Die vorliegende Arbeit stellt eine kritische Betrachtung und Erweiterung des Intereffikationsmodells in Form eines Thesenpapiers dar. Es werden Thesen zur Intereffikation vor dem Hintergrund des Medienwandels, der Adaption und Induktion als zirkuläre Beziehung und der Intersystemdifferenzierung zwischen Journalismus und PR aufgestellt.
Die Arbeit ist ein Thesenpapier für die mündliche Bachelorprüfung.
Inhalt
1. Thesenbildung
1.1 Die Intereffikation vor dem Hintergrund des Medienwandels
1.2 Adaption und Induktion als zirkuläre Beziehung
1.3 Intersystemdifferenzierung zwischen Journalismus und PR
2. Literaturverzeichnis
1. Thesenbildung
1.1 Die Intereffikation vor dem Hintergrund des Medienwandels
Bentele und Fechner (2015, S. 321) beschreiben die Existenz der Kommunikationsleistungen von PR und Journalismus im Intereffikationsmodell als „nur möglich, weil die jeweils andere Seite existiert und mehr oder weniger bereitwillig »mitspielt«“. Sie begründen dies damit, dass PR „einen großen Teil ihrer Kommunikationsziele nur mithilfe von Journalisten, Redaktionen bzw. des gesamten Mediensystems erreichen“ und auf der anderen Seite „die Existenz des journalistischen Systems (…) von der Zuliefer- und Kommunikationsbereitschaft des PR-Systems abhängt“. Sie gehen sogar so weit zu behaupten, dass das Mediensystem ohne PR-Leistungen seine „verfassungsrechtlich geforderte Informationsfunktion, vermutlich aber auch die anderen Funktionen nicht aufrechterhalten kann“. Dagegen konnte eine Studie von Zerfaß, Young und Sandhu (2007) bereits im Jahr 2007 aufzeigen, dass 85% der befragten PR-Praktiker der Meinung sind, dass der Einsatz von „social software“ (Blogs, Social Media Netzwerke, Newsletter, …) die öffentliche Kommunikation deutlich verändert. Auch Pleil (2007, S. 11) kommt zum ähnlichen Fazit:
„Mit der Verbreitung des World Wide Web, die vor etwa 15 Jahren begonnen hat, haben sich jedoch neue Strukturen der öffentlichen Kommunikation herausgebildet, die die bekannten massenmedialen Mechanismen ergänzen und gleichzeitig die Dominanz massenmedialer Öffentlichkeit in Frage stellen.“
Ebenfalls konträr zur theoretischen Annahme von Bentele et. al. ist der Blick auf die PR-Praxis: schon längst nutzen Unternehmen, Organisationen und Personen eigene Kommunikationskanäle, um ihre Botschaften massenmedial der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ein prominentes Beispiel der jüngsten Vergangenheit stellt sicherlich Donald Trump’s Twitterkanal dar, da seine PR-Botschaften so ohne Umwege beim Rezipienten ankommen. Aber es existieren auch viele andere Möglichkeiten, zum Beispiel Direktmailings, Newsletter, Corporate TV (z.B. Online-Fernsehsender „Eintracht TV“), soziale Netzwerke (YouTube, facebook, Instagram, …) oder sogar Direktnachrichten per Messengerapps, wodurch Botschaften direkt ohne Journalisten-Gatekeeper bei Rezipienten verbreitet werden können (z.B. per „WhatsApp Business“). Daraus lässt sich eine erste Antithese zum Intereffikationsmodell aufstellen:
These 1: Das PR-Teilsystem kann durch Selbstveröffentlichung unabhängig Einfluss ausüben und somit auch unabhängig vom Journalismus-Teilsystem existieren.
