Gentrifizierung in Mainz. Eine Analyse der Gentrifizierungsprozesse in der südlichen Mainzer Neustadt


Bachelorarbeit, 2017

81 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG

2 GENTRIFIZIERUNG – THEORIERAHMEN UND FORSCHUNGSSTAND
2.1 GENTRIFIZIERUNG-EINEBEGRIFFSDEFINITION
2.2 ERKLÄRUNGSMODELLE
2.3 VERLAUF DERGENTRIFIZIERUNG UND DIEAKTEURE
2.4 DIE KULTURELLELOGIK DERAUFWERTUNG

3 GENTRIFIZIERUNGSPROZESSE IN DER SÜDLICHEN MAINZER NEUSTADT
3.1 DASUNTERSUCHUNGSGEBIET
3.2 DIE SYMBOLISCHEGENTRIFIZIERUNG AMGARTENFELDPLATZ
3.2.1 UNTERSUCHUNGSMETHODE
3.2.2 DATENGRUNDLAGE UND OPERATIONALISIERUNG
3.2.3 ERGEBNISSE DER AUSWERTUNG
3.3 DIE FUNKTIONALE UND KOMMERZIELLEGENTRIFIZIERUNG–DIE NEUE
ANGEBOTSSTRUKTUR IN DER SÜDLICHENNEUSTADT
3.3.1 DIE TRANSFORMATION DER ANGEBOTSSTRUKTUR
3.3.2 DER GESCHMACK DER GENTRIFIZIERUNG
3.3.3 ANALYSE DER ANGEBOTSSTRUKTUR
3.4 DIE BAULICHE UND WOHNUNGSWIRTSCHAFTLICHEGENTRIFIZIERUNG
3.4.1 DAS STADTFÖRDERPROGRAMM – „SOZIALE STADT“
3.4.2 MIETPREISENTWICKLUNG UND MIETBELASTUNG
3.4.3 NEUE EIGENTÜMER UND DIE TRANSFORMATION VON MIET – IN EIGENTUMSWOHNUNGEN
3.5 DIE SOZIALEGENTRIFIZIERUNG
3.5.1 AUSWERTUNG SOZIALSTATISTISCHER DATEN
3.5.2 ANALYSE DER SOZIALSTATISTISCHEN DATEN

4 FAZIT UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

5 LITERATURVERZEICHNIS

6 ANHANG

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Doppelter Invasions – Sukzessions – Zyklus der Gentrifizierung im 49 idealtypischen Verlauf

Abbildung 2: Analyseschema der Gentrifizierung

Abbildung 3: Das Untersuchungsgebiet Mainz Neustadt-Süd (gelb) im Kontext. Bezirk Ingelheimer Aue/Zollhafen (grau) Baumaßnahmen für neues hochpreisiges Wohnquartier um den alten Binnenhafen

Abbildung 4: Untersuchungsgebiet Mainz Neustadt – Süd (Maßstab 1: 7000)

Abbildung 5: Dichte Wohnbebauung unterschiedlicher Baualtersklassen – Leibnizstraße

Abbildung 6: Gartenfeldplatz (1/2)

Abbildung 7: Gartenfeldplatz ( 2/2)

Abbildung 8: Annabatterie (außen)

Abbildung 9: Annabatterie (innen)

Abbildung 10: Bukafski

Abbildung 11: N´Eis (außen)

Abbildung 12: N´Eis (innen)

Abbildung 13: Schrebergarten (innen)

Abbildung 14: Schrebergarten (Preistafel)

Abbildung 15: Klotz & Quer

Abbildung 16: Cremina

Abbildung 17: Möhrenmilieu (außen)

Abbildung 18: Möhrenmilieu (innen)

Abbildung 19: Neustadt-Apotheke

Abbildung 20: Weinhandlung Laurenz und Zweitstelle

Abbildung 21: Verortung der neuen Angebotsstruktur in Mainz Neustadt – Süd (Maßstab 1:7000)

Abbildung 22: Kartierung der Erdgeschossnutzung am Gartenfeldplatz 2017 67 (Maßstab 1:1500)

Abbildung 23: Neues Quartier Zollhafen (1/3)

Abbildung 24: Neues Quartier Zollhafen (2/3)

Abbildung 25: Neues Quartier Zollhafen (3/3)

Abbildung 26: Gentrifizierungskritik (1/3)

Abbildung 27: Gentrifizierungskritik (2/3)

Abbildung 28: Gentrifizierungskritik (3/3)

Abbildung 29: Gute Wohnlage - Taunusstraße

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Phasenmodell der Gentrifizierung und Indikatoren

Tabelle 2: Klassifikation sozialer Gruppen

Tabelle 3: Decodierte Images von Print- und Onlinemedien über den Gartenfeldplatz

Tabelle 4: Übersicht über Leitfragen und Hypothesen

Tabelle 5: Verhältnis der Sozialversicherungsbeschäftigten zu SGB - II Empfängern

Tabelle 6: Übersicht sozialstatistischer Daten der Bezirke 161, 162 und

1 Einleitung

Über lange Zeit hinweg war die Diskussion um das Thema Stadtentwicklung in starkem Maße von der Frage geprägt, wie sich eine „Verödung“ von Innenstädten aufhalten oder gar umkehren ließe. Seit rund zehn Jahren hat sich die Ausgangssituation in einigen Groß – und großen Mittelstädten stark verändert. Es ist gar von einer „Renaissance“ der Innenstädte die Rede (vgl. Franke et al. 2017: 13). Der mehr oder weniger neue „Run“ auf bestimmte Städte führt hier zu teils umfangreichen Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt und wirkt sich damit auch auf bestimmte Quartiersstrukturen aus. Die daraus resultierenden Entwicklungen und Probleme für die Stadtentwicklung greifen unter anderem die Autoren Holm und Franke auf (vgl. Holm 2012: 677 ff.; Franke et al. 2017: 14). Medial stehen dabei die steigenden Mieten und die neue Wohnungsnot in den betroffenen Städten im Vordergrund. Daraus resultiert seit geraumer Zeit eine intensivierte Debatte um den Begriff Gentrifizierung. Dieser hat sich unverkennbar zu einem ständigen Begleiter städtischer Veränderung entwickelt und wird bisweilen als „dominierender Stadtentwicklungsprozess“ bezeichnet (vgl. Holm 2010: 5; Bröcker 2013: 23, 46). Mehr als alle anderen Begriffe der Stadtforschung ist Gentrifizierung als „Kampfbegriff“ Teil der politischen Auseinandersetzung (vgl. Diller 2014: 10). Während von Seiten der Kommunalpolitik und – verwaltung die damit einhergehende Aufwertung oftmals als bewusste Bestands – und Standortpolitik gesehen wird, setzen Gentrifizierungskritiker1 Aufwertungserfolge mit Strategien einer neoliberalen, unternehmerischen und damit unsolidarischen Stadtpolitik gleich (vgl. Franke/Strauss 2016: 2).

Beim Umgang mit Gentrifizierung stehen von Seiten vieler Kommunen die Stichworte „Versachlichung“ bzw. „Objektivierung“ im Mittelpunkt. Dabei richtet sich der Blick vielmals auf die aktuelle wissenschaftliche Gentrifizierungsforschung, um eine Antwort zu finden, wann und in welchem Umfang Gentrifizierung vorliegt oder eben nicht (vgl. ebd.: 2f.). Stark generalisierend lässt sich Folgendes festhalten: die Beschreibungen von Gentrifizierungs – ursachen und – verläufen treffen auf heutige Entwicklungen die ebenfalls mit Gentrifizierung assoziiert, werden oft nicht mehr zu. Gentrifizierung muss daher multiperspektivisch betrachtet werden. Die größten und dynamischsten Städte gelten traditionell als Gentrifizierungs – Kandidaten. Doch auch in kleineren Städten haben städtische Aufwertungsdynamiken an Fahrt aufgenommen (vgl. Holm 2010: 8).

Die Landeshauptstadt Mainz befindet sich seit längerer Zeit auf der Rangliste der deutschen Städte mit den teuersten Mietpreisen ganz oben und verzeichnet in den letzten Jahren einen deutlichen Bevölkerungszuzug (vgl. Konzept Wohnen in Mainz 2016: 4f.). Darüber hinaus wird das Thema Gentrifizierung vor allem im Stadtteil Neustadt von den lokalen Medien vermehrt aufgegriffen (vgl. u.a. AZ 21.01.2016). Die Stadtverwaltung nimmt zudem am laufenden Forschungsprojekt „Soziale Vielfalt in der Stadt – Stadtquartiere unter Nachfragedruck“ des Bundesbauministeriums teil, um extern überprüfen zu lassen, ob die Bezirke der südlichen Neustadt jene Voraussetzungen erfüllen, deren wissenschaftlicher Nachweis zur Einführung einer sozialen Erhaltungssatzung erforderlich ist (vgl. Konzept Wohnen in Mainz 2016: 10). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob in der südlichen Mainzer Neustadt Gentrifizierungsprozesse vorzufinden sind.

Auf der Grundlage der aktuellen wissenschaftlichen Gentrifizierungsforschung, wonach Gentrifizierungdynamiken anhand mehrerer Aufwertungsdimensionen nachweisbar sind, wird die Hypothese aufgestellt, dass in der südlichen Mainzer Neustadt Gentrifizierungsprozesse stattfinden.

Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, die unterschiedlichen Aufwertungsdimensionen im Untersuchungsgebiet zu identifizieren und auf ihr Gentrifizierungspotenzial hin zu untersuchen. Anhand der Untersuchungsergebnisse wird der Grad der Gentrifizierung analysiert.

Im ersten Teil wird der Theorierahmen und Forschungsstand zum Thema Gentrifizierung vorgestellt. Dabei wird das Problem der Definition von Gentrifizierung thematisiert und es werden einige zentrale Ergebnisse zu Erklärungsursachen, dem Verlauf der Gentrifizierung und ihre Akteure erläutert. Ausführlich wird dann auf die kulturelle Logik der Aufwertung eingegangen, wobei die Fragen im Mittelpunkt stehen, welche Funktion kulturelles Kapital im Gentrifizierungsprozess darstellt und welche Rolle die symbolische Aufwertung spielt. Die Analyse der Gentrifizierungserscheinungen in der südlichen Neustadt erfolgt im zweiten Teil. Hierfür wird zuerst das Untersuchungsgebiet beschrieben. Im Anschluss werden die vier identifizierten Aufwertungsdimensionen in ihren jeweiligen Abschnitten zunächst dargestellt, um nachfolgend mit Hilfe unterschiedlicher Methoden die Analyse der jeweiligen Gentrifizierungsprozesse durchzuführen. Abschließend werden die Ergebnisse ausgewertet. Im Fazit werden die Ergebnisse zusammenfassend dargestellt und bewertet. Es folgt eine Einschätzung, ob im Untersuchungsraum Gentrifizierungsprozesse nachzuweisen sind.

SchlieBlich werden Vorschliige fUr eme weitere Analyse des Untersuchungsgebietes und Handlungsmoglichkeiten fUr die Stadt Mainz im Umgang mit Gentrifizierung skizziert.

2 Gentrifizierung – Theorierahmen und Forschungsstand

2.1 Gentrifizierung - eine Begriffsdefinition

Der Prozess der Gentrifizierung, also die Aufwertung von innenstadtnahen Wohngebieten, ist in internationalen Großstädten seit den 1960er Jahren zu beobachten. Insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten tritt dieser Prozess in fast allen deutschen Großstädten in Erscheinung. Der Begriff wird häufig nicht nur positiv als („Wiederaufwertung“), sondern auch mit einer negativen Bewertung verbunden (vgl. Blasius et al. 2016: 542), da Gentrifizierung vielfach auch zu einer Verdrängung der ärmeren und alteingesessenen Bevölkerung führt (Alisch/zum Felde 1990; Blasius 1994; Holm 2010, 2011).

Der Ausdruck „Gentrification“ selbst wurde von Ruth Glass im Jahre 1964 eingeführt, als sie erstmals die Beschreibung solcher Aufwertungsprozesse innerstädtischer Wohnviertel untersuchte.

Für Definitionen des Begriffs wird in der Regel eine Kombination aus der Erneuerung des Wohnungsbestandes und des Anstiegs des Anteils an Angehörigen der Mittel – und der oberen Mittelschicht verwendet. So ist nach Holm (2012: 662) die Definition von Kennedy/Leonhard die am weitesten verbreitete in der Gentrifizierungsforschung. Sie verstehen unter dem Konzept der Gentrifizierung den „Austausch von statusniederen durch statushöhere Bewohner_innen, die bauliche Aufwertung und ökonomische Inwertsetzung des Stadtteils sowie umfassende Veränderungen des Nachbarschaftscharakters“ (Kennedy/Leonhard 2001: 5). Demgegenüber richtet sich die Definition anderer Autoren, wie etwa von Marcuse, auf den Aspekt der Verdrängung als Kern der Gentrifizierung „Verdrängung ist das Wesen der Gentrification, ihr Ziel, nicht ein unerwünschter Nebeneffekt“ (Marcuse 1992: 80). Auch Alisch/zum Felde (1990: 277) konstatieren, dass Verdrängung vermutlich das größte, wenn nicht sogar das eigentliche Problem von Gentrifizierung ist. Auch Karow – Kluge/Schmidt (2013: 180) und Diller (2014: 23) sehen Verdrängung als ein konstitutives Merkmal von Gentrifizierung in Abgrenzung zu anderen städtischen Transformationsprozessen.

Bereits vor über 20 Jahren stellte Friedrichs (1996: 13) fest, dass Gentrifizierung als ein „chaotisches Konzept“ bezeichnet werde sollte. Neben den methodologischen Problemen überlagert die ideologische Diskussion die Bewertung, wie die Prozesse einzuordnen seien, ohne sie angemessen definiert, beobachtet oder gar erklärt zu haben (ebd.: 39). Auch heute wird eine grundsätzliche Debatte geführt, welche Dimensionen die Konzeption des Begriffs umfasst und wo sein Analyse– und Problematisierungspotenzial aktuell liegt (vgl. Huber 2012: 38).

Der Verhandlungsbedarf scheint bei der Begriffsdefinition zu beginnen. Bis heute existiert keine allgemein anerkannte Definition von Gentrifizierung (vgl. Diller 2014: 15). Die bisherigen Definitionen orientieren sich entweder eher an den Erscheinungsformen von Gentrifizierung oder sie stellen die Ursachen für den Prozess in den Vordergrund (vgl. Glatter/Holm 2011: 5). Die Definition von Beauregard (1986: 38) richtet sich auf verschiedene Aspekte des Gentrifizierungsprozesses: „the gentrification process involves the purchasing of buildings by affluent households or by intermediaries such as speculators or developers, the upgrading of the housing stock, governmental investment in the surrounding environment, the concomitant changeover in local retail facilities, the stabilization of the neighborhood and the enhancement of the tax base“. Demgegenüber ist Friedrichs Definition dadurch gekennzeichnet, dass sie die soziale Aufwertung des Gebiets als zentrales Merkmal hervorhebt. „Gentrification ist der Austausch einer statusniedrigen Bevölkerung durch eine statushöhere Bevölkerung in einem Wohngebiet“ (Friedrichs 1996: 14). Aufgrund der methodischen Probleme, Verdrängung von Bevölkerung oder deren Austausch empirisch nachzuweisen, modifizierte Friedrichs seine erste Definition und bezeichnet Gentrifizierung als „Aufwertung eines Wohngebietes in sozialer und physischer Hinsicht“ (Friedrichs 2000: 59).

Krajewski (2006: 39, 62) unternimmt zwar keine explizite Definition von Gentrifizierung unterscheidet jedoch systematisch bauliche, soziale, funktionale und symbolische Aufwertung als Kernmerkmal des Begriffes. Beim Versuch einen begrifflichen Minimalkonsens zum Terminus Gentrifizierung zu finden, stellten Füller/Marquardt (2010: 28) fest, dass darunter ein Zuzug statushöherer bzw. einkommensstärkerer Gruppen in bestimmte Gebiete zu verstehen ist, verbunden mit der baulichen Aufwertung des Gebietes. Ein Austausch oder Verdrängung von Bevölkerungsgruppen muss nicht vorliegen, um von Gentrifizierung zu sprechen. Mittlerweile gibt es noch breitere Begriffsverwendungen. „Neutral betrachtet, bezeichnet Gentrifizierung zunächst die stadtplanerische und physikalische Umwandlung eines Quartiers und die daraus resultierenden sozialen Veränderungsprozesse“ (Götzen 2013: 21). An dieser Begriffsverwendung wird die Problematik der Gentrifizierungsdebatte deutlich.

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema wird davon ausgegangen, dass mit Gentrifizierung soziale Aufwertungsprozesse gemeint sind, einhergehend mit baulichen Veränderungen/Aufwertungen. Die vorgelegten Definitionen unterscheiden sich insbesondere dahingehend, ob neben der sozialen Aufwertung noch andere Aufwertungen zum Kernmerkmal von Gentrifizierung zu zählen sind und ob mit der sozialen Aufwertung eines Gebiets auch soziale Austausch – bzw. Verdrängungsprozesse verbunden sind. Diller (2014: 17) konstatiert, dass die Frage, welche Merkmale neben der sozialen Aufwertung noch zur Definition von Gentrifizierung gehören, eher sekundär ist, da diese Merkmale unterschiedliche Formen von Gentrifizierung kennzeichnen können und daher nicht Teil der Definition sein müssen. Ebenso verhält es sich mit dem Begriff Verdrängung. Angesichts der empirischen Befunde zur Verdrängungsproblematik stellt sich die Frage, ob diese ein konstitutives Kernmerkmal von Gentrifizierung ist oder ob mit ihm nicht auch nur eine Form von Gentrifizierung bezeichnet werden sollte (ebd.: 17).

Die Intensität und Dynamik der Debatten zum Thema Gentrifizierung hat zweifelsohne mit den unterschiedlichen Begriffsverständnissen zu tun und changieren je nach kultureller und soziologischer sowie ideologischer Ausrichtung des Betrachters (ebd.: 35). Dennoch ist das „Chaos of Gentrification“ nicht nur die Folge akademischer Beliebigkeit, sondern auch der Komplexität städtischer Prozesse geschuldet (Holm 2012: 662). Neben dem breiten Begriffsverständnis ist eine weitere Erklärung für das „Chaos“ der Gentrifizierungsforschung die oftmals unterschiedliche Bewertung dieser Prozesse. Während Sozialwissenschaftler eher dazu tendieren, Gentrifizierung als Problem zu betrachten, sehen es Stadtplaner und Politiker oftmals als Chance oder sogar als Leitmotiv der Stadtentwicklung (Holm 2010: 18).

Im Rahmen dieser Arbeit muss die Definition von Gentrifizierung vor allem einem Kriterium genügen. Sie sollte einfache, operationalisierbare Anhaltspunkte dafür geben, ob ein Gebiet gentrifiziert wurde, wird oder vermutlich wird. Eine solche Definition könnte folgende sein: „Gentrifizierung ist diejenige Form der sozialen, ökonomischen, baulichen, funktionalen, symbolischen Aufwertung eines Wohngebiets, die mit dem Austausch von statusniedrigen durch statushöhere Bevölkerungsgruppen verbunden ist“ (Diller 2014: 36). Diese Definition orientiert sich an der klassischen Definition Friedrichs (1996), indem sie den sozialen Wandel in Wohngebieten „nach oben“ als Kernmerkmal in den Vordergrund stellt und dabei Sekundärmerkmale von Krajewski (2006) in die Betrachtungsdimension mit aufnimmt. Die baulichen, ökonomischen, funktionalen und symbolischen Aspekte der Aufwertung können als erste Anhaltspunkte eines Gentrifizierungsverdachts dienen, müssen aber nicht alle gegeben sein und sie können als ergänzende Begriffe Anhaltspunkte für vertiefende Typisierungen von Gentrifizierungsprozessen und Ursachenanalysen sein. Zentrales Merkmal von Gentrifizierung ist die messbare soziale Aufwertung (vgl. Diller 2014: 36f.).

2.2 Erklärungsmodelle

Da es keine geschlossene umfassende Theorie der Gentrifizierung gibt (vgl. Friedrichs 1996: 15), wurden zu Beginn Theorien der soziokulturell orientierten Nachfrageseite in Konkurrenz zu Theorien der ökonomischen Angebotsseite auf der Ebene des Marktmodells diskutiert. Vertreter der Nachfrageseite (Hamnett/Randolph 1984) erklären die weltweit beobachteten Aufwertungsdynamiken in den Innenstädten mit Veränderungen von Haushaltsstrukturen und Lebensstilen, einhergehend mit dem Wunsch, einen urbanen Lebensstil über die Familiengründungsphase hinaus aufrecht zu erhalten. Demgegenüber sieht die Angebotstheorie (u.a. Smith 1979) den Grund für die Wiederaufwertung von innerstädtischen Quartieren in sich verändernden Investitionsstrategien der Immobilienwirtschaft.

Im Laufe der Zeit hat sich ein Grundkonsens in der Gentrifizierungsforschung dahingehend entwickelt, dass sich beide Erklärungsansätze empirisch bewährt haben, allerdings kann keiner allein das Phänomen der Gentrifizierung hinreichend erklären. Daher müssen innerhalb eines Marktmodells beide Faktoren berücksichtigt werden (vgl. Friedrichs 1996: 26; Bröcker 2013: 44).

Die Debatte um eine angemessene Erklärung hat zudem eine Reihe sozioökonomischer Anschlusstheorien hervorgebracht. Die Autoren sehen das zentrale Erklärungsmoment für Gentrifizierung am Übergang zur Dienstleistungsökonomie und der sich dadurch verändernden Nachfrage innerstädtischen Wohnraums. Die Dienstleistungsgesellschaft wird wiederum durch globale wirtschaftliche Verflechtungen erklärt (u.a. Häußermann/Siebel 1987; Dangschat 1990; Häußermann 1990). Andere Erklärungen, die sich als Anschlusstheorien bezeichnen lassen, ziehen ein verändertes Rollenverständnis und eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen heran, um den Einfluss von Frauen im Gentrifizierungsprozess aufzuweisen (Alisch 1993).

Neil Smith (1979) hat mit der „Rent Gap Theorie“ den frühesten angebotsseitigen Ansatz von Gentrifizierung entwickelt. Demnach ist Gentrifizierung auf Kapitalverwertungsprozesse innerhalb des städtischen Bodenmarktes zurückzuführen (vgl. Helbrecht 1996: 7). Vertreter der Angebotsseite argumentieren damit, dass die zyklische Bewegung des nach räumlicher Fixierung strebenden Kapitals die wichtigste und globale Rahmenbedingung von Gentrifizierung bildet (vgl. Diller 2014: 18). Anhand der Mikroökonomie der Ertragslücken (Rent Gap) wird dann versucht, konkreter zu erklären, warum Kapital in bestimmte Gebiete drängt. Die Ertragslücken beziehen sich auf die Entwertung von Kapital, indem die aktuelle Grundrente eines innerstädtischen Gebiets substanziell niedriger ist als die potentielle Grundrente, die mit einer Nutzungsänderung erreicht werden kann (vgl. Smith 1979: 545).

Während sich die Rent Gap Theorie auf Bewegungen des Grundstückmarktes konzentriert, liegt der Fokus der „Value Gap Theorie“, die von Chris Hamnett und Bill Rudolph (1984) entwickelt wurde, auf den Investitionen in den Gebäudebestand. Ein Value Gap ist der Wertunterschied zwischen der Kapitalrendite eines in Eigentumswohnungen umgewandelten Mietshauses gegenüber dem jährlichen Einkommen durch Mieteinnahmen (vgl. Helbrecht 1996: 8). Rent Gap und Value Gap können auch komplementär auftreten und erklären die Aufwertung durch die Lücken zwischen den Grundstückswerten bzw. Mieten in den Gebieten und den potenziell erzielbaren Erträgen (vgl. Holm 2012: 665).

Die ökonomische Perspektive betrachtet Gentrifizierung als Ausdruck veränderter Investitionszyklen und spezifischer Verwertungsbedingungen. Dabei werden drei Aspekte als wesentlich erachtet und untersucht: die makroökonomische Erklärung für die zyklisch wiederkehrende Attraktivität von Investitionen in den Immobiliensektor, die mikroökonomische Rationalität der Ertragslücken und die Übergänge von einer Renten – in die Renditeökonomie (vgl. Holm 2010: 20 – 28; Holm 2012: 666).

Demgegenüber konzentriert sich ein zweiter Erklärungsstrang der Gentrifizierungsforschung auf die nachfrageseitigen, soziokulturellen Faktoren, vor allem auf veränderte Lebensstile, einen demografischen Wandel der Gesellschaft und den Arbeitsbeziehungen, einhergehend mit der Etablierung „neuer“ Haushalte und distinktionsorientierter Lebensstile (vgl. Holm 2012: 667). Nicht alle diese Haushaltstypen sind neu, sondern haben vermutlich schon immer gentrifizierte Gebiete geprägt. Der Ausdruck „neu“ resultiert aus der deutschen Orientierung und bezieht sich auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen diese Gruppen zahlenmäßig nicht sehr stark waren und in den folgenden Jahren beträchtlich angewachsen sind. Sie lassen sich bereits für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nachweisen (vgl. Friedrichs 1996: 27). Aber die veränderten Lebensstile und neuen Berufswege der Mittelklasse seit den 1970/80er Jahren, die zu den neuen Haushaltsstrukturen geführt haben und als Hauptgrund für eine neue Attraktivität der Innenstadt für Besserverdienende (vgl. Holm 2010: 9) benannt werden, haben an Bedeutung gewonnen (vgl. Häußermann/Siebel 1987: 12; Holm 2012: 667). Die „Renaissance der Innenstädte“, verbunden mit einer deutlich angestiegenen Nachfrage nach innenstadtnahem Wohnraum und der Ausbreitung neuer Haushaltstypen, haben Häußermann und Siebel (1987: 11ff.; 44ff.) mit dem Begriff der „neuen Urbanität“ versucht zu beschreiben. Für diese Haushaltstypen ist das innenstadtnahe Wohnen (u.a. Nähe zum Arbeitsplatz, Nähe zu kulturellen Einrichtungen wie Theater, Oper, Kino und Konzerthallen sowie die Nähe zu Restaurants, Kneipen und zur Szene) wichtig (vgl. Blasius 1994: 408; Friedrichs 2000: 64). Zudem besteht die Annahme, dass die räumliche Nähe zu Bevölkerungsgruppen mit ähnlichen Lebensstilen, in denen die kulturelle Inszenierung große Bedeutung hat, gesucht wird (vgl. Holm 2012: 668, 670).

Friedrichs (1996: 40) konstatiert, dass das Marktmodell mit seinen angebotsseitigen und nachfrageseitigen Faktoren zwar insgesamt eine überzeugende Basis liefert, um die Gesamtheit der Ursachen von Gentrifizierung zu fassen, jedoch nicht präzise genug formuliert und empirisch nicht genügend fundiert ist, um die Bedeutung der Faktoren zu gewichten. Vor allem erklärt das Modell nicht ausreichend, warum es in manchen Gebieten zu Genrifizierung kommt und in anderen, in denen die gleichen Voraussetzungen vorherrschen, nicht (vgl. Glatter und Holm 2011: 15).

2.3 Verlauf der Gentrifizierung und die Akteure

Nach wie vor beruhen die Erklärungen von Gentrifizierung auf einzelnen, miteinander nicht verbundenen Hypothesen (vgl. Friedrichs 1996: 15). Problematisch ist insbesondere die unzureichende Spezifizierung und die Frage, welche Sachverhalte des Prozesses überhaupt erklärt werden sollen (vgl. Beauregard 1986: 40).

Da es sich bei Gentrifizierung um einen Prozess handelt, erscheint die Anwendung eines Phasenmodells als analytisch fruchtbar (vgl. Blasius et al. 2016: 544) (Abb. 1). Phasenmodelle wurden schon in den späten 1970er Jahren vorgeschlagen. Hierbei wurde an das Modell des Invasions – Sukzessions – Zyklus angeknüpft. Clay (1979: 57-59) wendete diesen allgemeinen Zyklus als erster auf den Gentrifizierungsprozess an und entwickelte ihn zum doppelten Invasions – Sukzessions – Zyklus weiter, indem er von zwei nacheinander eindringenden Gruppen ausgeht, den Pionieren und den Gentrifiern. Der idealtypische Verlauf des doppelten Invasions – Sukzessions – Zyklus lässt sich grafisch folgendermaßen darstellen (Tab. 1). Im idealtypischen Verlauf dringen zunächst die Pioniere in das Wohngebiet ein und verdrängen einen Teil der alteingesessenen Bevölkerung, dann erst folgen die Gentrifier, die sowohl einen gewissen Anteil der Pioniere und der Alteingesessenen verdrängen (vgl. Friedrichs 1996: 16). In der deutschen Gentrifizierungsforschung war es insbesondere Dangschat (1988), der dieses Doppelzyklusmodell aufnahm und dabei ausdrücklich die besondere Rolle von Pionieren in Aufwertungsprozessen reflektiert, die in den ersten Phasen der Gentrifizierung zuziehen und zur Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung beitragen, in den späteren Phasen dann aber wiederum selbst von den Gentrifiern verdrängt werden (vgl. Dangschat 1988: 280f.). Markant ist bei diesem Modell die Unterscheidung der oben genannten Bevölkerungsgruppen.

Die Beschreibung dieser Gruppen (Pioniere und Gentrifier) verbindet inhaltlich die Annahme der Herausbildung von neuen städtischen Lebensstilen (vgl. u.a. Blasius 1990: 358f.; Alisch/Dangschat 1996: 95f.), die zu einem expressiven und distinktionsbewussten Lebensstil tendieren und den städtischen Raum als „Bühne von Selbstdarstellung und demonstrativen Konsum“ (Häußermann/Siebel 1987: 17) verstehen, versehen mit weiteren Attributen und Merkmalen.

Im Gegensatz zur internationalen Forschung hat die deutsche Gentrifizierungsforschung eine operationale Definition für Pioniere und Gentrifier erarbeitet. Eine erste explizite Definition der beiden Gruppen wurde von Dangschat und Friedrichs (1988: 22) gegeben: Pioniere sind demnach Personen die zwischen 18 – 25 Jahre sind, mindestens das Abitur haben, über ein Pro – Kopf – Einkommen unterhalb von 2000 DM verfügen und zudem kinderlos sind. Gentrifier werden durch folgende drei Merkmale gekennzeichnet. Sie sind 26 bis 45 Jahre alt, haben ein Pro – Kopf – Einkommen von mindestens 2000 DM und leben ebenso in kinderlosen Haushalten. Neben diesen Akteuren ist mit der Gruppe der „Alten“ die über 65 Jahre alt sind und einer Restkategorie der „Anderen“, die keiner der anderen Gruppen zugeordnet werden kann, eine grobe Klassifizierung verwendet worden.

Diese Klassifikation ist in der Folge von anderen Autoren aufgenommen und zur Veranschaulichung einer aktuellen Klassifikation (Tab. 2) angepasst worden (u.a. Alisch/zum Felde 1990; Blasius 1990; Alisch/Dangschat 1996; Friedrichs/Blasius 2016). Hierbei hat sich eine Diskussion darüber entwickelt, welche Merkmale und Kombinationen von Merkmalsausprägungen am besten passen und auf welcher Ebene die Klassifikation erfolgen soll (vgl. Friedrichs 1996: 33). Die Modifikationen und auch die Transparenz in weiteren Studien hat die Vergleichbarkeit von Ergebnissen erleichtert (vgl. Glatter/Wiest 2007: 169). Die Klassifikation erfolgt weiterhin größtenteils durch die Merkmale Alter, Bildung, Haushaltstyp und Einkommen. Sie kann jedoch von Studie zu Studie variieren. Darüber hinaus verwenden deutsche Autoren im Vergleich zu internationalen Forschern Haushalts – und Individualstichproben, um die Akteure anhand statistischer Modelle zu clustern (vgl. Üblacker 2016: 94).

In der deutschen und internationalen Diskussion um die Akteure der Gentrifizierung fällt auf, dass Pioniere häufig einen neo – bohemen Lebensstil zugeschrieben bekommen, mit überdurchschnittlichem Bildungsniveau und geringem oder unsicherem Einkommen. So werden Künstler, Designer und Studenten dieser Gruppe zugeordnet (vgl. u.a. Dangschat 1990: 84, 88; Friedrichs 2000: 59f.; Üblacker 2016: 95), während Gentrifier zwar auch mit relativ hoher Bildung assoziiert werden, jedoch wesentlich risikoscheuer und mit höherem Einkommen beschrieben werden, die keine „alternativen Karrieren“ anstreben (vgl. ebd.).

Der Ausgangspunkt, den Prozess der Gentrifizierung in Verlaufsmodellen zu beschreiben, waren empirische Beobachtungen von diskontinuierlichen Dynamiken der Nachbarschaftsveränderungen (vgl. Holm 2012: 671). Vor allem in der Frühphase wird ein regelmäßiger Zuzug der Gruppe der Pioniere mit hohem sozialem und kulturellem Kapital aber noch relativ geringem ökonomischen Kapital in die Gebiete beobachtet. Sie verändern den Charakter der Nachbarschaften und bereiten somit den Weg für die Gentrifier, die stärker mit ökonomischem Kapital ausgestattet sind und wegen des nun kreativen Flairs des Quartiers in den späteren Phasen der Stadtteilentwicklung in die Nachbarschaften zieht (vgl. Holm 2012: 671; Diller 2014: 20f.). Zur Erfassung dieser dynamischen Nachbarschaftsveränderungen wird in der Forschung oftmals auf den doppelten Invasions –Sukzessions – Zyklus zurückgegriffen, da er aufgrund seiner Anschaulichkeit und seiner gewissen Plausibilität als Basis – Erklärungsmodell dient (vgl. Harnack 2012: 66f.). Das idealtypische Verlaufsmodell unterscheidet dabei vier Phasen.

In der ersten Phase ziehen Pioniere in das Gebiet. Diese Gruppe ist insofern risikobereit, als sie den Zustand der Wohnung um der preiswerten Miete willen in Kauf nehmen und zudem die bunte Mischung im Gebiet nicht nur tolerieren, sondern auch suchen. Das Image des Gebietes verändert sich noch nicht, da der Wohnungsmarkt und die Öffentlichkeit an den Veränderungen noch wenig Interesse zeigt. Vereinzelt werden Modernisierungen vorgenommen, die dann zu Mietsteigerungen führen. Eine Verdrängung findet kaum statt (vgl. Friedrichs 2000: 59ff.; Holm 2010: 9ff.; Holm 2012: 672).

In der zweiten Phase ziehen weitere Pionierhaushalte hinzu und auch die Immobilienwirtschaft entwickelt ein erstes Interesse am Gebiet. Mit ihnen kommt auch die Gruppe der Gentrifier in das Gebiet. Sie sind an einer dauerhaft guten Wohngegend interessiert und kommen erst dazu, wenn absehbar ist, dass sich das Gebiet zu einem „guten“ Wohngebiet wandelt. Der Ruf und das Image verändern sich, es entstehen neue Geschäfte, Dienstleistungen und gastronomische Betriebe, z.B. selbstorganisierte Szenekneipen, subkulturell geprägte Veranstaltungsräume und alternative Buchläden. Der Wandel wird medial mitverfolgt, einzelne Geschäfte werden als Geheimtipp bezeichnet. Die Zahl der Modernisierungen nimmt zu. Bodenpreise und Mieten steigen und erste Verdrängungsprozesse setzen ein (vgl. ebd.).

Die dritte Phase ist gekennzeichnet durch einen vermehrten Zuzug von Gentrifiern mit höheren ökonomischen Ressourcen. Immobilienunternehmen verstehen den Wohnungsbestand zunehmend als Geldanlage. Die Modernisierung der Bausubstanz nimmt zu. Bodenpreise und Mieten steigen. Der Wert der Wohnungen wird stärker kapitalisiert, die Spekulation in diesem Gebiet nimmt zu und es werden Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Steigende Gewerbemieten verstärken den Kommerzialisierungsprozess und bilden die immobilienwirtschaftliche Basis für die Etablierung eines kommerziellen Gastronomie– und Unterhaltungsangebotes und bedeuten meistens das Ende für die improvisierten Geschäfte und Kneipen. In dieser Phase sind Konflikte und Widerstand gegen den Verlust der bunten Mischung in den betreffenden Gebieten keine Seltenheit. Die Verdrängungsprozesse verstärken sich. Betroffen sind davon die Bestandsbewohner des Gebietes und die Pioniere der ersten Phase. Friedrichs sieht diese Entwicklungsstufe als die eigentliche Phase der Gentrifizierung (vgl. ebd.)

In der vierten Phase ziehen zunehmend und fast ausschließlich Haushalte von Gentrifiern ein. Die nun einziehenden Gentrifier haben im Durchschnitt höhere Einkommen als diejenigen der vorangegangenen Phase. Die Bodenpreise steigen weiter und immer mehr Gebäude werden durch institutionelle Investoren aufgekauft, modernisiert und in Eigentumswohnungen umgewandelt. Das Quartier gilt als sichere Kapitalanlage. Die Verdrängung der ursprünglichen Bewohnerschaft und der Pionierhaushalte setzt sich weiter fort und fluktuiert das Gebiet in eine sozial homogene Zone des Wohlstandes. Die Gewerbestruktur orientiert sich nach den neuen Bewohnern und bietet hochwertige und hochpreisige Angebote z.B. Restaurants, Boutiquen und Antiquitäten - Geschäfte. Das Image der Wohngegend hat sich vollständig gewandelt und gilt nun als „gutes“ attraktives Wohngebiet über die Stadtgrenze hinaus (vgl. ebd.).

Für die akademische Gentrifizierungsforschung ist der idealtypische Verlauf des Phasenmodells sicherlich von großer Bedeutung, um den Prozess der Aufwertung zu erläutern. Doch stellt Holm (2010: 8) fest, dass die Praxis der Aufwertung verschiedene Gesichter hat und nicht immer als klassischer Gentrifizierungsprozess erfolgt. Darüber hinaus wird die Ungenauigkeit des Phasenmodells kritisiert. Neben der fehlenden Aussage über die Dauer der jeweiligen Phasen (vgl. Glatter 2007: 12) wird grundsätzlich die Gültigkeit des Doppelzyklusmodells in Frage gestellt. Ferner wird hinterfragt, ob die Gruppe der Pioniere durchweg konstitutiv die Gentrifizierungsprozesse begleitet (vgl. Diller 2014: 22). Es lässt sich festhalten, dass das Phasenmodell und die Erfassung der Pioniere für die idealtypische Beschreibung von Gentrifizierungsprozessen ein wichtiger Baustein ist.

2.4 Die kulturelle Logik der Aufwertung

Die Bedeutung von symbolischer und kultureller Aufwertung für den Prozess der Gentrifizierung wird immer wieder betont (Lang 1998: 42; Krajewski 2006: 64; Holm 2010a: 76). Auf der einen Seite wird darin eine Folge der – durch einen ersten Bewohneraustausch eingeleiteten - Aufwertung gesehen (vgl. Dlugosch 2016: 155), auf der anderen Seite lässt sich darin eine Ursache für die verstärkte Nachfrage nach dem Gebiet erkennen (vgl. Friedrichs 2000: 59ff.). In den umfassenden Analysen und wissenschaftlichen Studien über Gentrifizierung bleibt der symbolischen Gentrifizierung jedoch meist nur eine flankierende Rolle (vgl. Dlugosch 2016: 155). Der Stand der internationalen und deutschen Gentrifizierungsforschung erlaubt kaum tiefere Einblicke in den Zusammenhang von Gentrifizierung und Kultur, obwohl es in den meisten Gentrifizierungstheorien und empirischen Fallstudien unbestritten ist, dass Künstler und kulturaffine Milieus an Gentrifizierungsprozessen beteiligt sind (vgl. Holm 2010a: 65f.).

Einen Ansatz zur Untersuchung des Zusammenhangs von Kulturproduktion und Kulturschaffenden mit wohnungswirtschaftlichen Inwertsetzungsstrategien bietet Sharon Zukin (1990). In Anlehnung an den phasenhaften Verlauf von Aufwertungsprozessen, werden die Phasen der Gentrifizierung von Zukin als Transformationen und Umwandlungen kulturellen Kapitals gedeutet. Mit Rückgriffen auf Bourdieus Theorie (1983), wonach soziale Positionierungen auf kulturelle, soziale und ökonomische Kapitalressourcen zurückzuführen sind, beschreibt Zukin die Transformationen des kulturellen Kapitals in Gentrifizierungsprozessen. Vor diesem Hintergrund beschreibt Zukin die Herausbildung von kulturdominierten Komplexen der Konsumtion und konstatiert, dass Konsum kulturell aufgeladen wird „in this context, ‚symbolic’ consumption practices provide a ‚real’ base for the usual processes of capital accumulation“ (Zukin 1990: 38).

Der Aufstieg der neuen konsumdominierten Verwertungsräume ist dabei nicht nur Ausdruck neuer Wertorientierungen und Lebensstile, sondern spiegelt aktuelle Stadtentwicklungen wieder (vgl. Holm 2010a: 67ff.). Nach Zukin gewinnen kulturelle Aktivitäten, aber auch kulturell vermittelte Zuschreibungen in den konsumdominierten Räumen („consumption – based – spatial complexes“) an Bedeutung (Zukin 1990: 38). Das kulturelle Kapital nimmt dabei eine symbolische Rolle ein. Zum einen als Medium distinktionsfähiger Konsumprozesse und –produkte und zum anderen in Bezug auf den Wohnungsmarkt als Instrument der Konstitution besonderer Orte (vgl. Holm 2010a: 67).

Ausgehend von der klassischen Definition kulturellen Kapitals als individuelle oder kollektive Ressource zur Prädisposition des Konsums und als Instrument sozialer Macht (vgl. Bourdieu 1982: 171ff.), werden in Gentrifizierungsprozessen die Übergänge zu einer ökonomischen Inwertsetzung deutlich (vgl. Zukin 1990: 38). Im Gegensatz zu Bourdieu, der solche Übergänge an individuell gekoppelte Prozesse der Inkorporierung, Objektivierung und Institutionalisierung beschrieb (vgl. Bourdieu 1983: 189ff.), wird bei Zukin der Raum im Gentrifizierungsprozess zum Transformationsmedium der Inwertsetzung kulturellen Kapitals. Die Konzeptionalisierung von phasenweise verlaufenden Gentrifizierungsprozessen (Dangschat 1988) ermöglicht die Identifizierung einer Abfolge verschiedener Kapitaltransformationen in Aufwertungsprozessen.

Der Gentrifizierungsprozess, verstanden als Transformation kulturellen Kapitals und betrachtet als idealtypisches Phasenmodell, beginnt durch die als Träger inkorporierten kulturellen Kapitals verstandenen Aufwertungspioniere, da sie durch ihre räumlich konzentrierten Aktivitäten den Raum verändern und einen Imagewandel herbeiführen. Das neue Image steht für eine solche symbolische Aufwertung. Das individuell inkorporierte kulturelle Kapital der Pioniere transformiert sich auf diesem Wege in ein ortsgebundenes kulturelles Kapital. Hauseigentümer und Immobilienunternehmen verbinden die neue symbolische Qualität eines Quartiers mit verschiedenen Wertsteigerungsstrategien und versuchen mit dem Prädikat „besonderer Ort“ einen Mehrwert für die „besondere Lage“ zu erheben. Steigende Bodenpreise und Mieten sowie größere Investitionen in den Bestand und in Neubauten sind erste Anzeichen einer Ökonomisierung des kulturellen Kapitals. Durch die mehrfachen Kapitaltransformationen im Verlauf der Gentrifizierung sowie der beginnenden ökonomischen Inwertsetzung und Kommodifizierung des kulturellen Kapitals in ein „real cultural capital“ (Zukin 1990: 47f.), kann Kultur als wesentliches Medium im Gentrifizierungsprozess verstanden werden (vgl. Holm 2010a: 70ff.; Holm 2012: 672f.). In Deutschland hat Barbara Lang die Transformation kulturellen Kapitals in Berlin – Kreuzberg untersucht (Lang 1998).

Dlugosch erfasst die Bedeutung symbolischer Gentrifizierung, indem er beschreibt, wie raumbezogene Veränderungen als Kommunikationsobjekte ihre symbolische Bedeutung zugewiesen bekommen und erklärt dies anhand der Thematisierung von baulichen, sozialen und/oder baulichen Veränderungen, die in einem Gebiet erfolgen (vgl. Dlugosch 2016: 155ff). Im Prozess der symbolischen Aufwertung werden bestimmte Aspekte der Gebietsgeschichte akzentuiert und andere ausgelassen, wodurch mythologisierte, identitätsstiftende Bilder eines Quartiers entstehen können. Dem Gedanken Stegmanns folgend (1997: 21ff.), wonach sich ein Stadtteil – Image in physische, soziale und funktionale Raumaspekte aufteilen lässt, modifiziert Dlugosch das Dimensionen – Model der Gentrifizierung dahingehend, dass die symbolische Dimension nicht nur als eigenständige Einheit betrachtet wird, sondern auch in ihren symbolischen Bezügen zu den übrigen Dimensionen. Zur Veranschaulichung dient folgende Grafik (Abb. 2).

Der Wandel eines Gebiets erfolgt über die Wahrnehmung der physischen Gestaltung des Raums. Durch den Übergang in die idealtypische Pionierphase, transformieren (sub)kulturelle und alternative Lebensstile den Raum (vgl. Dlugosch 2016: 156). Im weiteren Verlauf der Gentrifizierung und dem Zuzug einkommensstärkerer Gentrifier verändert sich das Erscheinungsbild des Stadtteils weiter. Es bildet sich eine typische Gentrifizierungs – Ästhetik heraus, zu deren Merkmalen die Verbindung von historischen und modernen Gestaltungselementen zählt (vgl. Jager 1986: 78 – 88).

Im Zusammenhang mit den baulichen Merkmalen der Gentrifizierung wird oft auf die Bedeutung der „Authentizität“ hingewiesen. Durch diese Zuschreibung können Objekte zu historischen Unikaten stilisiert werden. Darin zeigt sich, wie bauliche Strukturen als Bühne der Selbstverwirklichung und Beleg für die Individualität genutzt werden können. Die Relikte der historischen Bausubstanz bilden wichtige Bezugspunkte für die Mythologisierung eines Gebiets, da sie symbolisch aufgeladen werden können (vgl. Dlugosch 2016: 157f.).

Im Vergleich zur Symbolik der baulichen Gentrifizierung, bei der eine Umbewertung der Bestandsstruktur möglich ist, bleiben die sozialen Zuschreibungen stabil. Dlugosch konstatiert „das sozialräumliche Image eines Gebiets verändert sich nicht, weil sich das Image der Bestandsbewohner geändert hat, sondern weil die Wahrnehmung dieser Gruppe zugunsten einer statushöheren abgenommen hat“ (ebd.: 158). Der Grad der Handlungsaktivität beeinflusst die Wahrnehmbarkeit der sozialen Akteure im Quartier (vgl. Lang 1998: 56). Deshalb ist die sich verändernde Wahrnehmbarkeit von sozialen Gruppen für die Aufwertung des sozialräumlichen Images zentral (vgl. Dlugosch 2016: 158). Begriffe wie Boheme-, Szene-, oder Künstlerviertel drücken das sozialräumliche Image für gewisse Stadtteile aus. Als „weicher Standortfaktor“ kann das sozialräumliche Image Zuzüge selektiv verstärken. Der Name eines Gebiets wird mit bestimmten Lebensmustern und einer Art der Weltanschauung assoziiert (vgl. ebd.: 159). Personifikationen in Gebietsbeschreibungen drücken den generalisierten sozialräumlichen Charakter aus (kreativ, jung, hip etc.) (vgl. Glatter 2007: 138). Diese Zuschreibungen schätzen Pioniere und Gentrifier, da das Image des „In-Viertels“ den Ruf hat, am gesellschaftlichen Puls der Zeit zu liegen.

Die funktionale Gentrifizierung wie Neueröffnungen und eine grundsätzliche Veränderung der Angebotsstruktur, spielt sich im (halb)öffentlichen Raum ab und ist leicht zu erkennen. Dabei richten sich die Angebote an eine definierte Zielgruppe mit spezifischem Nachfrageverhalten. In der Aufwertung der Angebotsstruktur kann ein Indikator für den Austausch der Besucher- und Bewohneranteile im Quartier gesehen werden (vgl. Büchler 2013: 25-32). Szenekneipen, alternative Ladenkonzepte und Kunstprojekte gelten als idealtypische Angebote der Pionierphase. Feinkost- und Bioläden, Designer - Geschäfte und noble Restaurants werden den Konsumpräferenzen der Gentrifier zugeordnet (vgl. Holm 2010a: 70). Die funktionale Aufwertung wird nach Dlugosch (2016: 160) kommunikativ aufgegriffen und verbreitet. Das zuvor unscheinbare Quartier wird jetzt zu einem Geheimtipp stilisiert. Dabei kann eine Eigendynamik entstehen, welche die Gentrifizierung weiter anschiebt (vgl. Holm 2010a: 70- 77; Büchler 2013: 25-32). Es zeigt, wie kulturelles Kapital, das sich auch in Ernährungspräferenzen niederschlägt, als strategisches Instrument gezielt für eine Inwertsetzung von Gebieten genutzt werden kann (vgl. Jakob 2010: 18-21), da der Wert von Produkten und Dienstleistungen nicht nur in ihrer reinen Funktionalität, sondern ebenso in dem kulturellen und symbolischen Nutzen liegt (vgl. Büchler 2013: 25-32). Stock (2013: 264ff.) analysiert die Zunahme von Falafel – Imbissen in gentrifizierten Gebieten und sieht in der distinktiven Trennung zu Döner – Imbissen eine Abgrenzung gegenüber statusniedrigeren sozialen Gruppen. Büchler (2013: 31) hält jedoch fest, dass die Konsumlandschaften einer eigenen Dynamik unterliegen. Eine kommerzielle Aufwertung bedeutet daher nicht zwangsläufig soziale Veränderung.

Die symbolische Bedeutung der Konsumlandschaften besteht vielmehr darin, dass sie der öffentlichen Identitäts – Repräsentation und Distinktion einen Raum geben. Dennoch verändert die Aufwertung der Angebotsstruktur, sozial selektiv, die Opportunitätsstrukturen im Gebiet (vgl. Dlugosch 2016: 160). Holm (2010a: 74) stellt fest, dass alteingesessene Bewohner darin eine soziokulturelle Entfremdung erfahren können.

Die Überlegungen von Zukin und Dlugosch zeigen, dass die Bedeutung der symbolischen Aufwertung in Bezug zu den übrigen Dimensionen der Aufwertung und die Reflexion der kulturellen Logik in Gentrifizierungsprozessen, sich für die Gentrifizierungsforschung als Mehrwert erweisen.

3 Gentrifizierungsprozesse in der südlichen Mainzer Neustadt

3.1 Das Untersuchungsgebiet

Bei dem Untersuchungsgebiet südliche Mainzer Neustadt handelt es sich um ein zentrumnahes Wohnquartier, das insbesondere im südöstlichen Bereich ausgeprägte City – Funktionen aufweist (Abb. 3).

Das untersuchte Gebiet umfasst die Stadtbezirke Feldbergplatz (161), Frauenlobplatz (162) und Gartenfeld (163) (Abb. 4). Die Neustadt bietet vor allem einfache Wohnlagen, dennoch finden sich im südlichen Teilbereich der Neustadt auch gute Wohnlagen. Im Stadtbezirk Feldbergplatz sind überwiegend gute Wohnlagen vorzufinden. Der Frauenlobplatz bietet gute/mittlere Wohnlagen und Gartenfeld mittlere Wohnlagen (vgl. Sozialraumanalyse 2012: 188).

Architektonisch ist das Gebiet durch wenige denkmalpflegerisch reizvolle „Landmarken“ geprägt. Der Baubestand zeichnet sich vielmehr durch eine dichte Wohnbebauung unterschiedlicher Baualtersklassen aus (Abb. 5). Zum Teil besteht der Baubestand aus der Gründerzeit, doch auch Neubauten befinden sich verteilt im Gebiet (vgl. Soziale Vielfalt 2016). Seit 2001 sind im Kontext des Stadtförderprogramms „Soziale Stadt“ zahlreiche Plätze erneuert worden. Der inzwischen sanierte und restrukturierte Gartenfeldplatz mit einem weitgehend modernisierten Altbaubestand ist dabei besonders hervorzuheben (Abb. 6 - 7). Inzwischen wird der Platz als „Geheimtipp“ gehandelt. Die neue Dynamik rund um diesen Platz lässt sich daran beobachten, dass sich innerhalb weniger Jahre neue „szenige“ Lokale dort angesiedelt haben, die auch über den Stadtteil hinauswirken (vgl. ebd.). Zunehmend frequentieren Gastronomieangebote mit neuen Ladenkonzepten das Gebiet um den Gartenfeldplatz. Dabei profitiert der Untersuchungsraum auch von seiner hervorragenden öffentlichen Infrastrukturausstattung. Durch die Nähe zum Mainzer Hauptbahnhof und der Innenstadt ist das Gebiet sehr gut an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden.

Bevor sich das Untersuchungsgebiet planmäßig Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte, handelte es sich bei dem einst „Gartenfeld“ genannte Areal um eine außerhalb der Stadtmauer agrarisch geprägte Kulturlandschaft. Infolge der industriellen Expansion erfolgte Ende des 19. Jahrhunderts durch den Mainzer Stadtbaumeister Kreyßig eine erste systematische Bebauung. Es entstand der typische gründerzeitliche, mehrstöckige und stark verdichtete Baubestand mit Blockrandbebauung, der die städtebauliche Physiognomie des Gebiets maßgeblich prägte. Den großflächigen Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs schloss sich eine Vernachlässigung der gründerzeitlichen Bausubstanz an. Lange Zeit wurde das Untersuchungsgebiet baulich sowie funktional – strukturell vernachlässigt. Der Untersuchungsraum rückte damit zunehmend in den Fokus eines Stadterneuerungskonzeptes, sodass der Stadtteil im Rahmen des Stadtförderprogramms „Soziale Stadt“ 2001 als Sanierungsgebiet ausgewiesen wurde. Zentrales Moment der Sanierungssatzung war die Verbesserung der sozialen Infrastruktur sowie die Revitalisierung und Erneuerung „der städtischen Infrastruktur und des Wohnumfeldes“ (vgl. Soziale Stadt Mainz Zwischenbericht 2004). Dabei sollte die Sanierung sozialverträglich und an den Bedürfnissen der Bewohner ausgerichtet sein. Das Ergebnis der Sozialraumanalyse 2012 hat einen Verbleib im Programm „Soziale Stadt“ empfohlen, weshalb die Sanierungssatzung weiterhin Bestand hat.

Nachfolgend wird versucht, den sich im Untersuchungszeitraum auf verschiedenen Ebenen abbildenden urbanen Veränderungsprozess im Spiegel der Gentrifizierung zu systematisieren und mit aktuellen Gentrifizierungstheorien in Kontrast zu setzen. Da Gentrifizierungsprozesse in einem komplexen Wirkungsgefüge zum Ausdruck kommen und nicht in isolierten Indikatoren messbar sind, erschien die Anwendung eines multidimensionalen Methodenrepertoires, abgestimmt auf die verschiedenen Dimensionen der Gentrifizierung, unabdingbar. Die Ergebnisse der einzelnen Gentrifizierungsdimensionen werden abschließend kritisch beurteilt.

3.2 Die symbolische Gentrifizierung am Gartenfeldplatz

Die unterschiedlichen Bedeutungen eines städtischen Gebietes bündeln sich in ihren Raumimages. Der gängigen Gebräuchlichkeit des Imagebegriffes steht eine Vielzahl von Definitionen entgegen. Im Kern handelt es sich bei Images um Vorstellungsbilder, welche zwischen einem Gegenstand und dem Bewusstsein des Menschen vermitteln. Dabei werden bei Raumimages Informationen über Räume reduziert, zugespitzt und normativ bewertet. Durch die Reduktion der Komplexität wird die soziale Orientierung im Raum erleichtert (vgl. Dlugosch 2016: 161). Raumimages geben ein sozial konstruiertes Alltagswissen darüber, „wie es wo ist“. Dadurch beeinflussen Raumimages als Push – oder Pull – Faktoren die Nachfrage und damit die Entwicklung eines Quartiers (vgl. Gebhardt/Schweizer 1995: 10). Einzelne Orte können das Image eines gesamten Stadtteils prägen und umgekehrt beeinflusst das Stadtteil – Image die Wahrnehmung spezifischer Orte (vgl. Stegmann 1997: 19 – 22).

Höpner (2005: 20) konstatiert ein Fehlen von übergreifenden Theoriekonstruktionen zu raumbezogenen Images und ihrem Wandel. Großmann (2010) spricht sich für eine relationale Konzipierung aus. Sie definiert Raumimages als "(...) kollektive Sinnsysteme, die den Teilräumen einer Stadt in Relation zu anderen Räumen Bedeutungen zuweisen und sie voneinander abgrenzen“ (Großmann 2010: 26). Die Dominanz bestimmter Raumvorstellungen begründet Großmann mit der hierarchischen Strukturierung der Gesellschaft, wodurch die sozialen Akteure mit unterschiedlich großer Deutungshoheit ausgestattet sind. Durch Wiederholungen bleiben die Raumimages präsent und gleichzeitig verschiebt sich ihre Bedeutung, da sich der gesellschaftliche Kontext wandelt (vgl. ebd.: 23 – 38).

Massenmedien spielen eine wichtige Rolle in Vermittlung, Prägung und Umbewertung von Raumimages. Die Kommunikation eines attraktiven Raumimages kann zugleich die Nachfrage steigern und Investitionsentscheidungen erleichtern. In der Vermittlung von Raumimages durch die Medien liegt daher das Potenzial, den Verlauf der Gentrifizierung zu beeinflussen (vgl. Dlugosch 2016: 162). Die massenmedial vermittelte symbolische Gentrifizierung zeigt, dass nicht nur Räume in Relation zu einander stehen, sondern dass Gebiete mit nahezu beliebigen Bedeutungen, z.B. Lebensstilen, sozialen Verhältnissen und Atmosphären verbunden werden können.

[...]


1 Auf geschlechtsneutrale Formulierungen wurde aus Gründen der Lesbarkeit verzichtet. Im Text sind immer beiderlei Geschlechter gemeint.

Ende der Leseprobe aus 81 Seiten

Details

Titel
Gentrifizierung in Mainz. Eine Analyse der Gentrifizierungsprozesse in der südlichen Mainzer Neustadt
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Soziologie)
Veranstaltung
Bachelorarbeit
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
81
Katalognummer
V469421
ISBN (eBook)
9783668944237
ISBN (Buch)
9783668944244
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gentrification, Verdrängung, Stadtsoziologie
Arbeit zitieren
Artur Marx (Autor:in), 2017, Gentrifizierung in Mainz. Eine Analyse der Gentrifizierungsprozesse in der südlichen Mainzer Neustadt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/469421

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