Inklusive Pädagogik an Kindertagesstätten in Thüringen. Das Programm "Sprach-Kitas" und seine Umsetzung


Masterarbeit, 2017

95 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Input-Faktoren im Spracherwerbsprozess bei Kindern
2.1. Allgemeine Faktoren
2.2. Aspekte der Sprachförderkompetenz von Fachkräften
2.3. Professionalisierung der Sprachförderkompetenz
2.4. Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist
2.4.1. Das Vorgängerprogramm: Schwerpunkt-Kitas: Sprache & Integration
2.4.2. Das Nachfolgeprogramm Sprach-Kitas
2.5. Basis des Porgramms: Orientierungsleitfäden des Deutschen Jugend Institutes
2.6. Akteure im Programm

3. Sprachentwicklung im Thüringer Bildungsplan

4. Begründung für die empirische Arbeit und Forschungsfragen

5. Zielgruppe und Untersuchungsinstrumente
5.1. Studie 1: Interviewstudie
5.2. Zielgruppe für das Interview
5.3. Qualitative Erhebungsform: Interview
5.4. Studie 2: Beobachtungen
5.5. Zielgruppe für die Beobachtung
5.6. Qualitative Erhebungsform: Beobachtung

6. Untersuchungsdurchführung

7. Auswertung der Interviews
7.1. Alltagsintegrierte sprachliche Bildung
7.2. Inklusives Sprachbildungskonzept
7.3. Chancen zur alltagsintegrierten sprachlichen Bildung erkennen und wahrnehmen
7.4. Qualitätssicherung
7.5. Sprachförderkompetenz
7.6. Feinfühlige Dialoghaltung und sprachliches Vorbild
7.7. Weiterbildungsmöglichkeiten
7.8. Die Arbeit im Team
7.9. Mehrsprachigkeit
7.10. Elternarbeit
7.11. Kritik am Programm

8. Auswertung der Beobachtungen
8.1. Beobachtung I
8.2. Beobachtung II
8.3. Vergleich der Beobachtungen

9. Zusammenfassung der empirischen Daten

10. Diskussion der Ergebnisse
10.1. Sprachfachkräfte
10.2. Kompetenzerwerb
10.3. Bundesprogramm Sprach-Kitas
10.4. Rahmenbedingungen in Einrichtungen
10.5. Einrichtungsteams
10.6. Sprachbildung im Thüringer Bildungsplan
10.7. Sprachbildung in der Erstausbildung von pädagogischen Fachkräften

11. Fazit & Ausblick

12. Literaturverzeichnis

13. Anhang
I. Weitere Programme zur Unterstützung der Sprachentwicklung bei Kindern in Deutschland und Thüringen
II. Interview: Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport
III. Interviewleitfaden: Sprachfachkräfte
IV. Übersicht Interviewpartner
V. Kodesystem für die Auswertung
VI. Beobachtungsbogen für Einzelsituationen
VII. Globaler Beobachtungsbogen
VIII. Beobachtung Sprachfachkraft
IX. Beobachtung Praktikantin

Zusammenfassung

Nach dem schlechten Abschneiden deutscher Schüler in der PISA-Studie arbeiteten Bund und Länder an Vorschlägen zur Verbesserung der Bildungsbegebenheiten. Ein Beitrag hierzu ist das Programm Sprach-Kitas. Das Programm möchte sicherstellen, dass alle Kinder, unabhängig ihrer Herkunft, gleiche Startchancen beim Übergang vom Kindergarten zur Schule haben. Ein Hauptaugenmerk liegt dabei auf alltagsintegrierter sprachlicher Bildung im Kindergarten, da Bildung nicht erst in der Schule beginnt. Zudem stellt die Sprache ein zentrales Mittel zur Bildung eines jeden Menschen dar.

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der praktischen Umsetzung des Programms Sprach-Kitas in Thüringen. Dazu wurde eine Interviewstudie mit am Programm beteiligten Fachkräften durchgeführt. Der Umgang mit dem Programm lässt sich, basierend auf den Ergebnissen, nicht verallgemeinern, da jede Einrichtung verschiedene Bedarfe aufweist und die Fachkräfte unterschiedliche Herangehensweisen haben. Auch wenn das Programm einen durchaus durchdachten Ansatz für Kindertageseinrichtungen bietet, sind die personellen und materiellen Ressourcen vor Ort häufig nicht ausreichend. Auch gibt es in der Gestaltung des Programms und der daraus folgenden Umsetzung Schwachstellen, die aufgezeigt werden. Jede Einrichtung im Programm hat die Aufgabe, gezielt nach ihren spezifischen Defiziten zu suchen und dahingehend zu arbeiten, diese zu verbessern. Nur dann kann ein Erfolg für die Kinder tatsächlich eintreten. Die Ergebnisse zeigen, dass dies ein äußerst schwieriges Unterfangen darstellt, das eines behutsamen Vorgehens bedarf. Eine nachhaltige Etablierung ist bisher schwierig, da viele verschiedene Faktoren einander bedingen und dies zu einem vielschichtigen Prozess machen.

Danksagung

An erster Stelle gilt mein Dank den Fachberatern sowie Fachkräften in den Einrichtungen, die sich trotz stressigen Alltagsgeschehens und hoher Arbeitsbelastung die Zeit genommen haben, mit mir zu sprechen. Ohne sie wäre die Umsetzung dieser Arbeit nicht möglich gewesen. Meinen herzlichen Dank daher für die tiefgreifenden Gespräche, Inspiration und Veranstaltungsbesuche, die Möglichkeiten der Hospitation sowie das Herstellen von Kontakten.

Erfurt, den 14.02.2017

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung I: Aufgabenverteilung im Programm Sprach-Kitas.

Tabelle I: Aussagen zur Definition des Begriffsalltagsintegrierte Sprachbildung

Vorwort

Die Idee zu dieser Arbeit entstand daraus, dass sich die Frage stellte, warum der Bund ein Programm startet, dass pädagogische Fachkräfte anregen soll, wieder mehr mit Kindern zu kommunizieren und so ihre Sprachentwicklung zu unterstützen. Existieren bereits so starke Defizite in der Bildung der Kinder, dass nur die Einführung eines solchen Programms diese wieder ausgleichen kann? Laut der Webseite des Programms Sprach-Kitas wurde das schlechte Abschneiden in der PISA-Studie zum Anlass genommen, das Programm für Kindergärten zu starten. In einem Interview mit der Referentin für frühkindliche Bildung am Thüringer Bildungsministerium wurde angemerkt, es handle sich hier lediglich um neue Impulse, da es von Zeit zu Zeit immer wieder neue Denkanstöße für die frühkindliche Bildung im Alltag bräuchte. In den weiteren Interviews wird allerdings darauf verwiesen, dass die Rahmenbedingungen es nicht zuließen, wieder alle Kinder in den Fokus zu rücken und sich an jedem Tag einen Moment Zeit für die sprachliche Kommunikation mit jedem Kind zu nehmen. Auch die Dokumentations- und Beobachtungsverfahren, den Entwicklungsstand der Kinder betreffend, die eine einheitliche Sprachdiagnostik in Thüringen überflüssig mache, schränke die Erzieher in ihrer täglichen Arbeit mit dem Kind ein. Personal- und Zeitmangel im Alltag werden ebenfalls als Problem benannt, was vermutlich in erster Instanz zu den oben genannten Defiziten in der sprachlichen Bildung geführt habe. Wird der Erfolg des Thüringer Bildungsplanes in Frage gestellt, weil ein solches Programm etabliert wird? Vermutlich nicht. Aber die bundesweite Implementierung des Programms wirft die Frage danach auf, warum Defizite überhaupt entstehen konnten. Die in den Interviews, die in dieser Studie geführt wurden geäußerte Kritik an den Rahmenbedingungen könnte eine Antwort hierauf sein.

1. Einleitung

Die Rolle des kindlichen Spracherwerbs rückte in den vergangenen Jahren insbesondere im Kontext der zunehmenden Mehrsprachigkeit bei in Deutschland lebenden Kindern und aufgrund schlechter Ergebnisse in Bildungsvergleichen in den Fokus von Öffentlichkeit, Wissenschaft und Politik. Zu Beginn der Ausarbeitung der vorliegenden Arbeit erschien interessanterweise in der Zeitschrift GEO (09/2016) ein Artikel, der den kindlichen Spracherwerb behandelt. Ein äußerst prägnanter Satz im Artikel war der folgende:

„Offenbar wissen Erwachsene intuitiv, was sie tun müssen, um einem Kind eine Brücke zum nächsten Wort zu bauen“ (Kretz 2016:33). Das bedeutet, Eltern gehen auf die Äußerungen ihres Kindes ein, um dadurch intuitiv den Erwerb der Sprache zu unterstützen. Denn dieser Prozess beginnt – genau wie andere Entwicklungsprozesse – im Elternhaus.

