Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretischer Rahmen
2.1 Social Media
2.2 Unternehmenskrise
2.3 Krisenkommunikation
3 Strategien der Krisenkommunikation
3.1 „Mea Culpa“? Die Schuld eingestehen, von sich weisen oder sich gar nicht äußern?
3.2 Die Spielregeln von Facebook, Twitter und Co
4 Fallbeispiele
4.1 Fallbeispiel: Der Abgasskandal
4.2 Fallbeispiel: Defekte Airbags bei BMW
5 Synthese: Differenzen und Gemeinsamkeiten zwischen Theorie und Praxis und ihre Implikationen
6 Fazit
Literaturverzeichnis
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Abstract
The thesis examines the success factors of crisis communication in social media. It is divided in three main parts. In the first part the terms social media, crisis and crisis communication are defined. The second part provides a thorough examination of the scientific literature regarding strategies of crisis communication. The last part analyses two case studies of the automobile industry to compare the strategies of the literature with the strategies of real companies. A conclusion provides an overview about the findings of the study.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Post der Volkswagen AG am 22. September 2015
Abbildung 2 Werbung nach der Krise: Facebook-Post am 23. September 2015
Abbildung 3 Aktivierung der Community: Facebook-Post vom 30.10.2015
Abbildung 4 Mobilisierung und Honorierung der Markenbotschafter: Facebook-Post vom 02. November 2015
Abbildung 5 Beginn der Umrüstungen: Demonstrative Demut gegenüber der Community
Abbildung 6 Up-to-date: Facebook-Post vom 27.10.2016
1 Einleitung
Der in den vergangenen Jahren erfolgte Fortschritt im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien hat zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen geführt. Smartphones und soziale Netzwerke wie Facebook und Co. haben die menschliche Kommunikation extrem gewandelt.1 Von diesen Entwicklungen ist auch die Kommunikation von Unternehmen betroffen. Lief der Austausch zwischen Unternehmen und ihren Kunden jahrzehntelang vor allem unidirektional ab, dominieren nun dialogische Formen der Kommunikation.2 Die Demokratisierung der Markenführung etwa ist nur eines der vielen Beispiele für die Auswirkungen auf die Unternehmen. Hinzu tritt eine stark angestiegene Transparenz der Unternehmensaktivitäten durch die ständige Verfügbarkeit und schnelle Informationsverbreitung über das Internet.3
Erfolgreiche Unternehmen sehen sich daher vor der Herausforderung, ihre Kommunikation den veränderten Umweltbedingungen anzupassen. Diese Feststellung gilt dabei nicht nur für den Unternehmensalltag, sondern gerade und vor allem auch für außergewöhnliche Situation wie Krisen. So können soziale Netzwerke diese nicht nur verschärfen. Vielmehr können sie selbst zum Auslöser von Krisen werden. Es erscheint daher für Unternehmen unerlässlich Social Media in die generelle Krisenkommunikation zu integrieren.4
Diese Feststellung führt dabei zur im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehenden Frage: Welche Strategien und Maßnahmen eignen sich für eine erfolgreiche Krisenkommunikation von Unternehmen in sozialen Netzwerken? Um diese Frage angemessen beantworten zu können sollen in einem ersten Schritt die Begriffe Krise, Krisenkommunikation und Social Media umfassend definiert werden. In einem zweiten Schritt soll dann die Forschungsliteratur nach Strategien und Maßnahmen der Social Media Krisenkommunikation durchleuchtet werden. Im Anschluss werden dann in einem dritten Schritt zwei konkrete Fallbeispiele von Krisenkommunikation in sozialen Netzwerken analysiert. Mit dem Diesel-Skandal und der Abgasaffäre werden dabei zwei Prominente deutsche Beispiele gewählt, die für die betroffenen Unternehmen mit immensen Kosten verbunden waren. Abschließend können die aus der Literatur und den Fallbeispielen herausgearbeiteten Vorgehensweisen dann einander gegenübergestellt werden. Diese Kontrastierung ermöglicht die Beantwortung einer Reihe von Fragen. Gestalten Unternehmen ihre Social Media Krisenkommunikation so, wie es die Forschung empfiehlt, oder weicht die Vorgehensweise von der Literatur ab? Zu welchen Ergebnissen führt die jeweilige Vorgehensweise? Welche Strategien und Maßnahmen können generell als geeignet bezeichnet werden und können auch für andere Krisen und Unternehmen empfohlen werden?
