis von Gesundheit und Wohlbefinden“ thematisiert (ebd.). Dabei ist zu beachten, dass affektive, motorische, kognitive und soziale Ebenen untereinander vernetzt sind. Sie lassen sich nicht trennen, d.h. separat lehren: Der Erwerb einer neuen Sportart beinhaltet immer das Erlernen neuer motorischer Grundqualifikationen. Jedoch ist die motorische nicht von der kognitiven Ebene zu trennen, da eine genaue Bewegungsvorstellung an deren korrekte Ausführung gekoppelt ist, und umgekehrt. Und auch die affektiven und sozialen Bereiche werden berücksichtigt, da die motorische Leistung mitunter auch vom sozialem Miteinander, dem Interesse und der Motivation abhängt.

Unter dem Begriff der Bewegungskultur wird der Anspruch zusammengefasst, den Schülern einen persönlichen Zugang zum Sport zu gewährleisten. Dabei sollen ihnen Sinnperspektiven aufgezeigt werden, so dass sie aus dem weiten Angebot der Sportmöglichkeiten „unter den Aspekten Gemeinschaftserleben, Risiko, Abenteuer, Gestaltung […], Leistungssteigerung und Leistungsvergleich“ ihre individuelle Motivation für das Sporttreiben erfahren (ebd.). Auf diese Weise sollen sie nicht nur eine Urteils- und Entscheidungsfähigkeit entwickeln, sondern auch den Sport als Teil der Gesundheits-, Sozial-, Umwelt- und Freizeiterziehung schätzen lernen (vgl. ebd.).

Ein vielseitiges Bewegungsangebot, das die Forderung nach Mehrperspektivität erfüllt, bietet den Schülern die Chance eine für sie spezielle, individuell optimale Sportart zu entdecken, die ihnen nicht nur Spaß macht, sondern ihnen auch darüber hinaus etwas bietet: Sie soll bereichern, Sinn geben und alle Aspekte, die unter dem weiten Begriff der Persönlichkeitsbildung fallen, positiv beeinflussen, so dass es im Optimalfall zum „lebenslangen Sporttreiben“ der Schüler kommt (BALZ 2000, 39).

Weitere Zielsetzungen werden vom NK in verschiedene Kategorien zusammengefasst. Folglich gilt es drei Kompetenzbereiche bezüglich des Sportunterrichts zu fördern, um dem Bildungsauftrag gerecht zu werden: Die Sachkompetenz, die Selbstkompetenz und die Sozialkompetenz.[20]

Die Sachkompetenz beinhaltet „das spiel-, bewegungs-, körper- und sportbezogene Können und Wissen“ (NK 2005, 7) und schließt z.B. Kenntnisse ökologischer Aspekte von Bewegungsaktivitäten, Lern- und Trainingsprozessen, verschiedene Ausdrucksformen von Bewegungen sowie Bewertungskriterien und verschiedene Sinnorientierungen mit ein.

Die Selbstkompetenz umfasst in erster Linie die Identitätsentwicklung. Dazu gehört die Fähigkeit verantwortungsbewusst zu handeln,[21] Entscheidungen zu treffen und zu begründen, die eigene Leistungsfähigkeit angemessen zu beurteilen und mit Ängsten im Sportunterricht umgehen zu können. Zudem gehört es im Sinne der Körpererfahrung dazu eine gewisse Sensibilität dem eigenen Körper gegenüber zu entwickeln und damit einhergehend zu der Erkenntnis zu gelangen, welche positiven als auch negativen Wirkungen der Sport auf den Körper haben kann.[22]

Die Sozialkompetenz schließlich soll die Schüler dazu befähigen sozial verantwortungsbewusst zu handeln und die Gemeinschaft, deren Mitglied sie im Rahmen des Unterrichts sind, durch ihre aktive Mitwirkung im gemeinsamen Sporttreiben zu stärken und zu formen. Dabei ist es unumgänglich sich sowohl mit kulturellen, als auch geschlechtlichen und soziologischen Divergenzen innerhalb einer Gruppe auseinanderzusetzen und diese zu respektieren (vgl. NK 2005, 8).