Mit dem Übergang in eine Tagesbetreuung gewinnt das Kind später neue Bezugspersonen hinzu, die es ebenfalls in seiner Entwicklung unterstützen. Der Kindergarten1 wird dabei zunehmend als Bildungseinrichtung wahrgenommen und soll dadurch die Kinder auf ihre spätere Schullaufbahn vorbereiten (Schmenger 2016: 42). Es ist streitbar, inwieweit der Kindergarten seine Rolle als sog. Vorschule wahrnehmen muss und welche Kompetenzen das Kind hier tatsächlich als Vorbereitung für seine Schullaufbahn ausprägen soll. Was jedoch nur wenig Spielraum für Argumentationen lässt, ist die Tatsache, dass Kinder in diesem Alter eine basale Fähigkeit ausbauen: ihre Sprache.

Leider zeigten sich jedoch im Laufe der Jahre große Bildungslücken2, was daraufhin deutet, dass nicht jedes Kind seine Sprache gleich gut beherrscht. Dies lässt darauf schließen, dass die Bildung der Kinder abhängig von ihrer sozialen Herkunft ist, folglich also von ihren Eltern und deren Herkunft oder Bildungsstand. Auch Kinder mit Migrationshintergrund schneiden in den internationalen Schulleistungsstudien wie PISA und IGLU schlechter in den schulischen Leistungen ab, da die Beherrschung der deutschen Sprache offensichtlich eine Herausforderung für sie darstellt, was durch die Zahlen3 der Studie belegt wurde.

Es stellte sich heraus, dass überdurchschnittlich viele Kinder nicht richtig lesen und schreiben können. Zurückzuführen ist dies wohl u. a. darauf, dass Kinder von Beginn an ihre Sprache nicht zur Genüge ausbilden können. Nunmehr ging es darum, eine Chancengleichheit für alle Kinder zu etablieren – unabhängig von sozialer Herkunft oder ihrer Muttersprache. Um eine Basis hierfür zu schaffen, ist es jedoch nicht ausreichend, erst in der Schule eine Unterstützung der Sprachentwicklung für Kinder zu bieten, da der Mensch schon viel früher beginnt, Sprache(n) auszubilden (Bruner 1987:24).

Um dem entgegenzuwirken und eine Chancengleichheit für alle Kinder zu Schulbeginn zu schaffen, wurde im Januar 2016 das Programm Sprach-Kitas gestartet. Die Laufzeit ist auf drei Jahre festgelegt. Das Programm baut auf dem Vorgängermodell Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration auf, das von 2011 bis 2015 lief. Jedes Jahr stellt der Bund 100 Mio. Euro für die Umsetzung des Programms zur Verfügung, um daraus entstehende Personalkosten für bis zu 4000 zusätzliche Fachkräfte in den Sprach-Kitas deutschlandweit zu decken. Hier soll sprachliche Bildung ein fester Bestandteil in der Kindertagesbetreuung werden, da sie besonders wirksam ist, wenn sie früh beginnt und in den Alltag integriert wird. Damit ist gemeint, dass über den gesamten Zeitraum, den ein Kind in einer Einrichtung verbringt, die individuelle Sprachentwicklung des Kindes unterstützt wird. Ein wichtiger Bestandteil dieses Programms ist Inklusion, denn alle Kinder, unabhängig ihrer Herkunft, Muttersprache oder körperlicher Verfassung, sollen davon profitieren. Für diesen Prozess werden in den Kitas zusätzliche Fachkräfte4 untergebracht, die das Team einer Einrichtung beraten, begleiten und unterstützen sollen. Ergänzt wird zudem, eine zusätzliche, externe Fachberatung, die mehrere Kitas im Verbund berät, begleitet und für die Weiterbildung der Einrichtungsteams zuständig ist.

In Thüringen nehmen bereits 88 Kindergärten seit Januar an diesem Programm teil (Klaubert 2016: 2), einige waren auch schon Teil des Vorgängerprogramms. Das Programm verfolgt ein großes Ziel: Sprachliche Bildung soll alle Kinder erreichen. Daher stellte sich die Frage, ob und wie dieses Programm an einzelnen Einrichtungen in Thüringen angekommen ist, wie sich die Umsetzung gestaltet, ob es bereits Lob oder Kritik gibt und inwieweit vielleicht schon erste Aussagen zur Effektivität getroffen werden können. Da es sich um ein noch sehr junges Programm handelt, sind diese Aspekte höchst interessant, sofern sie bereits aufschlussreich dargelegt werden können. Dies umfasst, unter anderem, auch das Ziel dieser Arbeit: Was bedingt die Defizite, die das Programm ausgleichen möchte? Können diese langfristig sowie nachhaltig verändert werden und gibt es exakte Merkmale, die verändert werden müssten, damit das Programm nachhaltig implementiert werden kann? Diese Fragen stellten sich zu Beginn der Ausarbeitung. Wie der Umgang mit mehrsprachigen Kindern an Thüringer Einrichtungen verläuft, ist ebenfalls von Interesse.

Die Wahl fiel deshalb auf Thüringen, da der bisherige Forschungsstand zur Mehrsprachigkeit in Thüringer Einrichtungen, nach der Recherche, relativ gering ist. Ahrenholtz & Maak (2013) haben in ihrem Bericht zur Mehrsprachigkeit in Thüringen die Zahlen der Kinder mit anderer Herkunftssprache für Schulen untersucht, jedoch nicht für Kindergärten. Sie stellten dabei heraus, dass in Thüringen 20,5% der Grundschüler eine andere Herkunftssprache (zusätzlich zur deutschen Sprache) spricht. Die Anzahl von Kindern mit einer anderen Herkunftssprache in Thüringer Kindertagesstätten ist laut Aussage der Referentin für frühkindliche Bildung relativ gering5. Allerdings war dies zu Beginn der Erhebung der empirischen Daten für die im Rahmen dieser Arbeit ausgeführten Studien noch nicht klar, verstetigte sich aber schon während der ersten Interviews die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführt wurden.

Die Stärkung der Handlungskompetenzen von Fachkräften ist auch in der Fachliteratur ein wichtiges Thema, zu dem es bereits zahlreiche Ausarbeitungen gibt, beispielsweise zur Sprachförderung (Reich 2008), dem Zusammenwirken von Familie und Einrichtung innerhalb der Sprachbildung (Albers 2011; WiFF 2011) sowie zur alltagsintegrierten Sprachbildung (Jungmann, Morawiak & Meindl 2015; Jampert, Best, Guadatiello, Jampert et al. 2007; Becker-Stoll & Kieferle 2013). Auch die Forschung hat sich bereits mit dem Thema der Kompetenzen zur sprachlichen Bildung in Kindertagesstätten befasst – unter anderem in Bezug auf die Sprachförderkompetenz (Hopp et al 2010), die vergleichende Betrachtung von sprachlichem Input, den ein Kind beim Spracherwerb zuhause und in der Tagesbetreuung erhält (Murray et al 2006) sowie ebenfalls die Betrachtung von Input-Faktoren bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern (De Houwer 2015a&b). Für das Bundesland Thüringen hat jedoch, nach aktuellem Kenntnisstand, in einem solchem Rahmen bisher keine Beurteilung der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung im Programm Sprach-Kitas stattgefunden.

In der folgenden Arbeit werden zunächst Faktoren besprochen, die den Spracherwerb eines Kindes beeinflussen, um die Hintergründe zur Notwendigkeit der Unterstützung des Spracherwerbs aufzuzeigen und nötige Handlungskompetenzen des Fachpersonals daraus abzuleiten. Dies geschieht unter Einbeziehung der Fachliteratur.

Folgend wird das Programm Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist vorgestellt. Im Anschluss daran werden die Orientierungsleitfäden, die vom Deutschen Jugend Institut (DJI) entwickelt wurden, um Fachkräften eine solide Grundlage für die Unterstützung des kindlichen Spracherwerbs zu bieten, präsentiert. Im Anhang werden zudem einige andere, ähnliche Programme zur Unterstützung der Sprachentwicklung beim Kind aufgezeigt. Weiterhin soll die Verknüpfung des Programms mit dem Thüringer Bildungsplan dargestellt werden, da in diesem bereits die alltägliche Sprachbildung aufgegriffen ist. Da es sich um eine empirische Erfassung, nämlich eine Interviewstudie mit zusätzlichen Beobachtungen, handelt, wird anschließend die Konzeption und Methodik erläutert. Dabei wird einführend auf die untersuchungsleitende Fragestellung eingegangen. Die Untersuchungsinstrumente sowie die Untersuchungsdurchführung werden vorgestellt und begründet. Überdies wird eine Stichprobenbeschreibung vorgenommen.

Im Anschluss findet die Auswertung der in den Interviews und den Beobachtungen erhobenen Daten statt. Es folgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse sowie deren Diskussion. Die Arbeit endet mit einem Fazit und Forschungsausblick. Dabei wird die Auswertung der Daten unter Einbeziehung der theoretischen Ausführungen betrachtet. Ferner werden Möglichkeiten einer weiterführenden Bearbeitung und Lösungsansätze vorgestellt.