Die Beantwortung der vorgestellten Fragen bietet damit einen konkreten Mehrwert für die Krisenkommunikation von Unternehmen und kann dazu beitragen, das Fortbestehen von Unternehmungen in und nach Krisensituationen zu gewährleisten. Damit leistet die Arbeit einen Beitrag zur unternehmerischen Praxis und verknüpft die Theorie mit der konkreten Anwendung von Wissen. Abgerundet wird sie durch ein Fazit, in welchem die Vor- und Nachteile der gewählten Vorgehensweise und die dadurch erzielten Ergebnisse kritisch reflektiert werden. Dieses Resümee bildet die Grundlage für die Identifizierung verbleibender Forschungsdesiderata, die in weiteren Arbeiten ins Auge gefasst werden können.
2 Theoretischer Rahmen
2.1 Social Media
2.1.1 Definition
In der wissenschaftlichen Literatur gibt es mannigfaltige Definitionen des Phänomens Social Media. Dabei finden sich äußerst weite und sehr eng gefasste Begriffsbestimmungen. So beschreiben Kaplan und Haenlein Soziale Medien abstrakt als „a group of Internet-based applications that build on the ideological and technological foundations of Web 2.0, and that allow the creation and exchange of User Generated Content.“5 Innerhalb des definierten Phänomens der Sozialen Medien unterscheiden sie dann weiter zwischen verschiedenen Arten. So können generell Blogs, Social Networking Sites, Virtual Social worlds, Collaborative projects, Content communities und Virtual game worlds voneinander abgegrenzt werden.6
Bendel liefert dagegen eine konkretere Definition. So beschreibt er Social Media als Plattformen, die „der – häufig profilbasierten – Vernetzung von Benutzern und deren Kommunikation und Kooperation über das Internet“7 dienen. Er unterteilt Soziale Medien in Social Networks, Weblogs, Micro Blogs, Wikis sowie Foto- und Videoplattformen.8
Obar hingegen setzt die beiden Termini Social Media und Social Networks miteinander gleich. Er sieht vor allem Facebook, Twitter und Co. als Soziale Medien an und bezeichnet sie als primäre Netzwerke. Demgegenüber könnten Webseiten wie Amazon.com als sekundäre Netzwerke abgegrenzt werden. Sie stellen quasi Soziale Netzwerke zweiter Klasse dar.9
Schon diese kurze Gegenüberstellung dreier Definitionen zeigt die definitorische Uneinheitlichkeit sowie die Bandbreite, die der Begriff der Sozialen Medien umfasst. Während Kaplan und Haenlein beispielsweise auch Computerspiele als Soziale Medien bezeichnen, werden diese von Bendel nicht beachtet. Als besonders eng stellt sich Obars Definition heraus, die eine Reihe Sozialer Medien unbeachtet lässt, die von der Forschung durchaus als solche bezeichnet werden. Gleichzeitig werden bei den verschiedenen Autoren für ein und dieselbe Unterform unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet. Dabei ist auf den ersten Blick unklar, inwieweit verschiedene Bezeichnungen Schnittmengen aufweisen oder sich voneinander unterscheiden.