Ich verzichte an dieser Stelle bewusst auf eine Abhandlung über Sinn und Unsinn von Lernzielkontrollen. Es dürfte an Hand der Einteilung der einzelnen Lernziele deutlich geworden sein, dass bezüglich der Zielsetzung erhebliche Unterschiede in einzelnen Kompetenzbereichen bestehen. Daher muss von einer Generalisierung bei der Überprüfung des Lernerfolgs abgesehen werden, zumal Langzeitwirkungen und Transferleistung pädagogisch ausgerichteter Lernziele schwer zu überprüfen sind.[23]

BALZ und NEUMANN betonen die Bedeutung von Bewegungskulturen im fächerübergreifenden und außerschulischen Bereich.[24] Hier möchte ich ansetzen und eine Alternative präsentieren, die keineswegs den Anspruch erhebt neu zu sein, m.E. jedoch nach wie vor und insbesondere in der aktuellen Lage der Bildungspolitik einen interessanten Kontrast zu anderen sportpädagogischen Lehrmodellen darstellt: die Erlebnispädagogik.

3. Erlebnispädagogik

Ich habe bereits in Kapitel II.1 das mittelmäßige Abschneiden deutscher Schüler bei der PISA-Studie erwähnt. Dort ist von fächerübergreifenden Fähigkeiten und Schlüsselqualifikationen die Rede.[25] Diese

sind nicht auf direktem Wege zu lernen, sondern müssen in Verbindung mit ‚intelligentem Wissen’ aufgebaut werden, welches das Resultat von ‚Lernkompetenz’ ist. Hier liegen die Stärken der Erlebnispädagogik, deren Elemente die genannten Fähigkeiten fordert und schult (BRÜCKEL/SCHIRMER 2003, 119).

In diesem Kapitel soll beleuchtet werden, inwiefern dies der Fall ist und von welchen Elementen der Erlebnispädagogik (im Folgenden EP abgekürzt) hier genau die Rede ist. Ich möchte verdeutlichen, dass die EP den in Kapitel II.1 bzw. II.2 präsentierten Bildungsauftrag umsetzen kann, erzieherisch tätig sein kann[26] und somit dem Anspruch auf zeitgemäße schulische Bildung gerecht wird.

Dabei werde ich zunächst auf die Begrifflichkeit eingehen (II.3.1) und die Zielsetzung der EP erläutern (II.3.2). Dann werde ich die geschichtliche Entwicklung skizzieren und einige Variationen und Ausprägungen der EP nennen (II.3.2), bevor ich die Besonderheiten sowie die Probleme des Sporttreibens in der Natur beleuchte (II.3.3). Ich möchte zudem nicht unerwähnt lassen, dass es einiger Voraussetzungen bedarf, damit die EP wirksam sein kann (II.3.4). Ich schließe dieses Kapitel mit einer Behandlung der gängigsten Kritikpunkte (II.3.5).

3.1 Definition

EP ist eine „handlungsorientierte Methode, in der durch Gemeinschaft und Erlebnisse in naturnahen oder pädagogisch unerschlossenen Räumen neue Raum- und Zeitperspektiven erschlossen werden, die einem pädagogischen Zweck dienen“ (HECKMAIR/MICHL 1998, 75).

Diese prägnante Definition soll nicht darüber hinweg täuschen, dass es gerade bei der Verwendung der entsprechenden Begrifflichkeiten in diesem Bereich nicht einfach ist einen Konsens zu finden.[27] Es sei an dieser Stelle nur kurz erwähnt, dass es eine Fülle von Definitionen gibt, die nur den Sport im Rahmen der EP zu kategorisieren versuchen. NEUMANN nennt ihn „Wagnissport“ (vgl. NEUMANN 2003, 25ff.), BECKER bevorzugt „Abenteuersport“ (vgl. BECKER 2002, 10ff.), und darüber hinaus werden weitere alternative Begrifflichkeiten wie „Risiko-“, „Extrem-“, „Trend-“ oder „Outdoorsport“ gebraucht (vgl. NEUMANN 2003, 25ff.).

Ich möchte auf Grund der uneinheitlichen Verwendung der Begriffe den Leser nicht unnötig verwirren. Daher verwende ich in Anlehnung an SCHLESKE (1991) in dieser Arbeit den Begriff „Erlebnissport“. Es handelt sich dabei um einen Sammelbegriff, der historisch in dem Konzept der Erlebnistherapie von HAHN (1886-1974)[28] verwurzelt ist.

