Das Selbst vor Gott in "Die Krankheit zum Tode" von Sören Kierkegaard


Bachelorarbeit, 2010

40 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zwischen Hegel und Nietzsche – Kierkegaards Denken im Kontext zeitgenössischer Philosophie

3. Der zerrissene Mensch – Kierkegaards theologische Anthropologie in der Krankheit zum Tode

4. „L’existence précède L‘essence“ – J.-P. Sartres atheistische Alternative

5. Zusammenfassende Betrachtungen

6. Zur Aktualität Kierkegaards

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im Februar 1848 entwirft Sören Kierkegaard skizzenhaft den Grundriss für ein Werk, das den Titel „Gedanken, die von Grund auf heilen; christliche Arznei“ tragen sollte. Dieses Werk, so plante es Kierkegaard, würde aus zwei unterschiedlichen Schriften bestehen - „Die Heilung von Grund auf“ und „Die Krankheit zum Tode“.1 Nur Letztere brachte Kierkegaard schließlich zur Vollendung, doch die im ursprünglich geplanten Titel ausgedrückte Grundintention hatte sich nicht geändert. Kierkegaard, der in seiner Person die Symbiose von Arzt und Schriftsteller vorgenommen hatte, schuf eine Psychopathologie im Hinblick auf den modernen Menschen, dem er, ob jener es nun hören wollte oder nicht, schonungslos seine Krankheit diagnostizierte, ihm aber auch den Weg zur Heilung eröffnete, indem er ihm die entsprechende Arznei verordnete.

Im Folgenden soll es zunächst darum gehen, die Voraussetzungen zu erhellen, die es Kierkegaard erst ermöglichten, ein Werk wie die Krankheit zum Tode2 zu verfassen. Dies geschieht durch Hervorhebung der spezifischen Charakteristika seines Denkens, welche sich vor allem aus dem (philosophie-)historischen Kontext des Dänen ergeben. Anschließend soll die Krankheit zum Tode in ihrer Gesamtheit und ihrem Aufbau nach analysiert werden, damit es im Anschluss zu einer Untersuchung des Kierkegaardschen Menschenbildes kommen kann, welches sich mit dem im Titel dieser Arbeit auftauchenden Begriff des „Selbst vor Gott“ identifizieren lässt. Um dieses Menschenbild noch präziser zu bestimmen, wird es ferner zu einer vergleichenden Untersuchung mit der Deutung des Menschen durch J.-P. Sartre als einem hochrangigen Vertreter des sogenannten Existentialismus kommen. Im Anschluss an eine zusammenfassende, kritische Würdigung wird die Arbeit mit einem Abschnitt über die Aktualität Kierkegaardschen Denkens schließen.

2. Zwischen Hegel und Nietzsche – Kierkegaards Denken im Kontext zeitgenössischer Philosophie

Im Folgenden sollen die Koordinaten abgesteckt werden, zwischen denen sich das Kierkegaardsche Denken bewegt. Der Titel dieses Abschnitts3 nimmt bereits vorweg, dass jene sich in nicht unerheblicher Weise aus den philosophiegeschichtlichen Bezugspunkten des Dänen, allen voran Hegels spekulativer Philosophie des Geistes, ergeben. Ganz gleich ob man Kierkegaard nun als wie auch immer gearteten Junghegelianer begreift oder nicht, die zahlreichen Bezüge zum idealistischen Denken sind nicht zu leugnen4 und es ist sinnvoll Kierkegaard in seiner Aufnahme und Abgrenzung bezüglich dieses Denkens zu begreifen.5 Was Kierkegaard von Hegel hält, macht er im ersten Abschnitt der Krankheit zum Tode unmissverständlich deutlich, ironischerweise gerade dort, wo von unbewusster Verzweiflung die Rede ist.

„Nein, in einem Irrtum befangen zu sein, das ist, ganz unsokratisch, was die Menschen am wenigsten fürchten. Man kann verblüffende Beispiele dafür sehen, die das in einem ungeheuren Maßstab erhellen. Ein Denker errichtet ein ungeheures Gebäude, ein System, welches das ganze Dasein und die Weltgeschichte usw. umfasst – und wenn man sein persönliches Leben betrachtet, dann entdeckt man mit Erstaunen das Entsetzliche und Lächerliche, dass er selbst diesen ungeheuren, hochgewölbten Palast nicht persönlich bewohnt, sondern ein Wirtschaftsgebäude daneben oder eine Hundehütte oder höchstens die Pförtnerwohnung. Würde man sich erlauben, ihn mit einem einzigen Wort auf diesen Widerspruch hinzuweisen, dann wäre er beleidigt. Denn in einem Irrtum befangen zu sein, das fürchtet er nicht, wenn er nur sein System fertig bringt – mit Hilfe eines Irrtums, in dem er befangen ist.“(49)

Hegels System - ein Irrtum? Für Kierkegaard offenbar schon, denn sonst würde er, Hegel, es sich ja schließlich, im Anschluss an die bereits abgeschlossene „Wanderung des Geistes von Ionien nach Jena“6 in der Beletage seines System-Palastes bequem machen und nicht etwa in der Hundehütte oder bestenfalls der Pförtnerwohnung. Aber der unbewusst Verzweifelte lebt eben lieber im Keller seiner Residenz, daher die Diskrepanz zwischen Hegel dem selbsternannten Weltgeist in Person und Hegel dem drögen Philosophieprofessor mit unverständlich-schwäbischem Akzent.7

