Systematischer Ansatz bei der Digitalisierung von operativen Unternehmensprozessen in der chemischen Industrie

Die Herausforderungen bei der Implementierung


Masterarbeit, 2019

92 Seiten, Note: 2.3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung und Motivation
1.1 Zielsetzung und Forschungsfrage
1.2 Aufbau der Arbeit

2 Begriffseingrenzung, Problemstellung, Branchenumfeld, Digitalisierungskategorien und
Herausforderungen
2.1 Definition und Problemstellung
2.2 Branchenstruktur, Entwicklung und Trends in der deutschen Chemieindustrie
2.3 Digitalisierung – Pfade auf dem Weg der digitalen Transformation
2.4 Anwendungsgebiete der Industrie 4.0 und Digital Plant
2.5 Herausforderungen bei der Implementierung und Voraussetzungen der digitalen
Transformation
2.5.1 Rechtliche Maßnahmen bei der Implementierung neuer Technologien
2.5.2 Führungsprinzipien, Unternehmenskultur und Mitarbeiterwandel
2.5.3 Organisations- und Personalgestaltung
2.5.4 Radikalisierung des Wettbewerbs und Veränderung der Kundenerwartung
2.5.5 Cybersecurity

3 Framework zur systematischen Identifizierung digitaler Handlungsfelder auf operativer Ebene
3.1 Prinzipien des Frameworks
3.2 Der Aufbau des Frameworks und die Vorgehensweise
3.3 Konkretisierung der Fragenkategorien
3.3.1 Bereich des Fragenkatalogs: Voraussetzungen – Cluster A
3.3.2 Bereich des Fragenkatalogs: Implementierung – Cluster B
3.4 Anwendungsszenario digitaler Technologien anhand eines Fallbeispiels
3.4.1 Identifikation von Use Cases in Unternehmensbereichen für Produktion und
Instandhaltung
3.4.2 Bestimmung eines exemplarischen Fallbeispiels
3.4.3 Formulierung der Fragen pro Fragenkategorie zur Bewertung der Relevanz von
Digitalisierungsinitiativen anhand eines Fallbeispiels
3.4.4 Bereich des Fragenkatalogs: Voraussetzungen – Cluster A
3.4.5 Bereich des Fragenkatalogs: Implementierung – Cluster B
3.5 Bewertung und Visualisierung des Frameworks
3.6 Tailoring

4 Methodischer Rahmen und Forschungsdesign
4.1 Erhebungsmethode
4.2 Datensammlung
4.3 Datenauswertung

5 Zusammenführung der Interview-Ergebnisse
5.1 Kurzbeschreibung der Interviews
5.2 Systematischer Ansatz zur Identifizierung digitaler Handlungsfelder auf operativer
Ebene
5.2.1 Inhaltliche Verbesserung von Cluster A: Voraussetzungen
5.2.2 Inhaltliche Verbesserung von Cluster B: Implementierung
5.3 Bedeutung aus projekttechnischer Sicht
5.4 Risiken und Schwächen bei der Anwendung des Frameworks

6 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang
Anhang A: Ablauf des Interviews und Interviewleitfaden

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Eigene Darstellung zum Aufbau der Arbeit

Abbildung 2: Prognose zur Steigerung der Bruttowertschöpfung ausgewählter Branchen durch Industrie 4.0 in Deutschland für das Jahr 2025 (in Milliarden Euro)

Abbildung 3: Einfluss der Digitalisierung auf die Bereiche der chemischen Wertschöpfung

Abbildung 4: Alternde Bevölkerung Deutschlands im Vergleich zum Bevölkerungswachstum anderer Länder

Abbildung 5: Pfade der digitalen Transformation

Abbildung 6: Darstellung der drei Digitalisierungskategorien

Abbildung 7: Schematischer Ablauf von vorausschauender Wartung bei vernetzten Maschinen

Abbildung 8: Umfrage zu heutigen und zukünftigen Anwendungsbereichen von Industrie

Abbildung 9: Hindernisse für die Einführung von Industrie 4.0-Anwendungen

Abbildung 10: Partizipative Führungsprinzipien in digitalen und vernetzten Arbeitswelten

Abbildung 11: Eigene Darstellung des Frameworks. Informationsquelle für die Bewertung (Schritt 1)

Abbildung 12: Eigene Darstellung des Frameworks. Use Case als Informationsquelle für die Bewertung (Schritt 2)

Abbildung 13: Exemplarischer WMP – Darstellung der verschiedenen Stufen des Instandhaltungsprozesses

Abbildung 14: Eigene Darstellung des Frameworks mit Scoring-Deltas (Mapping aus Unternehmensdaten und Use Case Informationen; Schritt 3)

Abbildung 15: Eigene Darstellung der Scoring-Werte mit Heat Map zur Visualisierung

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Umsatzzahlen aus In- und Ausland sow1e Anzahl der Beschaftigten bei der Herstellung von chemisehen Erzeugnissen in Deutschland

Tabelle 2: Auflistung verschiedener Use Cases zur Bestimmung eines Fallbeispiels

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung und Motivation

Die Digitalisierung beeinflusst in vielen Facetten das tägliche Leben der Menschen. Nicht nur im privaten Alltag kann eine globale Veränderung beobachtet werden. So wurde beispielsweise der Handel durch E-Commerce so stark verändert, dass der Online- Vertrieb für eine Vielzahl von Unternehmen ein essentieller Bestandteil bei der Gewinngenerierung darstellt und aus heutiger Sicht unverzichtbar geworden ist. Auf der Seite der Konsumenten hat es den Kaufprozess schnell, bequem und unkompliziert gestaltet, sodass neue Generationen mit einem fundamental veränderten Selbstverständnis ihre Käufe realisieren. Die Speicherung, die Verwaltung und der Gebrauch von Kundendaten haben beispielsweise zu neuen Erkenntnissen des Kundenverhaltens geführt und beeinflussen maßgeblich das Portfolio an Produkten und Services.1

Auf der Unternehmensseite gibt es Indizien für den hohen Stellenwert, der Digitalisierung zugeschrieben wird: In 5 Jahren werden 80% der Unternehmen branchenübergreifend ihre Wertschöpfungskette digitalisiert haben und erwirtschaften durch die Analyse und der Nutzung von Daten einen enormen Teil ihrer Gewinne. Außerdem generieren digitale Produkte und Services bereits 30 Milliarden Euro für die deutsche Industrie.2

Die mit der Digitalisierung einhergehenden Möglichkeiten des unternehmerischen Spielraums haben sich nahezu branchenweit offenbart. Es scheint, als ob die radikalen revolutionären Umbrüche aus der Digitalisierung an der chemischen Industrie – vornehmlich im Bereich B2B – vorbeigerauscht wären. Dennoch erhoffen sich 79% der Top-Manager aus deutschen Chemieunternehmen Potenziale in der Digitalisierung, wie aus einer Studie aus dem Jahr 2015 hervorgeht.3

