Die Rolle des Supreme Courts im politischen System Kanadas


Seminararbeit, 2005

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geschichtliche Entwicklung des Supreme Courts
2.1 Das Judicial Comittee of the Privy Council
2.2 Der Supreme Court von 1949 – 1982
2.3 Nach der Heimholung der Verfassung

3. Aufbau und Organisation
3.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen
3.2 Die Organisation der Verfassungsgerichtsbarkeit
3.3 Über Richter und Verwaltung

4. Die Rolle des Supreme Courts im politischen System
4.1 In der Verfassungstheorie
4.2 Der Supreme Court in der politischen Realität
4.3 Zusammenfassung der Bedeutung des Supreme Courts

5. Schluss

6. Literaturangaben und Erklärung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

„Rechtsstaatlichkeit bedeutet, dass die Ausübung staatlicher Macht nur auf der Grundlage der Verfassung und von formell und materiell verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zulässig ist.[1]

So definiert Klaus Stern in seinem Buch Staatsrecht den äußerst schwierigen Begriff des Rechtsstaates in einem demokratischen System. Wichtig ist hierbei, dass das Recht über dem Staat steht und dessen Macht durch das Recht begrenzt wird. In einem wirklich demokratischen System muss dieser Begriff von Rechtsstaatlichkeit für Gesetzgebung und vollziehende Gewalt gelten. Ist das Gleichgewicht zwischen Macht und Recht nicht gewährleistet, können auch die Begriffe Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit schnell an Bedeutung verlieren. Die Rechtsstaatlichkeit soll sich ferner auch zu gleichen Teilen für individuelle und gemeinschaftliche Rechte einsetzen, ist dies nicht der Fall, verliert entweder die Einzelperson oder das Kollektiv an Bedeutung. Die Demokratie ist daher nicht gesichert, der Weg zu Totalitarismus wird möglich.[2] Dementsprechend sind an das Rechtsstaatssystem in demokratischen Staaten hohe Anforderungen gestellt. Besonders die Schiedsrichter, die Gerichte, müssen stets den Ausgleich zwischen Macht, Recht, Individuum und Gemeinwohl suchen.

Der Rechtsstaat wird in demokratischen Systemen durch die obersten Gerichte geschützt, interpretiert und ausgelegt, wobei sich diese an den Grundrechten bzw. an den jeweiligen Verfassungen orientieren. Um einen autoritären Staat zu verhindern schrieb schon Aristoteles „Darum lassen wir keinen einzelnen Menschen herrschen, sondern das Gesetz.“[3]

Die Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit der Gerichte ist daher eines der wichtigsten Elemente von funktionierenden demokratischen Systemen. In Deutschland repräsentiert dies das Bundesverfassungsgericht, in Großbritannien ist es das Judicial Comitte of the Privy Council oder in den USA der Supreme Court.

In der folgenden Seminararbeit soll nun ein Gerichtshof eines weiteren interessanten, demokratischen Landes ins Rampenlicht gerückt werden: Der Supreme Court (SC) in Kanada. In diesem noch relativ jungen, demokratischen Land verlief die Entwicklung des Hüters der Rechtsstaatlichkeit etwas anders als z.B. in den europäischen Staaten.

Welche historische Entwicklung durchlebte der oberste Gerichtshof in Kanada, welche Rolle und welchen Aufbau hat er und wie spiegelt er die Rechtsstaatlichkeit wider? All diese Fragen sollen nun im Folgenden beantwortet werden. Um den Aufbau und die Rolle des SC verstehen zu können, ist es zunächst einmal nötig, sich auf die geschichtliche Entwicklung des Gerichtshofes zu fokussieren. Im Anschluss daran folgen Aufbau und Organisation, sowie die Rolle des Gerichtes im politischen System Kanadas. Die Rechtsstaatlichkeit, und ob der kanadische SC diese widerspiegelt, wird im Schlusskapitel der Arbeit behandelt. Doch zunächst einmal zur historischen Entwicklung des SC.

2. Geschichtliche Entwicklung des Supreme Courts

2.1 Das Judicial Comittee of the Privy Council

„Die Geschichte des Rechtsstaates ist eine weit in die europäische Rechtsentwicklung zurückreichende Ideen und Institutionsgeschichte.“[4]

Diese alte rechtsstaatliche Tradition Europas lässt sich auf das noch relativ junge Land Kanada – 1867 kommt es zur Gründung des Bundesstaates United Dominion of Canada durch alle britischen Besitzungen außer Neufundland[5] – nicht direkt übertragen. Die Rechtsstaatsgeschichte in Kanada ist vor allem noch jung, weil das Land noch lange Zeit den Status einer Kronkolonie hatte und somit die letzte gerichtliche Instanz in Großbritannien lag. Das kanadische Staatsoberhaupt war und ist bis heute formal die Queen, oberste Legislative war das britische Parlament und die höchste Gerichtsbarkeit lag in den Händen des Judicial Comittee of the Privy Council. Das höchste britische Gericht, welches sich aus den 26 Law Lords des britischen Oberhauses zusammensetzt, war lange Zeit auch die letzte Instanz für die Kronkolonie Kanada.[6] Trotz allem gab es natürlich auch in Kanada eine Justiztradition, die besonders auf die im 18. Jahrhundert entstehenden Gerichte in Lower Canada[7] und Upper Canada[8] zurückzuführen ist.