Was Kierkegaard bei diesen Andeutungen eigentlich im Sinn hat, ist der Zwiespalt zwischen der Hegelschen Lehre, die für sich in Anspruch nimmt das gesamte Dasein durch die Vernunft zu erklären, indem sie die Identität von Sein und Denken postuliert, und der individuellen Lebenserfahrung des Einzelnen in seiner je eigenen Existenz8. Das menschliche Leben in seiner ganzen Komplexität, so die Position Kierkegaards, entziehe sich der gesicherten Deutung durch die spekulative Vernunft.9 Für Kierkegaard liegt die Wahrheit im subjektiven innewerden des eigenen Selbst. Die absolute Deutung von Welt und Wirklichkeit in einem auf Vernunft gebauten System kann für ihn nur ein Irrtum sein, denn der Mensch taucht dort nur als Allgemeinbegriff auf10, nicht aber als das Individuum, welches er, zusätzlich zu seiner Partizipation am wie auch immer gedachten Begriff „Mensch“, immer auch ist. Deshalb haben wir es im Kierkegaardschen Werk auch immer wieder mit Phänomenen wie Angst oder Verzweiflung zu tun, die besonders den Einzelnen in seiner individuellen Existenz, welche immer die Existenz des Einzelnen vor Gott meint, betreffen.11

Kierkegaards Einwände gegen den Hegelschen Idealismus können als paradigmatisch für die Philosophie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelten.12 Auch Arthur Schopenhauer, ein Zeitgenosse Kierkegaards, konnte der idealistischen Philosophie wenig abgewinnen. Als er im Jahre 1811 in Berlin Fichtes Vorlesung Thatsachen des Bewußtseins hört, notiert er am Rande seiner Mitschrift:

„In dieser Stunde hat er […] Sachen gesagt die mir den Wunsch auspressten, ihm eine Pistole auf die Brust sezzen zu dürfen und dann zu sagen: Sterben mußt du jetzt ohne Gnade; aber um deiner armen Seele Willen, sage ob du dir bey dem Gallimathias etwas deutliches gedacht hast oder uns blos zu Narren gehabt hast?“13

Bei allen philosophischen Differenzen sowohl zwischen Hegel und Fichte, als auch zwischen Schopenhauer und Kierkegaard – der einheitliche Vorwurf dieser an jene lautet: „Ihr habt mit Hilfe einer verabsolutierten Vernunft philosophische Luftschlösser gebaut, ihr habt euch nichts Reales dabei gedacht und deshalb seid ihr keine Philosophen sondern einem phantastischen Rationalismus verfallene Scharlatane.“ Für Schopenhauer wie für Kierkegaard dachten die Denker des Deutschen Idealismus schlicht an der Wirklichkeit, am menschlichen Leben, vorbei. Die nachidealistische Philosophie hingegen wollte „die undenkbare Wirklichkeit“14 einfordern und, dies gilt besonders für Kierkegaard, einer unsokratischen Philosophie15 den Krieg erklären.

Aus dieser Kritik heraus ergibt sich ein ganz bestimmtes Konzept dessen, was Philosophie zu sein hat und worin ihre Aufgabe besteht, nämlich dem einzelnen existierenden Menschen Lebensverständigung zu ermöglichen16, was Kierkegaard der Hegelschen Philosophie aus den genannten Gründen absprechen musste. Konnte er sich noch mit dessen Diktum einverstanden erklären, dass es die Aufgabe der Philosophie sei, ihre Zeit in Gedanken zu fassen17,18, so war er sicher anderer Meinung wenn der Autor der Grundlinien der Philosophie des Rechts dort behauptete: „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.“19 Vernunft war für den Dänen eben gerade nicht alles, nicht die Gesamtheit der Wirklichkeit.

Das andere Extrem im Denken, welches dieser Art von Rationalismus gegenübersteht, ist der auch schon von Kierkegaard diagnostizierte Nihilismus, der den Sinn für das Unendliche nun wiederum vollkommen verloren hat.20 Überhaupt sieht Kierkegaard den modernen Menschen als ein innerlich zutiefst zerrissenes Wesen an, das sich entweder in schrankenloser Phantasterei am Absoluten ergötzt und dabei seine eigene Endlichkeit vergisst, oder eben jegliches Potential zum Ewigen an sich selbst leugnet und sich ins Endliche verbeißt. Die große Herausforderung, vor die sich der moderne Mensch, der nicht mehr weiß woher er kommt bzw. wer oder was er eigentlich ist, gestellt sieht, ist das Problem seiner eigenen Identität, die er als zerrüttet erfährt.21

Kierkegaards philosophische Alternative zum Hegelianismus stellt sich wie folgt dar. Er versucht, wie bereits angedeutet, anhand von individuellen Erfahrungen, Aufschluss über das menschliche Existieren zu gewinnen. Dabei wirft er aber die Vernunft nicht vollkommen über Bord. Er versucht „eine verbindliche Klärung der Frage, was es heißt, Mensch zu sein, an eine Deutung der Erfahrungsgehalte des Einzelnen“22 zu knüpfen.23 Dass seine Methodik auf die Synthese von Begründung und Erfahrung gebaut ist, macht Kierkegaard besonders im Vorwort der Krankheit zum Tode deutlich (7). Dem Einzelnen die Deutung seiner individuellen Existenz zu ermöglichen bzw. ihn in dieser Tätigkeit zu unterstützen ist es, was Kierkegaard dort mit dem Begriff „Erbauung“ meint.