In der Chemieindustrie existieren erfolgsversprechende Ansätze zur Steigerung der Effizienz und der Produktivität. Beispielsweise können in Bereichen der Anlageneffizienz, der Konnektivität der Beschäftigten und der Analyse von Produktionsdaten neue Optimierungspotenziale erschlossen werden.4

Daher ist es wichtig, dass Unternehmen auf Grundlage der betrieblichen Umstände digitale Alternativen einordnen können. Darüber hinaus sollten die Alternativen zur Optimierung der Wertschöpfungskette vergleichend erfasst und hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit und Eignung geprüft werden. Fest steht, dass je nach Branche, Beschaffenheit, Größe und Produktportfolio Digitalisierungsstrategien unterschiedlich zu bewerten sind und dass die Digitalisierungsstrategie und der angestrebte Mehrwert eine differenzierte Betrachtung möglicher Implementierungen erfordern.

1.1 Zielsetzung und Forschungsfrage

Der Forschungshauptgegenstand dieser Ausarbeitung lautet inwiefern es möglich ist anhand eines Frameworks eine systematische Vorgehensweise herzuleiten, die es chemischen Betrieben ermöglicht noch vor Einführung eines digitalen Szenarios die möglichen digitalen Handlungsoptionen zu identifizieren, zu bewerten und unter Berücksichtigung unternehmensspezifischer Informationen zu vergleichen. Unter einer „systematische Vorgehensweise“ wird im Zuge der Arbeit ein Plan verstanden, der sich an einem beliebigen System orientiert. Der Terminus „Digitale Handlungsoptionen“ beinhaltet mögliche Digitalisierungsszenarien auf operativer Ebene. Unter digitale Szenarien werden alle Formen der Digitalisierung im operativen Bereich verstanden.

Forschungsgegenstand dieser Arbeit sind auch die Anwendbarkeit und die Schwächen des Frameworks zu identifizieren. Unter der Anwendbarkeit wird die Bedeutung des Frameworks aus projekttechnischer Sicht verstanden. Hinzu kommt, dass untersucht wird, welche Herausforderungen bei der tatsächlichen Implementierung existieren.

Das Untersuchungsziel dieser Arbeit umfasst die Interpretation der oben beschriebenen Forschungsfrage, die Bewertung und Einordnung des entstandenen Wissens und die entsprechende Schlussfolgerung.

Um die oben beschriebene Forschungsfrage zu beantworten, wird initial ein Framework entworfen. Im Rahmen des Frameworks sollen Unternehmensinformationen und Informationen, die aus der Eigenart digitaler Technologien hervorgehen, verglichen werden. Für das Framework werden Themen abgebildet, die im zuvor beschriebenen Vergleich relevant sind. Diese Themen werden in zwei Kategorien abgebildet: Den Voraussetzungen und der Implementierung, wobei die „Voraussetzungen“ Themen darstellt, die bei der Einführung digitaler Technologien vorhanden sind. Die zuvor beschriebene Kategorie „Implementierung“ beinhaltet die Wirkungsbereiche digitaler Technologien und der angestrebte Nutzen auf der Seite der Unternehmen. Um für die zuvor beschrieben Bereiche des Frameworks Informationen aus Unternehmen und Technologie zu erhalten, sollen Fragen für diese beiden Bereiche formuliert werden. Um die Fragen spezifisch gestalten zu können, wird eine digitale Technologie in einem konkreten betrieblichen Kontext analysiert. Mit der Zuhilfenahme des Fallbeispiels soll das Vorgehen die Anwendung der digitalen Technologie im Rahmen der Arbeit veranschaulichen.

Im Verlauf der Arbeit werden Experteninterviews durchgeführt mit dem Ziel die Komponenten des Frameworks, die Anwendbarkeit und Herausforderungen gemäß der Bearbeitung der zugrundeliegenden Forschungsfrage zu beantworten.

Diese Arbeit soll Grundlage für weitere Forschungen in dem Bereich darstellen. Diesem Thema wurde in der Forschung bisher wenig bis kaum Aufmerksamkeit gewidmet, da es sowohl eine sehr spezifische, als auch eine komplexe Fragestellung beinhaltet.

Um Komplexität zu vermeiden, wird bei der Lösung der Forschungsfrage der Betrachtungsgegenstand auf die betrieblichen Bereiche Produktion und Instandhaltung eingegrenzt. Der Begriff „Digital Plant“ wird in dieser Arbeit als Modell eines operativen Betriebs verstanden, welcher mit Zuhilfenahme von digitaler Technologie die Effektivität und die Effizienz operativer Prozesse verbessert.

1.2 Aufbau der Arbeit

Die Ausarbeitung ist in sechs Kapitel unterteilt. Das erste Kapitel umfasst die Einleitung, die in Motivation, Zielsetzung und Aufbau unterteilt ist. Das zweite Kapitel beinhaltet das theoretisch-wissenschaftliche Fundament der Ausarbeitung. In diesem Kapitel wird die Problemstellung genauer betrachtet. Außerdem werden die in der Arbeit verwendeten Begrifflichkeiten eingeordnet. Infolgedessen wird der Betrachtungszeitraum auf die deutsche chemische Industrie festgelegt und näher erläutert. Die Branchenstruktur, technologische und nicht-technologische Trends & Treiber werden dargestellt und der Zusammenhang zu Themen Industrie 4.0, Smart Factory und Digital Plant erschlossen. Den Abschluss des zweiten Kapitels bilden die Herausforderungen der Industrie, die es im digitalen Zeitalter zu bewältigen gilt, sowie die Voraussetzungen, die in diesem Kontext aus dem Blickwinkel des Betriebs erfüllt werden müssen.

Das dritte Kapitel beinhaltet die Erstellung des Frameworks, welches für die Beantwortung der Forschungsfrage initiiert wurde. Im anschließenden Kapitel wird die Methodik, die den Experteninterviews zugrunde liegt, erklärt. Die Erhebungsmethode für die Experteninterviews, die Datensammlung, sowie die Datenauswertung sind Bestandteile dieses Kapitels.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Eigene Darstellung zum Aufbau der Arbeit.

Die Zusammenführung der Ergebnisse aus den Interviews ist im fünften Kapitel dargestellt. Es geht bei den Ergebnissen um die inhaltliche Verbesserung des Frameworks, sowie die Risiken und Schwächen der Anwendbarkeit. Hinzu kommen Erkenntnisse aus den Interviews, die aus projekttechnischer Sicht von Bedeutung sind.

Die Arbeit schließt mit dem Fazit ab und nimmt die ursprüngliche Forschungsfrage auf, die dieser Arbeit zugrunde liegt.