2. Input-Faktoren im Spracherwerbsprozess bei Kindern

2.1. Allgemeine Faktoren

Ein Kind ist bereits als Säugling in der Lage, an Interaktionen mit seinen Bezugspersonen teilzunehmen, was für seine kognitive und emotionale Entwicklung unabdingbar ist. Bruner schreibt diesen Handlungen eine „Mittel-zum-Zweck-Sensibilität“ (1987: 19) zu. Das Kind tritt also in den sozialen Austausch und lernt dadurch in seiner sprachlichen Entwicklung stetig dazu. So kann sich seine Sprache immer weiter entwickeln. Im Zuge dieses Prozesses durchläuft das Kind in den ersten sechs Lebensjahren die wichtigsten Phasen der Sprachentwicklung (Jung & Günther 2016: 101).

Allerdings benötigen Kinder hierbei persönliche Begleitung für das Sprechen, Spielen, Leben und Lernen. Dieser Prozess kann als „Unterstützungssystem für den Spracherwerb“ (Bruner 1987: 32) bezeichnet werden. Mit Hilfe dieses Systems kann das Gegenüber des Kindes auf Worte oder andere Feinheiten eingehen, die das Kind in seiner Sprache noch nicht ausgeprägt hat und dann beispielsweise durch Aufsagen, Wiederholen oder Korrigieren das Kind beim Erlernen eben jener Worte unterstützen. Allerdings zählt hier, wie ebenfalls sehr anschaulich im Artikel der GEO beschrieben, auch die Art und Weise, wie mit einem Kind gesprochen wird. Freundlichkeit wird hier als erstes Gebot angeführt (Kretz 2016: 33). Harsche oder gar ablehnende Äußerungen dem Kind gegenüber bewirken zumeist eine weniger gelingende Ausprägung einer Sprache beim Kind (De Houwer, 2015a: 173; Hachul & Schönauer-Schneider 2016: 94).

Neben den Eltern werden auch Pädagogen später zu Bezugspersonen für das Kind. Soziale Interaktionen mit eben diesen sind für die Entwicklung des Kindes erforderlich, da sie ihm „geeignete Sprech-Handlungs-Situationen“ (Jung & Günther 2016: 92) in diversen Lebensbereichen in vereinfachter Sprache nahe bringen. Das Kind wächst körperlich und entwickelt somit auch seine kognitiven Fähigkeiten weiter und baut seine Sprachfähigkeiten aus. Viele Faktoren können diesen Prozess in positiver oder negativer Art und Weise bedingen.

Das Kind kommt mit der Fähigkeit auf die Welt, sich Dinge aneignen zu können. Dazu gehört das Sprechen. Oft beginnen die Kinder damit, das, was die Personen um sie herum sagen, zu imitieren, was man als kurzzeitigen Effekt bezeichnen kann (van Veen, Evers-Vermeul, Sanders & van den Bergh 2009: 279). Das Sprechen zu lernen ist jedoch ein jahrelanger Prozess, bei dem die Interaktion mit anderen eine zentrale Rolle einnimmt, denn das Kind lernt auch beim Zuhören. Später kann es, als langfristiger Effekt sozusagen, auch Worte oder Phrasen sagen, die es lediglich bei seinen Eltern gehört und bis zu diesem Punkt noch nicht aktiv gebraucht hat (van Veen 2009: 280). Es baut also einen aktiven und einen passiven Wortschatz auf, der als dynamisches System betrachtet werden kann.

Damit der Spracherwerb gelingt, müssen Sprache und ihre Funktionen für das Kind in einen Rahmen gebracht werden, in den es durch seine Bezugsperson eingeführt wird, um zu erlernen, wann Sprache, auf welche Weise Funktionen einnimmt (Ward 1999: 244).

Das erfährt und lernt das unbedarfte Kind durch Interaktionen, die ihm die Bedeutung von Sprache zunächst einmal aufschlüsseln (Liszkowski 2015: 27). Gleichsam aktiv oder passiv, wirken so die Menschen in seinem Umfeld auf den Erwerb der Sprache. Damit diese Lernprozesse zum Erfolg führen, benötigt das Kind eine Umgebung, in der es sich sicher, wohl und aufgehoben fühlt (De Houwer 2015b: 114). Wenn diese Faktoren gegeben sind und die Bezugspersonen intuitiv wissen, wie sie dem Kind antworten, sobald es sich verbal oder non-verbal äußert, und später, wenn das Kind älter wird, Sprachanregungen geschaffen werden, so kann der Spracherwerb gelingen.

Folgt demnach auf die fehlerhafte Aussage eines Kindes eine negative Reaktion, so wird diese von ihm wahrgenommen. Saxton (2000: 226) schreibt, dass ein Kind bereits kleine, ablehnende Signale, wie beispielsweise eine hochgezogene Augenbraue, eine kurze Pause von zwei Sekunden oder aber einen überraschten Blick, der länger als üblich gehalten wird, als negative Reaktion auf seine Äußerung erkennen kann. Durch diese Art des Feedbacks könnte es sich unter Druck gesetzt fühlen und bei seiner ursprünglichen, fehlerhaften Aussage bleiben und diese langfristig verinnerlichen. Bei sofortigem, positivem Feedback der Bezugsperson jedoch, ist das Kind für Verbesserungen zugänglich (Saxton 2000: 224f.). Ausschlaggebend ist also eine positive Reaktion dem Kind gegenüber. Hachul & Schönauer-Schneider bezeichnen u.a. eine positive Reaktion und Zuwendung dem Kind gegenüber als „Optimierung des Umfeldes“ (2016: 94) bei Sprachentwicklungsstörungen. Doch eine positive Haltung dem Kind gegenüber stellt viel mehr die Grundlage für gelingende Sprachentwicklung dar und ist daher für alle Kinder relevant.

Die Sprache, die beispielsweise Eltern mit ihren Kinder sprechen, variiert signifikant in Abhängigkeit von den jeweiligen Tätigkeiten in der Sprachsituation. Snow (1979: 36) beschreibt hierzu, dass in Studien, die diverse Situationen von Müttern und Kindern verglichen, herausgefunden wurde, dass die Sätze, die Mütter mit ihren Kindern sprechen von der jeweiligen Situation in der sie gesagt wurden, abhängig waren. In freien Situationen6 waren die Sätze wesentlich komplexer als in sog. Caretaking -Situationen (Snow 1979: 37). Als möglicher Grund wird angeführt, dass letztere den Sprachgebrauch dahingehend einschränken, dass sie effizient gestaltet werden sollen, während in den freien Situationen mehr Möglichkeiten zum Elaborieren stecken und die Themenauswahl hier vielfältiger sei (ibidem). Vermutlich lässt sich dies auch auf die tägliche Arbeit der Pädagogen übertragen.

Kinder erwerben demnach ihre Sprache nicht von allein, indem sie einfach älter werden oder ihre kognitiven Fähigkeiten weiterentwickeln. Sie müssen regelmäßigen Austausch über die Sprache mit anderen Menschen erfahren. Ein Kind, zu dem nur ab und an gesprochen wird, wird sich Wörter nur langsam aneignen. Die Frequenz ist ebenfalls ein zentraler Faktor bei der kindlichen Sprachentwicklung (Lieven 2010: 2547; van Veen et al. 2009: 267). Diese sollte mit steigendem Alter des Kindes und dem Voranschreiten der Entwicklung zunehmen, da Kinder dann auch in der Lage sind, Gespräche mit anderen zu führen und komplexere Sachverhalte besprechen können. Je öfter Kinder komplexe Sätze hören, desto einfacher wird es für sie, diese wiederzugeben. Hingegen sind Sätze, die Kinder weniger oft hören, für sie schwerer zu konstruieren (Lieven 2010: 2548). Eine gesteigerte Frequenz von gleichen Phrasen oder Worten ist also auch hier essentiell. Allerdings sei angemerkt, dass das Kind auch kognitiv tatsächlich in der Lage dazu sein muss, komplexere Phrasen zu äußern (van Veen et al. 2009: 269).

Außer der Frequenz spielen auch andere Merkmale, wie die Intonation oder die Länge einer Phrase eine wichtige Rolle beim Spracherwerb. Eine deutliche Aussprache, teilweise übertriebene Intonation und niedriges Tempo sind beim Sprechen mit jüngeren Kindern wichtig (Ward 1999: 246). Allerdings spielt auch der Inhalt eine große Rolle. Ward verweist hier darauf, dass der Inhalt vom aktuellen Interesse des Kindes ausgehen sollte (ibidem). Zum einen werden dadurch Lexik und Syntax erweitert, zum anderen wird das Kind angeregt, am jeweiligen Sprechakt überhaupt teilzunehmen. Hierzu sei ebenfalls angemerkt, dass Kinder Sprache, die handlungsbezogen vermittelt wird, schneller und besser einprägen, als Sprache, die nebensächlich erwähnt wird. Hierzu zählt ebenfalls die Aufnahme über Medien, wie beispielsweise Fernsehen (Hopp et al. 2010: 612).