Es erscheint daher sinnvoll und bei dem für eine Bachelorarbeit gebotenen Raum notwendig, die Betrachtung auf eine konkrete Form der Sozialen Medien einzugrenzen. Für die in Angriff genommene Fragestellung liegt dabei die Fokussierung auf Soziale Netzwerke nahe. Diese werden in der vorliegenden Arbeit im Sinne von Kaplan und Haenlein sowie Bendel als Unterarten der Sozialen Medien aufgefasst. Diese Wahl liegt nahe, da Soziale Netzwerke aktuell die höchsten Nutzerzahlen aller Sozialen Medien verzeichnen.10 Darüber hinaus bieten sie die Möglichkeit der umfassenden Materialrecherche und die Verfügbarkeit historischer Daten. Gleichzeitig sind hier sowohl Kunden als auch Unternehmen aktiv. Doch was genau sind Soziale Netzwerke eigentlich?
Lackes definiert Soziale Netzwerke knapp als virtuelle Gemeinschaften mit deren Hilfe soziale Beziehungen über das Internet gepflegt werden können.11 Eine ausführlichere Definition liefern Ellison und Boyd. So sehen sie drei Charakteristika als konstitutiv für Soziale Netzwerke an. Ein Individuum muss
(1) sich ein öffentliches oder halböffentliches Profil erstellen können.
(2) sich eine Liste von Nutzern anlegen können, mit denen es in Kontakt steht.
(3) diese Liste sowie die Liste weiterer Benutzer ansehen und verändern können.12
Grundlage Sozialer Netzwerke sind also sichtbare Profile von Nutzern, die eine Liste der Freunde des Individuums enthalten, die ebenfalls Teil des Netzwerkes sind. Beschließt eine Person, einem solchen Netzwerk beizutreten, muss sie eine Reihe von Fragen beantworten, die typische Deskriptoren wie den Wohnort, den Namen und das Alter enthält. Viele Seiten ermutigen Nutzer auch zum Upload eines Profilbildes.13
Die Sichtbarkeit der Profile schwankt dabei von Netzwerk zu Netzwerk. Kernbestandteil ist daneben, dass Nutzer Freunde identifizieren und ihrem persönlichen Netzwerk hinzufügen. Die konkrete Bezeichnung dieser Beziehungen ist wiederum vom Netzwerk abhängig. Daneben lassen sich verschiedene Formen von Freundschaft unterscheiden. So verlangen einige Netzwerke eine bidirektionale Bestätigung der Freundschaft, andere wiederum nicht. Manche unterscheiden außerdem zwischen Freunden und bloßen Fans bzw. Followern. Eine weitere wichtige Komponente vieler Netzwerke liegt in der Möglichkeit, Nachrichten auf den Profilseiten der anderen Nutzer zu hinterlassen.14
Mittlerweile gibt es weltweit hunderte Soziale Netzwerke, die auf sich eine Zahl von rund 2,5 Milliarden Nutzern vereinigen. Prognosen sehen einen Anstieg dieser Zahlen auf 3 Milliarden Nutzer bis zum Jahr 2021 voraus.15 Das nach wie vor bekannteste und größte Netzwerk stellt das amerikanische Unternehmen Facebook mit 2,1 Milliarden Nutzern weltweit dar.16 Es bildet daher den hauptsächlichen Betrachtungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die Geschichte und die Funktionsweise des Netzwerks gegeben werden.
2.1.2 Facebook
Im Jahr 2004 entwickelten vier ambitionierte Studenten der renommierten amerikanischen Harvard University eine Idee, die die weltweite Vernetzung von Personen revolutionieren sollte. Marc Zuckerberg, Dustin Moskovitz, Chris Hughes und Eduardo Saverin hoben gemeinsam Facebook aus der Taufe, das heute das größte Soziale Netzwerk der Welt darstellt. Dabei hatte die Plattform zunächst nur dem internen Austausch von Harvard-Studenten dienen sollen, die sich über das Netzwerk über Studieninhalte unterhalten konnten. Schnell jedoch breitete sich die Plattform auch an anderen Universitäten wie Stanford, Columbia und Yale aus.17
Bereits am 1. Dezember 2004 hatte das Netzwerk 1 Million aktive Nutzer. Ein Jahr später war die Zahl auf 6 Millionen angewachsen. Dieser Trend sollte sich in den folgenden Jahren ungebremst fortsetzen. So umfasste Facebook am 4. Oktober 2012, nur acht Jahre nach seiner Gründung, bereits eine Milliarde aktive Nutzer.18 Zum vierten Quartal 2017 nutzten das Soziale Netzwerk 2,123 Milliarden Menschen.19 Dies entspricht rund 28% der Weltbevölkerung.20 Die Verlässlichkeit dieser Angaben muss jedoch zumindest hinterfragt werden. So macht Facebook seine Erhebung der Nutzerzahlen nicht transparent. Daneben handelt es sich wohl um Schätzwerte, die demnach statistischen Verzerrungen und Abweichungen unterworfen sein können.21 Auch Faktoren wie die mehrfache Profilanlegung durch ein und dieselbe reale Person bleiben unbeachtet. Dennoch muss konstatiert werden, dass Facebook aktuell mit Abstand das größte Soziale Netzwerk der Welt ist.