2 Begriffseingrenzung, Problemstellung, Branchenumfeld, Digitalisierungskategorien und Herausforderungen

In diesem Kapitel wird das Themenkomplex Digitalisierung und Industrie 4.0 identifiziert, beschrieben und aus theoretisch-wissenschaftlicher Perspektive durchleuchtet. Nach der Beschreibung der Problemstellung wird im zweiten Schritt die chemische Industrie in Deutschland dargestellt. Dabei sind die Branchenstruktur, sowie die Beschaffenheit von Markt Industrie Hauptbestandteil dieses Unterkapitels. Im Kapitel 2.3 wird das Thema Digitalisierung kategorisiert und veranschaulicht. Dabei soll ein Verständnis dafür entwickelt werden welche möglichen Differenzierungen für die Digitalisierung herrschen und was den Begriff Digitalisierung definiert. Im Kapitel 2.4 werden konkrete Anwendungsbeispiele dargestellt, um praktische Use Cases aus der Industrie einzubinden. Anschließend folgt die Erläuterung von Herausforderungen, Vorkehrung und Risiken, die bei digitalen Initiativen der Betriebe im Allgemeinen zu beachten sind.

2.1 Definition und Problemstellung

Das digitale Zeitalter begann mit der Entwicklung der ersten Computer vor über 70 Jahren und entwickelte sich seitdem zu einem festen Bestandteil der heutigen Gesellschaft. Im Zuge dieser Entwicklung vervielfältigte sich die Anwendbarkeit digitaler Rechner in vielen unterschiedlichen Bereichen aus Wirtschaft, Politik, Gesundheit und Gesellschaft. Die erstaunliche Dynamik, mit der die Digitaltechnologie fortschreitet, liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Forschungs- und Entwicklungsarbeit ebenso erheblich entwickelt hat und insbesondere digitalisiert und automatisiert worden ist. Seit der „Erfindung“ des World Wide Web im Jahre 1987 hat sich das Verhalten von Nutzern gravierend verändert: 1993 haben ca. 14 Mio. Menschen das Internet genutzt; wohingegen es 2013 circa 2,4 Milliarden Menschen waren.5

Neben der Entwicklung von Technologie, wuchs auch die Anzahl der Anwendungsfelder, sodass man heutzutage durchaus von einem digitalen Zeitalter sprechen kann.6 Zudem kann beobachtet werden, dass dieser Entwicklungsschub auf Gesellschaft und Ökonomie disruptive Folgen hat und eine neue internationale Debatte auslöst.7 Diese Debatte betrifft Menschen in unterschiedlichen Facetten.

Im Rahmen der Digitalisierung führt die wirtschaftlich-politische Debatte der zukünftigen Industrie nicht an dem Thema Industrie 4.0 vorbei. Dabei ist die Namensgebung oft unterschiedlich und von regionalen und branchenspezifischen Faktoren abhängig. Ob Industrie 4.0, industrielle Revolution, Internet der Dinge oder Intelligente Fabrik: Der kleinste gemeinsame Nenner dieser Begriffe bildet die zukünftige Produktion mit der Zuhilfenahme von neuartiger Technologie. Im deutschen Sprachraum wird unter anderem die Bezeichnung „Industrie 4.0“ oder „Vierte industrielle Revolution“ gebraucht und in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft diskutiert. Mehrere Industrieverbände haben sich unter der Leitung des Bundeswirtschafts- und des Bundesforschungsministerium zur „Plattform Industrie 4.0“ zusammengeschlossen und folgende Definition festgelegt:

„Industrie 4.0 bezeichnet die intelligente Vernetzung von Maschinen und Abläufen in der Industrie mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie.“ 8

Neben Industrie 4.0 oder Industrie der Dinge wird vor allem im angelsächsischen Raum der Begriff „Internet of Things“ gebraucht. Ein möglicher Kategorisierungsansatz ist wie folgt: Den Kern der Industrie 4.0 stellt die letzte Stufe industrieller Revolutionen dar. Die Stufen Mechanisierung, Automatisierung, Digitalisierung beinhalten die vergangenen drei Revolutionen. Nach der Einführung mechanischer Arbeit, der arbeitsteiligen Massenfertigung und der IT zur Automatisierung von Produktionssystemen, steht die Industrie zurzeit vor der vierten Revolution, die die Vernetzung auf Basis cyber- physischer Systeme darstellt. Dabei stellt Industrie 4.0 nicht nur die die Digitalisierung der vertikalen und horizontalen Wertschöpfungsketten dar, umfasst zudem die Revolutionierung des Produkt- und Serviceangebots.9

Die Produktion der Zukunft soll Flexibilität, Autonomie und Automatisierung in einem Netzwerk der digitalen Fabrik verbinden. Automatisierte Anlagen, die die Produktion beeinflussen oder sogar steuern, das autonomes Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine und die hohe Flexibilisierung mit Unternehmensdaten oder Daten, die aus sozialen Medien entnommen werden und für die unternehmensinterne Produktion verwendet werden, bildet den Kern der digitalen Fabrik.10

Bracht et al. (2018) versteht unter dem Begriff der digitalen Fabrik den Oberbegriff für ein Netzwerk digitaler Medien, Methoden und Werkzeugen, welche durch ein andauerndes Datenmanagement integriert sind.11

Der Mensch, als Gestalter der Wertschöpfungskette, kann den Einsatz von Digitalisierung von der Produktentwicklung bis hin zu Sales & Aftersales umsetzen. Im Fokus des Managements sollte bei der Einführung von Digitalisierungsprojekten nicht nur die eigene Produktion stehen; vielmehr sollte die Strategie des Managements eine sinnvolle Kombination aus intelligenten Produkten (oder Smart Products) in einer intelligenten Fabrik (oder Smart Factory) mit ergänzenden Geschäftsmodellen beinhalten. Diese Kombination ist der Schlüssel zum nachhaltigen Unternehmenserfolg.12

Fest steht, dass Industrie 4.0 in vielen Branchen in Deutschland vielversprechende Steigerung der Bruttowertschöpfung verspricht. Diese Steigerung der Bruttowertschöpfung ist jedoch stark branchenabhängig. Abbildung 2 verdeutlicht, dass Industrie 4.0 ein Thema ist, welches branchen-übergreifend Auswirkungen haben wird. Jedoch ist auch interessant, dass Branchen wie die chemische Industrie oder die Land- und Forstwirtschaft höchstwahrscheinlich weniger Auswirkungen zu erwarten haben als beispielsweise der Maschinenbau.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Prognose zur Steigerung der Bruttowertschöpfung ausgewählter Branchen durch Industrie 4.0 in Deutschland für das Jahr 2025 (in Milliarden Euro). 13