Damit ist der wichtigste Grundzug der philosophischen Anthropologie Kierkegaards umrissen. „Ihr zufolge ist der Anspruch, Lebensverständigung auf eine Rechenschaft einfordernde Weise zu leisten, erst dort einlösbar, wo sich verbindliche Erklärung und individuelles Verstehen, die Wissenschafts- sowie Betroffenenperspektive, miteinander verschränken.“24 In der Krankheit zum Tode versucht er diesem Anspruch auch dadurch gerecht zu werden, dass er seine allgemeinen Analysen immer wieder anhand von Gleichnissen oder Typologien konkretisiert. Er vertritt eine Philosophie, die sich durch ihre Nähe zum gelebten Leben auszeichnet, ohne dabei ihren wissenschaftlichen Anspruch aufzugeben.

Aber wie will Kierkegaard eigentlich diese beiden so unterschiedlichen Sphären, das Allgemeine und das Besondere, im Denken zusammenbringen?

So sehr er sich auch inhaltlich und methodisch von Hegel distanziert, die Verwurzelung in der Tradition dialektischen Denkens verbindet ihn, ähnlich wie Marx, auf untrennbare Weise mit dem Autor der Phänomenologie des Geistes.25 „Wie Marx, so hat auch Kierkegaard wesentliche Züge der Dialektik Hegels übernommen, und wie Marx, so bildet auch er zugleich einen eigenen Typ von Dialektik aus.“26 Die Übereinstimmungen mit Hegel explizieren sich in der Einsicht, dass a) Dialektik als Methode den Kern des Denkens, als auch ein zentrales Element der menschlichen Wirklichkeit ausmacht, dass b) das Negative die Kraft ist, die den dialektischen Prozess am Laufen hält und schließlich positive Resultate erzeugt, sowie c) die Theorie von der dialektischen Figur einer Aufhebung und Wiederherstellung von Unmittelbarkeit, welche insbesondere für Kierkegaards theologische- und anthropologische Analysen in der Krankheit zum Tode von Bedeutung ist. Durch das Negative im dialektischen Prozess entsteht der Widerspruch, der sich dann, auch für Kierkegaard, im Denken und in der Realität äußert.27 „Kierkegaard begreift letztlich die ganze menschliche Existenz, so wie sie sich unter den gegebenen Umständen faktisch verwirklicht oder vielmehr nicht verwirklicht, als einen existierenden Widerspruch.“28

Auf einige dieser hier in aller Kürze zusammengefassten Prämissen Kierkegaardschen Denkens wird im Verlauf dieser Untersuchung noch näher einzugehen sein. Besonders anhand von Kierkegaards Menschenbild, d.h. in seiner Konzeption des menschlichen Selbst, wird sich die Eigentümlichkeit seines dialektischen Denkens herauskristallisieren.

Überdies ist zu verweisen auf die eigentümliche Verbindung von Philosophie und Theologie im Werk Sören Kierkegaards, insbesondere in der Krankheit zum Tode.29 Dort zeigt sich der Zusammenhang von Philosophie und Theologie bereits im Aufbau. Die Schrift ist aufgeteilt in einen anthropologischen ersten Teil und einen theologischen zweiten Teil. Es wird sich jedoch herausstellen, dass diese beiden Teile in einem sehr speziellen Verhältnis zueinander stehen, bei dem sich der philosophische- und der theologische Teil gegenseitig voraussetzen, wobei der theologische Teil sich letztlich als unhintergehbarer Grund der ganzen Abhandlung herausstellen wird. Mit seiner Fundierung der Philosophie in der Theologie steht Kierkegaard wiederum in der Tradition von Hegel und Schelling, die wie er davon überzeugt waren, dass die Offenbarung Gottes in Christus ein neues Denken ermöglicht habe, gleichsam eine neue Art von Vernunft konstituierte und die Bedingungen der Möglichkeit ihres Verstehens in und durch sich selbst offenbart habe.30 Ohne Christus kein Deutscher Idealismus.31 Bei Hegel handelt es sich nun allerdings um eine panlogistische Philosophie, die für sich in Anspruch nimmt, durch die Bewegung des Begriffs, die zu seiner Vervollkommnung führt, alles, und damit auch die Religion, erklären zu können. Damit fällt die Religion qualitativ in gewisser Weise unter die Philosophie. Das sieht Kierkegaard natürlich ganz anders. Für ihn steht die Religion nicht nur über der Philosophie, sondern über allem. Deshalb lassen sich Hegels radikales Systemdenken und Kierkegaards religiöse Überzeugung nicht miteinander versöhnen. Seiner Ansicht nach ist die erkennende Vernunft nicht in der Lage das zu leisten, was allein der Glaube zu leisten vermag, denn sonst wären Glauben und Wissen identisch.32 Das Kierkegaard im Gegensatz zu Hegel nicht alles, was wirklich war, für vernünftig hielt, zeigt sich an seiner radikalen Kritik der zu seiner Zeit bestehenden Christenheit in Form der dänischen Staatskirche. Kierkegaards Denken, gerade auch in der Krankheit zum Tode, ist davon angetrieben, einem aufgesetzten, zur Gewöhnlichkeit verkommenen, gelebten Christentum, den Spiegel vorzuhalten, es zu kritisieren und ihm Möglichkeiten der „Heilung“ zu eröffnen.