Am 18. Mai 2012 entschied sich das Unternehmen für einen Gang an die Börse. Im Zuge dieser Kapitalisierung begann das Management damit, strategische Akquisitionen vorzunehmen. So war bereits einen Monat zuvor die Social Media Bildplattform Instagram von Facebook gekauft worden. In den folgenden Jahren wurde dabei zunehmend an einer Diversifizierung des Businessportfolios gearbeitet. So wurde etwa im Juni 2015 das Unternehmen Oculus Rift übernommen, das eine Virtual Reality Brille entwickelt hat.22
Heute beträgt die Marktkapitalisierung des Unternehmens 483,16 Milliarden Dollar.23 Damit belegt Facebook in der Rangliste der wertvollsten Unternehmen der Welt aktuell den sechsten Platz.24 In jüngster Zeit ist das Unternehmen jedoch in Bedrängung geraten. So wurden vor allem immer wieder die Datensicherheit und die Verwendung der Nutzerdaten für Werbezwecke von Verbraucherschützern und Politikern kritisiert.
Die Funktionsweise von Facebook folgt dabei den klassischen Merkmalen eines Sozialen Netzwerks, wie sie in der oben vorgestellten Definition von Ellison und Boyd zu finden sind. So können Nutzer sich ein individuelles Profil erstellen, das öffentlich zugänglich ist. Der Grad der Öffentlichkeit kann dabei vom Nutzer selbst festgelegt werden. Innerhalb des Netzwerks kann sich die betreffende Person mit anderen Individuen vernetzen und Freundschaften zu diesen knüpfen. Diese Freundesliste kann laufend angepasst und wahlweise ausgeweitet oder wieder eingeschränkt werden.
Zu diesen grundlegenden Funktionen treten im Falle von Facebook weitere Funktionen. So können Nutzer etwa Bilder uploaden und sich über einen internen Chat untereinander austauschen. Hervorzuheben ist, dass nicht nur Privatpersonen, sondern auch Firmen und Institutionen Mitglied des Netzwerks werden können. Über ein individuelles Nutzerprofil können so Unternehmen mit (potenziellen) Kunden kommunizieren. Außerdem besteht die Möglichkeit, zielgruppenspezifische Werbung zu schalten. Die Kommunikation läuft dabei jedoch nicht unidirektional vom Unternehmen hin zum Kunden ab. Vielmehr besteht ein ständiger öffentlicher oder halböffentlicher Dialog zwischen beiden Akteuren. Dies führt zu medienspezifischen Besonderheiten, die sich in der Kommunikation in Sozialen Netzwerken im Allgemeinen und auf der Plattform Facebook im Besonderen niederschlagen. Diese sollen im folgenden Kapitel präsentiert und in ihren Konsequenzen für die Unternehmenskommunikation analysiert werden.