Frühere industrielle Revolutionen zeigen deutlich, dass neu etablierte Produktionsweisen den Wegfall bisheriger Produktionssysteme bedeuten können und neue Geschäftsmodelle offenbaren, was für den revolutionären Charakter spricht. In vielen Branchen gab es bereits radikale Disruptionen, die ganze Märkte existenziell veränderten. Airbnb und Uber sind Beispiele neuartiger Geschäftsmodelle, die aufgrund des technologischen Fortschritts, realisiert werden konnten und ganze Märkte verändert haben. Diese Entwicklung scheint aus dem heutigen Blickwinkel der chemischen Industrie nicht im selben Ausmaß der Fall zu sein wie vergleichsweise in der Automobilindustrie. Trotzdem kann aufgrund der Veränderung, die Digitalisierung in der chemischen Industrie auslöst, von einer stetigen und allmählichen Disruption gesprochen werden. Die sich verschiebenden Produktionskapazitäten, die Dezentralisierung der Wertschöpfungsketten und die Nutzung von digitalen Technologien sind nur einige Beispiele für die sich verändernden Umstände in der Entwicklung der Chemieindustrie.14

Fakt ist, dass die Leistungsfähigkeit der Hardware von Jahr zu Jahr um ein Vielfaches steigt und die Kosten im Einkauf und bei der Entwicklung fallen und diese Umstände die Erschließung neuer Geschäftsmodelle begünstigen.15

Diese Entwicklung ist bei der Verarbeitungsgeschwindigkeit, der Energieeffizienz und der Speicherkapazität der Informationstechnologie zu beobachten. Hinzu kommt, dass die Vernetzung und Verdichtung von Informationen die Möglichkeit der Sammlung, Auswertung und der gezielten Nutzung von großen Datenmengen ermöglicht hat. Die Voraussetzungen für Unternehmen, die in Digitalisierung investieren möchten, sind aus Kosten- und Nutzenperspektive vielversprechend und attraktiv.

Im Umfeld neuartiger Informationstechnologien entsteht in vielen Bereichen der Industrie die Frage nach der Anwendbarkeit im Raum. Branchenübergreifende Lösungen, die mit Hilfe der Digitalisierung in einer Vielzahl von Industrien angewendet werden können, sind bereits existent: Blockchain-Technologie, Robotics Process Automation, Chatbots und Artificial Intelligence (AI) sind in vielen Unternehmen fester Bestandteil der Agenda oder sogar Teil der Unternehmensaktivitäten. Trotz des beeindruckenden Fortschritts aus technologischer Sicht und der Präsenz von innovativen Technologien, scheint es schwierig zu sein, die Technologien in den richtigen Unternehmenskontext zu integrieren. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass bestimmte Informationstechnologien unabhängig der Beschaffenheit des Unternehmens, dem Charakter des Marktes und der Unternehmens- oder der Digitalisierungsstrategie, als attraktiv empfunden werden und spezifische Use Cases implementiert werden.

Da die Auswirkungen von neuen Technologien für Unternehmen komplex und abstrakt sind und sie nur schwierig in den betrieblichen Kontext eingeordnet werden können, herrscht eine Schwierigkeit bei der Identifizierung der richtigen Anwendungsmöglichkeiten im Rahmen der Digitalisierung. Dieser Umstand wird dadurch begünstigt, dass verarbeitende und produzierende Industrien in ihrem Kerngeschäft weder die Zeit, noch die Personalressourcen besitzen eine tiefgreifende intensive Recherche der möglichen Handlungsoptionen durchzuführen (dazu mehr in Kapitel 2.5 „Herausforderungen bei der Implementierung und Voraussetzung der digitalen Transformation“). Es ist in deutschen Industrien eher die Praxis bereits bewährte und bekannte digitale Technologien zu implementieren, da Unternehmen glauben die Auswirkungen und Effizienzgewinne vor Implementierung einordnen zu können. Es entsteht der Eindruck, dass Unternehmen viel Ressourcen darin investieren das „Neue“ auszuprobieren und sich weniger mit der Fragestellung beschäftigen, welche der digitalen Technologien für Ihr Unternehmen in konkreten Anwendungsszenarien am sinnvollsten ist und ihnen den höchsten Nutzen bringt. Es kann beobachtet werden, dass der Einsatz von neuen Technologien aufgrund der Komplexität experimentell und ineffizient von statten geht. Außerdem fehlt es aufgrund der Komplexität an einer Systematik um „den richtigen Pool“ aus Technologien und konkreten Einsatzmöglichkeiten der Digitalisierung zu identifizieren.

Dennoch ist der Ansatz denkbar – ausgehend von den Zielen und der Unternehmenspolitik des Betriebs – eine digitale Technologie zu wählen, die die erhoffte Veränderung hervorrufen soll. Diese Ausarbeitung soll den Versuch wagen diese beiden Ansätze miteinander zu kombinieren und sowohl den Bottom-Up-Ansatz (vom digitalen Use Case ausgehend), als auch den Top-Down-Ansatz, in der die unternehmerische Zielsetzung Ausgangssituation für Veränderung ist, zu verschmelzen.

2.2 Branchenstruktur, Entwicklung und Trends in der deutschen Chemieindustrie

Die deutsche Chemieindustrie ist aufgrund ihres Zuliefercharakters ein essentieller Bestandteil der inländischen und ausländischen Industrie. Circa 90% der Produkte aus der deutschen Chemieindustrie fließen in Erzeugnisse aus der Gummi- und Kunststoffindustrie, der Textilbranche, der Bekleidungs- und Lederindustrie, der Automobilbranche, dem Baugewerbe, der Pharmaindustrie oder dem Metallbau. Somit hat die Chemieindustrie als Zulieferer von Vorerzeugnissen in diversen Branchen eine nicht zu unterschätzende gesellschaftliche Verantwortung, da Mobilität, Ernährung und Gesundheit maßgeblich von Erzeugnissen aus dieser Industrie abhängen.16

I. Die Branchenstruktur

Im August 2018 waren im Bereich der Herstellung von chemischen Erzeugnissen 323.464 Personen in 1083 Betrieben beschäftigt (siehe Tabelle 1). Seit Januar 2018 konnten 6.974 Personen eingestellt werden. In 9 Monaten konnten somit ca. 2,2% Personal aufgestockt werden. Der kumulierte Umsatz aus 9 Monaten beläuft sich bereits auf 108,7 Milliarden Euro. Die Veränderung des Umsatzes zum Berichtsjahr 2016 betrug 7,3%. Im Jahr 2018 stammt der Umsatz mit 61,9% aus den Erlösen aus exportierten Erzeugnissen (siehe Tabelle 1) und belegt somit die überdurchschnittlich hohe Exportorientierung der Branche. 17