Es bleibt fest zu halten, dass die EP ─ wie auch immer der Sport, der die Methode füllt, tituliert wird ─ eine Möglichkeit bietet dem Bildungsauftrag der Schule zu genügen. ZIEGENSPECK fasst treffend zusammen:

Die Erlebnispädagogik versteht sich als Alternative und Ergänzung tradierter und etablierter Erziehungs- und Bildungseinrichtungen. Sie ist in der Reformpädagogik verwurzelt […] und gewinnt in dem Maße neuerlich an Bedeutung, je mehr sich Schul- und Sozialpädagogik kreativen Problemlösungsansätzen verschließen. Als Alternative sucht die Erlebnispädagogik neue Wege außerhalb bestehender Institutionen, als Ergänzung wird das Bemühen erkennbar, neue Ansätze innerhalb alter Strukturzusammenhänge zu finden (ZIEGENSPECK 1994, 149).

3.2 Zielsetzung der Erlebnispädagogik

Die Zielsetzung der EP erschließt sich durch eine kritische Betrachtung der gegenwärtigen Gesellschaft. Hier setzen viele Erlebnispädagogen an und zeigen problembehaftete Entwicklungen der alltäglichen Lebenswelt auf.[29] So auch WITTE, der explizit einige Missstände nennt:

- Es herrscht ein Mangel an natürlichen Erfahrungsräumen durch die Verstädterung bzw. die bauliche Struktur der Städte, was zu einer Einschränkung der explorativen Tätigkeiten führt und bei Kindern und Jugendlichen Entwicklungsdefizite hervorrufen kann. PRÄTORIUS und MILANI betonen in diesem Zusammenhang die Verschlechterung der psychomotorischen Entwicklung der Großstadtkinder.[30]
- Ein Überangebot von Waren, Geräten und modernen Technologien führt zur „Entkörperlichung“ und einem von passiver Rezeptivität geprägten Konsumverhalten (WITTE 2002, 37).
- Es herrscht eine starke Medienpräsenz, die ein verzerrtes Bild der Realität entstehen lässt und zu Reizüberflutung führt. Grundlegende Bedürfnisse des Menschen wie das Ausleben der Abenteuerlust und des Bewegungsdrangs finden durch diese „2nd-hand-Erlebnisse“ keine Befriedigung (WITTE 2002, 36ff.). Zudem wird das Wahrnehmen vermehrt auf das Sehen reduziert und andere Sinnesorgane werden nicht gefordert.

HECKMAIR und MICHL fügen ergänzend hinzu, dass durch die Sicherheit der modernen Gesellschaft individuelle Risiken fast nicht vorhanden sind und es dadurch zu einer „Erlebnisarmut [in] einer reglementierten und durchorganisierten Welt“ kommt (HECKMAIR/MICHL1994, 59).[31] NEUMANN spricht gar von einer Spannungsarmut, die zu dyssozialen Verhaltensweisen führen kann (vgl. NEUMANN 1998, 5).

SCHULZE stellt bei einem soziologisch fundierten Blickwinkel eine Individualisierungstendenz fest, die in „Entwurzelung, Sinnverlust, Kontaktunfähigkeit [und] Einsamkeit“ resultiert (SCHULZE 1997, 18).

An Hand dieser gesellschaftlichen Analysen wird deutlich, dass der „urbane Lebensstil“ psychische und physische Schäden nach sich zieht (LORCH 1995, 12). „So entsteht bei vielen Menschen das Bedürfnis nach Abwechselung, nach neuen körperlichen und geistigen Herausforderungen in einer […] intakten Natur und Umwelt“ (SEEWALD/KRONBICHLER/GRÖSSING 1998, 169). An diesem Punkt setzt die EP an, die die pädagogisch wertvollen Erfahrungen[32] bietet, an denen es offensichtlich fehlt.

Die Zielsetzung der EP ist eng mit derartigen Erfahrungen verknüpft. Erlebnisreiches Sporttreiben in einem natürlichen Umfeld ist meistens mit einer speziellen Wagnissituation[33] verbunden und kann – vorausgesetzt die Situation wird unbeschadet überstanden – zu einer Angstbewältigung,[34] einer aktiven Selbst-ermutigung und auch zur Persönlichkeitsfindung beitragen (vgl. NEUMANN 1998, 8).