Auf der anderen Seite hängt laut Bentele et. al. (2015, S. 321) die Existenz des journalistischen Systems vom PR-System ab, jedoch lassen sich auch hier gegenteilige Indizien finden. Wimmer (2004, S. 173) beschreibt den Determinationseffekt von PR auf Journalismus als keine grundsätzlich vorhandene Einflussgröße im Rahmen seiner empirischen Untersuchung:
„Macht und Einfluss der Öffentlichkeitsarbeit auf den Journalismus bestehen nicht generell, sondern sind vor allem abhängig vom Status und der Professionalität der jeweiligen Öffentlichkeitsarbeit.“
Auch Baerns (1979, S. 310) vertritt eine ähnliche Position in ihrer Determinationsthese, wenn sie behauptet, dass „Öffentlichkeitsarbeit die Berichterstattung inhaltlich zu strukturieren vermag, wenn Journalisten auf selbständige Recherchen verzichten“. Dies würde im Umkehrschluss bedeuten, dass Öffentlichkeitsarbeit die Berichterstattung nicht inhaltlich zu strukturieren vermag, falls Journalisten selbstständige Recherchen betreiben. Schantel (2000, S. 85) stellte darüber hinaus in ihrer Metastudie fest, dass die Determinationsquoten von PR zu Journalismus zwischen 18% und 65% liegen, also enorm instabil sind. Auch dadurch lässt sich vermuten, dass vor allem in Fällen mit niedrigen Determinationsquoten das Mediensystem relativ unabhängig vom PR-System sein kann. Fasst man alle eben genannten Erkenntnisse zusammen, so lässt sich folgende zweite Antithese zum Intereffikationsmodell aufstellen:
These 2: Das Journalismus-Teilsystem kann durch Selbstrecherche unabhängig Informationen sammeln und somit auch unabhängig vom PR-Teilsystem existieren.
Vielmehr vereinfachen also die beiden Teilsysteme durch die wechselseitige Interaktion gegenseitig ihren Leistungsaufwand (Simplifikation) zugunsten ökonomischer oder anderer Interessen. Die Annahme einer Existenzlosigkeit ohne das jeweils andere System im Intereffikationsmodell ist demnach zu radikal und widerspricht nicht nur der empirischen Praxis.
1.2 Adaption und Induktion als zirkuläre Beziehung
Das Intereffikationsmodell geht davon aus, dass von Seiten des PR-Systems Adaptions- und Induktionsbeziehungen in Richtung des journalistischen Systems existieren und vice versa von Seiten des journalistischen Systems Adaptions- und Induktionsbeziehungen in Richtung des PR-Systems existieren (Bentele, Liebert, & Seeling, 1997, S. 242). Als Induktionsleistungen von Seiten des PR-Systems nennen die Autoren dabei z.B. die Platzierung eines Themas oder einer Botschaft im Mediensystem und als Adaptionsleistung die Anpassung an die Regeln des selbigen Systems, z.B. die Berücksichtigung der Zeiten des Reduktionsschlusses (Bentele, Liebert, & Seeling, 1997, S. 243). Die Beziehungen von Seiten des PR-Systems hin zum journalistischen System sind auch nicht zu beanstanden und empirisch gut belegt (Bentele & Junghänel, 2002, S. 15-17), während „journalistische Adaptionen an Vorgaben und Zwänge der Öffentlichkeitsarbeit unseres Wissens bislang gar nicht untersucht wurden“ (Bentele, 2005, S. 220).
