Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Quellengrundlage
3. Die Pharisäer
3.1. Geschichte des Pharisäismus
3.2. Glaubensvorstellung
3.3. Gesetze
3.4. Schriftauslegung
4. Auseinandersetzungen mit Jesus
4.1. Jesus hält Mahl mit Zöllnern und Sündern (Mk 2,13-17)
4.2. Die Heilung eines behinderten Mannes am Sabbat (Mk 3,1-6)
4.3. Zur Frage nach der Reinheit (Mk 7,1-23)
5. Zusammenfassung
6. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Denkt man an Auseinandersetzungen im Neuen Testament, ist keine jüdische Religionspartei so präsent wie die Pharisäer, was sie gleichzeitig zu einer der wichtigsten Gruppierungen zur Zeit Jesu macht. Laut Deines sind die Pharisäer „die grundlegende und prägende religiöse Strömung innerhalb des palästinischen Judentums zwischen 150 v. Chr. und 70 n. Chr.“1. Es finden sich im Neuen Testament zahlreiche Konfliktsituationen zwischen Jesus und den Pharisäern, denen hauptsächlich verschiedene Meinungen über das jüdische Gesetz, wie Reinheitsvorschriften und -gesetze, zugrunde liegen. Doch sie waren sich keinesfalls so unähnlich wie man bei der Anzahl ihrer Auseinandersetzungen denken müsste. Jesus kannte die jüdischen Schriften ebenso gut wie die Pharisäer selbst und verfolgte ähnliche Ziele. Auch hatten sie die Sammlung einer Schüler- bzw. Jüngergemeinschaft sowie eine Laienbewegungen gemeinsam, die die Grenzen von Tempel und Tempelkult überschreiten.2 Doch wie kam es dazu, dass Jesus und die Pharisäer trotz der Gemeinsamkeiten ständig in Konflikt standen? Dieser Frage soll diese Arbeit auf den Grund gehen.
Zu Beginn werde ich mich mit der Quellengrundlange beschäftigen. Anschließend werde ich die Pharisäer vorstellen und näher auf die Geschichte, ihre Glaubensvorstellungen, Gesetze und Schriftauslegung eingehen. Darauffolgend werde ich die drei zentralen Auseinandersetzungen zwischen Jesus und den Pharisäern, die im Markusevangelium wiedergegeben werden, analysieren, um Gründe und Motive herausarbeiten zu können. Als Grundlage dient in dieser Arbeit die Zürcher Bibel. Des Weiteren nutze ich die beiden Werke „Jüdische Altertümer“ und „Der jüdische Krieg“ des Jospehus Flavius, übersetzt von Dr. Heinrich Clementz.
2. Quellengrundlage
Durch das Fehlen von Primärquellen sind sowohl die Werke des Geschichtsschreibers Josephus Flavius als auch das Neue Testament als wichtigste Quellen für den Pharisäismus anzusehen. Es gibt außerdem noch rabbinische Schriften, die allerdings nur bedingt als authentische Quelle angesehen werden können, da der Pharisäismus aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt wird.3 Außerdem waren die Pharisäer bei der Neukonstituierung des Judentums nach der Tempelzerstörung zwar eine treibende Kraft, sie sind aber keineswegs mit dem Rabbinentum gleichzusetzen.4 Aber auch die Werke des Josephus sowie das Neue Testament sind keinesfalls objektiv. Josephus gehörte vermutlich selbst zu den Pharisäern und das Neue Testament berichtet hauptsächlich in Verbindung mit Auseinandersetzungen von ihnen.5 Josephus Flavius stammt aus einer adeligen Priesterfamilie und fand mit 19 Jahren zu den Pharisäern. Obwohl seine Herkunft eigentlich eher für eine Zugehörigkeit zu den Sadduzäern spricht, schreibt er ungefähr im Jahr 94: „Im neuzehnten Lebensjahre begann ich dann die öffentliche Laufbahn als Anhänger der Pharisäersekte“6. bnJosephus beschreibt die Pharisäer sowohl in seinem Werk „Geschichte des jüdischen Krieges“ (Bellum Judaicum) als auch in „Jüdische Altertümer“ (Antiquitates Judaicae).7 Beide Werke enthalten teilweise parallel laufendes Material und wurden in einem nicht unbeträchtlichen Zeitabstand voneinander geschrieben.8 Dabei recherchiert er aus mehreren Quellen und lässt gleichzeitig seine eigenen Erfahrungen mit einfließen.9