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Umsatzzahlen aus In- und Ausland sowie Anzahl der Beschäftigten bei der Herstellung von chemischen Erzeugnissen in Deutschland.18

Den größten Anteil aus chemischen Erzeugnissen stellen die chemischen Grundstoffe dar: Kunststoffe in Primärform, organische und anorganische Grundstoffe, synthetischer Kautschuk, Düngemittel und Stickstoffverbindungen machen fast die Hälfte der Umsätze aus chemisch-pharmazeutischen Produkten aus. Diese sogenannte Grundstoffchemie oder Basischemie stellt das Fundament für Folgechemie dar und wird in erheblich großen Mengen produziert. Dadurch sind sie einem starken Preiswettbewerb ausgesetzt und lassen nur geringfügig Spielraum für Differenzierung zu.19

Für die Erzeugnisse aus nachgelagerten Etappen der Wertschöpfungskette verwendet man den Begriff Spezialchemikalien. Diese werden in geringeren Mengen hergestellt und haben eine höhere Anwendungsorientierung und sind häufig durch konkrete kundenspezifische Anforderungen gekennzeichnet. Die Herstellungskosten von Spezialchemie sind deutlich höher als gegenüber der Massenproduktion im Bereich der Basischemie. Analog dazu sind die Preise und Gewinnmargen im Bereich der Basischemie deutlich geringer als in der Spezialchemiebranche. Basischemikalien beinhalten laut amtlicher Statistik Wirtschaftszweiggruppe aus der Herstellung von chemischen Grundstoffen, Düngemitteln und Stickstoffverbindungen, Kunststoffen in Primärformen und synthetischen Kautschuk in Primärform. Jedoch existieren Grauzonen, da beispielsweise Kautschuk in Primärform auch Produkte beinhaltet, die den Charakter der Spezialchemie widerspiegeln. Die Unterscheidung von Spezialchemie und Basischemie ist dementsprechend nicht immer eindeutig und ändert sich im Wertschöpfungsverlauf, sodass zum Teil von einem fließenden Übergang im Zeitablauf gesprochen werden kann.20

Die Bereiche aus der Spezialchemie enthalten ein Portfolio aus diversen Produkten. Die größte Produktgruppe der Spezialchemie bilden sonstige chemische Erzeugnisse: Pyrotechnische Erzeugnisse, Klebstoffe und etherische Öle. Der zweitgrößte Bereich nach Umsatz und Beschäftigtenanzahl stellen die Seifen-, Wasch-, Reinigungs- und Körperpflegemittel dar. Die Bereiche zur Herstellung von Seifen, Wasch-, Reinigungs- und Körperpflegemittel sowie Anstrichmittel, Druckfarben und Kitte stellen die kleineren Produktgruppen dar.21

Interessant ist zudem die Verteilung des Einflusses der Digitalisierung auf die verschiedenen Bereiche. Laut der Studie wird im Bereich der vorgelagerten Elemente der Wertschöpfungsbereiche die Auswirkung der Digitalisierung im Bereich der Produktion erheblich sein (siehe Abbildung 3). Dies betrifft die Bereiche Petrochemiekalien, anorganische Grundchemikalien, Industriechemikalien und Polymere.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Einfluss der Digitalisierung auf die Bereiche der chemischen Wertschöpfung.22

Für die anwenderorientierten Bereiche – vornehmlich im Bereich Spezialchemie – wurden starke Auswirkungen der Digitalisierung in den Bereichen Forschung & Entwicklung, Logistik, Vertrieb & Marketing und Verwaltung prognostiziert. Gerade in den Bereichen Verwaltung sowie Vertrieb und Marketing ist laut Studie mit beeindruckenden maximalen Effizienzgewinnen von bis zu 40% zu rechnen.23

II. Der Markt & Entwicklungen

Im Zuge der Globalisierung hat sich die Produktion und die Nachfrage der Erzeugnisse aus der Chemieindustrie in wachsende Schwellenländer verschoben, sodass deutsche Chemiekonzerne mit Einbußen im globalen Wettbewerb kämpfen mussten. Dies lag zum einen aufgrund der kostengünstigeren Produktion, aber ebenso aufgrund der Möglichkeit der Produktion bei Endkunden vor Ort (bei additiver Fertigung24 ), um Kundenbedürfnisse besser befriedigen zu können. Diese Entwicklung zeigt sich vor allem durch die Steigung der Direktinvestitionen im Ausland.25

Das gute Investitionsklima und das wachsende Ausbildungsniveau im asiatischen Raum begünstigen den Umstand, dass Produktionskapazitäten im Laufe der Zeit ins Ausland verschieben. Jedoch ist seit jüngster Zeit auch ein entgegengesetzter Trend zu verzeichnen: Der Einsatz von sogenannten Speedfactories erlaubt die Produktion von großen Mengen mit einer viel geringeren Anzahl an Beschäftigten. Der hohe Individualisierungsgrad, der dabei gewährt werden kann und die geringen Personalkosten, wecken das Interesse deutscher Chemieunternehmen.26

Zusätzlich führt der demografische Wandel zu dynamischen Veränderungen auf dem deutschen Markt. Nachdem in den 1990er und 2000er Jahren mit starken Beschäftigungsverlusten gekämpft wurde, konnte sich die Industrie seit 2011 erholen und neue Arbeitsplätze schaffen. Hinzu kommt, sodass deutsche Unternehmen der Chemiebranche Schwierigkeiten haben qualifizierte Fachkräfte zu finden. Die demografische Entwicklung und der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften sind heute auf der Agenda deutscher Konzerne und werden auch in Politik und Gesellschaft debattiert. Herausforderungen in diesem Zusammenhang entstehen bei der Rekrutierung von Personal und der Weiterbildung von Mitarbeitern, was in Kapitel 2.5.3 ausführlicher erläutert wird.27

Die Einschätzung der Wichtigkeit von Megatrends ist je nach Branche und Management sehr unterschiedlich. Trotzdem kann festgehalten werden, dass gewisse Megatrends branchenübergreifend relevant sind und Auswirkung auf das Handeln der Unternehmen und Kunden ausüben. Neben dem demografischen Wandel, der in der deutschen Chemieindustrie einen speziellen Charakter aufweist, existieren eine Vielzahl von industrierelevanten Trends28 & Treibern. In den nächsten Abschnitten werden derartige Trends in technologische Treiber und nicht-technologische Trends unterschieden. Die technologischen Treiber werden als sogenannte „Enabler“ der Digitalisierung verstanden, da sie oftmals das technologische Fundament für den Einsatz von Digitalisierungsprojekten widerspiegeln und den technologischen Fortschritt ermöglichen.