Zusammenfassend kann demnach angemerkt werden, dass die Unterstützung des Spracherwerbs durch diverse Faktoren des Inputs bedingt ist. Eine positive, freundliche Haltung dem Kind gegenüber, eine passende Intonation sowie eine sich steigernde Frequenz bei zunehmender Entwicklung des Kindes und damit einhergende Komplexität des Gesagten bieten dem Kind die Möglichkeit, Sprache und ihre Funktion in einen sozialen Kontext zu bringen und so ihre Funktion aufzuzeigen. Relevant hierfür ist es auch, das Interesse des Kindes als Sprachanlass nutzen, um dieses so für die Nutzung der Sprache zu gewinnen.

2.2. Aspekte der Sprachförderkompetenz von Fachkräften

Viele Eltern unterstützen ihr Kind beim Spracherwerb intuitiv richtig. Aber was geschieht, wenn das Kind eine Tageseinrichtung besucht und dadurch weitere Bezugspersonen erhält sowie Gleichaltrige in einer großen Gruppe hinzukommen? Zuhause wird das Kind von Eltern und ggf. Geschwistern umgeben. Es hat demnach eine individuellere Betreuung, als in einer Tageseinrichtung.

Eingangs wurde beschrieben, dass die Sprache ein dynamisches System ist, was sich fortlaufend verändert und bei Kindern stets erweitert. Es bedarf daher einiger wichtiger Grundlagen, die der sprachlichen Bildung in einem pädagogischen Umfeld, wie der Kita, zuträglich sind. Folgend sollen daher einige Aspekte der Handlungskompetenzen der pädagogischen Fachkräfte erläutert werden.

Die Sprachbildung ist in den Bildungsempfehlungen festgeschrieben und für alle Bundesländer Bildungsauftrag in den Tageseinrichtungen (Sekretariat der Ständigen Kultusminister- und Jugendministerkonferenz (KMK/JMK) 2004: 4). Der Begriff beinhaltet, dass es sich nicht um spezielle Angebote zur Sprachförderung handelt, sondern diese Bildungsarbeit im Alltag integriert ist. Allerdings, so scheint es, müssen Fachkräfte zunächst für diesen Umgang sensibilisiert werden, um Strategien für die alltägliche Sprachbildung sicher anzuwenden und auch Kinder, die weniger sprechen, mehr an der Sprachbildung teilhaben zu lassen (Girlich & Steinmetzer 2014: 97). Wie oben beschrieben, erwerben Kinder Sprache durch soziale Interaktionen und lernen fortwährend aktiv und passiv. So können sie sich in ihren emotionalen und kognitiven Fähigkeiten weiterentwickeln. Sobald das Kind kognitiv dazu in der Lage ist, bringt es auch bisher passives Wissen, seines Wortschatzes beispielsweise, aktiv zum Vorschein, was für seine Entwicklung ebenso relevant ist wie die Erweiterung seiner Erfahrungen. Es bedarf demnach einer kontinuierlichen Sprachbildungsarbeit, damit dieser Prozess gelingen kann. Mit der Weiterentwicklung eines Kindes ändern sich auch seine Bedürfnisse, woran sich der Pädagoge anpassen und das Kind intensiver und vielfältiger bilden sollte (Jampert et al 2006: 46).

In der Arbeit mit vielen Kindern in einer Gruppe, kann es durchaus Schwierigkeiten mit sich bringen, alle Kinder zu erreichen. Auch in den Beobachtungen dieser Arbeit wurde dies deutlich. Jedoch ist es womöglich ein erster Schritt, das Bewusstsein für einen professionellen Umgang mit der eigenen Sprachförderkompetenz zu stärken, wenn auch in der Arbeit mit vielen Kindern auf diese Punkte geachtet wird.

Um das Kind zu erreichen, bedarf es einer aufmerksamen Art des Sprechens beim Dialogpartner des Kindes. Er fungiert ebenfalls als Vorbild und schafft den Rahmen, in den sich die Sprache mitsamt ihrer Funktion einbettet. Daher ist es ratsam, sich über seine eigene Ausdrucksweise bewusst zu werden und, insbesondere beim Sprechen mit dem Kind, aufmerksam zu sein und, beispielsweise in Spiel- oder Vorlesesituationen, eine abwechslungsreiche Intonation zu nutzen sowie die Mimik und Gestik einzubeziehen, um den Dialog für das Kind unterhaltsam und anregend zu gestalten (Reich 2008: 40). Eben jene Situationen bieten hervorragende Sprachanlässe, welche die Pädagogen nutzen sollten. Da sich beim Lesen von Büchern Themengebiete erschließen, die aufgegriffen werden können, ist dies ein einfacher aber effektiver Weg, mit einem Kind ins Gespräch zu kommen. Beim Vorlesen bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, beispielsweise über W-Fragen, Erinnerungsfragen und Bilder oder aber über eine sog. „Widerspruchsprovokation“ (Albers 2015: 73), bei der der Vorleser ein Objekt absichtlich falsch benennt und das Kind dieses korrigiert. Das fördert die kognitive Entwicklung eines Kindes, indem es Zusammenhänge erkennen, Emotionen nachvollziehen oder sich an Handlungsmuster aus dem Erzählten erinnern muss. Wie sich erkennen lässt, handelt es sich hier nicht allein um einen achtsamen Umgang mit der Sprache selbst, sondern, im großen Ganzen, um eine Dialoghaltung, die die Pädagogen dem Kind entgegenbringen. Diese sollte dem Kind und seinen Äußerungen gegenüber möglichst wohlwollend und sprachanregend ausfallen. Hierfür gibt es einige Grundprinzipien, die in der Interaktion mit einen Kind nicht unerwähnt bleiben sollen:

- Augenhöhe mit dem Kind
- Blickkontakt suchen und halten
- aufmerksam zuhören
- ruhige Aussprache
- das Kind ausreden lassen
- Pausen zum Sprechen und Denken für das Kind schaffen
- das Kind in dem, was es sagt, ernstnehmen7

Selbstverständlich ist dies in einer großen Gruppe von Kindern nicht immer möglich, alle diese Grundprinzipien anzuwenden. Die zunehmende Beachtung dieser Prinzipien kann jedoch in Verbindung mit Achtsamkeit und Motivation dazu führen, dass die Bezugspersonen des heranwachsenden Kindes selbst bewusster mit Sprache umgehen. Im Grunde kann die sprachliche Bildung im Alltag einfach passieren, ohne dabei dogmatisch auferlegt werden zu müssen. Sprache involviert immer die ganze Person, ist in einen Kontext eingebettet und fordert alle Sinne (Gasteiger-Klicpera 2013: 249).

Besonders interessant ist im Text von Gasteiger-Klicpera auch der Verweis darauf, dass sprachliche Bildung zu einer gewissen pädagogischen Beliebigkeit verkommen ist, in der die Kinder mehrheitlich „sich selbst überlassen sind“ (2013: 250), da die Begrifflichkeit der Sprachbildung leicht unspezifisch anmutet. Doch gerade das ist es, was die alltagsintegrierte sprachliche Bildung ausmacht: eine Haltung, die das Bewusstsein dafür schärft, Gelegenheiten zu schaffen, mit Kindern ins Gespräch zu kommen, ihnen auf diese Weise Wissen zu vermitteln und sie in der Ausprägung ihrer Fähigkeiten zu unterstützen. Idealerweise werden Kinder so gefördert, wie sie es brauchen. Das bedeutet nicht, mit speziellen Programmen eine unnatürliche Situation zu erschaffen, die den Kindern Themen auferlegt, die vielleicht gar nicht ihrem Entwicklungsstand oder Interessen entsprechen und somit keineswegs anregend auf diese wirken oder sie gar ausgrenzt. Eine solche Homogenität unterhalb der Kinder in einer Gruppe zu erzeugen, kann folglich nicht zu einem gelingenden Spracherwerb beitragen.

Der Anspruch, der mit der alltagsintegrierten Bildung nach dem Studieren der Theorie und der Erarbeitung dieser Arbeit einhergeht, hat viel mit dem der Inklusion gemein: Alle Kinder lernen miteinander, werden in ihren individuellen Bedürfnissen wahrgenommen und so in ihrer Entwicklung unterstützt. Das Erkennen und die Bewusstmachung dessen ist ebenfalls eine Kompetenz, die unbedingt erwähnt werden sollte (Hopp et al. 2010; Reich 2008).

2.3. Professionalisierung der Sprachförderkompetenz

Kindertagesstätten haben einen signifikanten Einfluss auf die Entwicklung der Kinder, wie aus der Studie von Kratzmann und Schneider deutlich wird (2008: 8). Beschrieben wird hier, dass besonders Kinder aus bildungsfernen Schichten durch einen Besuch in einer Kindertagesbetreuung profitieren, da durch diesen eine Bildungsgleichheit etabliert wird, wenn man beispielsweise davon ausgeht, das etwa Kinder aus bildungsfernen Schichten möglicherweise später eingeschult werden würde, als Gleichaltrige (Kratzmann & Schneider 2008: 3). Auch die Sprachentwicklung eines Kindes wird folglich von den Kompetenzen der Pädagogen beeinflusst.

Diese Kompetenzen lassen sich auch als sog. Sprachförderkompetenz bezeichnen. Diese umfasst Möglichkeiten, im alltäglichen Rahmen die Sprachentwicklung von Kindern mit Hilfe von bereits erörterten – und weiteren – Kriterien zu unterstützen. Sie stellt damit eine von vielen fachlichen Kompetenzen für die Erziehung und Bildung im frühpädagogischen Bereich dar und nimmt großen Einfluss auf die sprachliche Entwicklung von Kindern.

Man könnte davon ausgehen, dass die pädagogischen Fachkräfte im Bundesland Thüringen den Spracherwerb der Kinder bereits erfolgreich unterstützen, da die alltagsintegrierte Sprachbildung im Thüringer Bildungsplan (Freistaat Thüringen. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport 2015: 63-68 & 71- 77) sowie durch die Kultusminister- und Jugendministerkonferenz (KMK/JMK 2004: 4) festgehalten ist. Nach diesen Richtlinien sind die pädagogischen Fachkräfte angehalten zu arbeiten. Das theoretische Konstrukt der sprachlichen Bildungsarbeit wird durch sie gerahmt und auf Basis dessen, ein Austausch mit den Kindern angeregt (Jungmann & Albers 2013: 18). Die im Kapitel 2.2. erörterten Handlungskompetenzen sollten also Teil der alltäglichen Arbeit einer pädagogischen Fachkraft sein. Hier kommt nun das Programm Sprach-Kitas zum Tragen, das zum Ziel hat, die nötigen Kompetenzen wieder in den Fokus der Fachkräfte zu rücken und diese ggf. zu professionalisieren.

Interessante Ergebnisse zur Professionalisierung der Sprachförderkompetenz ergaben sich hierzu aus einer Pilotstudie, bei der das Wissen pädagogischer Fachkräfte, die Weiterbildungen zum Spracherwerb besucht hatten, mit denen von Frühpädagogikstudierenden verglichen wurde. Die Ergebnisse unterschieden sich jedoch nicht signifikant, wie zunächst erwartet (Thoma et al 2011: 34). Ein fundiertes Fachwissen bildet die Grundlage zur gelingenden Unterstützung des Spracherwerbs bei Kindern. Hierzu zählt auch der Umgang mit der eigenen Sprache vor und mit Kollegen oder Kindern. Dahingehend gibt es beispielsweise Evidenzen, dass sich ein gesteigertes Fachwissen auch auf die Qualität des sprachlichen Handelns auswirkt, da Fachkräfte, die über mehr Wissen im Bereich des Spracherwerbs verfügen, auch bessere Planungen für die tägliche Sprachbildung anzeigten (Ofner & Thoma 2014: 137).

Allerdings unterliegt ein Kommunikationssystem den individuellen Anpassungen jeder Person, die einen Umgang damit pflegt. Ebenso individuell sind die Fachkräfte daher auch bei der Umsetzung ihrer Sprachförderkompetenzen.

2.4. Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist

Im folgenden Teil soll nun die Struktur des Bundesprogramms näher betrachtet werden.

Das Programm Sprach-Kitas baut auf dem Vorgänger Schwerpunkt-Kitas: Sprache & Integration 8 auf.

2.4.1. Das Vorgängerprogramm:Schwerpunkt-Kitas: Sprache & Integration

Dieses wurde von 2011 bis 2015 in einer Anzahl von deutschen Kindergärten durchgeführt und sollte die alltagsintegrierte sprachliche Bildung von Kindern bis zu drei Jahre (U3) fördern. Das Programm richtete sich besonders an Einrichtungen mit einem hohen Anteil an bildungsbenachteiligten Familien und Familien mit Migrationshintergrund. Laut Webseite der Sprach-Kitas schloss es 4000 Einrichtungen bundesweit ein (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BFSFJ), 2016). Auch Einrichtungen in Thüringen haben bereits an diesem Programm teilgenommen (Klaubert, 2016). Aufbauend auf diesem Programm begann im Januar 2016 die Weiterführung Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zu Welt ist. Die Weiterentwicklung des Programms brachte die Einführung einer Fachberatung für die teilnehmenden Einrichtungen mit.

Hierfür mussten sich Einrichtungen im Jahr 2015 bewerben, eine einfache Weiterführung der bereits am Programm teilnehmenden Einrichtungen war nicht möglich. Voraussetzungen für die Teilnahme am Programm sind (BFSFJ, 2016):

- Mindestens 40 Kinder in einer Einrichtung
- Bereitschaft, sich mit anderen Einrichtungen zu einem Verbund zusammenzuschließen
- Der Verbund von 10-15 Einrichtungen wird durch eine Fachberatung angeleitet
- Die Fachberatung ist Teil eines eigenständigen, örtlichen Trägers
- Bereitschaft der Einrichtungsleitung, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen (u.a. Teamentwicklung, Arbeitskreise, Bearbeitung der Einrichtungskonzeption)
- Nachweislich ein erhöhter Anteil von Kindern mit besonderem Sprachförderbedarf (festgelegt durch das jeweilige Land oder über die Erfassung von Gebieten, in denen übermäßig viele Familien eine andere Sprache als Deutsch sprachen oder übermäßig viele Familien von der Beitragszahlung befreit oder teil-befreit sind)

Bereits im Vorgängerprogramm Schwerpunkt-Kitas wurden die Einrichtungen mit zusätzlichen Fachkräften9 ausgestattet, die mit einer Arbeitszeit von 19,5 Wochenstunden für die Förderung der Sprachbildungskompetenzen in einer Kita zuständig sind. Hierbei handelt es sich entweder um Kollegen aus bestehenden Teams oder aber neu eingestelltes Personal. Die zusätzlichen Fachkräfte haben die Aufgabe, das Team für sprachliche Bildung der Kinder im Alltag zu qualifizieren und zu unterstützen. Zudem stellten sie eine Begleitung im Sprach-Alltag der Teams dar, berieten diese bei der Arbeit mit den Kindern sowie den Eltern (Schaarschmidt 2013: 19). Außerdem standen sie beratend zur Seite, wenn Einrichtungen die sprachliche Bildung in ihre Konzeption einarbeiteten (BFSFJ, 2016). Hierfür mussten Zusatzqualifikationen im Umfang von 70 Stunden in einem der Bereiche sprachliche Bildungsarbeit, frühkindliche Bildung und Förderung von Kindern sowie Erwachsenenbildung nachgewiesen werden (BFSFJ, 2016). Laut der Webseite zeigte die abschließende Evaluation des Programms10, dass im Vergleich zu Einrichtungen ohne Teilnahme am Programm häufiger Fortbildungen wahrgenommen wurden, ein umfassenderer fachlicher Austausch innerhalb des Kollegiums stattfand und die Sprachfachkraft in ihrer veränderten, neuen Rolle als sog. Sprachexperte im Team akzeptiert wurde (BFSFJ 2016).

Die Grundlagen des Programms Schwerpunkt-Kitas sind die Orientierungsleitfäden (Jampert et al. 2011a+b) des Deutschen Jungend Instituts (DJI): Die Sprache der Jüngsten entdecken und begleiten. Das DJI hat als wissenschaftliche Begleitung außerdem eine Studie mit wissenschaftlichem Weiterbildungskonzept zur sog. Qualifizierungsoffensive durchgeführt. Hierbei wurde festgestellt, dass eine nachhaltige Implementierung innerhalb des Kollegiums nur erfolgen kann, wenn eben jenes frühzeitig eingebunden wird (Nunnenmacher & Laier 2015: 33). Auch die Einrichtungsleitung sollte sich für alltagsintegrierte Sprachbildung und die Sprachfachkraft einsetzen. Weiterhin sollten Kompetenzen wie Motivation, Enthusiasmus, Fachwissen und pädagogische Kompetenz bei der Sprachfachkraft vorhanden sein (Nunnenmacher & Laier 2015: 31). Diese Studie stellt auch die Basis für das Teilprojekt im Programm Sag’ mal was dar, aus dem sich das Sprachförderkonzept Dialoge mit Kindern führen entwickelt hat (Baden Württemberg Stiftung (BWS) 2014: 21). Es zielt auf die „Erweiterung der dialogischen Handlungskompetenzen von Pädagogen und Pädagoginnen für die sprachliche Bildungsarbeit im Alltag [ab]“ (BWS 2014: 25).

Im Abschlussbericht zum Bundesprogramm Schwerpunkt-Kitas: Sprache & Integration wurden mithilfe vom Monitoring und Interviews Daten zur Auswertung erhoben.

„Zum Einsatz kamen Befragungen der Einrichtungsleitung, der zusätzlichen Fachkraft sowie weiterer Teammitglieder, Beobachtungen der sprachförderlichen Prozessqualität, Befragungen der Familien, Testungen des sprachlich-kognitiven Entwicklungsstandes der Kinder und qualitative Interviews“ (BFSFJ 2015: 26).

Diese wurden von Winter 2012 bis zum Frühjahr 2015 durchgeführt. Die Daten sind jedoch nicht spezifisch für jedes Bundesland erhoben worden, sondern stichprobenartig, abhängig von den jeweiligen koordinierenden Studienzentren11. Es wird allerdings darauf verwiesen, dass in die Evaluation das gesamte Bundesgebiet einbezogen wurde. Es lässt sich ableiten, dass auch in Thüringen vereinzelt Interviewbefragungen zu einem Zeitpunkt im Vorgängerprogramm der Sprach-Kitas durchgeführt wurden12. Festgelegte Kriterien zur Überprüfung der Nachhaltigkeit konnten im Programm nicht ausgemacht werden. Jedoch gibt es im Abschlussbericht Empfehlungen für Politik und Fachpraxis (BFSFJ 2015: 77ff.). Weiterhin gibt es andere Initiativen zur Stärkung des Spracherwerbs bei Kindern, einige Beispiele hierzu finden sich im Anhang I.

Des Weiteren wurden der o.g. Bericht und seine Ergebnisse genutzt, um die alltagsintegrierte Sprachbildung im nachfolgenden Programm Sprach-Kitas zu intensivieren und das Programm auszubauen. Im Zuge dessen soll auch erwähnt werden, dass, wie eingangs besprochen, erst zu Beginn 2016 das Programm begann. Ein Abschlussbericht liegt daher noch nicht vor.

Das DJI hat eine Studie mit wissenschaftlichem Weiterbildungskonzept zur sog. Qualifizierungsoffensive durchgeführt (mehr dazu im Kapitel 2.5.), mit dem Ziel:

„Erkenntnisse über die Gestaltung des Qualifizierungsprozesses und die Umsetzung des DJI- Sprachbildungskonzepts in der Praxis zu erhalten“ (Nunnenmacher & Laier 2015: 21).

Einige wichtige Ergebnisse dieser Studie waren unter anderem, dass der essentielle und durchaus anspruchsvolle Transfer von theoretischem Wissen in seiner Umsetzung besser gelingt, wenn das Kollegium frühzeitig eingebunden wird, und Videoreflexionen die beste Methode sind, um Kollegen in ihrer Arbeit zu unterstützen und weiterzubilden (Nunnenmacher & Laier 2015:33). Auch wurde herausgearbeitet, dass die Unterstützung durch die jeweilige Leitungskraft einer Einrichtung sowie die Einbeziehung der Erwartungen und Wünsche jedes Kollegen im Ablauf nicht fehlen darf, um ein Gelingen des Programms und die Multiplikation des Wissens im Team nicht zu gefährden (Nunnenmacher & Laier 2015: 34).

2.4.2. Das Nachfolgeprogramm Sprach-Kitas

Auf dem Programm Schwerpunkt-Kitas baut nun der Nachfolger Sprach-Kitas auf. Allerdings sieht das Programm einige Neuerungen vor, wie beispielsweise die Fachberatung oder den Ausbau der Zusammenarbeit mit Eltern für die sprachliche Entwicklung der Kinder, außerhalb der Betreuungszeiten der Kita, durch die Familie. Dies bietet den Sprachfachkräften eine Möglichkeit, wieder mehr mit den Eltern ins Gespräch zu kommen. Die Sprachfachkräfte sind, wie im Vorgängermodell, mit einem Umfang von 19,5 Stunden in der Woche in einer Einrichtung angestellt. Das Unterstützungssystem für die Sprachfachkräfte im neuen Projekt wurde ausgedehnt, sodass ihnen nun eine Fachberatung zur Seite steht. Diese übernimmt die Ausbildung der Sprachfachkraft, weshalb nun kein Nachweis über Fortbildungen in einem bestimmten Umfang mehr erbracht werden muss. Ein weiterer Schwerpunkt liegt weiterhin auf einer möglichst inklusiven Pädagogik in den Einrichtungen (BFSFJ 2016).

2.5. Basis des Programms: Orientierungsleitfäden des Deutschen Jugend Institutes

Um Kompetenzen zur Sprachentwicklung und -förderung bei Kindern zu erwerben, dienen die Orientierungsleitfäden des Deutschen Jugend Instituts (DJI), die gleichermaßen die Basis des Programms bilden. Diese wurden bereits im Zuge der Qualifizierungsoffensive vom DJI evaluiert. Hier gibt es zwei Leitfäden für verschiedene Altersgruppen. Zunächst wurde ein solcher für Kinder unter drei Jahren entwickelt: Die Sprache der Jüngsten entdecken und begleiten (Jampert et al. 2011a). Anschließend folgte für Kinder älter als drei Jahre: Kinder-Sprache stärken! (Jampert et al. 2011b). Die Leitfäden bestehen aus mehreren Einzelheften und werden durch DVDs ergänzt. Darauf finden sich Videosequenzen aus dem Alltag, was einen guten Einblick für andere Fachkräfte darstellt. Das Material richtet sich an alle, die frühpädagogisch arbeiten und Wert auf eine alltägliche Sprachbildung legen. Es umfasst theoretisches Wissen und Grundlagen zur Sprachentwicklung beim Kind und bietet Anregungen für die praktische Arbeit. Außerdem umfasst es Arbeitsmaterialien und Instrumente zur Dokumentation von Kindersprache, Dialoghaltung und Reflexion.

Im ersten Leitfaden (U3) wird sehr genau und detailliert beschrieben, wie sich die Sprache bei Kindern unter drei Jahren entwickelt und wo dabei unterstützend eingewirkt werden kann, wie eine gesunde Dialoghaltung13 aussehen sollte und welche Methoden für die pädagogischen Fachkräfte geeignet sind. Auch die Kooperation mit Eltern wird beschrieben. Außerdem behandelt der Leitfaden Aspekte zum Aufgreifen und Nutzen bestimmter Alltagssituationen und beschreibt dazu, welche Wichtigkeit Sprache im Alltag einnimmt. Aufgrund dessen ist es relevant, dass jede pädagogische Fachkraft ein Bewusstsein für ihre eigene Sprache entwickeln kann, um diese für die alltagsintegrierte sprachliche Bildung nutzen zu können (Jampert et al. 2011a: 80, Heft 2).

Der zweite Leitfaden besteht aus vier Heften und betrifft Kinder ab drei Jahre. Das erste Heft beginnt zunächst noch einmal mit den Grundlagen der Sprachentwicklung. In den nächsten beiden Heften wird auf Bereiche aus dem Alltag, Bewegung, Naturwissenschaften, Medien und Musik eingegangen. Sprachförderpotenziale in diesen Bereichen werden beschrieben und Nutzungsanleitungen gegeben. Beispielsweise liegen in einer einfachen alltäglichen Handlung wie dem Singen große Potenziale: Durch das Singen von Liedern mit diversen Themenfeldern könnten Kinder ihren Wortschatz erweitern. Lieder mit Lautmalerei fördern die Artikulation oder Mundstellung und Bewegungslieder schaffen Interaktionsanreize (Jampert et al. 2011b: 22, Heft 2). So werden diverse Bereiche vorgestellt und aufgezeigt, was für Potenziale in ihnen stecken. Die Medienarbeit kann ebenfalls eine zentrale Rolle in der sprachlichen Bildung einnehmen14. Im vierten Heft liegt der Fokus auf dem Umgang mit Mehrsprachigkeit. Auch hier werden Anregungen für die Praxis geboten, beispielsweise in Bezug darauf, wann welche Sprache gesprochen (Jampert et al. 2011b: 30, Heft 3) und wie damit umgegangen werden kann, wenn Kinder Teile des Kita-Alltags auch in ihrer Herkunftssprache erleben möchten. Besonders intensiv wird hier auch die Nutzung der Vorlesesituation beschrieben, da sie eine Besonderheit für das Erleben von Sprache im Rahmen der Mehrsprachigkeit darstellt (Jampert et al. 2011b: 46, Heft 3).

Insgesamt ist das Material eine sehr gute Möglichkeit, Grundlagen für die sprachliche Bildung beim Kind zu legen. Es ist praxisnah und durch viel Fachwissen ergänzt, das veranschaulicht, wie Sprache sich entwickelt, sie gezielt unterstützt und dies im Alltag verankert werden kann.

2.6. Akteure im Programm

Die Sprachfachkräfte fungieren als Mittler zwischen Fachberatung und Einrichtung. Sie multiplizieren Wissen, das sie sich entweder selbst aneignen, auf Fortbildungen oder im Austausch mit der Fachberatung und anderen Fachkräften15 erwerben. In der Förderrichtlinie zum Bundesprogramm heißt es:

“Zentrale Aufgabe der zusätzlichen, im Handlungsfeld Sprache qualifizierten Fachkräfte während des Förderzeitraums ist es, ihre Kompetenzen an das Einrichtungsteam weiterzugeben, ein Modell guter Praxis zu sein und für eine nachhaltige Implementierung zu sorgen“ (Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BJV) 2015: 2).

Die Sprachfachkraft sollte eine ausgebildete pädagogische Fachkraft sein und es ist wünschenswert, dass diese „Zusatzqualifikationen in den Bereichen sprachliche Bildungsarbeit, frühkindliche Bildung und Förderung von Kindern sowie Erwachsenenbildung mitbringen“ (BFSFJ 2016) hat, aber keine Voraussetzung. Sie kann entweder bereits eine Kollegin im Team sein oder es erfolgt eine Neuanstellung (BJV 2015: 3). Damit wird dem Vorgängermodell entsprochen.

Die Fachberatung begleitet, unterstützt und berät die Einrichtungen, Sprachfachkräfte und Leitungskräfte der Einrichtungen. Sie dient jedoch nicht, wie in der Förderrichtlinie zum Bundesprogramm angegeben, als Dienstaufsicht und ihr Angebot richtet sich jeweils nach den individuellen Bedarfen der Einrichtungen (BJV 2015: 2). Hauptansprechpartner für sie sind die Sprachfachkräfte. Die Fachberatung selbst wird von der PädQUIS gGmbH ausgebildet. Die Qualifizierung erfolgt in regionalen Netzwerken, bestehend aus ca. 15 Fachberatungen. Sie findet über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren fortlaufend statt (BFSFJ 2016). Des Weiteren wurde festgelegt, dass sich die Fachberatung selbst in einer separaten Trägerschaft befindet (BJV 2015: 3). Dem Träger der Fachberatung wird durch das Bundesprogramm eine jährliche Pauschale für Personalkosten und Sachmittel von 32 000 Euro gewährt.

Förderberechtigt sind, wie bereits eingangs erwähnt, Einrichtungen mit über 40 Kindern (BJV 2015: 3). Außerdem ist ein entscheidendes Kriterium, dass sich in der Kita ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Kindern aus sozial benachteiligten Familien oder Familien mit Migrationshintergrund findet16. Die Einrichtungen verpflichten sich außerdem, zweimal jährlich einen Fragebogen für das sog. Monitoring 17 zu Evaluationszwecken auszufüllen. Die Sprachfachkraft ist dafür verantwortlich (BFSFJ 2016). Weiterhin wird von der Einrichtung erwartet, dass diese ihre Konzeption kontinuierlich über die gesamte Laufzeit weiterentwickelt und dabei um die folgenden Handlungsfelder erweitert: „sprachliche Bildung, Zusammenarbeit mit den Familien der Kinder sowie inklusive Bildung“ (BJV 2015: 3). Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass die Leitungskräfte der Einrichtung zusätzliche Aufgaben erhalten, wie beispielsweise die Beteiligung an Schulungen und Teamentwicklungen, konzeptionelle Arbeit oder den Qualitätsentwicklungsprozess der Einrichtung begleiten, was allerdings einen bestimmtem zeitlichen und organisatorischen Aufwand mit sich bringt (BJV 2015: 3). Der Einrichtung wird durch das Bundesprogramm eine jährliche Pauschale für Personalkosten und Sachmittel von 25 000 Euro gewährt.

Abschließend eine zusammenfassende Darstellung der Aufgaben der Hauptbeteiligten in der praktischen Umsetzung des Programm – Sprachfachberater und Sprachfachkräfte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Aufgabenverteilung im Programm Sprach-Kitas 18

3. Sprachentwicklung im Thüringer Bildungsplan

Nachdem nun das Programm Sprach-Kitas vorgestellt wurde, soll folgend die Einbettung in den Thüringer Bildungsplan erläutert werden. Die Unterstützung der Entwicklung von Kindern in Thüringer Einrichtungen wird anhand von Richtlinien im Thüringer Bildungsplan gestaltet. Auch die sprachliche und schriftsprachliche Entwicklung ist hier eingeschlossen. Um mehr darüber zu erfahren, fand ein Interview mit der Referentin für frühkindliche Bildung aus dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport in Thüringen statt. Aus diesem Interview kann erschlossen werden, dass es in Thüringen keine spezielle Sprachdiagnostik gibt. Thüringen ist somit das einzige Bundesland, in dem es keine landesweiten Sprachstandserhebungen gibt (Neugebauer & Becker-Mrotzek 2013: 8). Diese übernimmt hier der allgemeine Gesundheitsdienst, der eine Reihenuntersuchung19 aller Kinder vor dem Übergang in die Grundschule vornimmt. Der Bildungsplan beinhalte, laut Aussage der Befragten, schon immer die alltagsintegrierte Sprachbildung, für die das Programm Sprach-Kitas eine Ergänzung darstelle.

Hier steht beispielsweise geschrieben, dass es zu den Entwicklungs- und Bildungsaufgaben u.a. gehört, soziale Kontakte zu stärken oder mit dem Kind gemeinsame Interessen zu suchen und diese für sprachliche Interaktionen zu nutzen (Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (TMBJS) 2015: 71). Durch einen auffordernden Charakter soll so die Motivation des Kindes zur sprachlichen Auseinandersetzung gefördert werden. Eine respektvolle und anerkennende Umgebung ermutigt das Kind, selbstständig die Kommunikation mit anderen Kindern und Erwachsenen zu suchen. Auch werden hier Anregungen geboten, die eine effiziente Unterstützung zur Sprachentwicklung und zur Schaffung von Sprachanlässen für das Kind anregen. Hier werden u.a. das Nutzen der Eigenthemen von Kindern, bei Nichtverstehen Unklarheiten beseitigen und nachfragen sowie die spielerische Kontaktaufnahmen mit verschiedenen Personen erwähnt (TMBJS 2015: 73). Mögliche Themenfelder dafür sind z.B. etwaige Konflikte, Weltwissen, Rollenspiele oder Begrüßungsrituale, in denen auch die Gesprächspartner (u.a. die Pädagogen), als Rollenmodelle für sprachliche Bildung wahrgenommen werden (TMBJS 2015: 74).

Obwohl der Bildungsplan sehr deutlich anzeigt, was mit der alltäglichen Sprachbildungs-arbeit gemeint ist, wurde das Programm Sprach-Kitas auch an Thüringer Einrichtungen aufgenommen. Allerdings liegt dabei eine Dopplung der Inhalte vor.

Im Interview mit der Referentin wurde deutlich, dass das Programm Sprach-Kitas als Unterstützung der Ziele des Bildungsplans betrachtet wird und sprachliche Bildung im Alltagsgeschehen wieder in den Fokus rücken soll. Weiterhin sei das vorhandene System in Thüringer Einrichtungen, bestehend aus Beobachtungen und Dokumentationen über die Kinder und deren Entwicklung eine Basis, um die Inklusion in den Einrichtungen zu fördern und Defizite besser aufdecken zu können. Mitgeteilt wurde auch, das Programm biete neue Impulse für die praktische Arbeit der Pädagogen. Diese seien notwendig, da der Kindergarten erst seit kurzer Zeit (10 bis 15 Jahre) als Bildungseinrichtung angesehen wird und sich die Anforderungen an die Erziehung und Bildung immer wieder verändern würden.

Bisher nehmen am Programm 88 Thüringer Einrichtungen teil20. Im Interview wurde die Frage danach gestellt, inwiefern überaus motivierte Einrichtungen, die aus einem Eigeninteresse heraus am Programm teilnehmen, jene Einrichtungen verdrängen, die womöglich größeren Bedarf hätten, jedoch weniger Motivation, sich an einem Bundesprogramm zu beteiligen. Die Referentin schilderte hierzu, dass dem nicht so sei, da die Jugendämter vor Ort bei der Auswahl der Einrichtungen einbezogen wurden und eine Übersicht der Kitas mit dem höchsten Bedarf erstellt und so Prioritäten gesetzt werden konnten. Diese Kitas wurden dann aufgefordert, sich für das Programm zu bewerben. So sollte sichergestellt werden, auch Einrichtungen mit erhöhtem Förderbedarf zu erfassen. Allerdings sei auch festzustellen gewesen, dass fast jede zehnte Kita (10% insgesamt) von ihrer Bewerbung zurücktrat, was die Befragte auf diverse Gründe, wie zeitliche Kapazitäten oder die Entwicklung von eigenen Konzepten in den Einrichtungen selbst zurückführte. Es sei außerdem unabdingbar, dass alle beteiligten Parteien, Träger, Leitungskräfte, Erzieher und Eltern am Programm mitarbeiten, um einen Erfolg zu garantieren.

Allerdings gab es auch hier Herausforderungen, wie die befragte Person mitteilte. Zum einen war dies die flächendeckende Verteilung der Sprach-Kitas. Es wurde angestrebt, in allen Gebietskörperschaften mindestens eine Sprach-Kita zu etablieren, damit diese als Vorbild gelten und so Anregungen für andere Einrichtungen bieten könne.

Eine nachhaltige Verankerung des Programms sei bisher nicht zu verzeichnen, die Fachberater seien jedoch sehr stark an der Umsetzung dieser interessiert. Außerdem solle die wissenschaftliche Verknüpfung der Einrichtungen im Programm intensiviert werden.

Einrichtungen, die nicht am Programm teilnehmen, können sich über Netzwerke, Fachtagungen oder vom Träger Informationen zur alltagsintegrierten sprachlichen Bildung, wie sie im Programm stattfindet, einholen. Weiterhin sei per Gesetz festgeschrieben, dass allen Fachkräften in den Einrichtungen zwei Tage pro Jahr für Fort- und Weiterbildungen21 zustehen, die vom Einrichtungsträger finanziert und eingeräumt werden müssen. Auch könne hier eine länderübergreifende Qualifizierung und Vernetzung stattfinden, bei der die Befragte auch gerne behilflich sei.

Die Qualitätssicherung der Arbeit in den Sprach-Kitas, so die Befragte, obliege dem Bund. Dieser hat im Programm Fachberater installiert, die die Qualität sichern sollen22. Weiterhin gibt es, wie oben bereits erwähnt, ein Evaluationsverfahren, das sog. Monitoring.

Einen Einfluss auf die Förderung und das Bewusstsein von Mehrsprachigkeit im Zuge der Flüchtlingszuwanderung in Thüringer Einrichtungen sieht die Befragte durchaus. Da das Programm die Inklusion als großes Ganzes fördere, zähle hier auch die Verschiedenartigkeit der Kulturen und Sprachen dazu. Außerdem fördere das Programm das Bewusstsein für Sprache selbst, was dazu beitrage, das anders damit umgegangen werde. Sie benennt jedoch den Anteil der Kinder mit Fluchterfahrung in den Thüringer Kindertageseinrichtungen mit lediglich 1%. Allerdings gäbe es diverse Ballungszentren, wo mehr Familien mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrung leben. In diesem Falle seien das die größeren Städte Thüringens, wie beispielsweise Erfurt oder Jena.

Weiterhin wurde nach Initiativen für die Sensibilisierung von Eltern zur Sprachentwicklung ihrer Kinder gefragt. Es wurde auf die Stiftung Lesen, einen Lesekoffer für Thüringer Einrichtungen, das Elternbegleitprogramm und KitaPlus 23 verwiesen. Ein Feedback von Kitas habe in der Form bereits stattgefunden, dass sich erneut viele Kitas für die zweite Förderwelle der Sprach-Kitas beworben hätten. Dies sei ein Zeichen dafür, dass ein großes Interesse der Einrichtungen vorhanden sei und das Programm bereits erfolgreich sei.

[...]


1 Die Begriffe Kindergarten, Kindertagesstätte sowie Kita werden in der folgenden Arbeit synonym gebraucht.

2 Ausschlaggebend sind hier die Ergebnisse der IGLU- und PISA-Studie jedes Jahr: https://www.lpb-bw.de/pisa.html [03.01.2017].

3 Die kompletten Ergebnisse sind einzusehen auf: https://www.mpib-berlin.mpg.de/Pisa/ergebnisse.pdf [28.12.2016].

4 Anmerkung: Alle Bezeichnungen von Personen oder Personengruppen in dieser Arbeit gelten für beide Geschlechter.

5 Sie benennt diesen mit lediglich ein Prozent. Laut Berechnungen von De Houwer ist der Anteil von Kleinkindern mit Migrationshintergrund in Thüringen am niedrigsten (2015b: 114) im Vergleich zu anderen Bundesländern. Ob alle diese Kinder auch einen Kindergarten besuchen, ist nicht geklärt.

6 Freie Situation meint: Spielen, vorlesen oder Gespräche mit den Kind führen; gegenteilig wird von Caretaking -Situationen gesprochen, also pflegende Aufgaben, wie das Ankleiden, Wickeln oder die Nahrungsaufnahme (Snow 1979: 36f.).

7 Angelehnt an Jungmann et al 2015: 40.

8 Als Bestandteil vom Gesamtprogramm Frühe Chancen vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, siehe: http://www.fruehe-chancen.de/.

9 Hinweis: Laut Programmvorgaben wird die Person als zusätzliche Fachkraft bezeichnet. Um jedoch deutlich zu machen, dass es sich um die Fachkraft in ihrer Funktion als Sprachexperte handelt wird diese in der vorliegenden Arbeit als Sprachfachkraft bezeichnet. Der Begriff pädagogische Fachkraft schließt alle die Personen ein, die zwar in der Kindertagesbetreuung arbeiten, aber keine Sprachfachkraft sind (u.a. Erzieher, Heilerziehungspädagogen, Erziehungswissenschaftler, Frühpädagogen).

10 Die Zusammenfassung der Evaluation findet sich hier: http://sprach-kitas.fruehe-chancen.de/fileadmin/PDF/Sprach-Kitas/Evaluation_SPK.pdf.

11 Otto-Friedrich-Universität Bamberg (Prof. Dr. Roßbach), PädQUIS gGmbH (Prof. Dr. Tietze) und das Institut BEST der Universität Duisburg-Essen (PD Dr. Sybille Stöbe-Blossey) sowie die Freie Universität Berlin für die Erhebung der Interviews (BFSFJ 2015: 26).

12 Es wurde 12 Interviews in Konsultationskitas in verschiedenen Bundesländern durchgeführt. Thüringen war eines davon (Nunnenmacher & Laier 2015: 25).

13 Diese wird ebenfalls in der Zeitschrift Impulse (DJI) von Andrea Sens (2011) auf Seite 9 genauer beschrieben.

14 Eine Handreichung zur alltagsintegrierten Medien- und Sprachbildung gibt es ebenfalls von der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen und den Kommunalen Integrationszentren NRW (2016). Auch hier finden sich zahlreiche Anregungen für den Alltag und Grundlagenwissen.

15 Für den Austausch untereinander sowie Material- und Literaturempfehlungen gibt es eine Plattform für Sprachfachkräfte und Fachberater unter https://www.plattform-sprach-kitas.de/.Im Rahmen dieser Arbeit wurde eine Anfrage gestellt, Einblicke in diese Plattform erhalten zu können, was jedoch leider nur den am Programm teilnehmenden Personen gestattet ist.

16 Dieses Kriterium wurde wie folgt festgelegt: „Entweder sozialräumlich durch die Länder bestimmt oder auf Grundlage der durchschnittlichen Landesquote der Kinder, in deren Familien überwiegend nicht Deutsch gesprochen wird bzw. der durchschnittlichen Landesquote der von der Kita-Beitragszahlung vollständig bzw. teilweise befreiten Familien“ (BFSFJ 2016).

17 Ein Evaluationsverfahren im Programm selbst.

18 Abbildung von: http://sprach-kitas.fruehe-chancen.de/fileadmin/PDF/Sprach-Kitas/Infoblatt_Sprach-Kitas.pdf [28.11.2016].

19 Aus der Antwort von Ministerin Klaubert auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten Tischner geht hervor: „Der öffentliche Gesundheitsdienst führt im Rahmen der vorschulischen, der Schuleingangs- und der schulischen Untersuchungen (4. und 8. Klasse) des Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes eine medizinische Sprachentwicklungsdiagnostik durch“ Klaubert (2016).

20 Weitere 88 Einrichtungen haben sich in der zweiten Förderwelle beworben (Interview: Referentin für frühkindliche Bildung). Insgesamt verfügt Thüringen laut Statistik über 1315 Tageseinrichtungen (Stand: 01.03.2016). Das macht einen Anteil von 13,38% an bestehenden und zukünftigen Sprach-Kitas aus (eigene Berechnung).

21 Ebenfalls hier nachzulesen: Thüringer Kindertageseinrichtungsgesetz (TMBJS 2010).

22 Dazu mehr in Kapitel 6.4.

23 Ebenfalls ein Bundesprogramm von Frühe Chancen: http://kitaplus.fruehe-chancen.de/ [30.12.2016].

Ende der Leseprobe aus 95 Seiten

Details

Titel
Inklusive Pädagogik an Kindertagesstätten in Thüringen. Das Programm "Sprach-Kitas" und seine Umsetzung
Hochschule
Universität Erfurt  (Spracherwerb und Mehrsprachigkeit)
Note
1,5
Autor
Jahr
2017
Seiten
95
Katalognummer
V470511
ISBN (eBook)
9783668957046
ISBN (Buch)
9783668957053
Sprache
Deutsch
Schlagworte
inklusive, pädagogik, kindertagesstätten, thüringen, programm, sprach-kitas, umsetzung
Arbeit zitieren
Elisa Herschleb (Autor:in), 2017, Inklusive Pädagogik an Kindertagesstätten in Thüringen. Das Programm "Sprach-Kitas" und seine Umsetzung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/470511

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