Sporttreibende werden in einer erlebnispädagogischen Situation durch eine Aufgabe herausgefordert, müssen sich dementsprechend bewähren und lernen dabei sich selbst und die eigene Leistungsfähigkeit besser einzuschätzen. Oftmals geht der Sportler völlig in der Aktivität auf und es kommt zum sog. „Flow-Erlebnis“. Dies ist durch einen Gefühlszustand gekennzeichnet, der den Sportler den Prozess als einheitliches Fließen von einem Augenblick zum nächsten erleben lässt. Er betrachtet in einem solchen Zustand nicht mehr die ursprünglich gesetzte Absicht (z.B. das Erreichen des Gipfels bei einer Bergbesteigung), sondern die Handlung an sich (z.B. das Klettern) als Ziel.[35]

Durch die Auseinandersetzung mit den erhöhten Anforderungen einer Wagnissituation kann es zu einer „Verbesserung der Wahrnehmungsfähigkeit und der Erweiterung der Bewegungserfahrungen“ kommen, so dass „die Identifikation mit dem eigenen Körper gefördert und Bewegungen zunehmend bewusster und sicherer gestaltet“ werden können (HEBBEL-SEEGER/LIEDTKE 2003, 113). Einen ähnlichen Effekt spricht NEUMANN dem Sich-Bewähren in einer vorher als unsicher eingestuften Situation zu: Er betont die selbststärkende Wirkung, die ihren Beitrag zur Identitätsfindung beisteuern kann, da während der Aktion die Aufmerksamkeit in hohem Maße auf den Sportler selbst gelenkt wird (vgl. NEUMANN 1998, 9).

Darüber hinaus können Situationen, die ein gewisses Gefahrenpotential beinhalten, zu einem Aufbau von Kontrollkompetenzen führen: Die äußeren Umstände und das eigene Handlungsvermögen müssen realistisch eingeschätzt und in Verbindung gebracht werden. In dieser Weise kann es zum Gewinn von Selbstvertrauen und Selbststeuerung kommen (vgl. KOCH 1994, 29).

Zudem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass viele sportliche Betätigungen im erlebnispädagogischen Rahmen in Gruppen stattfinden. Dadurch wird unter dem besonderen Aspekt der Sicherheit das Verantwortungsbewusstsein geschult: Das Bewusstsein einer Verantwortung für sich selbst sowie für die einzelnen Mitglieder der Gruppe. (vgl. BALZ/NEUMANN 1994, 50). In diesem Sinne wird das Sozialverhalten[36] während erlebnispädagogischen Maßnahmen gestärkt, wobei insbesondere den Lernzielen Solidarität und kooperatives Handeln eine große Aufmerksamkeit zukommt.

[Es] bilden sich wie im gruppentherapeutischen Prozess Rollen und Beziehungsgeflechte, verläuft die Gruppenentwicklung in bekannten und vielbesprochenen Phasen, sind Konflikte und Krisen zu meistern, geht es um Identität und Gruppengefühl, um Selbstbestimmung und Einfühlungsvermögen, um Rücksichtsnahme und Hilfsbereitschaft (HECKMAIR/MICHL 1994, 72).

Eine weitere Zielsetzung ist die Schulung eines ökologischen Bewusstseins durch das Sporttreiben in der Natur. Es kann eine Sensibilisierung gegenüber dem natürlichen Lebensraum erreicht werden, was der o.g. Entfremdung des Menschen vom natürlichen Lebensraum entgegengenwirkt.[37]

Durch die grobe Skizzierung der erlebnispädagogischen Ziele wird deutlich, dass durch ein Arrangement erlebnisreicher Sportarten im Freien die Möglichkeit besteht den postulierten negativen Auswirkungen der modernen Zivilisation entgegenzuwirken. Darüber hinaus zeigt sich, „dass sich die Möglichkeiten der Erlebnispädagogik in vielen Punkten mit den Forderungen nach zeitgemäßer schulischer Bildung und Ausbildung decken“ (BRÜCKEL/SCHIRMER 2003, 122).