Während Josephus sich hauptsächlich mit den religiösen Grundlehren beschäftigt, geht das Neue Testament, wie auch die rabbinischen Schriften, mehr auf das Religionsgesetz ein, hauptsächlich in Bezug auf die Auseinandersetzungen mit Jesus.10
3. Die Pharisäer
Die Pharisäer bildeten sich in der Mitte des 2. Jh. v. Chr. neben den Sadduzäern und Essenern als eine maßgebliche jüdische Gruppierung heraus. Ihr Name leitet sich vom hebräischen Wort „peruschim“ ab, was soviel wie „die Abgesonderten“ bedeutet. Dieser Name ist ihnen wahrscheinlich von außen gegeben worden und diente vermutlich als Schimpfwort. Es ist außerdem anzunehmen, dass die Mitgliedschaft jedem offen stand und nicht nur Priester und gebildete Menschen zugelassen wurden. Darin lag vermutlich die Stärke ihrer Bewegung, weil sie eben auch den einfachen Mann aufnahmen und einen Kreis bildeten, von dem permanent Anziehungskraft ausging.11
Da sie sich selbst als heilige Gemeinde Gottes sahen, mieden sie den Kontakt zur Umwelt, um nicht unrein zu werden. Die Pharisäer, deren Anhänger breit im Volk verankert waren, standen der Regierung sehr kritisch gegenüber.12
3.1. Geschichte des Pharisäismus
Für die Geschichte des Pharisäismus kommt, abgesehen von der rabbinischen Literatur, die diesbezüglich wenig ergiebig ist, nur das Geschichtswerk des Josephus Flavius als Quelle in Frage. Aus diesem Grund ist eine lückenlose Darstellung der Geschichte bis ins 1. Jh. n. Chr. nicht möglich. Es können lediglich einige Stationen des Verlaufes hervorgehoben werden, die deutlich machen, dass es sich hier nicht um eine einlinige Entwicklung von einer ursprünglich politisch aktiven Partei zu einer rein religiös orientierten „Sekte“ handelt.13
a) Ursprung
Da die Quellen über die Ursprünge des Pharisäismus schweigen, sind die genauen Anfänge der jüdischen Religionspartei nur noch schwer zu rekonstruieren, sodass jeder Versuch hypothetisch bleibt. Wenn man sich zunächst am Aspekt der Absonderung orientiert, erschließt sich ein Ursprungszusammenhang, in den nicht nur die Pharisäer, sondern auch andere Gruppenbildungen gehören. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass „Absonderung“ seit der Neukonstituierung der Jerusalemer Kultgemeinde unter Esra und Nehemia im 5. Jh. v. Chr. ein Merkmal des nachexilischen Judentums war. „Absonderung“ meint hier die Ablösung von den Völkern des Landes, von aller heidnischen Unreinheit, was die Verpflichtung sowie Konzentration auf die Tora, ihr Gesetz, zur Folge hatte. Wenn man nun davon ausgeht, dass sich diese „Absonderung“ ausschließlich gegen Nichtjuden richtete, kann man sie noch nicht als Pharisäismus bezeichnen. Allerdings zeichnet sich hier eine Entwicklungslinie ab, die die weitere Geschichte des Frühjudentums beeinflusst hat. In diese Entwicklungslinie gehört auch die Partei der Essener hinein, vor allem aber auch die Bewegung der Chasidim oder Hasid ä er. Grundanliegen für diese Bewegung war es, die jüdische Identität zu verteidigen und zu bewahren. Dies lag vor allem daran, dass in dieser Zeit eine akute Bedrohung der politischen und religiösen Existenz des Judentums durch die repressive Politik des Antiochus IV. Epiphanes vorherrschte.14
In 1 Makk 2, 42 in der Einheitsübersetzung heißt es:
„Damals schloss sich ihnen auch die Gemeinschaft der Hasidäer an; das waren tapfere Männer aus Israel, die alle dem Gesetz treu ergeben waren.“
Dies erinnert sehr stark an die Pharisäer, da auch sie dem Gesetz treu ergeben waren. In einer Anmerkung in der Einheitsübersetzung wird behauptet, dass die Hasidäer eine jüdische Gemeinschaft bildeten, die sich 150 v. Chr. in Pharisäer und Essener aufspaltete. Dies ist tatsächlich eine weit verbreitete Auffassung und soll im Folgenden näher beleuchtet werden.15
Es ergibt sich für den Pharisäismus ein weit gespannter Ursprungszusammenhang. Allerdings ist es zeitlich nicht fixierbar, wann sich die Pharisäer von den genannten Vorläuferbewegungen zu einer eigenen Gruppierung mit eigenem theologischen Programm herausbildeten. Sicher ist aber, dass der Verweis auf die Bewegung der Chasidim der Makkabäerzeit noch nicht den unmittelbaren Ursprung des Pharisäismus festlegen kann. Denn das, was aus den vorhandenen Quellen über die Chasidim bekannt ist, ist nicht typisch für die Pharisäer. Falls ein Zusammenhang zwischen den Chasidim und den Pharisäern existiert, so teilen sich die Pharisäer diesen Zusammenhang vermutlich mit der Religionspartei der Essener, die den mit den Pharisäern gemeinsamen Ansatz völlig anders entfalten, nämlich in ausdrücklicher Polemik gegen die Pharisäer. Eine Aufspaltung der Chasidim in zwei Gruppierungen kann ein Hinweis darauf sein, dass diese Bewegung keine homogene Gruppe im Gruppenspektrum des Frühjudentums darstellte.16
b) Weitere Entwicklung des Pharis ä ismus
Josephus Flavius berichtet in Ant XIIII, 288-296 über ein Zerwürfnis zwischen den Pharisäern und dem hasmonäischen Priesterfürstentum unter Johannes Hyrkan, einem hasmonäischen Herrscher, der von 134-105 v. Chr. regierte. Da die Pharisäer der Inanspruchnahme der Hohepriesterwürde durch die Hasmonäer widersprachen, erweist sich die Gruppierung der Pharisäer als eine politisch wirksame Oppositionspartei gegenüber den Ansprüchen der Hasmonäer. Während der Regierungszeit der Salome Alexandra (76-67 v. Chr.) veränderte sich ihre Stellung zu ihren Gunsten und sie gewannen dementsprechend an Einfluss. Selbst nach dem Tod der Königin galten die Pharisäer weiterhin als ein ernstzunehmender Machtfaktor im Parteiengefüge des Frühjudentums. Josephus schreibt des Weiteren, dass es in der Zeit der Herrschaft des Herodes (73 - 4 v. Chr.) rund 6000 Pharisäer gab. Dies würde auf eine Blütezeit des Pharisäismus hindeuten. Nach dem Tod des Herodes erfolgte eine Aufspaltung der Pharisäer. Es entstanden zwei Schulbildungen, die Hillel und die Schammai, die sich untereinander bekämpften. Des Weiteren entstand zu dieser Zeit die Partei der Zeloten, deren Programm man als eine Radikalisierung des pharisäischen Parteiprogramms verstehen kann.17
3.2. Glaubensvorstellung
Es lässt sich allgemein sagen, dass die pharisäische Ethik eine strenge Vergeltungslehre vertritt. Nach ihrer Auffassung werden die Gerechten und die Frevler genau nach ihren Taten belohnt oder bestraft.18
Josephus schreibt über die Pharisäer:
„Die Pharisäer behaupten, dass manches, aber nicht alles das Werk des Verhängnisses sei, manches dagegen auch freiwillig geschehe oder unterbleibe.“19
