Progressive Pfingstkirchen und sozialer Aufstieg

Die Ethnographie „Global Pentecostalism:The New Face of Christian Social Engagement” von Donald E. Miller und Testunao Yamamori vor dem Hintergrund Webers protestantischer Arbeitsmoral


Hausarbeit (Hauptseminar), 2019

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kapitalistischer Geist und protestantische Ethik

3. Progressive Pfingstbewegung
3.1. Der protestantische Geist in progressiven Pfingstkirchen
3.2. Ein gottgefälliges Leben und individuelle Transformation

4. Kritik an der Anwendung Webers Protestantischer Ethik als Evolutionismus

5. Schlussfolgerungen

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Diese Hausarbeit untersucht den Zusammenhang zwischen der protestantischen Arbeitsmoral und der Sozialarbeit der sogenannten progressiven Pfingstbewegung. Grundlage ist die Ethnographie „Global Pentecostalism, The New Face of Christian Social Engagement“ von Donald E. Miller und Tetsunao Yamamori, die 2007 erschienen ist. Miller und Yamamori untersuchen Pfingstgemeinden, deren Schwerpunkt nach eigenem Bekunden in der Sozialarbeit besteht. Das nennen sie „Progressive Pentecostalism“. Diese Richtung der Pfingstbewegung wächst überwiegend im globalen Süden: dort errichten die Gemeinden Krankenhäuser, machen Sozialarbeit mit Straßenkindern und betreiben Schulen. Miller und Yamamori schlussfolgern aus ihren Beobachtungen, dass diese Bewegung positive Auswirkungen auf die soziale Realität der Gläubigen habe. Das machen sie unter anderem am sozialen Aufstieg der Gemeindemitglieder fest. Hier äußere sich unter anderem der „Geist des Kapitalismus“, wie ihn Max Weber vor mehr als hundert Jahren in seinem Werk „Die protestantische Ethik“ beschrieben hat.

Für mich ergibt sich hiermit die Frage, inwiefern die Orthodoxie der Progressive Pentecostalism tatsächlich in der Tradition der protestantischen Ethik steht.

Zunächst werde ich mit dem kapitalistischen Geist befassen und ihn beschreiben. Danach geht es darum, inwiefern die Progressive Pfingstkirche diesen Geist reproduzieren und welche Elemente sich in der Darstellung des Progressiven Pfingstbewegung durch Miller und Yamamori ausmachen lassen. Im weiteren Verlauf möchte ich meine Befunde bewerten und untersuchen, wie sich die Argumentation Webers fortführen lässt auf andere lebensweltliche Praxen, die die progressiven Pfingstkirchen durchführen. Abschließend möchte ich mich kritisch mit den im Buch verwenden Begrifflichkeiten auseinandersetzen und einen Ausblick geben.

2. Kapitalistischer Geist und protestantische Ethik

Im Werk „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ (1904) stellt Max Weber die These auf, dass die Art der Lebensführung, die im Protestantismus angepriesen wird, dem Anhäufen von ökonomischem Kapital zweckdienlich ist. Er belegt das mit der historischen Entwicklung Europas im 18. Jahrhundert. Diese sei vom „ganz vorwiegend protestantischen Charakter des Kapitalbesitzes und Unternehmertums“ geprägt. (Weber 2017:7)

Wie kommt er darauf? Durch Statistiken der Konfessionen, vorwiegend in Deutschland. Diese ließen einen kausalen Zusammenhang zwischen Kapitalismus und protestantischer Konfessionszugehörigkeit erkennen. Weber führt dies nicht auf historisch-politische Faktoren zurück, sondern schließt auf die „innere Eigenart“ der Konfession. (Weber 2017:13)

Ein Teil dieser inneren Eigenart ist die calvinistische Prädestinationslehre, die als Katalysator für den modernen Kapitalismus funktioniert hat. Die Prädestinationslehre geht davon aus, dass Gott schon vor der Geburt bestimmt hat, ob Menschen in den Himmel kommen werden oder nicht. Weber weist darauf hin, dass die Gläubigen angetrieben werden, zu beweisen, dass sie zu den Auserwählten gehören.