Aus dem Bewusstsein der Identitätsproblematik des modernen Menschen und der Wahrnehmung eines zur Etikette verkommenen öffentlichen Christentums heraus, speist sich Kierkegaards inhaltlicher und methodischer Negativismus. Damit ist eine Form von Anthropologie gemeint, die eine Deutung gelingenden menschlichen Lebens auf der Grundlage ihres Misslingens erarbeitet. Dies setzt voraus, dass sich der Mensch prinzipiell immer schon verfehlt und erst aus einer Bewusstwerdung dieses Missverhältnisses deren Überwindung möglich wird. „Die Verzweiflung selbst ist eine Negativität, und dass man über sie unwissend ist, eine neue Negativität. Um aber zur Wahrheit zu gelangen, muss man durch jegliche Negativität hindurch.“(49)33

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kierkegaard, obgleich methodisch im Hegelianismus seiner Zeit verwurzelt, als Denker mit sehr eigenständigem Profil, welches sich durch seine Betonung der Existenz des Einzelnen, seiner tiefen Prägung durch die christliche Theologie und seiner negativen Anthropologie, die seinem Bild vom modernen Menschen entspringt, auszeichnet, verstanden werden muss. Ohne Kenntnis der genannten Aspekte ist ein Großteil von Kierkegaards Werk nicht zu verstehen. Im Folgenden Abschnitt wird sich zeigen, dass insbesondere die Krankheit zum Tode diese charakteristischen Merkmale Kierkegaardschen Denkens auf facettenreiche Art und Weise in sich vereint.

3.Der zerrissene Mensch – Kierkegaards theologische Anthropologie in der Krankheit zum Tode

a) Philosophie oder Theologie?

In der Kierkegaard-Forschung der vergangenen Jahrzehnte, wie auch in den philosophischen Strömungen34 die direkt oder indirekt von Kierkegaards Werk beeinflusst waren, gab und gibt es immer wieder Versuche, die Theologie aus Kierkegaards Werk zu verbannen und ihm eine reine (Existenz-)Philosophie zu entnehmen.35,36 Nach meinem Dafürhalten sind diese Versuche, insbesondere wenn es um die Krankheit zum Tode geht, als problematisch zu beurteilen. Den ersten Teil der Schrift gesondert als philosophische Anthropologie zu begreifen, um dann den zweiten sozusagen als theologischen Anhang abzufertigen, geht nicht nur am Selbstverständnis des Autors vorbei, es übersieht auch, dass sich gewisse theologische Elemente durch die ganze Schrift hindurch ziehen und es sich zu keiner Zeit um eine vollkommen säkulare philosophische Analyse handelt. Der Mensch in der Krankheit zum Tode ist immer der Mensch vor Gott, ob es ihm nun bewusst ist oder nicht.

Dass sich die Schrift um christlich-theologische Inhalte dreht, lässt sich schon dem Titel entnehmen. Sowohl der Begriff „Krankheit zum Tode“, den Kierkegaard dem Johannesevangelium entnimmt, als auch die Spezifizierung als „christlich-psychologische Darlegung zur Erbauung und Erweckung“ verweisen auf den genuin christlich-religiösen Charakter der Schrift. Im Vorwort und in der Einleitung wird dann detaillierter erläutert, inwiefern es sich um ein christliches Werk handelt. Zunächst sei die Art der „Darlegung“ (7) christlich, denn sie zeichne sich durch ihren erbaulichen Charakter aus, das Spezifikum christlicher Wissenschaft. Christliche Wissenschaft wird in der Folge einer Wissenschaft gegenübergestellt, die Kierkegaard als „gleichgültig“ (7) bezeichnet, weil sie sich nicht um den Menschen kümmert, sondern ihr Interesse sich aus einer „Art unmenschlicher Neugier“ (7) speist. Wenig überraschend erscheint dann im Folgenden die Identifizierung dieser „gleichgültigen Wissenschaft“(7) mit jenen, die „Narretei mit dem reinen Menschen oder Ratespiele mit der Weltgeschichte […] treiben“ (7). Natürlich ist auch hier wieder Hegel das Ziel der Kierkegaardschen Polemik. Doch gerade an diesem Vorwurf lässt sich ersehen, dass für Kierkegaard Wissenschaft, und damit meint er wohl in erster Linie die Philosophie, sich nicht vom Menschen (vor Gott) trennen lässt, was wiederum das spezifisch christliche ist. Hier wird deutlich, dass die eingangs vorgebrachten Thesen zu Kierkegaards anthropologisch-philosophischem Denken christlich-anthropologisch und damit theologisch zu verstehen sind. In seiner dann folgenden Auslegung der Lazarus-Perikope wird die Krankheit zum Tode erneut explizit mit dem Christlichen in Verbindung gebracht. Das Christentum habe die Krankheit zum Tode „entdeckt“ und „nur der Christ weiß, was unter der Krankheit zum Tode zu verstehen ist.“