2.1.3 Merkmale der Social Media Kommunikation
Im Vergleich zu den klassischen Massenmedien zeichnen sich die neuen Sozialen Medien durch eine vollkommen andere kommunikative Logik aus. Vieles Gewohntes aus der alten Medienwelt wird dabei in Frage gestellt. So war auch das Web 1.0 noch durch eine unidirektionale Kommunikation gekennzeichnet. Früher gab es einen Sender, der seine Botschaft an den Empfänger richtete. Heute ist jeder Empfänger auch gleichzeitig Sender und kann in Echtzeit über soziale Medien reagieren oder die Initiative in der Kommunikation ergreifen. Diese wird damit zunehmend interaktiv und spielt sich zwischen vielen Personen ab.25 Neben der Kommunikation one-to-mass und one-to-many warden durch Social Media auch one-to-one und many-to-many möglich.26
Eine direkte Folge davon ist die steigende Macht der Stakeholder wie Kunden, Mitarbeiter, Investoren, die das Unternehmen immer stärker beeinflussen können. Dabei verlieren Unternehmen zunehmend ihre Informationshoheit und können oftmals bloß noch reagieren.27 So ist das starke Nutzerengagement in Sozialen Medien ein zentrales Kennzeichen, das diese von den klassischen Medien abgrenzt. Dazu kommt die starke Vernetzung der Plattformen mit anderen Webseiten wie etwa Online-Shops, was zu einer verstärkten Reichweite führt. Die Auswirkungen der Aktivitäten in Sozialen Medien greifen damit direkt auf die reale Welt über.28
Diese Charakteristika der Sozialen Medien zwingen die Unternehmen, wenn sie erfolgreich sein wollen, neue kommunikative Strategien zu entwickeln. Solche Strategien sind dabei nicht nur für den Unternehmensalltag von Bedeutung, sondern gerade auch für außergewöhnliche Situationen wie Krisen, die den Fortbestand der Organisation ernsthaft gefährden können. Was unter einer solchen Unternehmenskrise zu verstehen ist, wie sie für gewöhnlich verläuft und worin ihre Ursachen begründet liegen soll im nächsten Kapitel dargelegt werden.
2.2 Unternehmenskrise
2.2.1 Definition
Der Begriff Krise lässt sich vom altgriechischen Wort „Krisis“ ableiten, das ursprünglich eine Entscheidungssituation beschrieb, die den Wendepunkt bzw. Höhepunkt einer gefährlichen Situation markierte. Die erste Verwendung des Begriffs im wissenschaftlichen Kontext erfolgte in der Medizin. Mit Krise wurde hier der Höhepunkt einer Krankheit bezeichnet. Der Patient stand am Scheidepunkt zwischen Genesung und baldigem Tod.29
In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur findet sich eine große Bandbreite an Definitionen des Begriffs der Unternehmenskrise. Die einzelnen Begriffsbestimmungen weichen dabei zum Teil erheblich voneinander ab. Einen kleinsten gemeinsamen Nenner stellen dabei jedoch die von generellen Krisen ausgehende Gefahr und Ambivalenz dar. So beschreibt etwa Coombs Unternehmenskrisen als „the perception of an unpredictable event that threatens important expectancies of stakeholders and can seriously impact an organization’s performance and generate negative outcomes.“30 Krystek und Lentz definieren sie als „unngeplante (sic!) und ungewollte Prozesse von begrenzter Dauer und Beeinflussbarkeit sowie mit ambivalentem Ausgang“.31 Beherrschendes Merkmal jeder Unternehmenskrise sind also ihr ungeplantes, unerwartetes Eintreffen sowie ihr potenziell negativer Ausgang.
Uneinigkeit herrscht in der Forschung über die konkreten Charakteristika von Unternehmenskrisen. So führen Coombs sowie Krystek und Lentz jeweils fünf Faktoren an, die eine Unternehmenskrise ausmachen.
Coombs nennt die folgenden fünf Charakteristika:
1. Krisen sind vor allem ein Wahrnehmungsphänomen. Die Wahrnehmung der Stakeholder entscheidet darüber, ob ein Ereignis überhaupt als Krise wahrgenommen wird.
2. Eine Krise kann nicht vorhergesagt, aber erwartet werden. Krisenmanager wissen, dass eine Krise sich ereignen kann, aber nicht wann genau das Ereignis eintreten wird.