Denn nur in einer fundamentalen Umwandlung des Sinnes des ganzen Lebens in jeder Stunde und jeder Handlung kann sich das Wirken der Gnade als einer Enthebung des Menschen aus dem status naturare in den status gratie bewähren. Das Leben des „heiligen“ ist ausschließlich auf ein transzendentales Ziel, die Seligkeit, ausgerichtet, aber eben deshalb in seinem diesseitigen Verlauf rationalisiert und beherrscht von dem ausschließlichen Gesichtspunkt, Gottes Ruhm auf Erden zu mehren. (Weber 2017:118)

Als Beweis für die Erwählung gilt unter anderem der Fleiß, der im Diesseits ausgeführt wird. Weber spricht in diesem Zusammenhang von einer Rationalisierung, da der Lebensstil wertrational angepasst wird. „Diese Rationalisierung der Lebensführung innerhalb der Welt im Hinblick auf das Jenseits ist die Berufsidee des asketischen Protestantismus“ (Weber 2017: 181). Die Gläubigen sind bestrebt, fleißig zu sein und versuchen gleichzeitig, auf Genussmittel zu verzichten. Dieser Lebensstil sorgt für einen Überschuss an Geld und steht somit mit kapitalistischem Geist im Einklang. (Weber 2017: 218).

Der Kapitalistische Geist kann mit Benjamin Franklins Worten zusammengefasst werden: „Zeit ist Geld“. Zeit soll effektiv genutzt werden: ein disziplinierter Lebensstil gilt als moralische Pflicht. Die Doktrin, die den kapitalistischen Geist vorantreibt, lautet somit: Mehr arbeiten als notwendig und den Surplus reinvestieren. Dies steht laut Weber im Gegensatz zur traditionellen Ethik etwa aus dem Mittelalter, wo nur so viel gearbeitet wird, wie notwendig, Bedürfnisse sofort gestillt werden und es keinen Anreiz gibt, ökonomisches Kapital anzuhäufen: „Der Mensch will ‚von Natur‘ nicht Geld und mehr Geld verdienen, sondern einfach leben, so leben, wie er zu leben gewohnt ist und so viel erwerben, wie dazu erforderlich ist.“ (Weber 2017: 89).

Moderner Kapitalismus ist laut Weber somit das Streben nach Gewinn und Rentabilität (Weber 2017: 238). In der protestantischen Ethik ist man bestrebt, sein gesamtes Leben gottgefällig zu gestalten und dem Sündhaften zu entgehen. Der Erwerb von Geld wird nicht angetrieben durch die Gier nach Reichtum, sondern durch ein systematisch-rationales Erwerbstreben:

[…] das äußert sich im Erwerb von Geld und immer mehr Geld, unter strengster Vermeidung allen unbefangenen Genießens, so gänzlich aller eudämonistischen oder gar hedonistischen Gesichtspunkten entkleidet, so rein als Selbstzweck gedacht, dass es als etwas gegenüber dem ‚Glück‘ oder dem ‚Nutzen‘ des einzelnen Individuums jedenfalls gänzlich Transzendentes und schlechthin Irrationales erscheint. (Weber 2017:28)

Das Leben im Einklang mit dem kapitalistischen Geist ist rational. Dagegen sind Genussmittel, die nur dem Vergnügen dienen, irrational. Die Rationalisierung umfasst alle Lebensbereiche und dementsprechend gelten spirituelle Bestrebungen nicht nur einzelnen Taten, sondern wirken sich ganzheitlich auf das Leben aus.

Die ethische Praxis des Alltagsmenschen wird ihrer Plan- und Systemlosigkeit entkleidet und zu einer konsequenten Methode der ganzen Lebensführung ausgestaltet. (Weber 2017:117).

In diesem Sinne unterscheidet sich die protestantische Ethik von der katholischen, da Katholiken sich ihrer Sünden im Diesseits durch Mittler, wie Priester, entledigen können und somit nicht von Anfang an der Sünde entgehen müssen. Der Beichtstuhl erfüllt so zum Beispiel die Funktion, dass begangene Sünden bereinigt werden können. Ein asketischer Lebensstil wird also nicht vorausgesetzt. Ebenso wenig ist eine rationale Lebensgestaltung im Katholizismus vorhanden:

Diese Rationalisierung nun gibt der reformierten Frömmigkeit ihren spezifisch asketischen Zug und begründet ihre innere Verwandtschaft wie ihren spezifischen Gegensatz zum Katholizismus. (Weber 2017:119)

Als zweiter Ansatz des Protestantismus führt Weber die Berufsidee ein, die von Martin Luther geprägt wurde. Der Reformator verstand den Beruf als Aufgabe in der religiösen Pflicht. Somit wurde nach Webers Interpretation jeder Beruf zu einer Berufung Gottes:

[…] unbedingt neu war jedenfalls zunächst eins: die Schätzung der Pflichterfüllung innerhalb der weltlichen Berufe als des höchsten Inhaltes, den die sittliche Selbstbestätigung überhaupt annehmen könne. (Weber 2017:62)

Webers These: der mit dem Protestantismus verbundene asketische Lebensstil und die inhärente Stellung des Berufes als göttliche Berufung haben dem kapitalistischen Geist im 18. Jahrhundert Vorschub geleistet und dazu beigetragen ein kapitalistisches System entstehen zu lassen.