Ausgehend von der Intention des Autors ist also klar, dass es sich um eine dezidiert christliche Schrift handeln soll.37

b) Kierkegaards Konzeption des Selbst

Über kaum ein Theorem ist in der Kierkegaard-Forschung so viel geschrieben worden, wie über seine Konzeption des menschlichen Selbst. Es sei hier darauf verwiesen, dass, obgleich sich im ganzen Werk Kierkegaards Analysen dieser Problematik finden, ich mich ausschließlich synchron auf die Darstellungen in der Krankheit zum Tode beziehe.

Bevor Kierkegaard sich dem Phänomen der Verzweiflung, der Krankheit zum Tode, nähert, definiert er zuvor als grundlegende Voraussetzung den Menschen, so wie er seiner Meinung nach beschaffen ist.

„Der Mensch ist Geist. Doch was ist Geist? Geist ist das Selbst. Doch was ist das Selbst? Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder es ist in diesem Verhältnis jenes, dass dieses Verhältnis jenes, dass dieses sich zu sich selbst verhält; das Selbst ist nicht das Verhältnis, sondern dass sich das Verhältnis zu sich selbst verhält. Der Mensch ist eine Synthese aus Unendlichkeit und Endlichkeit, aus dem Zeitlichen und dem Ewigen, aus Freiheit und Notwendigkeit, kurz: eine Synthese. Eine Synthese ist ein Verhältnis zwischen zweien. So gesehen ist der Mensch noch kein Selbst.

Im Verhältnis zwischen zweien ist das Verhältnis als negative Einheit das Dritte, und die zwei verhalten sich zum Verhältnis und in dem Verhältnis zum Verhältnis; so ist das Verhältnis zwischen Seele und Körper unter der Bestimmung Seele ein Verhältnis. Verhält sich dagegen das Verhältnis zu sich selbst, dann ist dieses Verhältnis das positive Dritte, und das ist das Selbst.“(13)

Man sollte sich bei der Interpretation des Selbst nicht dazu verleiten lassen, den Gegenstand unnötig zu verkomplizieren, indem man beispielsweise versucht ihn durch zahllose zusätzliche erklärende Termini anzureichern oder ihn graphisch darzustellen.38 Der Sachverhalt bleibt doch immer derselbe und ist in Kierkegaards Formulierung bereits mit höchster Präzision und Dichte ausgedrückt. Jede Untersuchung muss sich Kierkegaards Formulierung zum Ausgangspunkt nehmen um früher oder später wieder zu ihr zurückzukommen. Daher handelt es sich bei jeglicher Erklärung des Selbst eigentlich immer nur um ein hermeneutisches Hinweisen auf den zu verstehenden Sachverhalt.

Vielleicht ist es am sinnvollsten vom Synthesis-Aspekt auszugehen, um von dort auszuloten, was ein Selbst ist. Die Synthese ist ein Verhältnis zwischen zweien. Sie besteht aus zwei sich antithetisch gegenüberstehenden Elementen, z.B. Unendlichkeit/Endlichkeit usw. Die Gegensatzpaare verweisen alle auf denselben Befund, nämlich, dass der Mensch einerseits in seiner faktischen, unveränderlichen Leiblichkeit „da“ ist, welche sich aus der Vergangenheit ergibt, und andererseits auf selbst-transzendierende Weise nach vorne hin offen ist, in seine Zukunft hinein, und zwar in Freiheit. Zunächst ist es diese Doppelheit, die den Menschen auf einer ersten Ebene konstituiert. Doch „so gesehen ist der Mensch noch kein Selbst“(13). Zum Selbst wird er nun dadurch, dass er sich als dieses Verhältnis sozusagen von außen anschaut. Er ist immer noch das Verhältnis, aber dieses Verhältnis ist unvollständig, bzw. noch kein Selbst, solange nicht der Aspekt des sich-zu-sich-selbst-Verhaltens hinzukommt. Das Verhältnis unterscheidet sich durch diese reflexive Tätigkeit von einem Verhältnis, welches eben nur Verhältnis, aber kein Selbst ist. Wäre der Mensch einfach nur die Synthesis, wäre Verzweiflung unmöglich. Denn diese entsteht erst dadurch, dass sich der Mensch als Selbst zu sich selbst frei verhält und dadurch die beiden Pole in ein Missverhältnis bringen kann.

Kierkegaard ergänzt im Anschluss die bisherige Darstellung vom Selbst um einen fundamental wichtigen Aspekt.

[...]


1 Vgl. GARFF, Joakim; Sören Kierkegaard – Biographie 2; Deutscher Taschenbuchverlag; München; 2006; S. 612.

2 KIERKEGAARD, Sören; Die Krankheit zum Tode – Aus dem Dänischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Gisela Perlet; Reclam; Stuttgart; 1997. – Diese Ausgabe wird im laufenden Text in Klammern zitiert.

3 Die Überschrift ist angelehnt an eine Arbeit Karl Löwiths: Zwischen Hegel und Nietzsche – Der radikale Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhunderts (siehe Literaturverzeichnis).

4 Vgl. HÜHN, Lore; Kierkegaard und der Deutsche Idealismus: Konstellationen des Übergangs; Tübingen; Mohr Siebeck; 2009. Vgl. ferner STEWART, Jon; Kierkegaard’s relations to Hegel reconsidered; Cambridge; Cambridge Univ. Press; 2003.

5 M. Theunissen formuliert hierzu programmatisch: „Es gibt in gewisser Hinsicht keinen Kierkegaard, nämlich keinen, der für sich selbst, getrennt von der Tradition Bestand hätte. Als entschiedener Oppositionsdenker löst er sich selbst in die Beziehung zu den Positionen auf, an denen er Korrekturen anbringen wollte.“ (THEUNISSEN, Michael; Kierkegaards philosophisches Profil in: DEUSER, Hermann [u.a.][Hrsg.]; Kierkegaardiana 18; C.A. Reitzels Forlag; Kopenhagen; 1996; S. 26.) – an anderer Stelle bezeichnet Theunissen Kierkegaard pointiert als „Komplementärerscheinung der ihm vorliegenden geschichtlichen Situation“ (THEUNISSEN, Michael; Das Menschenbild in der „Krankheit zum Tode“ in: THEUNISSEN, Michael/GREVE, Wilfried[Hrsg.]; Materialien zur Philosophie Sören Kierkegaards; Suhrkamp; Frankfurt am Main; 1979; S. 506f.).

6 SLOTERDIJK, Peter; Philosophische Temperamente – Von Platon bis Foucault; Diederichs Verlag; München; 2010; S. 97.

7 Kroner stellt in seinem Aufsatz Kierkegaards Hegelverständnis allerdings heraus, dass Kierkegaard durchaus auch große Bewunderung für Hegel hegte, und dass sich seine polemischen Angriffe aus einem Missverständnis der philosophischen Absichten Hegels speisten (vgl. KRONER, Richard; Kierkegaards Hegelverständnis in: THEUNISSEN, Michael/GREVE, Wilfried[Hrsg.]; Materialien zur Philosophie Sören Kierkegaards; Suhrkamp; Frankfurt am Main; S. 425-436.).

8 Kierkegaards Begriff der „Existenz“ ist sehr stark an die von ihm proklamierte Bestimmung des Menschen als Geist geknüpft, welche später noch ausführlicher thematisiert wird. Hier zeigt sich Kierkegaard stark von Sokrates beeinflusst, wenn er das Wesentliche der Existenz als beständiges Streben charakterisiert (vgl. Purkarthofer; 2005; S. 59/60) – Für K. Löwith ist der Existenzbegriff durch den sich entscheidenden Einzelnen ausgefüllt (vgl. LÖWITH, Karl; Jener Einzelne: Kierkegaard in: THEUNISSEN, Michael/GREVE, Wilfried[Hrsg.]; Materialien zur Philosophie Sören Kierkegaards; Suhrkamp; Frankfurt am Main; 1979; S. 542.). Kierkegaards Existenzbegriff ist nicht mit dem eigentlich inhaltslosen der späteren Existenzphilosophie zu verwechseln.

9 Vgl. WESCHE, Tilo; Kierkegaard – Eine philosophische Einführung; Reclam; Stuttgart; 2003; S.17.

10 „…dagegen ist christlicher Heroismus nicht, Narretei mit dem reinen Menschen oder Ratespiele mit der Weltgeschichte zu treiben.“(7); „Wenn das Gefühl solcherart phantastisch wird, dann verflüchtigt sich das Selbst nur mehr und mehr, bis es schließlich eine Art abstrakte Empfindsamkeit wird, die unmenschlich keinem Menschen angehört, sondern unmenschlich sozusagen empfindsam am Schicksal irgendeines Abstraktums partizipiert, zum Beispiel der Menschheit in abstracto.“ (34)

11 Dass der Einzelne erst vor Gott zu jenem Einzelnen wird, soll später noch ausführlich thematisiert werden.

12 „Es [Kierkegaards Werk; Anm. O.A.] ist gleichzeitig mit dem kommunistischen Manifest von K. Marx, dem Wesen des Christentums von L. Feuerbach, dem Einzigen und sein Eigentum von M. Stirner und dem Entdeckten Christentum von B. Bauer – das heißt; es gehört mit hinein in die radikale Bewegung, welche den entscheidenden Bruch mit der Vollendung des europäischen Geistes durch Hegel vollzogen hat. Sie sind allesamt Hegelianer, die sich, aus guten Gründen, gegen ihren Meister wenden.“ (LÖWITH, Karl; Jener Einzelne: Kierkegaard in: THEUNISSEN, Michael/GREVE, Wilfried[Hrsg.]; Materialien zur Philosophie Sören Kierkegaards; Suhrkamp; Frankfurt am Main; 1979; S. 539.).

13 Zitiert nach: SAFRANSKI, Rüdiger; Schopenhauer und Die wilden Jahre der Philosophie5; Fischer; Frankfurt am Main; 2008; S.214.

14 WESCHE, Tilo; Kierkegaard – Eine philosophische Einführung; Reclam; Stuttgart; 2003; S.17.

15 Unsokratisch ist sie für Kierkegaard wohl gerade auch deshalb, weil sie sich überheblich und verabsolutierend über alle realen Grenzen, auch über die Grenzen zwischen Mensch und Gott, hinwegsetzt, während Sokrates ja gerade die menschliche Begrenztheit und den Unterschied zwischen göttlicher und menschlicher Weisheit propagiert (113): „So scheint denn, ihr Männer, allein der Gott wahrhaft weise zu sein und mit seinem Orakelspruch eben dies zu meinen, dass die menschliche Weisheit nur wenig wert ist oder rein nichts. […] als ob er sagen wollte: „Der, ihr Menschen, ist unter euch der weiseste, der wie Sokrates erkannt hat, dass er, recht betrachtet, nichts wert ist, was seine Weisheit betrifft.“(PLATON; Apologie des Sokrates – Griechisch/Deutsch: herausgegeben und übersetzt von Manfred Fuhrmann; Reclam; Stuttgart; 1986; S.25.); vgl. ferner: „Doch das vollkommen Unsokratische der neueren Philosophie besteht darin, dass sie sich und uns einbilden will, dies [das lebensferne idealistische Denken des Absoluten; Anm. O.A.] sei Christentum“ (106) – in diesem Sinne wirft Kierkegaard Hegel auch im zweiten Teil der Krankheit zum Tode indirekt eine Selbstapotheose vor(113).

16 Kierkegaard versteht dies wohl im Sinne einer sokratischen Maieutik, die den Einzelnen dazu anleitet, sich selbst über sich selbst zu verständigen. Auch der Begriff der Erbaulichkeit im Titel der Krankheit zum Tode verweist auf diesen Sachverhalt.

17 Vgl. LÖWITH, Karl; Jener Einzelne: Kierkegaard in: THEUNISSEN, Michael/GREVE, Wilfried[Hrsg.]; Materialien zur Philosophie Sören Kierkegaards; Suhrkamp; Frankfurt am Main; 1979; S. 545.

18 Vgl. HEGEL, Georg Wilhelm Friedrich; Grundlinien der Philosophie des Rechts herausgegeben von Klaus Grotsch und Elisabeth Weisser-Lohmann; Felix Meiner Verlag; Hamburg; 2009; S. 15.

19 HEGEL, Georg Wilhelm Friedrich; Grundlinien der Philosophie des Rechts herausgegeben von Klaus Grotsch und Elisabeth Weisser-Lohmann; Felix Meiner Verlag; Hamburg; 2009; S.14.

20 Eine umfassendere Behandlung erfährt der Nihilismus im Werk Friedrich Nietzsches. Wie in der Überschrift angedeutet, handelt es sich bei Nietzsche, der Kierkegaards Schriften nie kennengerlernt hat, um jemanden, der gewisse Kierkegaardsche Ansätze zu Ende dachte, um dann freilich divergierende Konsequenzen aus den Erkenntnissen zu ziehen. Was beide Denker verbindet, ist ihr Interesse für den Einzelnen, der sich bei Kierkegaard Gott gegenüber als Einzelner versteht und so er selbst wird, während Nietzsche den selbstschöpferischen Übermenschen proklamiert, der ihn, Nietzsche, anachronistisch gesprochen, in die Nähe der späteren Existenzphilosophie rückt. Es kann im Rahmen dieser Arbeit aus Platzgründen nicht zu einer umfassenden Untersuchung bezüglich der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden genannten Denker kommen. Es sei daher verwiesen auf Thomas P. Miles‘ Aufsatz Kierkegaard and Nietzsche Reconsidered (in: DEUSER, Hermann/ Cappelörn, Niels Jörgen [Hrsg.]; Kierkegaard Studies Yearbook 2007; de Gruyter; Berlin/New York; 2007; S. 441-469.).

21 Vgl. PIEPER, Annemarie; Sören Kierkegaard; C.H. Beck; München; 2000; S. 105.

22 WESCHE, Tilo; Kierkegaard – Eine philosophische Einführung; Reclam; Stuttgart; 2003; S.16.

23 Vgl. WESCHE, Tilo; Kierkegaard – Eine philosophische Einführung; Reclam; Stuttgart; 2003; S.16.

24 WESCHE, Tilo; Kierkegaard – Eine philosophische Einführung; Reclam; Stuttgart; 2003; S.22.

25 So spricht etwa Purkarthofer in Bezug auf die Krankheit zum Tode von einer „Phänomenologie des kranken Geistes“(Purkarthofer; 2005; S.80.); Theunissen sieht die Bedeutung der Verzweiflungsschrift darin, das sie „einer existentiellen Neufassung von Hegels Phänomenologie“ gleicht(THEUNISSEN; 1996; S.20.).

26 THEUNISSEN, Michael; Kierkegaards philosophisches Profil in: DEUSER, Hermann [u.a.][Hrsg.]; Kierkegaardiana 18; C.A. Reitzels Forlag; Kopenhagen; 1996; S. 11.

27 Vgl. THEUNISSEN, Michael; Kierkegaards philosophisches Profil in: DEUSER, Hermann [u.a.][Hrsg.]; Kierkegaardiana 18; C.A. Reitzels Forlag; Kopenhagen; 1996; S. 12.

28 THEUNISSEN, Michael; Kierkegaards philosophisches Profil in: DEUSER, Hermann [u.a.][Hrsg.]; Kierkegaardiana 18; C.A. Reitzels Forlag; Kopenhagen; 1996; S. 12.

29 Hiermit ist auch ein wesentlicher Unterschied zu den beiden anderen großen Junhegelianern Feuerbach und Marx angesprochen. Für den Einen war Religion ihrem Wesen nach Anthropomorphismus, für den Anderen war sie „Opium fürs Volk“.

30 „Aber das Christentum, das die Paradoxa zuerst erfand, ist auch hier so paradox wie möglich;“ (114)

31 Vgl. THEUNISSEN, Michael; Kierkegaards philosophisches Profil in: DEUSER, Hermann [u.a.][Hrsg.]; Kierkegaardiana 18; C.A. Reitzels Forlag; Kopenhagen; 1996; S. 23.

32 Vgl. KRONER, Richard; Kierkegaards Hegelverständnis in: THEUNISSEN, Michael/GREVE, Wilfried[Hrsg.]; Materialien zur Philosophie Sören Kierkegaards; Suhrkamp; Frankfurt am Main; 1979; S. 426.

33 Andererseits enthält bereits Kierkegaards zu Beginn vorgenommene Analyse des Selbst eine positive Vorstellung dessen was es heißt, seiner Bestimmung als Mensch gerecht zu werden. Auch im Laufe seiner Analyse wird immer wieder deutlich, dass gerade er als Analytiker der Verzweiflung bzw. als die Krankheit diagnostizierender Arzt, bereits eine klare Vorstellung dessen hat, was Gesundheit ist: „Der Arzt dagegen betrachtet die Krankheit auf andere Weise. Und warum? Weil er eine bestimmte und entwickelte Vorstellung davon hat, wie es ist, gesund zu sein, und den Zustand eines Menschen danach prüft.“ (25)

34 Hier ist besonders auf die Existenzphilosophien von Karl Jaspers, Martin Heidegger und Jean-Paul Sartre zu verweisen.

35 Vgl. THEUNISSEN, Michael; Der Begriff Verzweiflung – Korrekturen an Kierkegaard; Suhrkamp; Frankfurt am Main; 1993.

36 „Bei dem „Referat Kierkegaards“, das in seine [gemeint ist Karl Jasper; Anm. O.A.] Psychologie der Weltanschauungen (1919) eingegangen ist, zielt er bewusst darauf ab, alles „Christliche“ wegzulassen.“ – später musste aber auch Jaspers erkennen „dass ein Philosophieren an der Hand Kierkegaards sich heimlich nährt von der christlichen Substanz, die es im Sprechen ignoriert.“(THEUNISSEN, Michael/GREVE, Wilfried[Hrsg.]; Materialien zur Philosophie Sören Kierkegaards; Suhrkamp; Frankfurt am Main; 1979; S. 63.).

37 J. Ringleben stellt heraus, dass es sich um ein doppelseitiges Verhältnis von Anthropologie und Theologie handelt, bei dem beide sich gegenseitig bedingen. Die Anthropologie erfährt sich in ihrer Vertiefung als auf das theologische Thema hinführend, damit setzt die Theologie die Anthropologie in gewisser Weise voraus und sieht sich als deren Steigerung und sinnvoller Abschluss (vgl. RINGLEBEN, Joachim; Die Krankheit zum Tode von Sören Kierkegaard – Erklärung und Kommentar; Vandenhoeck und Ruprecht; Göttingen; 1995; S. 211.).

38 J. Ringleben hat gezeigt, dass dies eigentlich prinzipiell unmöglich ist (vgl. RINGLEBEN, Joachim; Die Krankheit zum Tode von Sören Kierkegaard – Erklärung und Kommentar; Vandenhoeck und Ruprecht; Göttingen; 1995; S.55f.). Den Versuch einer graphischen Darstellung und einer vereinfachten Terminologie finden wir dennoch bei H. Deuser (vgl. DEUSER, Hermann; Grundsätzliches zur Interpretation der Krankheit zum Tode – Zu M. Theunissens „Korrekturen an Kierkegaard“ in: DEUSER, Hermann/ Cappelörn, Niels Jörgen [Hrsg.]; Kierkegaard Studies Yearbook 1996; de Gruyter; Berlin/New York; 1996; S. 117-121.).

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Das Selbst vor Gott in "Die Krankheit zum Tode" von Sören Kierkegaard
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen
Note
2,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
40
Katalognummer
V471041
ISBN (eBook)
9783668951709
ISBN (Buch)
9783668951716
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kierkegaard, Sartre, Existenzphilosophie, Philosophie, Systematische Theologie, Theologie
Arbeit zitieren
Ole Albrecht (Autor:in), 2010, Das Selbst vor Gott in "Die Krankheit zum Tode" von Sören Kierkegaard, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/471041

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