III. Nicht-technologische Trends

Eng verbunden mit dem Wandel aus technologischer Sicht ist die erhöhte Bereitschaft der Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit und Effizienz in den Unternehmensphilosophien zu verankern. Nicht zuletzt sind diese Bemühungen den veränderten Konsumentenerwartungen geschuldet, die gegenüber Unternehmen einen sozialen und umweltfreundlichen Umgang fordern (dazu mehr im Verlauf dieses Kapitels). Die Rohstoffversorgung der deutschen Chemieindustrie ist zu einem sehr hohen Anteil an Erdölderivaten abhängig. Fossile Energieträger werden voraussichtlich auch in der Zukunft den Rohstoffeinsatz der deutschen Chemieindustrie prägen.29

Dennoch gibt es einen langfristigen Trend bei der Verwendung von erneuerbaren Energien. Außerdem sind alternative Rohstoffe wie etwa in Bioraffinerien, kohlenstoffhaltige Abfälle, etc. zunehmend im Fokus von Chemiekonzernen. Die intelligente Nutzung von Stromverbrauchssteuerung und die Erzeugung von Energie wird wahrscheinlich – so wie es bereits in vielen Haushalten der Fall ist – zu einer effizienteren Versorgung in der chemischen Produktion führen. Trotzdem ist aufgrund der langfristig ausgelegten Innovationszyklen in der Chemiebranche der Aufbau neuer Produktionskapazitäten aus nachwachsenden Rohstoffen ein kosten- und zeitintensives Unterfangen. Im Gegensatz zu anderen Industrien, wie beispielsweise der Automobilindustrie, stellen die fossilen Rohstoffe nicht substituierbare Ausgangsstoffe dar, sodass der Verzicht dieser Produktionsmittel nicht in Betracht gezogen werden kann. Nach Auffassung von Fachleuten wird sich der Trend in Deutschland auf eine Dezentralisierung der Produktion hinbewegen, sodass kleine, lokale Produktionszentren entstehen.30

Auf der anderen Seite ist die Chemieindustrie aufgrund ihres Lieferantencharakters in der Lage auf derartige Trends zu reagieren und kundenspezifischen Chemikalien gemäß den entstandenen Anforderungen zu liefern. Ein Beispiel hierfür ist die gestiegene Nachfrage an Solarzellen. Die Chemieindustrie hat bei der Herstellung von Klima- und Umweltschutzgüter einen erheblichen Einfluss. Dieser Trend ist für die Chemieindustrie eine Chance sowohl Gewinne durch den Absatz von innovativen Produkten zu steigern, als auch eine langfristigere Möglichkeit Kooperation über Industrien hinweg zu etablieren. Die Chance der Kooperation gilt ebenso für andere globale Trends wie beispielsweise nachhaltige Landwirtschaft, Wasserversorgung, Umweltschutz oder Ernährungssicherheit.31

Neben der Knappheit von Ressourcen und den daraus resultierenden Bestrebungen in Gesellschaft, Politik und Industrie existieren noch weitere nicht-technologische Trends, die die chemische Industrie in den nächsten Jahren beeinflussen werden. Die Anzahl der in Deutschland auftretenden Erwerbstätigen wird laut Experten nicht so hoch sein wie die Anzahl der Arbeitnehmer, die in den Ruhestand gehen. Die deutsche Volkswirtschaft wird im Jahr 2030 rund 6 Millionen Erwerbstätige weniger auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben, sodass die Anzahl Erwerbstätiger von 53,8 Millionen Menschen auf 47,5 Millionen Menschen sinkt.32

Neben dem Demografischen Wandel, der sich in Deutschland darauf fokussiert, dass – wie bereits erwähnt – das Durchschnittsalter steigt und Unternehmen Schwierigkeiten haben Fachleute zu finden, entsteht auf globaler Ebene die Befürchtung einer Überbevölkerung. Industriestaaten machen nur einen geringen Anteil der Weltbevölkerung aus. Schwellenländern haben dagegen verhältnismäßig eine höhere Bevölkerungsanzahl und weisen höhere Geburtstraten auf. Dieser Umstand der stark wachsenden Gesamtbevölkerung betrifft zum einen die Verwendung von Ressourcen, aber auch die Folgen auf dem Arbeitsmarkt und auf dem Konsumentenmarkt.33

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Alternde Bevölkerung Deutschlands im Vergleich zum Bevölkerungswachstum anderer Länder.34

Das Verantwortungsbewusstsein der Konsumenten hat die Nachfrage nach wiederverwendbaren Materialien exponentiell vergrößert. Die Kunststoff-produzierende Chemieindustrie hat dieses veränderte Konsumverhalten selbstverständlich in Form von Umsatzeinbußen verspürt und entsprechende Maßnahmen ergriffen. Der Trend zu umweltfreundlichen Materialien (z. B. in der Verpackung) wird auch in Zukunft eine essentielle Rolle bei der Herstellung von chemischen Erzeugnissen darstellen. Außerdem ist die Erwartungshaltung seitens Endkonsumenten und Kunden, dass Geschäftspartner das soziale Verantwortungsbewusstsein im Unternehmen stärken und eine kooperative und kollegiale Partnerschaft zwischen Unternehmen entsteht. Daher ist die Integration sozialer Verantwortung in die Unternehmensphilosophie ein heutzutage unverzichtbares Merkmal von Unternehmen, wenn sie sich auf dem globalen Wettbewerb behaupten möchten. Gerade in großen Konzernen ist die Einführung von Corporate Social Responsibility35 Maßnahmen und die Einführung eines Code of Conducts36 maßgeblich, um das Corporate Image des Unternehmens zu schützen.37

Ein weiterer Trend, der in vielen Industrien bereits einen hohen Stellenwert erworben hat, ist Diversität. Diversität beschränkt sich dabei im engen Sinne auf das Personal von Unternehmen. Dabei spiegelt sich Diversität auf verschiedene Aspekte bei Beschäftigten wieder: Alter, Kultur, Religion, Geschlecht, etc. Das Arbeiten in multidisziplinären Teams führt zu neuen Anforderungen bei der Rekrutierung von Personal. Für die eher konservativ geprägte Chemieindustrie ist dieser Trend bisher relativ eingeschränkt in die bisherigen Rekrutierungsmaßnahmen eingeflossen. Die deutsche chemische Industrie ist geprägt von männlichem Personal.38

Ein Phänomen, der durch verschiedene Branchen und Länder hinweg ebenfalls zu beobachten ist, nennt sich Sharing Economy oder Shared Economy. In der Landwirtschaft konnte bereits sehr früh beobachtet werden, dass kleinere Betriebe sich zusammenschlossen, um kostenintensive Anlagen zu erwerben. In der heutigen Form existiert eine Vielzahl von Formen aus diesem Konzept der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen. Der Trend in vielen Industrien geht zur gemeinsamen Nutzung von Informationstechnologien. Diese Veränderung fußt maßgeblich auf den Möglichkeiten des digitalen Zeitalters: Das wachsende Interesse an Sharing-Produkten, der Verzicht auf Eigentum und die gesellschaftliche Bedeutung der gemeinsamen Nutzung von Services und Produkten, bestärken die Präsenz von Sharing Economy. Im Laufe des letzten Jahrzehnts entstanden so beeindruckend viele neue Geschäftsmodelle wie Airbnb, BlaBlaCar, Car2Go, etc.