3. Eine Krise verletzt die Erwartungen der Stakeholder, wie Organisationen sich verhalten sollten.
4. Sie hat das Potenzial, das Bestehen der Organisation zu gefährden. Dies bedeutet aber nicht, dass dieser Einfluss immer eintrifft, sondern lediglich, dass die Möglichkeit dazu besteht.
5. Eine Krise kann negative Folgen für die Stakeholder, die Industrie und / oder die Organisation haben.32
Krystek und Lentz zählen dagegen folgende fünf Eigenschaften als zentral auf:
1. die Existenzgefährdung durch Gefährdung dominanter Ziele,
2. die Ambivalenz des Ausgangs (Metamorphose oder Vernichtung),
3. der Prozesscharakter als zeitliche Begrenzung des Krisenprozesses,
4. die Steuerungsproblematik im Sinne einer nur begrenzten Beeinflussbarkeit überlebenskritischer Prozesse und
5. der im Krisenprozess fortschreitende Verlust von Handlungsmöglichkeiten.33
Eine Abwägung, welche der beiden angeführten Definitionen für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit geeigneter erscheint, ist schwer zu treffen. Dies ist jedoch auch nicht zwangsläufig notwendig, da beide Definitionen entscheidende Charakteristika beinhalten. Es bietet sich daher eine Synthese der beiden vorgestellten Ansätze an. So soll unter einer Krise in dieser Bachelorarbeit ein Ereignis verstanden werden,
1. das einen ambivalenten Ausgang hat.
2. den Fortbestand des Unternehmens nachhaltig gefährden kann.
3. unvorhersehbar, aber nicht unerwartet eintritt.
4. in seiner Wirkung vor allem von der Wahrnehmung der Stakeholder abhängig ist.34
5. als Prozess zeitlich begrenzt ist.
2.2.2 Verlauf von Unternehmenskrisen
Wie in der oben vorgestellten Definition herausgearbeitet zeichnen sich Unternehmenskrisen auch durch ihren Prozesscharakter aus. Das bedeutet, dass es sich hierbei um zeitlich eingrenzbare Abläufe handelt, die grundsätzlich durch einen Beginn und ein Ende sowie einen dazwischen liegenden Zeitraum markiert sind.
In der Forschung sind verschiedene Modelle entwickelt worden, um den prozesshaften Charakter von Unternehmenskrisen näher zu definieren. Dabei haben sich die Überlegungen von Müller und Krystek als wichtigste Ansätze herausgestellt.
So unterteilt Müller den Krisenprozess in vier aufeinander folgende Phasen. Die erste Phase bezeichnet er dabei als strategischen Krise. In ihr sind der Aufbau und / oder die Verfügbarkeit der strategisch bedeutsamen Erfolgspotenziale des Unternehmens durch ungeeignete oder fehlende Strategien gefährdet.35 In der darauffolgenden Phase, der Erfolgskrise, kommt es dann zur Gefährdung von Zielen wie Umsatz, Absatz und Gewinn.36 Hierauf folgt die Liquiditätskrise, die eine ernsthafte Bedrohung der Liquidität des Unternehmens darstellt.37 Der Krisenprozess findet mit der Insolvenz seinen Abschluss, da nunmehr spezifische Gläubigerziele bedroht sind.38
Auch wenn Müllers Modell dabei einen guten Überblick und eine klare Einteilung der verschiedenen Phasen einer Unternehmenskrise leistet, ist es nicht unproblematisch. So wird vor allem ein zentraler Aspekt von Unternehmenskrisen nicht beachtet: der potenziell ambivalente Ausgang. So endet eine Krise bei Müller zwangsläufig mit der Insolvenz und damit dem wirtschaftlichen Ende der Unternehmung. Wie aber die zuvor vorgestellten Definitionen gezeigt haben ist es aber ein konstitutiver Bestandteil von Unternehmenskrisen, dass sie auch positiv enden können. Für viele Unternehmen bieten Krisen auch erhebliche Chancen, ihren Fortbestand zu sichern, indem sie sich neu erfinden.