Im weiteren Verlauf werde ich mich mit der Ethnographie von Miller und Yamamori auseinandersetzen und werde den Begriff des „Progressive Pentecostalism“ beschreiben.

3. Progressive Pfingstbewegung

Den Begriff des Progressive Pfingstbewegung verwenden Miller und Yamamori, um ein Phänomen innerhalb der Pfingstbewegung zu beschreiben. Für ihre Forschung wollten sie religiöse Institutionen im Globalen Süden untersuchen, die folgenden Kriterien unterliegen: „(1) be fast growing, (2) be located in the developing world, (3) have active social programs addressing needs in their communities and (4) be indigenous movements.“ (Miller 2007:6) Fazit: 85% der Kirchen, die mit den Voraussetzungen übereinstimmen, gehören der Pfingstbewegung an. Aus dieser Erkenntnis leiten Miller und Yamamori ihre Hauptthese ab: „some of the most innovative social programs in the world are being initiated by fast-growing Pentecostal churches.” (Miller 2007:6)

Die Pfingstbewegung ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass sie an die apokalyptische Wiederkehr Jesu glaubt und deshalb nicht versucht, auf eine soziale Transformation ihrer Mitglieder einzuwirken. Die Progressive Pfingstkirche steht in der Tradition des Glaubens an die Apokalypse, jedoch leistet sie aktive Sozialarbeit, um den Bedürfnissen ihrer Gemeindemitglieder entgegenzukommen. Progressiv ist somit nicht im politischen Sinne gemeint, sondern in einer Art neuen Weiterführung der pfingstlichen Glaubensansätze.

Im Gegensatz zur Befreiungstheologie oder Social-Gospel-Bewegung ist die Progressive Pfingstbewegung größtenteils unpolitisch und möchte nicht soziale Strukturen reformieren, sondern setzt auf individuelle Transformation. (Miller 2007: 4)

Diese Behauptung bildet die Grundlage für die Fragestellung der Hausarbeit: Die individuelle Transformation hat systemische Auswirkungen im Sinne einer Verfestigung des kapitalistischen Systems, wie sie von Weber für das Europa des 18. Jahrhunderts beobachtet wurden.

Die Progressive Pfingstbewegung umfasst Christen und Christinnen, die sich vom Heiligen Geist berufen fühlen und durch das Leben Jesu inspiriert sind. Die Gemeinden versuchen ihrerseits, ganzheitlich den sozialen, physischen und spirituellen Bedürfnissen ihrer Gemeindemitglieder nachzukommen. (Miller 2007:2)

Die Sozialarbeit der Progressive Pentecostalism ist der normative Kern. Das Selbstverständnis bzw.- Existenzrecht der Gemeinden bezieht sich auf die Lebenshilfe in allen Bereichen wie Bildung, Gesundheitsdienstleistungen und andere Hilfs- und Entwicklungstätigkeiten.

Somit will die Pfingstbewegung einen positiven Einfluss auf die äußeren Lebenswelten ihrer Gemeindemitglieder bewirken. Darüber hinaus postuliert die Progressive Pfingstkirche eine Einflussnahme auf die innere Haltung und Lebensführung ihrer Gemeindemitglieder. Diesen werden die positiven Folgen eines asketischen Lebensstils durch Verzicht auf Alkohol und vorehelichen Geschlechtsverkehr, persönlicher Disziplin und Ehrlichkeit immer wieder geschildert, bis diese akzeptiert und gelebt werden. Miller spricht in diesem Zusammenhang von „Werbung“ für diese Lebensweise (Miller 2007:164)

In der angeworbenen disziplinierten Lebensweise finden sich Parallelen zu dem, was Weber als protestantische Ethik beschrieben hatte.

Als nächstes möchte ich der Frage nachgehen, ob das Verhalten der sogenannten progressive Pfingstler mit dem Profil der Protestanten des 18. Jahrhundert, wie sie Weber beschreibt, verglichen werden können. Wie stehen die Sozialarbeit und Orthodoxie der Pfingstler im Zusammenhang mit ökomischen Erfolg?

3.1. Der protestantische Geist in progressiven Pfingstkirchen

Die Pfingstbewegung exportiert den kapitalistischen Geist in den globalen Süden. Das ist die Beobachtung des amerikanischen Religionssoziologen Peter Berger. In seinem Artikel: “Max Weber is Alive and Well, And Living in Guatemala ” schreibt Berger, dass die aktuellen pfingstkirchlichen Gemeinden mit ihrer Betonung auf Motivation, Unternehmertum und Disziplin die protestantische Arbeitsethik auf den Globalen Süden übertragen. Für die sogenannten Entwicklungsländer würde der christliche Glaube das tun, was der Calvinismus im achtzehnten Jahrhundert für Europa getan habe (Berger 2010:1)

Zum gleichen Befund kommt auch der Historiker Robert M. Anderson. Er beschreibt, dass die Pfingstbewegung ihren Gemeindemitgliedern eine Ethik der harten Arbeit und der Enthaltsamkeit vermittle. Er identifiziert das als Qualitäten des idealen Proletariers in einer kapitalistischen Welt (Anderson 1987: 230). Die Verbindung zu Webers These scheint also naheliegend.

Auf den ersten Blick haben die Anhänger der Pfingstbewegung aber nur wenig gemein mit den Calvinisten des 18. Jahrhundert. Das zeigt sich zum Beispiel beim Gottesdienst. Der Gottesdienst in den Pfingstgemeinden wird äußerst lebendig gestaltet mit viel Tanz, Gesängen und Lobpreisungen (Miller 2007:16). Die Gemeindemitglieder stehen während des Gottesdienstes und sind in Bewegung. Kennzeichen der protestantische Gottesdienst war dagegen die Erfindung der Kirchenbank. Im Zuge der Reformation wurden in den protestantischen Kirchen Bänke eingebaut. Die Gläubigen können auf ihnen in innerer Andacht die Predigt verfolgen. Das führt zu einer gebeugten, passiven Haltung. Dieses Wesenselement des Gottesdienstes steht im Gegensatz zum Gottesdienst der Pfingstbewegung.

Ein weiterer Unterschied ist, dass die Pfingstler nicht an Calvins Prädestinationslehre glauben. Bei der theologischen Orientierung der Pfingstbewegung besteht eine Verbindung zu Jacobus Arminius, der in vielen Punkten Calvin widersprochen hat. (Miller 2007:164) Miller und Yamamori konstatieren im Gegensatz dazu, dass die Ethik der Pfingstbewegung in vielen Punkten auf die weltliche Vergegenwärtigung von Gottes Willen ausgerichtet sei:

Absent from the conversation of the Pentecostals we interviewed was therapeutic rhetoric regarding finding one´s personal path to self-realization and happiness. The notion of fulfillment was framed entirely differently. True happiness is found in following Gods will. When one´s priorities are aligned with God´s intentions, then worldly signs of success fade into significance. (Miller 2007:149)

Das heißt, dass obwohl die Pfingstbewegung nicht an die Prädestinationslehre glaubt, so ist sie jedoch genauso erpicht darauf, gottgefällig zu handeln. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist der „weltliche Erfolg“ als Indiz der Einhaltung Gottes Willen. Mit dieser Konsequenz rechnen auch die Calvinisten. Somit stellt sich weiter die Frage, ob sich die Idee eines gottgefälligen Lebens der Pfingstbewegung übereinstimmt mit dem, was Weber beobachten konnte.

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Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Progressive Pfingstkirchen und sozialer Aufstieg
Untertitel
Die Ethnographie „Global Pentecostalism:The New Face of Christian Social Engagement” von Donald E. Miller und Testunao Yamamori vor dem Hintergrund Webers protestantischer Arbeitsmoral
Hochschule
Universität Leipzig  (Ethnologie)
Veranstaltung
Religion, Ritual, Performanz
Note
1,7
Autor
Jahr
2019
Seiten
15
Katalognummer
V468977
ISBN (eBook)
9783668945906
ISBN (Buch)
9783668945913
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Max Weber, Kapitalistischer Geist, Arbeitsethik, Sozialer Süden, Globale Pfingstbewegung, Global Pentecostalism, Donald E. Miller, Testunao Yamamori, The New Face of Christian Social Engagement
Arbeit zitieren
Henriette Boysen (Autor:in), 2019, Progressive Pfingstkirchen und sozialer Aufstieg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/468977

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