IV. Technologische Treiber

Die digitalen Möglichkeiten in der chemischen Industrie basieren auf dem technologischen Fortschritt. Unabhängig davon wie die Digitalisierungsumsetzung im Unternehmen bewerkstelligt wird, fußt fast jede Initiative auf dem Zugriff von Daten. Daten ermöglichen Transparenz über eigene Prozesse, Anlagen, Mitarbeiter oder Kunden und die Auswertung, um unternehmerische Aktivitäten auf Datenbasis zu steuern. Daten stellen somit die Basis für Technologien, um beispielsweise vergangenheitsbasiert Rückschlüsse über die Aktivitäten im eigenen Unternehmen zu machen und Vorhersagen zu prognostizieren. Präventive Lösungen zur Vermeidung und Vorhersage von Anlagestörungen beruhen ebenfalls auf den Zugriff und der Analyse von Daten wie etwa durch den Einsatz von Anlagensensoren im Rahmen von Manufacturing Execution Systems.39

Ein weiterer Treiber, der auch in der Zukunft eine enorme Rolle spielen wird, ist die Konnektivität. Dabei geht es im engeren Sinne um die Vernetzung von Endgeräten. In der Industrie spielt Vernetzung eine vielversprechende Rolle, wenn es darum geht Produktionssysteme selbst-organisierend aufzubauen oder durch den Einsatz von Tablets auf Echtzeitdaten zuzugreifen (dazu mehr im Kapitel 2.4). Die Kommunikation von Geräten/Produktionsanlagen verspricht einen positiven Effekt auf Kosten, Steuerung und Effizienz. Nicht nur im eigenen Betrieb ist Konnektivität ein Stellhebel für Wachstum: Die Transparenz über eigene Warenströme innerhalb und außerhalb der eigenen Produktion entfaltet sich als ein sehr nutzenversprechendes Vorhaben in verschiedenen betrieblichen Bereichen.

Ein weiterer Treiber, der im Zeitalter der Digitalisierung vor allem in kundennahen Segmenten an Bedeutung gewonnen hat, ist die User Experience. Konsumenten offenbaren neben Stammdaten Verhaltensmuster, die wiederum für Unternehmen von besonderem Interesse sind. Diese Daten, die in verschiedenen Berührungspunkten mit dem Produkt oder dem Service gewonnen werden können, geben hilfreichen Aufschluss über die Emotionen und die Präferenzen der Konsumenten. Die Erkenntnis aus den sogenannten „Touchpoints“ (oder Schnittstellen) mit dem Produkt verhelfen Unternehmen ihr Kundensegment genauer zu definieren und zu differenzieren. Jedoch beschränkt sich die Anwendbarkeit von User Experience nicht nur auf die Produktgestaltung. Es ist viel mehr die Erfahrung, die Unternehmen mit dem Kunden auf allen erdenklichen möglichen Kanälen machen. Die erworbenen Informationen können dem Unternehmen in vielerlei Hinsicht helfen, die Unternehmensaktivitäten besser zu gestalten. So können beispielsweise die richtigen Kommunikationskanäle erkannt und genutzt werden. Außerdem kann man Annahmen über zukünftige Einkäufe prognostizieren oder neue Services/Produkte so gestalten, dass sie den Erwartungen der Konsumenten entsprechen/übertreffen und eine höhere Kundenzufriedenheit erzielen.40

Ein weiterer Treiber, der Geschäftsmodelle von diversen Industrien beeinflusst, ist die Nutzung von Echtzeitinformation. Das gewünschte Zukunftsszenario von Unternehmen besteht in der flexiblen Adaption auf Änderungen auf dem Markt. Das Bestreben der Industrie ist, dass Marktveränderungen oder Veränderungen von Kundenerwartungen eine direkte logische Anpassung in Echtzeit für die Fertigungssysteme zur Folge haben.

Die dargestellten technologischen Treiber stellen die Basis bei der Einführung neuer Digitalisierungstools und -projekte dar. In Kapitel 2.4 werden konkrete Fallbeispiele aus der Praxis veranschaulicht, die mittels dieser technologischen Treiber, umgesetzt werden können.

2.3 Digitalisierung – Pfade auf dem Weg der digitalen Transformation

Die Digitalisierung verändert Prozesse: Zum einen können Prozesse optimiert werden, zum anderen können neue funktionale Aspekte erschlossen werden. Die Nutzung digitaler Technologien kann sich sowohl auf Produktebene als auch auf Prozessebene beziehen.41

Es ist relativ komplex die digitalen Unternehmensaktivitäten zu kategorisieren, da die Themenfelder der Digitalisierung inkonsistent sind und Überschneidungen aufweisen. Im Folgenden sollen Ansätze zur Klassifizierung vorgestellt werden.

Eine Möglichkeit zur Visualisierung der unterschiedlichen strategischen Pfade bietet die Abbildung 5. Dabei werden drei Vorgehensweisen klassifiziert, die die Veränderungsoptionen, bzw. -pfade von Unternehmen verbildlichen sollen. Es kann zwischen der Veränderung des Nutzenangebots für den Kunden (Pfad 3), der Veränderung der Unternehmensprozesse (Pfad 1) und der Kombination aus beiden Optionen (Pfad 3) unterschieden werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Pfade der digitalen Transformation.42

„Reshaping the operating model“ beinhaltet den Entwicklungsprozess zur Digitalisierung der Unternehmensprozesse. Der Erwerb grundlegender digitaler Kompetenzen, wie beispielsweise die digitale Gestaltung des Produktangebots auf Onlinekanäle, stellt den ersten Schritt der Entwicklung dar. Als nächste Stufe ist die Nutzung von Informationen über alle Unternehmenskanäle hinweg definiert, um integrierte Produkte und Services anbieten zu können. In der finalen Entwicklung sind alle Bausteine der Wertschöpfungskette in einem Netz integriert und durch digitale Technologien unterstützt.43

„Reshaping the costumer value proposition“ besteht ebenfalls aus verschiedenen Maturitätsstufen und spiegelt das Nutzenangebot gegenüber den Kunden durch das Produkt oder dem Service wider. So können Produkte, wie beispielsweise ein Kraftwagen durch digitale Komponente ergänzt werden. Außerdem können zusätzliche Einnahmen durch digitale Services erzielt werden, indem ein Zusatznutzen offeriert wird (bspw. Audi Connect). Auf der letzten Stufe der Entwicklung ersetzt der digitale Service/ das digitale Produkt das einst physische Produkt.