Die Pharisäer schrieben demnach also fast alles dem Schicksal und Gott zu. Zwar waren sie der Meinung, dass das Recht zu handeln auch beim Menschen selbst liege, doch helfe dabei ebenfalls das Schicksal. Des Weiteren lehnten sie nicht ab, was aus eigenem Antrieb gewollt ist, da sie glaubten, dass Gott ein Wohlgefallen daran hat, wenn es ein Zusammenspiel zwischen dem Ratschluss Gottes und dem des Menschen gibt.20 Zusammenfassend kann man sagen, dass die Pharisäer an ein Zusammenwirken von Schicksal bzw. göttlicher Vorsehung und menschlichem Willen glaubten, welches im Zusammenspiel für die Entscheidungen des Menschen verantwortlich ist.21
Die Pharisäer glaubten außerdem an eine Auferstehung. Josephus betont, dass die Pharisäer an eine Seelenwanderung allein für die Gerechten glaubten. Das heißt, dass die Gerechten nach ihrem Tod wieder zu leiblichem Leben gelangen. Für Sünder hingegen gibt es keine Auferstehung, sie werden durch ewige Strafe gezüchtigt.22 Dabei hat diese Auferstehungsauffassung durchaus Gemeinsamkeiten mit der Grundströmung der Apokalyptik im frühen Judentum, allerdings hat sie auch Differenzen im Tora- sowie Traditions- und Weltverständnis.23
„Ihre Messiaserwartung ist auf einen Messias gerichtet, der Israel von politischer Knechtschaft befreien wird“24.
3.3. Gesetze
Josephus Schriften sind nicht nur eine der wichtigsten Quellen für die Pharisäer, er war vermutlich auch selbst ein Anhänger.
„Die Pharisäer leben enthaltsam und kennen keine Annehmlichkeiten. Was vernünftige Überlegung als gut erscheinen lässt, dem folgen sie und halten es überhaupt für ihre Pflicht, den Vorschriften der Vernunft nachzukommen.“25
So beschreibt er die jüdische Religionspartei Pharisäer in seinem Werk „Jüdische Altertümer“. Dieses Zitat zeigt bereits deutlich, dass die Pharisäer sehr viel Wert auf ihre Gesetze legten. Um Informationen über die eigenen Gesetze der Pharisäer zu erhalten, müssen wir neben Josephus allerdings auch das Neue Testament hinzuziehen. Im Neuen Testament wird vor allem ihre strenge Auslegung bezüglich des Sabbat-, Reinheits- und Zehntgesetzes hervorgehoben.
Die Pharisäer verfolgten das Ziel, alle Vorschriften, die eigentlich ausschließlich für den Priesterdienst am Tempel galten und vorgesehen waren, auf den Alltag des gesamten Volkes auszuweiten.26 Im Neuen Testament werden die Sabbatvorschriften vor allem in den Auseinandersetzungen mit Jesus deutlich. So wird in Mk 2, 23-28 beschrieben, dass die Jünger Jesu unterwegs Ähren abrissen, woraufhin die Pharisäer betonen, dass dies am Sabbat verboten sei.
„(23) Und es geschah, dass er am Sabbat durch die Kornfelder ging, und unterwegs begannen seine Jünger, Ähren zu raufen. (24) Und die Pharisäer sagten zu ihm: Schau her, warum tun sie, was am Sabbat nicht erlaubt ist?“
Auch gibt es im Neuen Testament Konflikte mit Jesus, da dieser am Sabbat heilt und die Pharisäer dies ebenfalls für verboten hielten. Dadurch wird also deutlich, dass die Pharisäer die Meinung vertraten, dass am Sabbat keine Arbeit vollrichtet werden dürfe und strikte Ruhe gehalten werden müsse. Es bleibt bei diesen Auseinandersetzungen allerdings unklar, ob eine derartig strenge Auslegung ausschließlich den Pharisäern zugeschrieben werden kann, oder ob dieses Verständnis des Sabbatgesetzes nicht auch im allgemeinen Volk verankert war.27
Ein weiteres wichtiges Gesetz für die Pharisäer ist das Reinheitsgesetz. Im Judentum spielten Reinheitsvorschriften eine bedeutende Rolle, da vorbereitende Reinigungen den Menschen ihrer Meinung nach in einen heiligen und reinen Zustand versetzen. Dieser Zustand befähigt ihn zur Begegnung mit Gott. Sühnende Reinigungen hingegen stellen diesen Zustand, der nach Berührung von Unreinem verloren geht, wieder her.