Dass auch bei diesem Modell mit Schwierigkeiten gerechnet werden muss, und wie die EP trotz derer ihre Umsetzung erfahren kann, werde ich weiter unten (Kapitel II.3.5) noch beleuchten. Zunächst möchte ich jedoch vertiefend weitere relevante Aspekte der EP beleuchten.

3.3 Inhaltliche Merkmale und geschichtliche Entwicklung

Der folgende Abschnitt ist in zwei Teile geteilt: Zunächst gehe ich zum Zwecke einer inhaltlichen Abgrenzung von anderen pädagogischen Konzeptionen auf die wesentlichen Merkmale der EP ein (3.3.1) und beleuchte in diesem Zusammenhang die ambivalente Beziehung zur Natur (3.3.1.1 und 3.1.1.3), bevor ich mich in einem zweiten Teil mit der geschichtlichen Entwicklung befasse (3.3.2).

3.3.1 Inhaltliche Abgrenzung

Um das weite Feld, das grob mit dem Begriff der EP umschrieben wird, über die Zielsetzung hinaus genauer zu hinterleuchten, seien vorab verschiedene Ausprägungen der Methode genannt. Anschließend werden wesentliche Charakteristika angeführt, die die spezielle Arbeitsweise veranschaulichen sollen. Es folgt eine kurze Auflistung der Grundbedingungen einer erlebnispädagogischen Situation um die inhaltliche Abgrenzung abzuschließen.

In Punkt 3.2 ist von den negativen Auswirkungen der Gesellschaftsentwicklung und dem gegenüber von der präventiven Wirkung der EP die Rede. Jedoch bietet sie darüber hinaus ein großes Potential an sozialerzieherischen und persönlichkeitsprägenden Möglichkeiten. So wird sie auch etwa in Betrieben eingesetzt, um u.a. die Gemeinschaft der Mitarbeiter zu fördern, das Betriebsklima zu verbessern und die Motivation der Angestellten zu steigern. Deshalb werden für die Belegschaft Segeltörns, Bergwanderungen und Expeditionen, z.B. mit Camping in der Natur organisiert. Für den Einzelnen sollen entwickelte Bewältigungskompetenzen und Problemlösestrategien zu einer effektiveren Arbeitsleistung führen (vgl. WITTE 2002, 42ff.). Zudem sollen „Handlungs- und Führungskompetenzen für die Prozesse der innerbetrieblichen Entscheidungsfindung […] durch Maßnahmen des Erfahrungslernens verstärkt werden“ (FISCHER 1999, 151).

Damit einhergehend steigt die Zahl der kommerziellen Anbieter erlebnisorientierter Ausflüge, die mit spannenden Trendsportarten wie z.B. Rafting, Gleitschirmfliegen, Biken, Eissurfen u.v.m um Touristen werben.[38]

Die EP beansprucht darüber hinaus einen therapeutischen Nutzwert für sich. Basierend auf der Grundidee der Erlebnistherapie von HAHN werden Klettern, Nachtwanderungen, Seilarbeiten oder Skifahren u.ä. für Personen mit psychischen, physischen bzw. sozio-kulturellen Problemen angeboten. Das Einsatzfeld ist weit gefächert: Es gibt „sozialtherapeutische Reiseprojekte für ‚schwierige Kinder und Jugendliche’“, „segeltherapeutische Initiativen“ mit „Therapieangebote für junge Menschen in psycho-sozialen Notlagen“, Projekte für „sozial-benachteiligte Jugendliche […], Schulverweigerer oder hyperaktive Kinder“ bis hin zur Behindertenpädagogik, um nur einige Beispiele zu nennen (FISCHER 1999, 147 ff.) Zudem wird die EP als therapeutische Maßnahme angewandt, um zur „Rehabilitation und Resozialisation dissozialer, delinquenter oder devianter (verhaltensauffälliger)“ Jugendlicher beizutragen (ebd., 158). Die EP als Therapieform versteht sich jedoch nicht als Allheilmittel und verfügt genauso wenig wie andere Therapieformen über eine Erfolgsgarantie. Sie birgt jedoch ein großes Potential an sozialerzieherischen Möglichkeiten und kann positive Auswirkungen auf die Charakterbildung haben (vgl. WITTE 2002, 29ff.).

