Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Eileitung
2. Skizzierung der vorher stattfindenden Diskussion um Gerechtigkeit
3. Thrasymachos’ Ausgangsthese
3.1 Gerechtigkeit ist der Vorteil des Stärkeren
3.1.1 Rekonstruktion von Thrasymachos’ Ausgangsthese
3.1.2 Analyse von Thrasymachos’ Ausgangsthese
3.2 Sokrates’ erster Einwand
3.2.1 Rekonstruktion von Sokrates’ erstem Einwand
3.2.2 Analyse von Sokrates’ erstem Einwand
3.3 Thrasymachos’ erster Gegeneinwand
3.3.1 Rekonstruktion von Thrasymachos’ erstem Gegeneinwand
3.3.2 Analyse von Thrasymachos’ erstem Gegeneinwand
3.4 Sokrates’ zweiter Einwand gegen Thrasymachos’ Ausgangsthese
3.4.1 Rekonstruktion von Sokrates’ zweitem Einwand
3.4.2 Analyse von Sokrates’ zweitem Einwand
4. Thrasymachos’ Gerechtigkeitskritik
4.1 Rekonstruktion von Thrasymachos’ Gerechtigkeitskritik
4.2 Analyse von Thrasymachos’ Gerechtigkeitskritik
5. Sokrates Einwände gegen Thrasymachos’ Gerechtigkeitskritik
5.1 Das Pleonexie-Argument
5.1.1 Rekonstruktion des Pleonexie-Arguments
5.1.2 Analyse des Pleonexie-Arguments
5.2 Das Kooperationsargument
5.2.1 Rekonstruktion des Kooperationsarguments
5.2.2 Analyse des Kooperationsarguments
5.3 Das Ergon-Argument
5.3.1 Rekonstruktion des Ergon-Arguments
5.3.2 Analyse des Ergon-Arguments
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der vorliegenden Hausarbeit werden die Thesen und Argumente des ersten Buches von Platons „Der Staat“ dargestellt und kritisch analysiert. Im Fokus stehen dabei die Thesen von Thrasymachos zur Frage nach Gerechtigkeit und Platons Erwiderungen, die durch den im Buch auftretenden Protagonisten Sokrates geäußert werden. Da der Philosoph Platon „Der Staat“ verfasst hat, selber aber in den Erzählungen nicht auftaucht, sondern Sokrates für die Darstellung seiner eigenen Ansichten sprechen lässt, werde ich bei der Rekonstruktion und Analyse von Platons Aussagen über „Sokrates“ schreiben, obwohl sich meine Kritik und Aussagen auf Platon als Urheber beziehen.
Strukturell werden in dieser Arbeit jeweils einzelne Passagen aus dem ersten Buch inhaltlich dargestellt und jeweils direkt im Anschluss gestützt durch Sekundärliteratur kritisch analysiert. Die Literaturverweise, die sich auf „Der Staat“ beziehen werden nach der sog. Stephanus- Paginierung getätigt, Sekundärliteratur wird mit Hilfe von Fußnoten zitiert. Um den Beginn der Diskussion zwischen Sokrates und Thrasymachos nachvollziehen zu können, werden die vorher genannten Aussagen und Fragen einleitend skizziert.
2. Skizzierung der im Vorfeld stattfindenden Diskussion um Gerechtigkeit
Mit inhaltlicher Relevanz beginnt „Der Staat“ mit einem Gespräch zwischen Sokrates und einigen anderen Anwesenden, die eine Diskussion über Gerechtigkeit beginnen. Kephalos sagt, dass der Nutzen vom Reichtum ist, niemandem etwas schuldig zu bleiben und deshalb nicht zu zu lügen. Dadurch kann einen Reichen nichts dazu verleiten, ein Unrecht zu begehen. Also ist Gerechtigkeit, nicht zu lügen und fremdes Eigentum zu respektieren (331a-b). Der Einwand von Sokrates: Einem Wahnsinnigen die Wahrheit zu sagen oder ihm seine eigenen Waffen zu geben, ist keine gerechte Handlung, da der Wahnsinnige etwas Ungerechtes mit der Wahrheit oder den Waffen anrichten könnte (331c-d).
Polemarchos bringt eine andere Definition ins Spiel: Gerechtes Handeln ist, jedem das zu geben, was ihm zusteht: den Freunden Nützliches, den Feinden Schädliches; Freunden gibt man demnach nur Gutes, Feinden nur Schlechtes (334b). Auch hier kommt Sokrates mit einem Gegenbeispiel: Wir wissen nicht, wer gut und gerecht ist und wir wissen nicht, wer schlecht und ungerecht ist, deshalb können wir aufgrund unseren eigenen Irrtums einen Fehler begehen, wenn wir einem vermeintlichen Freund etwas Gutes oder einem vermeintlichen Feind etwas Schlechtes tun, da wir bspw. einem ungerechten Freund etwas Gutes tun könnten (334c-e).
3. Thrasymachos’ Ausgangsthese
3.1 Gerechtigkeit ist der Vorteil des Stärkeren
3.1.1 Rekonstruktion von Thrasymachos’ Ausgangsthese
Sokrates fragt die Anwesenden, ob es einen anderen Vorschlag gebe, was Gerechtigkeit sei (336a). Thrasymachos schaltet sich an dieser Stelle ins Gespräch ein und behauptet, Gerechtigkeit sei der Vorteil des Stärkeren (338c). Es ist nicht eindeutig, was Thrasymachos an dieser Stelle genau damit meint und deshalb versucht er auf Nachfragen Sokrates, seine Behauptung anhand einer Analogie zu verdeutlichen: In jeder Staatsherrschaft werden Gesetze erlassen, die dem Vorteil des Herrschenden dienlich sind. Diese Gesetze gelten, da sie geboten sind und ihr Nicht-Einhalten bestraft wird, in der jeweiligen Herrschaftsform als gerecht (338d). Weil die Gesetze geboten sind, sind sie auch gerecht. Die Herrscher sind in dieser Analogie von Thrasymachos die Stärkeren, weshalb der Vorteil von ihnen, also die Gesetze, die den Herrschern dienen, von ihm als gerecht betitelt werden.
3.1.2 Analyse von Thrasymachos’ Ausgangsthese
Ob Thrasymachos mit „Vorteil“ meint, dass die Herrscher immer, unabhängig von der Staatsform, ihren eigenen Vorteil möchten oder, dass die Herrscher den Vorteil für den Staat und die ausgeübte Herrschaftsform möchten, wird hier noch nicht ganz ersichtlich. Wie sich aber im Folgenden zeigen wird, meint Thrasymachos, dass die Regierung immer zu ihrem eigenen Vorteil die Gesetze erlässt. Formal könnte man diese Äußerungen folgendermaßen darstellen:
(a) Die Herrschenden bestimmen die Gesetze so, dass diese ihren eigenen Vorteilen dienen.
(b) Die Herrschenden sind die Stärkeren.
(c) Gerecht ist das, was die Gesetze vorschreiben.
Aus diesen folgt dann: (d) Gerechtigkeit ist der Vorteil des Stärkeren. Der Gerechtigkeitsbegriff wird von Thrasymachos in (c) erst einmal nur darauf beschränkt, dass gerecht das ist, was erlaubt ist. Gerechtigkeit wird somit auf den Begriff der Legalität reduziert, die sich nach politischen Gesetzgebungen richtet.1 Es ist möglich, Thrasymachos Aussage „Gerechtigkeit ist der Vorteil des Stärkeren“ hier als rein deskriptiv zu verstehen. Kersting sieht in Thrasymachos‘ geäußerten Thesen keinen Versuch einer normativen Konkurrenzdefinition zu den vorher aufgetretenen Gerechtigkeitsbegriffen.2
3.2 Sokrates’ erster Einwand
3.2.1 Rekonstruktion von Sokrates’ erstem Einwand
Der Einwand, den Sokrates gegen Thrasymachos‘ erste These erhebt, ist, dass er auf einen Widerspruch in Thrasymachos Ausführungen hinweisen will: Die Regierung weiß unter Umständen nicht immer, was vorteilhaft für sie und ihre Interessen ist und deshalb erlässt sie bestimmte Gesetze, die ihren eigenen Interessen schaden könnten. Diese Gesetze zu befolgen, ist laut Thrasymachos gerecht, obwohl diese nicht immer vorteilhaft für die Regierung sind (339d-e). Das ist ein Widerspruch: „Daraus […] folgt […] gerecht sei – das Gegenteil von dem zu machen, was du [Thrasymachos] behauptet hast“ (339e).
3.2.2 Analyse von Sokrates’ erstem Einwand
Formal modifiziert Sokrates die Prämisse (a), bzw. weist sie zurück: (a) Die Herrschenden bestimmen die Gesetze so, dass diese ihren eigenen Vorteilen dienen, können sich dabei aber irren.
3.3 Thrasymachos’ erster Gegeneinwand
3.3.1 Rekonstruktion von Thrasymachos’ erstem Gegeneinwand
Thrasymachos weist Sokrates Einwand wiederum zurück: Wenn eine Regierung einen Fehler macht und nicht weiß, was das wahrhaft Beste und Vorteilhafte für sie ist, dann ist sie keine gute Regierung, also nicht der wirklich Stärkere (340d). Ein wahrer Herrscher, ein wahrhaft Stärkerer erlässt nur Gesetze, die für ihn das Beste sind (341a).
3.3.2 Analyse von Thrasymachos’ erstem Gegeneinwand
Thrasymachos entgegnet hier, dass die Modifizierung der Prämisse (a) von Sokrates nicht richtig sei. Er verteidigt (a) als wahr und seinen Schluss damit als korrekt. Anzumerken ist allerdings, dass (a) durch Thrasymachos’ Entgegnung auf Sokrates Einwand eine engere Bedeutung gewinnt: Ein wirklicher Meister der Herrschaftskunst ist, wer sich beim Erlassen der Gesetze nicht irrt und immer „das für ihn Beste“ veranlasst (341a). Formal wird daraus etwas, wie: (a) Die Meister der Herrschaftskunst bestimmen die Gesetze immer so, dass diese ihren eigenen Vorteilen dienen. Sein Ausgangsschluss ändert sich durch diese stärkere Lesart nicht, allerdings sieht Sokrates nun eine andere Möglichkeit, ihn zu kritisieren.
3.4 Sokrates’ zweiter Einwand gegen Thrasymachos’ Ausgangsthese
3.4.1 Rekonstruktion von Sokrates’ zweitem Einwand
Durch Thrasymachos neue engere Konstruktion der Herrschaftsdefinition sieht Sokrates hier die Möglichkeit, Thrasymachos Prämisse (a) nun auf andere Weise zu kritisieren: Anhand von Analogien versucht er zu zeigen, wie die Stärkeren, die Meister einer Kunst (bspw. Ärzte) über Objekte der Kunst (bspw. kranke Menschen) herrschen (342a-c). Daraus lässt sich nach seiner Darstellung ableiten, dass eine „Kunst“ (in dem Fall wohl eher als eine Art Profession zu verstehen) nicht den Vorteil des Stärkeren ersucht, sondern des Schwächeren (342c-d). Um beim Ärztebeispiel zu bleiben: Der Arzt (der Stärkere), der eine Kunst (Profession) beherrscht, versucht dem Schwächeren (dem Kranken) zu helfen – somit will der Stärkere den Vorteil des Schwächeren, also das genaue Gegenteil. Für Sokrates trifft das auch auf die wahre Herrschaftskunst zu, die den Vorteil für die Untertanen und nicht für sich selbst wollen sollte (342e-343a).
3.4.2 Analyse von Sokrates’ zweitem Einwand
Sokrates modifiziert (a) durch seine Ausführungen nochmal: Die Meister der Herrschaftskunst bestimmen die Gesetze so, dass diese den Vorteilen der Bevölkerung dienen. Das, was Sokrates aus seinen Analogien am Ende herauszieht, scheint intuitiv überzeugend: Eine gute Regierung tut das Beste für ihre Bevölkerung. Die Begründung die er dafür angibt, seine Analogien, sind hier allerdings weniger überzeugend. Eine Analogie als Begründung ist problematisch, weil die Eigenschaftsbeziehungen zwischen zwei Objekten, die gezeigt werden (und möglicherweise sogar stimmen), nicht auf alle Dinge mit ähnlichen Eigenschaften zutreffen müssen: Ein Meister der Führungskunst in einem großen Unternehmen ist bspw. selbstverständlich gut beraten damit, dafür zu sorgen, das Beste für seine Mitarbeiter, für die er verantwortlich ist, zu wollen. Allerdings tut er das für seinen eigenen Karrierevorteil. Das zeigt einerseits, dass die Begriffe „der Starke“ und „der Schwache“ von Thrasymachos und Sokrates zu verallgemeinernd benutzt werden, andererseits, dass Sokrates’ Analogien dementsprechend keine große Überzeugungskraft besitzen, wenn er versucht, damit zu zeigen, dass der Starke immer den Vorteil des Schwachen will. Beide Seiten pauschalisieren die vagen Begriffe „der Starke“ und „der Schwache“ zu stark, um eine substanziell wertvolle Diskussion führen zu können.
Bis zu diesem Punkt wird der Gerechtigkeitsbegriff laut Kersting von Thrasymachos auf den Begriff der Legalität reduziert (s. 3.1.2), welcher durch die Zusatzthese „Der Stärkere befiehlt, was legal ist und tut dies zu seinem Vorteil“ bis hierhin als rein deskriptive Aussage verstanden werden könnte.3 Man könnte bis zu dem Punkt der Diskussion zwischen Sokrates und Thrasymachos denken, Thrasymachos wolle die Gegebenheiten in Herrschaftsformen beschreiben, auch wenn er keine normative Definition von Gerechtigkeit anbietet.4 Doch nach Sokrates’ zweitem Einwand wird ersichtlich, worum es Thrasymachos bei seiner vermeintlichen Gerechtigkeitsdefinition ursprünglich ging und welche moralphilosophischen Annahmen er damit ausdrücken will.
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1 Kerstings, Wolfgang. 2006. Platons 'Staat'. 2. Auflage. Darmstadt: Wiss. Buchges, S.30
2 Kersting 2006, S.30
3 Kersting 2006, S.30f
4 Kersting 2006, S.31