Zur Beschreibung des Krisenprozesses scheint daher das von Krystek vorgeschlagene Modell geeigneter. So unterteilt er eine Unternehmenskrise in ebenfalls vier Phasen. Die erste Phase bezeichnet er als potenzielle Krise.39 Die Krise ist hier nicht sichtbar und nicht vorhersehbar, wird jedoch durch in diesem Zeitraum erfolgendes Handeln mitverursacht. Darauf folgt die latente Krise, in der die anstehende Krise mit herkömmlichen Instrumentarien der Unternehmen noch nicht sichtbar durch Krisenprävention aber bemerkbar ist.40 Die dritte Phase wird als akute / beherrschbare Krise bezeichnet. So ist die Krise ausgebrochen, kann aber durch richtige Gegenmaßnahmen in eine konstruktive Situation überführt werden.41 Erst wenn dies nicht erfolgt, kommt es zur vierten Phase. Die akute / nicht beherrschbare Krise hat dabei die Liquidation des Unternehmens zur unausweichlichen Folge.42
Krystek beachtet damit durch seine Unterscheidung zwischen einer beherrschbaren und einer unbeherrschbaren Krise den potenziell ambivalenten Ausgang eben dieser. So kann durch gezieltes Krisenmanagement die entstandene Bedrohung vom Unternehmen abgewendet werden. Dies muss jedoch nicht zwingend der Fall sein. Sowohl die Rettung des Unternehmens als auch die Liquidation erscheinen als mögliche Folgen einer Krise. Wie aber kommt es überhaupt zu Unternehmenskrisen?
2.2.3 Ursachen von Unternehmenskrisen
Nachdem nun die zentralen Charakteristika und der Verlauf von Krisen herausgearbeitet wurden soll die Frage nach den Ursachen gestellt werden. In der Literatur haben sich dabei mit der qualitativen und der quantitativen Krisenursachenforschung zwei grundlegende Paradigmata herausgebildet. Beide sollen im Folgenden vorgestellt und kritisch gewürdigt werden.
Die quantitative Krisenursachenforschung versucht durch statistisch leicht erfassbare Daten wie der Unternehmensgröße, dem Umsatz oder auch der Branchenzugehörigkeit einen Zusammenhang zwischen diesen Fakten und Unternehmenskrisen herzustellen. Als Unternehmenskrise wird hier eine Insolvenz der Organisation verstanden. Durch die Vorgehensweise wird ein Zusammenhang von Ursache und Wirkung zwischen den erhobenen Parametern und dem wirtschaftlichen Scheitern eines Unternehmens hergestellt.43
Die Ergebnisse der quantitativen Krisenursachenforschung zeigen dabei, dass vor allem Firmen aus dem Dienstleistungsgewerbe von Krisen betroffen sind. Daneben spielt die Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung eine entscheidende Rolle bei der Wahrscheinlichkeit, von einer Krise betroffen zu sein. Des Weiteren sind vor allem Unternehmen mit einem Umsatz zwischen 05, und 5 Millionen Euro sowie einem Alter von 0-4 Jahren von Krisen betroffen.44