Welche Prinzipien der EP zu Grunde liegen, wird im Folgenden beleuchtet. Ich berufe mich an dieser Stelle auf HECKMAIR und MICHL, die grundlegende Merkmale der EP auflisten, von denen ich hier fünf sinngemäß darstelle.[39]

1. „Learning by doing“:

EP wird als handlungsorientierte Methode dargestellt, bei der neben den Ergebnissen der Prozess im besonderen Maße betont wird. Die Diskrepanz zwischen „Reden und Tun“ soll dadurch behoben werden (HECKMAIR/MICHL1994, 211).

2. „Lernen durch Kopf, Herz und Hand“:

Dieses Merkmal basiert auf HAHNs Verständnis vom ganzheitlichem Lernen: Der Mensch soll als ganze Person und auf sowohl seelischer, als auch geistiger und körperlicher Ebene angesprochen werden.[40] Der Grundgedanke dabei ist, dass „[p]sychische und physische Aspekte der Persönlichkeit […] so miteinander verschränkt [sind], daß jede Einwirkung auf einen Bereich der Persönlichkeit gleichzeitig auch Auswirkungen auf einen anderen hat“ (ZIMMER 1995, 24).

3. „Lernen durch die Sinne“:

Erlebnispädagogische Situationen sprechen alle Sinne des Menschen an und gewährleisten ein „unmittelbares Lernen, das die Erfahrungen aus zweiter und dritter Hand [und] den Verlust der natürlichen Umwelt kompensieren will“ (ebd.).[41]

4. „Lernen am Beispiel“:

Den Menschen soll der Zusammenhang zwischen ihrer Tat und der entsprechenden Wirkung bewusst werden. Sie erfahren beim Sport eine direkte Rückmeldung auf ihr Handeln.

5. „Lernen durch Erleben“:

Durch die Besonderheit der Erlebnisse erhebt die EP den Anspruch, dass sich „das Gelernte tiefer und dauerhafter ‚in die Persönlichkeit eingräbt’“ und sie entscheidend prägt (HECKMAIR/MICHL 1994, 212).

[...]


[1] Das am 25. Juni 2003 vom Landtag verabschiedete „Gesetz zur Verbesserung von Bildungsqualität und zur Sicherung von Schulstandorten“ beinhaltet u.a. eine Abschaffung der Orientierungsstufe sowie die Schulzeitverkürzung durch das Abitur nach 12 Jahren. Informationen dazu auf: http://www.mk.niedersachsen.de/master/C1827714_N1804786_L20_D0_I579.html

[2] Wenn im Folgenden aus Gründen der besseren Lesbarkeit einheitlich die männliche Anrede gewählt wird, sind selbstverständlich beide Geschlechter gemeint. Gleiches gilt für ähnliche Wendungen wie Lehrerinnen und Lehrer etc.

[3] Laut STRUCK zählen zu den in der Arbeitswelt geforderten Schlüsselqualifikationen Erkundungs- und Handlungskompetenz, Teamfähigkeit, Kreativität, Konfliktfähigkeit, vernetztes Denken und soziales Lernen (vgl. STRUCK 1996, 19).

[4] PISA („Programme for International Student Assessment“) untersucht die Kompetenzen der OECD-Staaten („Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“) in den Bereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften. Die Erhebungen werden im Zuge eines Testprogramms innerhalb eines Abstandes von 3 Jahren durchgeführt. Vgl. dazu http://www.pisa.ipn.uni-kiel.de.

[5] Zusätzlich wurden fächerübergreifende Kompetenzen erhoben: 2003 war eine dieser Kompetenzen die Fähigkeit Probleme zu lösen. Weitere Erhebungen betrafen Lernstrategien, Lernmotivation und die Vertrautheit der Schüler mit verschiedenen Informationstechnologien.

[6] Das Dokument liegt in digitaler Version als PDF-Datei vor. Seitenangaben nach Zitaten beziehen sich auf die elektronische Version.