In Lev 11-15 wird die Unterscheidung zwischen reinem und unreinem Tier beschrieben. Auch die Unreinheiten, die durch Geschlechtsverkehr, Gebären eines Kindes und Krankheit entstehen, werden hier näher erläutert. Über die Reinheitspraktiken des Judentums zur Zeit Jesu wissen wir seit der Entdeckung der Qumranschriften mehr, über die pharisäische Praxis ist man hingegen nur unvollständig unterrichtet. Es ist allerdings Fakt, dass man im Pharisäismus bestrebt war, die Gepflogenheiten und Bräuche eines Priesters auf den Laien zu übertragen. Dies beinhaltete auch rituelle Waschungen und Tauchbäder. Im letzten Teil der Mischna sind zwölf Traktate den Reinheitsfragen gewidmet.28
Nach dem Gesetz, welches die Pharisäer strikt befolgen, müssen die Hände immer vor dem Essen gewaschen werden. Ebenso müssen Krüge, Becher und Kessel abgespült werden. Dies wird vor allem in einem weiteren Konflikt zwischen den Pharisäern und Jesus deutlich ( Mk 7, 3-5), als die Jünger „mit unreinen Händen“ essen. An dieser Stelle ist allerdings zu beachten, dass dieses Gesetz nicht ausschließlich dem Pharisäismus zuzuschreiben ist, es galt vermutlich ebenfalls für die Essener und Sadduzäer.
Dieses Reinheitsritual wurde wohl vom Tempelmahl der Priester übernommen, die sich bei Unterlassung levitisch unrein machten. Dass Priester dieses Gesetz sehr ernst nahmen, bezeugt ein Bericht des Rabbi Aqiba, in dem steht, dass er im Gefängnis lieber nichts aß als auf die Abspülung der Hände zu verzichten.29 Obwohl die Pharisäer als genauste Ausleger des Gesetzes galten, waren die Sadduzäer noch strenger bei der Einhaltung des Reinheitsgesetzes. Die Pharisäer waren der Meinung, dass der Priester, der die rote Kuh zu verbrennen hat, jemand sein könne, der zwar das Reinigungsbad genommen , jedoch nicht den Sonnenuntergang abgewartet habe. Der Priester ist somit noch nicht vollkommen rein, weshalb die Sadduzäer diese Zwischenstufe nicht akzeptieren. Die Pharisäer waren also durchaus nicht immer diejenigen, die die jüdischen Gesetze verschärften.30 Die rote Kuh wurde damals verbrannt, um mit ihrer Asche Menschen zu reinigen. Dabei musste diese Kuh völlig makellos sein („Sage den Israeliten, dass sie dir eine makellose rote Kuh bringen sollen, an der kein Makel ist und auf die noch kein Joch gekommen ist“, Num 19,2).
Nach dem jüdischen Gesetz muss außerdem von jedem Juden ein Zehnter geleistet werden, was bedeutet, dass sie zehn Prozent ihres Einkommens in Form von Geld oder Naturalien an den Priester abgeben. In Num 18, 24 steht:
„Denn den Zehnten der Israeliten, den sie als Abgabe für den HERRN entrichten, habe ich den Leviten als Erbbesitz gegeben. Darum habe ich von ihnen gesagt: Sie sollen bei den Israeliten keinen Erbbesitz erhalten.“
Die Leviten haben demnach kein Erbrecht, weshalb sie von den Israeliten den Zehnten für ihren Dienst bekommen.