Eine andere Möglichkeit der Darstellung und Kategorisierung bietet die Studie „Chemie 4.0 – Wachstum durch Innovation in einer Welt im Umbruch“ von Deloitte und dem Verband der Chemischen Industrie e. V. Die Studie differenziert dabei drei Kategorien, die sich in Komplexität und der Auswirkung auf den Unternehmenserfolg unterscheiden. Außerdem bezieht sich diese Studie auf die deutsche Chemieindustrie und kategorisiert auch Anwendungsbeispiele je Kategorie.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Darstellung der drei Digitalisierungskategorien.44

Ähnlich wie in der Darstellung in Berman et al. (2011) beinhaltet die Digitalisierung von Unternehmensprozessen die einfachste Form der Digitalisierung. Das Modell differenziert zwischen 3 verschiedenen Reifegraden der Digitalisierung, die unterschiedliche technische Schwerpunkte aufweisen (siehe Abbildung 6):

I. Transparenz & digitale Prozesse

Die erste Kategorie besteht aus der Sammlung und der Nutzung von digitalen Daten, um ein effizientes Wissensmanagement zu etablieren, Prozesse effizient zu gestalten und den Generationenwechsel der Belegschaft erfolgreich zu gestalten. Zusammenfassend geht es in der ersten Kategorie um die Erhebung und die Analyse von Daten und die Digitalisierung von Unternehmensprozessen. Dabei stechen zwei Hebel besonders hervor, die die deutsche Chemieindustrie auch in den nächsten Jahren prägen werden:45

[...]


1 Vgl. Koch et al. (2014); Vgl. Loebbecke & Picot (2015); Vgl. Dellarocas (2003); Vgl. Lemon & Verhoef (2016).

2 Vgl. Koch et al. (2014), S. 6 f.

3 Vgl. CHEManager (2015).

4 VCI & Deloitte (2017), S. 30; Vgl. Koch et al. (2014).

5 Vgl. Huber (2018), S. 3.

6 Vgl. Neugebauer (2017), S. 1.

7 Vgl. Avent (2014), S. 1 f.

8 Plattform Industrie 4.0 (o. J.).

9 Vgl. Obermaier (2016), S. 3.; Vgl. Koch et al. (2014), S. 7.

10 Vgl. Bendel (2015), S. 740 f.

11 Vgl. Bracht et al. (2018), S. 11.

12 Vgl. Koch et al. (2014), S. 8; Obermaier (2016), S. 274.

13 Bitkom & Fraunhofer (2013).

14 Vgl. Reinnarth et al. (2018), S. 6 f.

15 Vgl. Hirsch-Kreinsen & ten Hompel (2016), S. 2.

16 Vgl. Gehrke et al. (2018), S. 14.

17 Statistisches Bundesamt (2018). Hinweis: Die Exportquote basiert aus dem Umsatz der in Deutschland hergestellten Erzeugnisse für den Monat September.

18 Statistisches Bundesamt (2018).

19 Vgl. Gehrke et al. (2018), S. 15.

20 Vgl. Vogel (2005), S. 8; Gehrke et al. (2018), S. 22 f.

21 Vgl. Gehrke et al. (2018), S. 22 ff.

22 VCI & Deloitte (2017), S. 50.

23 Vgl. VCI & Deloitte (2017), S. 50.

24 Additive Fertigung oder 3D-Druck definiert die Fertigungsverfahren bei denen dreidimensionale Produkte Schicht für Schicht aus Werkstoffen gebaut werden. Als Materialien sind verschiedene Werkstoffe, wie Metalle oder Kunststoffe verfügbar.

25 Vgl. Gehrke et al (2018), S. 15; VCI &Deloitte (2017), S.27.

26 Vgl. Utikal et al. (2015), S. 21.

27 Vgl. Gehrke et al. (2018), S. 27 ff.

28 Die aufgeführten Trends beinhalten ebenso Megatrends. Der Einfachheit halber wurde keine Unterscheidung gemacht. Es wurde im Allgemeinen betrachtet welche Einflussfaktoren Veränderungen Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Technik und Kultur hervorrufen.

29 Vgl. VCI & Deloitte (2017), S. 18.

30 Vgl. Gehrke et al. (2018), S. 18.

31 Vgl. VCI/Prognose (2016), S. 29 f.

32 Vgl. VCI/Prognose (2016), S. 31; Grömling & Haß (2009), S. 34 ff.

33 Vgl. Grömling & Haß (2009), S. 9 ff.

34 VCI/Prognose (2016), S. 7.

35 Corporate Social Responsibility (Abkürzung: CSR) ist ein Begriff der Unternehmensethik, welcher die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen beinhaltet. Dabei stellt CSR kein klares Managementkonzept dar, sondern dient diversen Unternehmen als Leitidee, die sich im Unternehmenskontext zu konkretisieren hat.

36 Code of Conduct bezeichnet ein Rahmenwerk von Richtlinien, für die sich ein Unternehmen freiwillig verpflichtet. Die definierten Anweisungen dienen als Handlungsorientierung für Mitarbeiter und sind oftmals Bestandteil von CSR-Maßnahmen.

37 Vgl. Gehrke et al. (2018), S. 88.

38 Vgl. Gehrke et al. (2018), S. 42 f.

39 Vgl. Barton et al. (2018), S. 197 f.

40 Vgl. Reinnarth et al. (2018), S. 115 ff.

41 Vgl. Eckert (2014), S. 263.

42 In Anlehnung an Berman et al. (2011).

43 Vgl. Eckert & Grübel (2014), S. 268.

44 In Anlehnung an Berman et al. (2011).Entnommen aus VCI & Deloitte (2017), S. 42.

45 Vgl. VCI & Deloitte (2017), S. 43 ff.

Ende der Leseprobe aus 92 Seiten

Details

Titel
Systematischer Ansatz bei der Digitalisierung von operativen Unternehmensprozessen in der chemischen Industrie
Untertitel
Die Herausforderungen bei der Implementierung
Hochschule
Provadis School of International Management and Technology AG
Note
2.3
Autor
Jahr
2019
Seiten
92
Katalognummer
V469538
ISBN (eBook)
9783668952317
ISBN (Buch)
9783668952324
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Betriebliche Betreuer der Masterabschlussarbeit: A. R. und M. G.
Schlagworte
digital plant smart manufacturing production digitalisierung
Arbeit zitieren
Mustafa Sert (Autor:in), 2019, Systematischer Ansatz bei der Digitalisierung von operativen Unternehmensprozessen in der chemischen Industrie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/469538

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