[7] Es sei auf die für diese Arbeit besonders relevanten Qualitätsmerkmale (QM) betreffend der Persönlichkeitsbildung (QM 1.1) und Schlüsselqualifikationen (QM 1.3), sowie auf die Ausführungen bezüglich der Lernangebote zur Stärkung der Persönlichkeit (QM 2.2) und der Unterrichtsgestaltung (QM 2.3) hingewiesen. Siehe dazu NK 2003, 10ff.

[8] Die alte Verfassung datiert vom 3. März 1998 (Nds. GVBI. S. 137) und wurde durch Artikel 11 des Haushaltbegleitgesetzes vom 17.12.2004 (Nds. GVBI. Nr. 44, S. 664) in einigen Punkten aktualisiert, auf die ich jedoch nicht weiter eingehen möchte, da dies den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde.

[9] Das Dokument liegt in digitaler Version als PDF-Datei vor. Seitenangaben nach Zitaten beziehen sich auf die elektronische Version.

[10] Vgl. dazu ausführlich: ungerer-röhrich u.a. 1990, 19ff.

[11] Zur besonderen Position der Lehrerrolle vgl. Kapitel III.2.3.1 dieser Arbeit.

[12] Vgl. dazu Kapitel I.2.1 dieser Arbeit. Das didaktische Konzept der Handlungsfähigkeit beinhaltet Näheres zum Gesichtspunkt der Mehrperspektivität.

[13] Gesundheitserziehung kann in dieses Konzept integriert werden. Ich gehe an dieser Stelle nicht näher gesondert darauf ein. Bei besonderem Interesse zu diesem Thema ist RAUSCHER (1999) als weiterführende Literatur zu empfehlen.

[14] Auch die Umwelterziehung kann als eigenständiges fachdidaktisches Konzept betrachtet werden. Da ich mich jedoch unter Kapitel I.3.3.1.2 .näher damit beschäftige, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen.

[15] Vgl. dazu Kapitel III.2.2 dieser Arbeit.

[16] Vgl. dazu auch VOLKAMER 1987, 20ff.

[17] Ausführlich dazu EHNI 1979, 42f..

[18] Unter den Begriff des Sportcurriculums fallen die im Lehrplan festgehaltenen Ziele, Methoden und Kontrollverfahren für den Sport (vgl. GRUPPE/KURZ 1992, 106).

[19] Das Dokument liegt in digitaler Version als PDF-Datei vor. Seitenangaben nach Zitaten beziehen sich auf die elektronische Version.

[20] Eine detaillierte Auflistung aller Lernziele findet sich ausformuliert unter: http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C340871_L20.pdf.

[21] ALTENBERGER differenziert zwischen Verantwortung des Individuums für den eigenen Körper und das Sporttreiben, für den Mitsporttreibenen und für natürliche und materielle Umwelt beim Sport. Vgl. dazu ALTENBERGER 1997, 52ff.

[22] Näheres zur Ambivalenz des Sports in Kapitel I.3.5 dieser Arbeit.

[23] Vgl. dazu GRÖSSING 2000, 98ff.

[24] Vgl. dazu BALZ/NEUMANN 1997, 179ff.

[25] Vgl. dazu PISA-KONSORTIUM 2003, 1.

[26] FISCHER zufolge ist „Erziehung im engeren Sinne der Erlebnispädagogik […] zielgerichtete und auf Ganzheitlichkeit angelegte Planung, Vorbereitung, Durchführung und Auswertung erlebnispädagogischer Prozessgestaltung mit dem Ziel, Selbst- und Umweltveränderungen in einem emotionalen, motivationalen, sozial-kognitiven und praktisch-aktionalen Kontext zu bewirken“ (FISCHER 1999, 76).

[27] Zur Debatte über die Terminologie innerhalb der EP („Wagnis-“ bzw. „Abenteuersport“) vgl. BALZ/NEUMANN 1999, 185f. u. ELFLEIN 1999, 152f.

[28] Kurt Hahn war vielfacher Schulgründer, der mit sog. „Outward-Bound-Kursen“ seine pädagogischen Ideen umsetzen und verbreiten wollte. In diesen Kursen konfrontierte Hahn die Jugendlichen mit „erlebnispädagogisch relevanten und natursportlich akzentuierten Erziehungs- und Bildugsprogrammen“ (http://www.uni-lueneburg.de/einricht/erlpaed/institut_intro.htm). Näheres zur Erlebnistherapie Hahns im Kapitel I.3.3.2.3 dieser Arbeit.