Anders sieht es hingegen bei den Leistungen des Mediensystems ins PR-System aus. Induktionsleistungen von Seiten der Journalisten beschreiben die Autoren nämlich wie folgt (Bentele, Liebert, & Seeling, 1997, S. 243):
„Von seiten [sic!] des Journalismus sind Induktionsleistungen vor allem durch die Selektion der Informationsangebote, in der Entscheidung über Plazierung [sic!] und Gewichtung der Information, der journalistischen Eigenbewertung dieser Information, weiter in der Veränderung (Vervollständigung, Nachrecherche) sowie in der journalistischen Informationsgenerierung (journalistisches Agenda-Setting) vorhanden.“
Die Autoren definieren also vor allem die „Selektion der Informationsangebote“ durch die Journalisten als Induktion vom Mediensystem ins PR-System. Gleichzeitig definieren die Autoren aber auch, wie bereits beschrieben, die Informationsplatzierung im Mediensystem als Induktionsleistung der PR-Praktiker. Eine erfolgreiche Induktion von PR zu Journalismus wäre dieser Logik folgend also auch automatisch eine Induktion von Journalismus zu PR, da die Information letzten Endes vom Journalisten selektiert wurde. Vielmehr erscheint doch die Nutzung von PR-Material durch den Journalisten als Adaption, da der Journalist in diesem Fall seinen Text analog der PR-Induktion adaptiert. Die Autoren beschreiben die Adaption von Seiten der Journalisten als „Orientierung an organisatorische, sachlich-thematische und zeitliche Vorgaben des PR-Systems“ (Bentele, Liebert, & Seeling, 1997, S. 243), was im Prinzip nichts anderes als die autoreneigene Definition der Journalisten-Induktion ist („Selektion des Informationsangebots“ = „Orientierung an thematische Vorgaben“). Diese Neustrukturierung der medienseitigen Adaptions- und Induktionsleistungen lässt sich in folgenden Antithesen zusammenfassen:
These 3: Adaptionsleistungen des Mediensystems entstehen durch erfolgreiche Induktionsleistungen des PR-Systems
These 4: Induktionsleistungen des Mediensystems entstehen durch erfolgreiche Adaptionsleistungen des PR-Systems
1.3 Intersystemdifferenzierung zwischen Journalismus und PR
Das Intereffikationsmodell geht „von einem publizistischen System als einem gesellschaftlichen Teilsystem aus, das seinerseits aus den Subsystemen Journalismus und PR besteht“ (Schantel, 2000, S. 78). Das bedeutet, dass die beiden Subsysteme gleichrangig unterhalb des publizistischen Systems angesiedelt werden. Die stellt sich laut Hoffjann (2007, S. 143-144) als problematisch dar, da sich so „keine differenzfähigen Funktionsbeschreibungen für zwei gleichberechtigte Systeme Journalismus und PR identifizieren konnten“. Laut Schantel (2000, S. 78-79) ist es jedoch unbedingt notwendig, „dass sowohl für das journalistische als auch für das PR-System angegeben werden kann, welche Funktion es erfüllt und nach welcher Leitdifferenz es operiert“, um das Intereffikationsmodell auch auf der Makro-Ebene einsetzen zu können. Während die Funktionen des Journalismus-Systems in der Literatur bereits vielfach versucht wurden zu beschreiben, beispielsweise als funktionale Unterscheidung von öffentlich/nicht öffentlich (Marcinkowski, 1993, S. 65ff), Information/Nichtinformation (Luhmann, 1996, S. 36f) oder Aktualität/Inaktualität (Westerbarkey, 1995, S. 154), befinden sich beim PR-System diesbezüglich noch Leerstellen. Schantel (2000, S. 79) sieht darin ein gravierendes Problem, weswegen laut ihr das Intereffikationsmodell eben nur auf der individuellen und organisatorischen Ebene funktioniert:
„Von den impliziten theoretischen Prämissen des lntereffikationsmodells her stellt dessen Anspruch, die Intersystembeziehung zwischen dem journalistischen und dem PR-System beschreiben zu können, also ein Problem dar, das sich nicht ohne weiteres lösen lässt, solange die Grenzen zwischen den betrachteten Systemen unscharf gezogen sind.“
Es stellt sich also die Frage, woraus die Leitdifferenz der beiden Subsysteme PR und Journalismus besteht, um unterschiedliche Funktionen daraus ableiten zu können. Zur Aufgabe von PR lassen sich entsprechende Hinweise in der Literatur finden, so beispielsweise die Aufgabe der Informationskontrolle bei Meyer (1997, S. 102-103):
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- Christian Meradji (Author), 2019, Intersimplifikation statt Intereffikation?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/468203
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