An dieser Bibelstelle wird allerdings nicht deutlich, wovon der Zehnte geleistet werden muss. Da in Num 18,27 allerdings von der Abgabe von Getreide von der Tenne und vom Ertrag von der Kelter gesprochen wird, liegt eine Einschränkung auf Getreide, Öl und Wein nahe. Diesbezüglich gab es ebenfalls eine Konfliktsituation zwischen den Pharisäern und Jesus. In Lk 11,42 wirft Jesus den Pharisäern vor:
„Doch wehe euch, ihr Pharisäer! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Raute und jedem Kraut, aber am Recht und an der Liebe Gottes geht ihr vorbei. Dies aber sollte man tun und jenes nicht lassen.“
Die Pharisäer sehen demnach den Zehnten nur in materiellen Dingen, nicht aber -wie Jesus - in Gerechtigkeit und Liebe.31 Dies führt einem noch einmal vor Augen, dass die Pharisäer ihre Schriften wortwörtlich auslegten.
3.4. Schriftauslegung
Alle Quellen stimmen darin überein, dass für die Pharisäer, anders als bei den anderen Religionsparteien, „ein besonderes Grundverständnis der Tora“32 charakteristisch ist. Laut Josephus Flavius waren die Pharisäer die genauesten Ableger des Gesetzes. Ebenso betont er, dass die Pharisäer frömmer als die anderen seien.33 Er bezeichnet sie als „jüdische Sekte, deren Angehörige für besonders fromm und gesetzeskundig gelten“34.
Diese Sorgfalt bei der Schriftauslegung beschreibt den Kern des Pharisäismus. Sie hat die Absicht, möglichst viele Anhänger zu gewinnen und das gesamte Volk in der richtigen Observanz anzuleiten. Des Weiteren beschreibt Josephus, dass die Pharisäer dem Volk nicht nur Gesetze auferlegen, die aus der Tora hervorgehen, sondern auch solche, die auf die Überlieferung der Väter zurückgehen. Die Pharisäer wollen mit der Bewahrung der Tora bewirken, dass das gesamte Volk im alltäglichen Leben geheiligt wird.35
[...]
1 Deines, Die Pharisäer, S.554.
2 Vgl. Weiss, Pharisäer, TRE 26, S.484.
3 Vgl. ebd., S.473.
4 Vgl. Kollmann, Neutestamentliche Zeitgeschichte, S.50.
5 Vgl. Weiss, Pharisäer,TRE 26, S.473.
6 J., Vita 10-12, (übers. Clementz 8f.)
7 Vgl. Stemberger, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, S.10f.
8 Vgl. Schäfer, der vorrabinische Pharisäismus, in: Hengel/Heckel, Paulus und das antike Judentum, S.133.
9 Vgl. Kollmann, Neues Testament Kompakt, S.62.
10 Vgl. Stemberger, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, S.59.
11 Vgl. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, S.107.
12 Vgl. Kollmann, Neues Testament Kompakt, S.62
13 Vgl. Weiss, Pharisäer, TRE 26, S.478.
14 Vgl. ebd., S.474f.
15 Vgl. Stemberger, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, S.83.
16 Vgl. Weiss, Pharisäer, TRE 26, S.475.
17 Vgl. ebd., S.478.
18 Vgl. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, S.108.
19 J., Ant., 13,172 (übers. Clementz 610).
20 Vgl. Stemberger, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, S. 59f.
21 Vgl. Weiss, Pharisäer, TRE 26, S.477.
22 Vgl. Stemberger, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, S. 63f.
23 Vgl. Weiss, Pharisäer, TRE 26, S.477.
24 Gnilka, Das Evangelium nach Markus, S.108f.
25 J., Ant., 1,12f. (übers. Clementz 871).
26 Vgl. Weiss, Pharisäer, TRE 26, S.476.
27 Vgl. Stemberger, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, S.65.
28 Vgl. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, S.279f.
29 Vgl. ebd., S.280.
30 Vgl. Stemberger, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, S.67-69.
31 Vgl. ebd., S.73.
32 Weiss, Pharisäer, TRE 26, S.475.
33 Vgl. J., Bell. 1,110 (übers. Clementz 46).
34 J., Bell. 1, 111(übers. Clementz 46).
35 Vgl. Weiss, Pharisäer, TRE 26, S.475f.