[29] Vgl. dazu in dieser Arbeit: Kapitel I.3.3.2.2 und 3.3.2.3.

[30] Die Autoren verweisen auf die Tatsache, „dass durch Bewegungsmangel grundlegende physische Funktionen eingeschränkt werden“, was in Wechselwirkung mit gesundheitlichen Folgen steht (PRÄTORIUS/MILANI 2004, 172). Insbesondere die allgemeine Koordinationsfähigkeit und die statische Gleichgewichtsfähigkeit von Kindern aus Großstädten verschlechtern sich. Allerdings zeigen sie an Hand einer Studie mit 163 Schüler aus Essen, dass große Unterschiede zwischen Kindern mit verschiedenen Sozialisationsbedingungen bestehen. Vgl. dazu ebd.,172ff.

[31] Hier sind unmittelbare, kalkulierbare und fassbare Risiken gemeint. Die Risiken der modernen Gesellschaft sind laut HECKMAIR/MICHL global und versteckt: Umweltverschmutzung, Belastung der Lebensmittel durch Schadstoffe etc.

[32] Erfahrungen beziehen sich laut RIEDER „auf intensiv wahrgenommene und reflexiv verarbeitete Ereignisse und Erlebnisse, die aktiv oder passiv als Eigen- und/oder Fremderfahrung registriert werden. Je nach Vorzeichen können sie künftiges Verhalten eines Individuums handlungsleitend […] stimulieren und steuern“ (RIEDER 1992, 149).

[33] Laut NEUMANN bedeutet „Sich wagen“ im Sport „eine individuell reizvolle Bewegungsaufgabe mit ungewissem Ausgang als Herausforderung [zu] akzeptieren und diese […] mit eigenen motorischen Mitteln, sprich eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten, zu bewältigen“ (NEUMANN 1998, 8).

[34] Vgl. dazu Kapitel III.2 dieser Arbeit.

[35] Vgl. dazu WITTE, 2002 17f, RÖTHIG 1992, 166f. und STOLL/KIEFER 2003, 71ff.

[36] Vgl. dazu Kapitel III.3.2.1.2 dieser Arbeit.

[37] Vgl. dazu Kapitel I.3.3.1.2 dieser Arbeit.

[38] Die Liste an Sportarten, die in der Natur ausgeführt werden und spannungs- und erlebnisreich sind, ist lang. Einen Überblick bietet: SEEWALD u.a. 1998, 170f.

[39] Die Auswahl dieser fünf Kriterien fasst m.E. die inhaltlichen Aspekte der EP treffend zusammen. Zudem bilden sie die Grundlage des in Kapitel III aufgeführten Unterrichtkonzeptes.

[40] Auf die besondere Bedeutung des Begriffs „Ganzheitlichkeit“ in der Sportwissenschaft sei hier hingewiesen, vgl. dazu PROHL 1992, 175f.

[41] Vgl. dazu Kapitel I.3.2 dieser Arbeit.

Ende der Leseprobe aus 121 Seiten

Details

Titel
Kanu-Wildwasserfahren als Kursangebot im Rahmen der gymnasialen Sekundarstufe II
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Sportwissenschaftliches Institut)
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
121
Katalognummer
V46691
ISBN (eBook)
9783638438315
Dateigröße
825 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit stellt ein Konzept vor, dass es erlaubt, auch Anfängern im Rahmen der Sek. II einen sicheren Einstieg in den Wildwassersport zu gewährleisten und damit den vom Kultusministerium geforderten Bildungsauftrag erfüllt. Dabei werden didaktisch-methodische Grundlagen analysiert und das Gebiet der Erlebnispädagogik beleuchtet. Eine konkrete Projektbeschreibung rundet die Arbeit ab.
Schlagworte
Kanu-Wildwasserfahren, Kursangebot, Rahmen, Sekundarstufe
Arbeit zitieren
Tobias Keller (Autor:in), 2005, Kanu-Wildwasserfahren als Kursangebot im Rahmen der gymnasialen Sekundarstufe II, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46691

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Kanu-Wildwasserfahren als Kursangebot im Rahmen der gymnasialen Sekundarstufe II



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden