Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abstract
EINLEITUNG
Vorwort
Prozess des Bildverstehens
Mentale Modelle
Nicht-kognitive Prozesse
Der ikonische Code
Bild und Bildproduzent
JOURNALISTISCHE BILDER
Einführung
George W. Bush und John Kerry
„Die Freiheit führt das Volk“ an von Eugène Delacroix
„American Gothic“ von Grant Wood
Bush und die Religion
Im Vergleich: Treffen im Oval Office
Bush und der Papst
Spin Doctors
SATIRISCHE BILDER
Einführung
Bush und das Internet
Bush als Filmheld
Bush im Comic
Exkurs: Physiognomik
Bush als Superheld
Osama bin Laden
Uncle Sam
Bush und die Bildung
„America – A patriotic primer“
Die Freiheitsstatue
Bildung
SCHLUSSBETRACHTUNG
Journalistische Bilder
Satirische Bilder
Bilder und Politik
BILDNACHWEISE
BIBLIOGRAPHIE
Abstract
This thesis discusses George W. Bush and the way he is presented in the media. At first, a basic understanding of how pictures are processed within the human psyche provides a solid basis to approach journalistic and satirical pictures. The viewer, completely unaware, builds up a repertoire of mental models which allow him to assess the visuals he is confronted with by comparing the things he sees with the mental abstractions he built the last time he saw the things. The known objects, therefore, are mainly recognized at first sight (known as the economical principal) whereas less well-known objects, abstractions or complex contexts require the viewer to scrutinize the picture once again in order to find an existing mental model or consequently create a new one (known as indicatory principal). Journalistic and satirical pictures usually demand a different approach since the first kind is not considered to have an intended message that has to be found by the viewer, as is expected of the second kind. The mental models of the viewer normally suffice to recognise all visual elements in a journalistic picture, after which the psychological process comes to a halt. These pictures provide, somewhat similar to snapshots, in the majority of cases, a composition on which the photographer could not decide. Thus, finding an interpretation of these pictures is near to unachievable. However, a powerful composition and its inherent symbols, might be perceived subjectively by the viewer. Journalistic pictures, therefore, aim primarily to present a role model of a person. Two pictures discussed in this thesis show George W. Bush as ‘the guy like you and me’ and as ‘ambassador from heaven’ respectively. On the first one Bush and his wife present themselves in a fairly casual outfit which is unusual for a public appearance of a president. The second one depicts Bush in a heavenly setting which gives plenty of room for discussing his religious attitudes that are evoked by the visuals. Quite the contrary is the case when it comes to satirical pictures. The person drawing the cartoon or deriving a digitally altered picture has most often a critical message to deliver. This is more demanding on the viewer because even though the viewer recognizes all elements, he may be unaware of its implications and may therefore be unable to infer the intended criticism. Conveying criticism is achieved by means of abstractions or national symbols like the stars and stripes, Statue of Liberty or Uncle Sam. In order to make the viewer aware that he is looking at a piece of criticism, in many cases the facial features are exaggerated, a habit that finds its origin back in those days when humans were compared to animals. A long nose e.g. was then compared with the beak of a crow, with the latter being thought of as insidious and thievish. Moreover, satirical pictures are not restricted to the medium of photography, but may comprise elements of all different kinds of media ranging from cartoons through comic strips to digitally manipulated photographs. Both kinds of pictures dealing with George W. Bush, journalistic as well as satirical ones, are always related to political issues. Thus, it is important not to neglect the existence of spin-doctors, who give politicians guidance with respect to their outer appearance and public demeanour. This leads to the final conclusion that juxtaposing journalistic and satirical pictures of the president may consequently be regarded as ‘advertising’ and ‘anti-advertising’. It is hardly possible for the viewer to get a genuine image of the person depicted.
Einleitung
Vorwort
George W. Bush ist seit seiner ersten Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika aus den Medien nicht mehr wegzudenken. Der umstrittene Ausgang der Stimmenauszählung scheint wie ein Startschuss medialer Auseinandersetzung mit seiner Person gewesen zu sein. Seine Aussagen, seine Stilblüten, seine Offenheit und nicht zuletzt auch seine Religiosität haben ihn auf unterschiedliche Weise in den Medien erscheinen lassen. Der Bush-Interessierte wird von relevantem Bildmaterial aus Zeitschriften, Zeitungen und dem Internet geradezu überschüttet. Gerade Letzteres bietet eine unüberschaubare Menge an Bildgut. Was liegt also näher als George W. Bushs Person vor seinem visuellen Hintergrund zu untersuchen. Gegenstand dieser Arbeit ist es, Aufnahmen von George W. Bush näher zu betrachten und ihn als mediale Figur vor dem Hintergrund seiner politischen Führung zu analysieren. Wie wird der Präsident in den Medien präsentiert? Weisen diese Bilder Merkmale seiner Politik auf? Sagen sie dem Betrachter etwas über seine Person? Um Antworten auf diese Fragen zu finden wurden zwei Arten von Bildmaterial untersucht. Nach einer kurzen Einführung über psychische Prozesse beim Bildverstehen wird das Bildmaterial in journalistische Aufnahmen und satirisches Bildgut aufgeteilt. Während journalistische Aufnahmen gewissen Normen unterliegen, lassen sich für satirisches Bildmaterial so gut wie keine Regeln aufstellen, da sie alle Medien einbeziehen dürfen. So werden ein parodiertes Filmplakat, Comic-Strips und auch eine digital veränderte Aufnahme als satirische Beiträge untersucht. Auch dem Faktor Politik wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet, denn politische Bilder entfernen sich immer weiter davon, eine zufällige Momentaufnahme zu sein, sondern werden zunehmend von einer speziellen Berufsgruppe inszeniert. Am Ende stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln die jeweiligen Bilder ihr Ziel erreichen.
Prozess des Bildverstehens
Mentale Modelle
Beim Betrachten von Bildern entstehen im Betrachter Prozesse, die ihm nicht immer bewusst sind. Aus diesem Grund soll hier mit einer kurzen Einführung in die psychischen Prozesse beim Bildverstehen begonnen werden, die anhand eines kurzen Beispiels verdeutlicht wird.
Die wichtigste Grundlage beim Betrachten eines Bildes ist die Annahme eines so genannten ‚mentalen Modells’, das jedem Menschen in verschiedenem Maße zur Verfügung steht. Diese mentalen Modelle helfen dem Betrachter, indem sie abstrakte Aussagen anhand von visuellen Vorstellungen realer Erfahrungen in einer sehr konkreten Art repräsentieren. Mentale Modelle kann man demnach durch ihre Bildhaftigkeit charakterisieren, denn wenn man einen Satz wie „die Obstschale liegt auf dem Tisch“ vernimmt, erweckt dies eine Reihe von bildhaften Vorstellungen, „die eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit der tatsächlichen Wahrnehmung einer realen Szene aufweist, etwa in räumlichen Beziehungen“ (Weidenmann 1988: 33), wobei jedoch die innere Wahrnehmung keine genaue Wiederholung einer früheren Wahrnehmung ist, weil diese alte Wahrnehmung bereits seitens des Subjekts weiter verarbeitet wurde (vgl. Weidenmann 1988: 35). Diese mentalen Modelle lassen sich wie folgt charakterisieren:
„1. Mentale Modelle sind unvollständig.
2. Die meisten Personen haben große Schwierigkeiten, ihr Modelle ernsthaft zu überprüfen.
3. Mentale Modelle sind instabil. Die Personen vergessen z.B. Details eines Gerätes, das sie bedienen, vor allem wenn diese Details oder das ganze System eine zeitlang nicht benutzt wurden.
4. Mentale Modelle haben keine prägnanten Konturen. Ähnliche Pläne und Operationen werden miteinander verwechselt.
5. Mentale Modelle sind unwissenschaftlich. Die Personen halten an irrationalen Verhaltensweisen fest, selbst wenn sie wissen, dass diese wirkungslos sind, nur weil diese einen geringeren physischen und geistigen Aufwand verlangen.
6. Mentale Modelle sind umständlich. Oft führen Personen überflüssige Operationen aus, anstatt nachzudenken. Sie probieren lieber herum, als durch Überlegungen die Komplexität zu verringern. Das gilt besonders, wenn die unnötigen Handlungen einer einfachen Regel folgen, die man oft anwendet und die sich bewährt hat, weil sie das Risiko von Verwechslungen klein hält“ (Weidenmann 1988: 29-30).
Es entsteht demnach beim Betrachter eine gemischte Repräsentation von semantischen, visuellen oder gar motorischen und anderen Komponenten aus Wissensbeständen (vgl. Weidenmann 1988: 31). Es lassen sich drei Feststellungen bezüglich des mentalen Modells festhalten:
„1. Mentale Prozesse kennzeichnen alle natürlichen Verstehensprozesse.
2. Sie verdanken sich dem Bemühen des verarbeitenden Systems, zwischen Weltausschnitten und Wissensbeständen Kohärenz herzustellen.
3. Sie bringen in den Verstehensprozess Konkretheit und Bildhaftigkeit ein, indem sie Informationen ‚rekontextualisieren’“ (Anderson 1977: 424).
Der Prozess des Bildverstehens kann automatisch oder systematisch geschehen. Beim automatischen Verstehen wird das mentale Modell ohne besondere Schwierigkeiten erstellt, weil das Bild leicht ‚verstanden’ werden kann. Kann der Betrachter nicht sofort ein mentales Modell erzeugen, kommt das systematische Verstehen zum Tragen, weil es eine Reihe an Informationslücken gibt, die nicht in ein vorhandenes Situationsmodell passen. Beim systematischen Verstehen passieren mehrere Dinge. Zum ersten wird die Informationsbasis erweitert, das Bild wird nochmals betrachtet wie beim ersten Durchlauf, mit der Absicht, dieses Mal Informationen zu finden, die sich in vorhandene mentale Schemata integrieren lassen. Zweitens überlegt der Betrachter systematisch, ob gegebene Formen oder Elemente anders gesehen werden oder ob Ambiguitäten vorliegen könnten. Als letztes wird versucht, systematisch ein neues mentales Modell zu konstruieren (vgl. Weidenmann 1988: 46).
Nicht-kognitive Prozesse
Die vorher erwähnten Feststellungen hinsichtlich des mentalen Modells lassen einen wichtigen Prozess außer Acht: das Emotionale. Denn mit jeder Bildbetrachtung werden auch gleichzeitig emotionale Prozesse aktiviert. Dies erfordert nicht zwingend einen emotionalen Bildgehalt, sondern lässt sich auch durch einfache nichtgegenständliche Elemente hervorrufen (vgl. Weidenmann 1988: 48). Das Verstehensmodell muss also durch nicht-kognitive Elemente erweitert werden, denn Bilder können als angenehm, lustig, traurig oder auch langweilig bewertet werden. Es wird angenommen, dass folglich ein mentales Modell erstellt wird, das mit den empfundenen Emotionen korrespondiert. Diese emotionale Komponente kann dadurch auch Auswirkungen auf die Dauer des Verstehensprozesses haben, je nachdem, ob es sich um positive oder negative Emotionen handelt. Man kann davon ausgehen, dass Menschen sich intensiver mit einem Bild beschäftigen, wenn das Bild positive Emotionen auslöst (vgl. Weidenmann 1988: 48-49). Im konkreten Falle eines Bildes, das Präsident George W. Bush zeigt, muss man demnach davon ausgehen, dass Menschen, die Politikern generell oder Präsident Bush im Besonderen abgeneigt sind, dieses Bild anders aufnehmen, als diejenigen, die sich stärker für Politik oder Präsident Bush interessieren.
Eine andere Komponente ist die der Motivation. Viele Personen haben bereits vor dem Betrachten eines Kunstwerkes eine sehr negative Verstehens-Bereitschaft, die möglicherweise daraus resultiert, dass besonders bei Kunstwerken das systematische Verstehen gefordert wird, das für den Betrachter zeitintensiver und anstrengender ist, weil er sich den Inhalt des Bildes ‚erarbeiten’ muss (vgl. Weidenmann 1988: 50). Daher gibt es ein „Prinzip der minimalen Verstehensintensität“. Dieses besagt, dass bei ausreichender Reduzierung von mehrdeutigen Bildelementen die Tendenz steigt, den Verstehensprozess abzubrechen, was zur Folge hat, dass keine weitere Suche nach zu vorhandenen mentalen Modellen passenden Informationen stattfindet (vgl. Weidenmann 1988: 54). Dies nennt man das ‚Ökonomie-Prinzip’. Der Betrachter schaut sich ein Bild nur so lange an, wie er muss, um es in seinen Grundzügen zu verstehen, auch wenn es auf diesem Bild mehr zu entdecken oder verstehen gibt (vgl. Weidenmann 1988: 55).
Diese Komponente kommt besonders bei Karikaturen oder Cartoons zum Tragen, die später Teil der Untersuchung werden. Grundzüge werden oftmals schnell erkannt, wonach der Vergleich des mentalen Modells mit dem vorliegenden Bild abgebrochen wird. Meist ist damit jedoch kein tiefgründiges Verständnis der beabsichtigten Kritik erreicht worden. Ist das volle Verständnis des Cartoons schwieriger zu erzielen, muss die Motivation höher sein, um sich mit dem Cartoon weiterhin systematisch auseinander zu setzen, wie zum Beispiel bei Abb. 01. Grundsätzlich kann man behaupten, dass die emotionale Komponente bei Cartoons und Karikaturen meist positiv ist. Die Einstellung gegenüber Politik oder Bush ist in diesem Fall irrelevant, weil es sich um eine Art von Humor handelt – wie kritisch, harsch oder derb sei dahingestellt – die beim Betrachter versucht, ein Lächeln hervorzurufen. Dies hat zur Folge, dass auch die Motivation hoch ist, den vorliegenden Cartoon vollständig zu verstehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das mentale Modell wird bei jeder Bildbetrachtung unbewusst eingesetzt. Im Falle von Abb. 01 muss der Betrachter bereits zahlreiche mentale Modelle zur Verfügung haben. Zunächst muss er die dargestellten Objekte als solche erkennen. Er muss wissen, was ein Swimming Pool, ein Feuerwehrmann, ein Hausbrand oder ein Kellner ist. Dies geschieht, indem das abgebildete Objekt mit dem mentalen Modell verglichen wird, welches beim Betrachten des gleichen Objekts irgendwann vor dem Betrachten des aktuellen Bildes angelegt wurde. Das Dechiffrieren dieser einfachen Objekte, sowie das Erkennen des Feuerwehrmanns als amerikanischen Präsidenten, dürfte für die meisten erwachsenen Betrachter einfach zu bewerkstelligen sein. Darüber hinaus muss der Be-trachter im Stande sein, lesen zu können, denn auf dem Feuerwehrwagen ist eine wichtige Information für ihn angebracht. Zum vollständigen Verstehen des Cartoons muss des Weiteren ein mentales Modell vorhanden sein, das dem Betrachter klar macht, welche Bedeutungen einem Swimming Pool im Vorgarten, einem privaten Kellner, Sekt und Zigarren im sozialen Gefüge zukommen. Diese stehen nämlich für Exklusivität, die sich nur wohlhabende Menschen leisten können. Der letzte Schritt des Verstehens lässt sich nicht aufgrund mentaler Modelle bewerkstelligen. Der Betrachter erkennt zwar den Umstand, dass Bush als Feuerwehrmann Wasser in den Pool gießt, anstatt auf das Feuer in der Umgebung, aber die Antwort auf das „Warum?“ kann sich ihm nur offenbaren, sobald er eine speziell für diesen Cartoon notwendige Hintergrundinformation zur Verfügung hat. An dieser Stelle entscheidet sich, ob der bis zu diesem Punkt automatische Prozess abgebrochen wird, oder ob die Motivation ausreicht, sich nochmals systematisch mit dem Cartoon auseinander zu setzen. In diesem Cartoon ist es wesentlich zu wissen, dass George W. Bush die Steuern zugunsten der Reichen verändert hat. Dies führte zu der Kritik, dass Bush den Reichen noch mehr gebe, anstatt denjenigen, die Hilfe weitaus nötiger hätten. Aus diesem Grund ist auf dem Feuerlöschzug die Schrift ‚Bush Econ. Policy’ aufgedruckt, welche die konkrete Bildhaftigkeit des Wasserstrahls in eine metaphorische verwandelt. Das Wasser stellt somit im Bild kein Wasser dar, sondern im abstrakten Sinne ‚all das’, was die Reichen sowieso bereits besitzen, verbildlicht durch den Pool. Die Reichen, die bereits sehr viel Wasser besitzen, bekommen von der Feuerwehr, die eigentlich bei Bränden helfen soll, noch mehr Wasser. Es muss demnach ein mentales Modell vorhanden sein, welches dem Betrachter mitteilt, dass oftmals ein Cartoon die abgebildeten Dinge im übertragenen Sinne darstellt. Bush stellt in diesem Cartoon nicht einen Feuerwehrmann im eigentlichen Sinne, sondern den Präsident der Vereinigten Staaten dar, der den Wohlhabenden mehr davon gibt, was sie bereits besitzen, während ein Großteil der Menschen nach Hilfe ruft und diese vom Präsidenten erwartet.
Der ikonische Code
Ein Bild ist nichts anderes als ein Set von Zeichen, das vom Betrachter erkannt und gelesen werden muss. Beim Bildbetrachten spricht man vom Erkennen eines ikonischen Codes. Im Folgenden sollen die Begriffe ‚Ikon’ und ‚Code’ kurz erläutert werden.
Was ist ein Ikon? Bei dieser Definition herrscht Uneinigkeit.
„Die einfachste und eher naive Antwort auf das Problem besteht darin, pauschal Ähnlichkeiten zwischen Bild und Abgebildetem zu behaupten. Für Peirce (1931, § 2.247) gilt: ‚Ein Ikon ist ein Zeichen, das sich auf das von ihm bezeichnete Objekt nur aufgrund eigener Eigenschaften bezieht’. In gleicher Weise ist für den anderen prominenten Semiotiker Morris (1946) ein Zeichen dann ikonisch, wenn es Eigenschaften eines Denotatum aufweist“ (Weidenmann 1988: 59).
Einfacher ausgedrückt: der Betrachter erkennt auf einem Bild einen Gegenstand nur, weil er die Ähnlichkeit zwischen Abbild und Wirklichkeit wahrnimmt (vgl. Weidenmann 1988: 59). Der Bildbetrachter ist unter normalen Umständen in der Lage, das Bild von der Wirklichkeit zu unterscheiden. Seine Augen sehen zwar eine Illusion, aber er ist sich bewusst, dass es sich nicht um etwas ‚Reales’ handelt.
„Der psychologische Effekt, dass man Bilder als ‚Scheinduplikate des wirklichen Gegenstandes’ (Ersch & Gruber, 1823, S. 160) wahrnimmt, steht also außer Frage; die Potenz von Bildern, diese Täuschung hervorzurufen, ist das Kernstück aller Bilddefinitionen“ (Weidenmann 1988: 59).
Wenn man von codierten Botschaften spricht, meint man eine bestimmte Abfolge von Symbolen, die in einer bestimmten Art und Weise angeordnet werden können, in der sie Sinn ergeben. Nach Eco (1972) ist Code im eigentlichen Sinne nichts anderes als ein Wahrscheinlichkeitssystem, das die theoretische Kombinationsvielfalt eines Symbolsystems einschränkt. Damit wird die Voraussetzung für Bedeutungsübertragung geschaffen. Man geht beim Betrachten von Bildern von einem ikonischen Code aus, bei welchem ein Wahrnehmungsfeld selektiv bearbeitet und strukturiert wird. Diesem Prozess liegt zugrunde, dass bestimmte frühere Ereignisse zu bestimmten Wahrnehmungsgewohnheiten geführt haben, auf deren Basis sich die neuen Sinneindrücke fundieren (vgl. Weidenmann 1988: 62).
„Warum Bilder als ähnlich zu Wahrnehmungen der Realität erscheinen, erklärt Eco wie folgt: Die ikonischen Zeichen bauen im Betrachter eine ‚Wahrnehmungsstruktur’ auf, die eine ähnliche ‚Bedeutung’ besitzt wie die entsprechende reale Erfahrung“ (Weidenmann 1988: 62).
Es wird ein Modell erstellt, das beim Betrachten eines Bildes aus Beziehungen zwischen den graphischen Elementen besteht, in der Realität dagegen aus Wahrnehmungseindrücken. Ein ikonisches Zeichen hat also nichts mit dem Gegenstand gemein, sondern höchstens mit dem Wahrnehmungsmodell, das der Betrachter von diesem Gegenstand hat (vgl. Weidenmann 1988: 62-63). Dieser ikonische Code ist hinsichtlich der Bildbetrachtung ein ‚schwacher’ Code, weil der Bestand der Zeichen nicht klar definiert ist wie beispielsweise im Morsealphabet. Der Code für Bilder besteht aus einer nicht überschaubaren Menge an Zeichen, die als ein Fehlen syntaktischer und semantischer Regeln ausgedrückt werden kann. Es stehen unendlich viele ikonische Varianten zur Verfügung. Jedes Bild entsteht somit im Privatcode des Bildproduzenten (vgl. Weidenmann 1988: 63-64). Dies heißt jedoch nicht, dass diesem ‚schwachen’ Code seine Kommunikationsfähigkeit abgesprochen wird, denn „ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, so lautet ein Sprichwort. Das Bild kommuniziert, trotz des schwachen ikonischen Codes, innerhalb des Binnenkontextes seiner einzelnen Elemente untereinander (vgl. Weidenmann 1988: 71).
Bild und Bildproduzent
Von einem kommunikationstheoretischen Gesichtspunkt aus müssen Bilder immer als das Ergebnis eines Entscheidungsprozesses seines jeweiligen Bildproduzenten gesehen werden, der die Auswahl über das Bildthema und dessen codierte Darstellung trifft. Der Betrachter auf der anderen Seite sieht in dem Bild ein Produkt und weiß um dessen kommunikative Aufgabe (vgl. Weidenmann 1988: 72). Dies bedeutet, dass das mentale Modell sowohl vom Bildproduzenten als auch vom Bildbetrachter eingesetzt wird. Da diese Arbeit eher den Bildbetrachter fokussiert, wird näher auf dessen mentales Modell eingegangen. Dieses kann referentiell oder kommunikativ sein. Bei ersterem kann der Bezug zum Bild meist sehr rasch hergestellt werden, weil der ikonische Code stark ist, wobei wieder auf kognitive vergangene Erfahrungen zurückgegriffen wird. So kann ein Betrachter auf einem Bild keine Obstschale als solche erkennen, wenn er noch nie zuvor eine gesehen hat. Das kommunikative Modell ist tief greifender, da es versucht, im bewussten Kontext des Bildes als Produkt, die Intention des Produzenten herauszulesen (vgl. Weidenmann 1988: 75-76). Diesen beiden Modelltypen liegen zwei Verstehensmodi zugrunde, ein ökologischer und ein indikatorischer. Der ökologische Verstehensprozess, der den Gedanken des automatischen Verstehens fortsetzt,
„zeichnet sich dadurch aus, dass die zweidimensionale, statische, codierte Information eines Bildes ‚ökologisch normalisiert’ wird. Subjektiv wird diese Leistung als ‚Erkennen’ erlebt“ (Weidenmann 1988: 77).
Dieser Modus beruht darauf, dass Medium und Code transparent gemacht werden.
„Der zentrale Unterschied zwischen ökologischem und indikatorischem Modus lässt sich auf eine Formel bringen: Für ökologisches Bildverstehen ist jede perzipierte Ähnlichkeit mit Realität informativ, für indikatorisches Bildverstehen jede Besonderheit der Bildgestaltung“ (Weidenmann 1988: 79).
Ökologisches Verstehen zieht alte Wissensbestände über die reale Welt zu Rate, um damit Ähnlichkeiten herzustellen, während das indikatorische Verstehen Besonderheiten entdeckt. Dies geschieht mit Hilfe von Wissen über die reale Welt und die Produktion von Bildern, einschließlich Wissen über den Entstehenszeitpunkt des Bildes und seines Produzenten (vgl. Weidenmann 1988: 80).
Auf Abb. 01 bezogen würde dies bedeuten, dass dem Erkennen der einzelnen Gegen-stände, des Feuerwehrmanns oder des Pools, das ökologischen Prinzip eines mentalen Modells zugrunde liegt, weil der Betrachter diese Dinge ‚erkennt’, da er sie schon einmal gesehen hat. Der Feuerwehrmann als ikonischer Code wird erst dann als George W. Bush erkannt, wenn der Betrachter dieses Zeichen als Abbild zur Wirklichkeit wahrnimmt. Dem Betrachter muss das Gesicht von George W. Bush bekannt sein, damit er das Zeichen ‚Feuerwehrmann’ lesen kann. Das indikatorische Modell, analog zum systematischen Verstehen, beinhaltet die Suche nach außer-bildlichem Wissen, das außerhalb des Bildes und seinen Zeichen zu finden ist. Im Beispiel handelte es sich um das Hintergrundwissen, auf welche Art und Weise George W. Bush Steuerpolitik betreibt.
Journalistische Bilder
Einführung
Im Folgenden werden Bilder von George W. Bush analysiert. Wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben, beruhen derartige Interpretationen auf den mentalen Modellen des Betrachters. Daraus folgt, dass Bildinterpretationen immer höchst subjektiv und damit anfechtbar sind. In diesem Sinne gibt es keine falsche und keine richtige Bildinterpretation, sondern nur eine von vielen möglichen Interpretationen, nämlich die des Autors dieser Arbeit. Im ersten Abschnitt werden journalistische Bilder untersucht. Ein wesentliches Merkmal dieser Reihe von Bildern ist die Tendenz der minimalen Verarbeitungsintensität. Diese Tendenz betrifft denjenigen Betrachter, welcher nach dem Beseitigen von möglichen Zweideutigkeiten innerhalb des Bildes den Verstehensprozess frühzeitig abbricht. Der Betrachter arbeitet prinzipiell nach dem „Prinzip des geringsten Aufwandes“ (Köhler 1920: 134). Das Bedürfnis nach Abwechslung und Stimulation steht diesem Prinzip gegenüber. Im Gegensatz zu Text oder Film, wo das menschliche Auge aktiv das Reizfeld abtastet, erkennt der Betrachter bei einem Bild sozusagen auf den ersten Blick die visuellen Zeichen, worauf das weitere Suchen nach bekannten Schemata abgebrochen wird. Ein Bild wird aus diesem Grund rasch als langweilig empfunden, weil es keine Reizwechsel wie das Medium Film bietet (vgl. Weidenmann 1988: 93-94). Da hinter journalistischen Bildern zumeist keine versteckte Ironie oder Kritik anzunehmen ist, wird vom Betrachter mit Hilfe von dessen ökologischem mentalem Modell das Bild tendenziell sehr rasch ‚gelesen’. Er sieht ein paar ihm bekannte Personen und die Motivation, das Bild nach tiefgreifenderen Symbolen und Aussagewerten hin zu untersuchen, ist oft nicht vorhanden.
Ein Problem hinsichtlich der angehenden Bildinterpretationen ist zudem durch den Umstand der journalistischen Fotographie gegeben. Während die Bildgestaltung von Gemälden, wenn vom Künstler beabsichtigt, über einen längeren Zeitraum konzipiert wird, entstehen Fotographien innerhalb eines sehr viel engeren Zeitrahmens. Es obliegt nicht der Kontrolle des Fotographen, die abzulichtenden Bildgegenstände in eine gewollte Ordnung zu bringen, weil ihm bei journalistischen Aufnahmen dafür kaum Zeit gegeben wird. Fotographien zeigen eine Momentaufnahme der Wirklichkeit, wie sie sich dem Fotographen unterbreitete. Journalistische Bilder entstehen nicht im Studio des Fotographen, sondern dort, wo sich das politische Geschehen abspielt, nämlich in der Öffentlichkeit. In diesem Sinne ist es schwierig für den späteren Betrachter, auf der Suche nach ‚der Aussage’ der Fotographie zu sein, denn der Urheber wollte keine bestimmte Nachricht übermitteln, außer die fotografierten Objekte abzulichten. Es ist daher unerheblich, Informationen über biographische Daten des Fotographen oder symbolische Aussagekraft einzelner Bildelemente in die Bildbetrachtung mit einzubeziehen, so wie es für das indikatorische Modell charakteristisch ist. Dies soll der Fotographie jedoch nicht einen Aussagewert absprechen, denn selbstverständlich besitzen Fotographien einen Bildaufbau, den man als klassisch, ungewöhnlich, symmetrisch oder sogar konstruiert charakterisieren könnte. Dasselbe gilt für symbolträchtige Objekte oder Zeichen, die dem Betrachter auffallen. Es ist jedoch wesentlich festzustellen, dass bei den folgenden journalistischen Fotographien davon auszugehen ist, dass die Bildstruktur als auch die dargestellten Objekte Produkte des Zufalls sind und nicht auf eine Aussageintention des Fotographen zurückgeführt werden können.
George W. Bush und John Kerry
Im November 2004 ging George W. Bush als Sieger um das Präsidentenamt gegen John Kerry hervor. Die in diesem Abschnitt vorgestellten Bilder visualisieren Grundeinstellungen der beiden Kandidaten, auf deren Basis die Wähler ihre Entscheidung getroffen haben. Der Blick soll zunächst auf die beiden der Lokalzeitung ‚Darmstädter Echo’ (26. Oktober 2004) entnommenen Bilder gerichtet werden (Abb. 02).
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Auf der linken Seite befindet sich der Herausforderer John Kerry mit seiner Frau im Arm. Die beiden sind die einzigen Personen auf dieser Aufnahme. Außer ihnen befindet sich nur noch eine Palme im Hintergrund. Die Komposition des Bildes setzt auf klare, einfache Formen und Linien. Es handelt sich um ein sehr übersichtliches und klar strukturiertes Bild. Zudem wurde es aus der Unterperspektive aufgenommen. Dies ist eine oft verwendete Technik, um der im Bild dargestellten Person mehr Größe und Gewicht zu verleihen. Denn zu einer angehenden Führungspersönlichkeit muss der Betrachter, der in den Vereinigten Staaten gleichzeitig Wähler ist, aufschauen. Man zollt der ‚höher’ stehenden Person Respekt und zeigt Ehrfurcht. Dass es sich in dem Bild um eine angehende Führungsperson handelt, macht die Geste seines rechten Armes klar, der im rechten Winkel mit geschlossener Faust nach oben zeigend ausgestreckt ist. John Kerry posiert als klarer Sieger, schon vor dem Wahlentscheid. Seine Pose signalisiert Sicherheit und Entschlossenheit, dass seine Wertvorstellungen und seine gesetzten Ziele wichtig sind, er zu ihnen steht und bei einem Wahlsieg für sie eintritt. Unterstrichen wird dies zudem von seiner fest verschlossenen und zur Faust geballten Hand. Die Faust gilt als Zeichen von Durchsetzungsvermögen, aber auch Aggressivität. Wenn einem etwas nicht passt, dann „haut man mit der Faust auf den Tisch“, so lautet ein deutsches Sprichwort.
John Kerry zeigt sich kämpferisch, was auch sein Gesichtsausdruck unterstreicht. Die Lippen sind fest zusammengepresst, der Blick schweift in die Ferne, zum Wahlsieg. Das hochgekrempelte Hemd signalisiert dabei die harte Arbeit, die notwendig für das Erringen eines Wahlsieges ist, denn letzteren bekommt er weder geschenkt noch angetragen. Dieses Bild steht für schweißtreibende, körperliche Arbeit, bei der vor allem die Hände und Muskelkraft zum Einsatz kommen. Dass Kerry jedoch nicht den Eindruck eines ausschließlich körperlich schwer arbeitenden Mannes erwecken will, macht er mit seiner ordentlich gebundenen Krawatte klar. Er stellt sich eher in einer führenden Position dar, als in einer befehlsempfangenden. Wenn es die Umstände jedoch erfordern, dann packt auch Kerry selbst mit beiden Händen an. Die Palme im Hintergrund steht über den Dingen, sie ist größer als Kerry, größer als der Fotograph und zudem außer Fokus. Wollte man in ihr ein Symbol sehen, dann wäre es der Erfolg, der nahe liegt und größer ist als alles andere. Es ist der Erfolg, vor dem Kerry zusammen mit seiner Frau posiert, die ihm ihre volle Unterstützung zuteil werden lässt. Sie schmiegt sich an ihn und hält ihn fest umschlungen, am linken unteren Rand des Bildes erkennt man deutlich ihre Hand, die fest seine Taille umfasst. Die beiden stellen das traditionelle Mann-Frau-Verhältnis dar, mit ihm als starken und siegesbewussten politischen Führer, und ihr als unterstützendem Element, welches ihm mit aller Liebe zur Seite steht. Nicht nur als Symbol der Unterstützung ihres Mannes, sondern auch als Zeichen ihrer Liebe zu seinem Beruf und zu ihrem Vaterland hat sie einen Amerikastern an ihr Oberteil geheftet, welcher gut sichtbar von einer ‚Kerry 2004’ Plakette ergänzt wird. Unterstützung wird zusätzlich durch ein mildes Lächeln auf ihren Lippen ausgedrückt, das Zufriedenheit und Zuversicht ausstrahlt. Der Blick des Ehepaares Kerry ist vom Fotographen abgewandt und geht in die Ferne, zu einem unbestimmten Punkt. Während jedoch Kerry eher nach rechts in die Ferne schaut, blickt seine Frau zur linken Seite. Nicht nur ihre Blicke divergieren, sondern auch die Positionen ihrer Körper, die zusammen eher einen Winkel von 90° bilden. Kerry und seine Frau nehmen eine offene Position fast in der Bildmitte ein, die den Betrachter einlädt, ja fast umarmt.
„Die Freiheit führt das Volk an“ von Eugène Delacroix
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
John Kerrys Pose erinnert an das Kunstwerk von Eugène Delacroix „Die Freiheit führt das Volk an“ (Abb. 03), auf welchem eine Frau mit freier Brust als zentrale Figur abgebildet ist. Ihr rechter Arm hält siegesbewusst die französische Fahne in die Luft, der andere ein Gewehr an der Körperseite. Sie trägt eine phrygische Mütze, ein Symbol der Freiheit (vgl. http://www.eugenedelacroix.de/freihe_1.html). Die Personifizierung der Freiheit schreitet barfuß über die Barrikaden, das Banner als Symbol der gesamten Nation hoch erhoben und das Schießgewehr bereit zu Angriff oder Verteidigung, um weiterhin für Freiheit zu kämpfen. Das Bild ist voller Aufruhr, die meisten abgebildeten Menschen tragen Säbel und Schießgewehre, der Hintergrund ist voller Nebel und die Stadt Paris lässt sich nur noch erahnen. Zu Füßen der Frau schaut ein Mensch von den Barrikaden zu ihr herauf. Diese in den Farben der französischen Nationalflagge gekleidete Figur symbolisiert das französische Volk, welches sich ‚erhebt’. Obwohl Eugène Delacroix jeglichem Interesse an Politik abgeneigt war (vgl. http://www. kunstdirekt.net/ symbole/ allegorie/delacroix/delacroix.html), widmete er der Julirevolution von 1830 seine Aufmerksamkeit.
Die Rolle der für Freiheit kämpfenden Frau nimmt im Foto John Kerry ein. Sein Arm ist allerdings nicht ausgestreckt, sondern angewinkelt und hält zudem keine Flagge in der Hand. Sein Kopf ist nicht komplett zur Seite gerichtet, sondern nur leicht angewinkelt. Anstatt einer Schussfeuerwaffe hat John Kerry seine Frau an seiner linken Seite. John Kerry ist somit eine moderne Version jener Frau auf Delacroix’ Bild. Seine Faust ist siegessicher und kämpferisch in die Höhe gestreckt. Die amerikanische Fahne ist klein als Plakette an dem Jackett seiner Frau angebracht. Auch John Kerry möchte für Ordnung sorgen, das Chaos der politischen Unentschlossenheit beenden und für sein Volk über die Barrikaden steigen, jedoch ohne Rauch und Pulverfass.
Das Bild seines Gegners George W. Bush trägt dagegen ganz andere Merkmale. Einer der größten Unterschiede besteht darin, dass der amtierende Präsident und seine Frau nicht alleine auf dem Bild sind. Der gesamte Hintergrund ist mit Menschen ausgefüllt. Daraus alleine ergibt sich bereits ein sehr viel komplexerer Bildaufbau. Die Menschen im Hintergrund machen das Bild weitaus unstatischer als das von einfachen Linien geprägte Foto seines Kontrahenten. Dies ist kein Nachteil, denn das Bild wirkt dadurch lebendiger. Durch die freudige Stimmung und die vielen lachenden Gesichter der Hintergrundmenge erhält das Bild eine sehr positive Aura. Und dies, obwohl die Tiefenschärfe des Fotos im Hintergrund allmählich weiter abnimmt. Das Bild wird durch diese Menge getragen und belebt. Hinzu kommen die vielen nach oben gen Himmel gerichteten Arme. Mehrere Leute schießen Fotos, andere halten Plakate für Bush hoch oder schwenken die amerikanische Nationalflagge. Gerade diese nationale Symbolik gibt dem Bild sehr viel Substanz und verdeutlicht den Anlass der Aufnahme: es geht um die Wahl des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Dieses Symbol fehlt komplett bei Kerry, wenn man von dem einem Stern auf Teresa Kerrys Jacke absieht. In Bushs Bild ist die Aussage sehr viel direkter: es geht ausschließlich um Amerika. Des Weiteren sind auf dem Bild Menschen zu sehen, die zu dem bisherigen Präsidenten stehen und diese Tatsache mit hochgehaltenen Plakaten demonstrativ unterstreichen. Betrachtet man den Vordergrund, sieht man George W. Bush auf der rechten und seine Frau auf der linken Seite. Beide werden direkt von der Sonne angestrahlt, das sich zusätzlich positiv auf das Bild auswirkt. Es fallen keine harten Schatten, die Gesichter sind fast gleichmäßig ausgeleuchtet und werden von dem charmanten Lächeln der beiden Hauptpersonen unterstrichen. Beide lächeln sehr offen, die Lippen sind auseinander und man kann ihre Zähne sehen. Es ist kein Lächeln, es ist ein offenes Lachen, was sehr viel sympathischer vom Zuschauer aufgenommen wird als das leichte Lächeln von Teresa Kerry oder der eher verbissene Kämpferblick ihres Mannes. Auch vier andere Personen, die im direkten Hintergrund neben dem Ehepaar Bush zu sehen sind, zeigen ein offenes Lachen: die Frau direkt links von George W. Bush, dann ein Stück weiter links die Dame mit der Sonnenbrille, auf die aus dem verdeckten Hintergrund gezeigt wird. Hinzu kommen der Mann mit dem dunklen Oberteil und den dunklen kurzen Haaren zwischen den beiden zuerst genannten Personen und der etwas ältere Herr links außen mit den hellen Haaren und der großen Brille. Das gesamte Bild ‚strahlt’ dem Zuschauer entgegen, lacht ihn an und erzeugt eine sehr entspannte Atmosphäre.
Die Kleidung der Bushs ist unauffällig, ganz im Gegensatz zu sonstigen öffentlichen Auftritten von Präsidenten in Begleitung der First Lady. Ihren Stil könnte man fast als privat bezeichnen. Derart gekleidet geht man abends auf ein Barbecue bei Freunden. Auf den meisten anderen Fotografien trägt George W. Bush einen dunklen Anzug, und seine Frau ein schickes Abend- oder Ballkleid (Abb. 04 / links).
Auf dem vorliegenden Bild (Abb. 02) trägt Bush ein kariertes Baumfällerhemd, ohne Krawatte oder Fliege, dafür aber sorgfältig zugeknöpft. Nur der oberste Kragenknopf ist geöffnet. Es soll nicht der Eindruck eines lässigen Präsidenten entstehen. Mit einem Mann, der ein am Hals offenes Hemd trägt, assoziiert man im Allgemeinen einen Playboy, dessen Brustbehaarung aus dem oberen Hemdbereich heraus zu sehen ist, welches wiederum ein Zeichen von öffentlich zur Schau getragener Männlichkeit ist. Genau das Gegenteil möchte George W. Bush ausdrücken. Seine Repräsentation auf diesem Foto steht für eingegrenzte Sexualität und Intimität, die nichts im Raum der Öffentlichkeit zu suchen hat. Seine Frau trägt einen unauffälligen Blazer, zudem verbunden mit einem engen Halstuch, aus dem eine Krawatte hervorkommt. Auch ihr Kleidungsstil ist ‚zugeknöpft’ bis zum Hals, und blanke Arme oder ein Dekollete waren nicht geplant oder beabsichtigt. Nach von Rimscha (2004: 47) trug George W. Bush bereits während seiner Collegezeit altmodische Kleidung und fuhr ein altes Auto. Der amerikanische Präsident hat scheinbar einen Hang zur lockeren Kleidung des einfachen Mannes, mit dessen Typus er im staubigen Westen von Texas groß geworden ist.
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Dass es sich hierbei sowohl um den generellen Ausdruck der konservativen Gesinnung als auch um ein klassisches Politiker-Outfit handelt, wird ersichtlich, wenn man zum Vergleich die Bilder von George W. Bushs Amtseinführung aus der TIME vom 29. Januar 2001 heranzieht (Abb. 04). George W. Bush ist klassisch im schwarzen Anzug gekleidet, einmal mit Fliege und einmal mit Schlips. Seine Frau ist auf dem linken Bild mit einem Ballkleid, auf dem rechten in einer Kombination von Kleid und Mantel zu sehen. Während für die Stars in Hollywood und auch für den Rest der modernen Welt das Motto gilt, „mehr Haut ist gleich mehr Aufmerksamkeit“, so verhält es sich in der Politik und bei der Familie Bush anders. Aber nicht nur bei ihnen. Auch Vize-Präsident Dick Cheneys Frau, auf dem Bild unter denen der Bushs zu sehen, trägt ein hochgeschlossenes Kleid, das dem Modell von Laura Bush sehr ähnlich ist. Das Kleid schließt am Hals und besitzt kein Dekollete, das Haut zeigen könnte. Auch die Arme der Frauen liegen nicht frei. Die Ärmel reichen bis zu den Handgelenken. Auf dem linken Bild trägt Laura Bush ein Abendkleid, das bis zum Boden reicht. Der Betrachter kann nicht einmal ihre Füße ausmachen. Diese Art von Mode erinnert ein wenig an viktorianische Ideale, nach denen sogar Fußgelenke verdeckt gehalten werden mussten, um nicht zu viel erotische Ausstrahlung zu besitzen. Der Kleidungsstil der Bushs kann somit als schlicht und konservativ charakterisiert werden.
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Das konservative Element ist allerdings nicht unbedingt untypisch für einen öffentlichen Auftritt eines Präsidentenpaares. Abb. 05 zeigt Präsident Kennedy mit seiner Frau Jackie anlässlich eines offiziellen Empfangs in Dallas am 22. November 1963. Jacqueline Kennedy trägt einen langen hochgeschlossenen Mantel mit passenden Hut und Handschuhen. Dass auch die First Lady mehr Haut zeigen durfte, beweisen das Foto des Inauguration Ball in Washington vom 20. Januar 1961 (Abb. 06) und das Titelbild des Life-Magazins vom 20. Juli 1953 (Abb. 07). Beide Bilder stellen grundverschiedene Situationen da. Die erste ist im höchsten Maße öffentlich, denn man kann Tausende von Menschen im Hintergrund des Bildes ausmachen. Jacqueline Kennedy trägt ein in weiß gehaltenes Abendkleid, das von ihr selbst entworfen worden war (vgl. Lubin 2003: 95-97). Die Oberarme liegen frei, und auch größere Rückenpartien können durch den transparenten Stoff ausgemacht werden. Bei dem zweiten Bild handelt es sich um eine private Aufnahme, auf der Jackie in Weste und kurzer Hose abgelichtet ist. Trotz des Vorurteils, dass die Zeiten der 50er und 60er Jahre sehr empfindlich waren, was das Zeigen von Hautpartien betraf, so fällt dem Betrachter hier auf, dass diese Aufnahmen eine schickere und attraktivere Mode präsentieren als sie auf heutigen politischen Bildern zu sehen ist. Auch Hillary Clinton war als First Lady nicht so zugeknöpft wie ihre Nachfolgerin Laura Bush. Abb. 08 zeigt Hillary Clinton mit einem Ausschnitt, Abb. 09 mit einem über dem Knie endenden Zweiteiler und Abb. 10 gar mit einem stellenweise halb-transparenten Abendkleid.
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