Die Vorgehensweise der quantitativen Krisenursachenforschung ist dabei in gleich mehrfacher Hinsicht problematisch. So werden zum einen nur Krisen erfasst, deren Ausgang mit der Insolvenz des Unternehmens gleichbedeutend war. Hierdurch wird aber der ambivalente Charakter von Krisen außer Acht gelassen, wodurch die Zahl der betrachteten Phänomene eingeschränkt und somit die Aussagefähigkeit der Studien verringert wird. Zum anderen ist fraglich ob es sich bei den erhobenen quantitativen Daten wirklich um Ursachen von Krisen handelt. So sind diese oftmals wohl eher als Symptome zu verstehen, die die betroffenen Unternehmen teilen. Die wirklichen Ursachen können dadurch von oberflächlichen Faktoren in den Hintergrund gedrängt werden.45 Im Gegensatz zur quantitativen geht die qualitative Krisenursachenforschung auf eine gänzlich verschiedene Weise vor. So wertet sie Umfragen von Managern sowie Insolvenz- und Unternehmensberatern aus. Daneben werden Berichte über individuelle Unternehmenskrisen analysiert. Hieraus sollen dann allgemein gültige Hinweise auf die Ursachen von Unternehmenskrisen abgeleitet werden.46
Der Vorteil dieser Vorgehensweise liegt auf der Ausweitung des Betrachtungsgegenstandes, da erfolgreich gemeisterte Unternehmenskrisen gezielt mit einbezogen werden können. Es bleibt aber anzumerken, dass in methodischer Hinsicht auf eine induktive Schlussfolgerung zurückgegriffen wird, die postuliert, dass die für ein Unternehmen als ursächlich genannten Faktoren auch für andere Unternehmen generell relevant sind.47 Nachdem die Ursachen von Krisen analysiert wurden soll im nächsten Schritt die Reaktion auf eine Krise in Form der Krisenkommunikation näher betrachtet werden.
[...]
1 Vgl. Besson 2013 und Kreutzer 2018.
2 Vgl. etwa Kreutzer 2018 und Hettler 2010.
3 Vgl. zur Demokratisierung der Markenführung generell Vill und Pirouz 2012.
4 Vgl. Wendling, Radisch und Jacobzone 2013 und Stoffels und Bernskötter 2012.
5 Kaplan und Haenlein 2010, 61. Eine vergleichbare Definition liefert auch Obar 2015, 746.
6 Vgl. dies. 62.
7 Bendel 2018.
8 Vgl. ebd.
9 Vgl. Obar 2015, 746.
10 Vgl. Statista 2018a.
11 Vgl. Lackes 2018.
12 Vgl. Ellison und Boyd 2008, 211. Auch Amichai-Hamburger und Hayat 2018 liefern eine solche Definition.
13 Vgl. dies., 213.
14 Vgl. dies., 213.
15 Vgl. Statista 2018a.
16 Vgl. Statista 2018b.
17 Vgl. Facebook, Unternehmensgeschichte 2018.
18 Vgl. ebd.
19 Vgl. Statista 2018b
20 Eigene Berechnung basierend auf den Angaben zur Weltbevölkerung bei Statista 2018c.
21 Vgl. Wirtschaftswoche, Facebook 2018.
22 Vgl. FAZ 2018.
23 Vgl. Yahoo, Facebook 2018.
24 Vgl. Statista 2018d.
25 Vgl. Hettler 2010, 68 und 73-75 und Kreutzer 2018, 6.
26 Vgl. Kreutzer 2018, 6.
27 Vgl. Hettler 2010, 68 und 75-77.
28 Vgl. Kreutzer 2018, 6.
29 Vgl. Krystek und Lentz 2013, 30.
30 Coombs 2012, 3.
31 Krystek und Lentz 2013, 30.
32 Vgl. Coombs 2012, 3 f.
33 Vgl. Krystek und Lentz 2013, 31 f.
34 Vgl. zu dem Aspekt der Konstruktion von Krisen durch Stakeholder auch Sandhu 2013, passim.
35 Vgl. Müller 1986, 25.
36 Vgl. ebd., 26.
37 Vgl. ebd., 26 f.
38 Vgl. ebd, 27.
39 Vgl. Krystek 1987, 29.
40 Vgl. ebd., 30.
41 Vgl. ebd., 30.
42 Vgl. ebd., 31.
43 Vgl. Krystek und Moldenhauer 2007, 41.
44 Vgl. Krystek und Lenz 2013, 35.
45 Vgl. Schulenburg 2008, 66; Krystek und Lenz 2013, 35.
46 Vgl. Krystek und Moldenhauer 2007, 41.
47 Vgl. Krystek und Lenz 2013, 36f.