Im britischen Upper Kanada baute die Rechtsstaatlichkeit auf der ungeschriebenen britischen „Verfassung“ auf, die sich aus der Magna Carta von 1215, dem Common Law und anderen Traditionen und Gewohnheiten zusammensetzte. Eine geschrieben Verfassung gibt es im traditionell demokratischen Großbritannien bis heute nicht, das ungeschriebene Gesetz und die Parlamentssouveränität[9] hatten sich stets bewährt.[10] Auch in Upper Canada übernahm man vorerst diese typisch britischen Elemente des politischen Systems.

Im französischen Lower Canada hatte man eine für Frankreich typische festgeschriebene Verfassung und ein Zivilrecht, welches nicht auf Traditionen und Gewohnheiten aufbaute, sondern durch in einem Grundrechtskatalog festgehaltene Rechte und Pflichten. Auch nach der Niederlage Frankreichs 1759 und der anschließenden Einverleibung Lower Canadas behielt man den französischen Verfassungstext bei, und übernahm sogar später den Code Napoléon als eigenes Zivilrecht.[11] Diese beiden unterschiedlichen Prinzipien liefen bis 1774 inoffiziell parallel, „im Québec Act 1774 erkannte England die Besonderheiten seiner neuen Provinz an,[12] Lower Canada, nun Québec, musste aber Kriminal-, Zivil- und Kirchenrecht britischer Façon anerkennen. Akzeptieren oder übernehmen musste die französischsprachige Region jedoch nichts, ihre Eigenheit blieb somit gewahrt. Mit dem Constitutional Act 1791 entstanden die Provinzen Québec und Ontario, wobei für jede Provinz Gerichtshöfe nach britischer Tradition[13] eingerichtet wurden.[14]

Eine einheitliche Gerichtsbarkeit sollte sich von nun an, trotz eines bipolaren Systems, entwickeln können. Vereint wurden die Rechtssysteme erstmalig mit dem sogenannten Union Act 1840, durch den in Ontario das erste gemeinsame Appelationsgericht entstand, welches in beiden Provinzen Gehalt und Position der Richter festlegte. Mit dem British North America Act 1867 (BNA)[15] vereinigten sich die Provinzen Québec, Ontario, Neu Schottland und Neu Braunschweig zur Vereinigten Provinz Kanada und gaben sich letztendlich eine gemeinsame, aber uneinheitliche Jurisdiktion. Kanada war von nun an eine parlamentarische Monarchie mit einem Zwei-Kammer-System[16], einer doppelköpfigen Exekutive[17] und einem starken Föderalismus[18]. Alle Gerichte unterstanden dem schon erwähnten Judicial Comittee of the Privy Council (JCPC) in London, alle Richter wurden nun durch das Staatsoberhaupt, den Generalgouverneur in Vertretung für die Queen ernannt.[19] Der BNA garantierte ferner, dass sich das neu gegründete Kanada einen eigenen, unabhängigen obersten Gerichtshof schaffen konnte und sollte.[20] Nach zwei gescheiterten Gesetzesentwürfen 1869 und 1875 einigten sich die Provinzen und die Bundesregierung Kanadas im Jahre 1875 auf die Gründung des Supreme Courts.[21] Nach dem Eid der Richter und einer Festlegung der Gerichtsregeln fand die erste richtige Gerichtsverhandlung erst im April 1876 statt.[22] Der SC war von nun an höchste kanadische(!) Instanz bei Zivil und Strafrechtsfällen, Grundrechte konnten hingegen mangels eines Grundrechtekataloges nicht eingeklagt werden. Auch Fälle, die eine Änderung des BNA betreffen sollten, gingen jedoch weiterhin an das JCPC, das bis 1949 noch als letzte Instanz für Kanada erhalten bleiben sollte.

Die zwei gescheiterten Gesetzesentwürfe zur Entstehung des SC zeigten schon, wie schwierig es war, die durch den Föderalismus erstarkten Provinzen, insbesondere das etwas andere Québec, zu einer gemeinsamen Entscheidungen zu bringen. Die starke Konkurrenz[23] zwischen Bund und Provinzen entstand in dieser Zeit als Phänomen für Kanada, genauso wie der Begriff der Patriation[24]. Das Ziel, die kanadische Verfassung von allen britischen Zuständigkeiten und Verbindungen zu lösen und sie somit „Heim nach Kanada zu holen“, war ein Phänomen, das die politischen Geschicke des Landes über 115 Jahre mitbestimmen sollte. Vor allem das JCPC als oberster Gerichtshof, sowie das britische Parlament, das immer noch über Verfassungsänderungen in Kanada mit zu entscheiden hatte, waren ausschlaggebende Faktoren für eine erfolgreiche Patriation.[25] Die Ablösung der Kompetenz des britischen Parlaments sollte sich noch bis 1982 hinauszögern, das bis dahin noch immer als Letztes über Verfassungsänderungen zu entscheiden hatte.[26] Immerhin gelang es mit dem Supreme Court Act 1949 Kanada noch ein Stück weiter von Großbritannien zu lösen, was natürlich auch zu einer veränderten Entwicklung in der Geschichte des Gerichtshofes führen sollte.[27]

[...]


[1] (Vgl.: Definition aus: Klaus Stern: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland; Beck Verlag München; München 2000)

[2] (Vergleiche Michael Piazolo: Der Rechtsstaat, S.19ff; Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit; München 2004)

[3] (Vgl.: Aristoteles: Nikomachische Ethik, Buch 6; Philipp Reclam Verlag; Stuttgart 2003)

[4] (Vergleiche.: Michael Piazolo: Der Rechtsstaat, S.32;)

[5] (Vgl.: Wolfram Schwachulla: Der Brockhaus in einem Band, S.443; F.A. Brockhaus Verlag; Mannheim 2004)

[6] (Vgl.: Emil Hübner, Ursula Munch: Das politische System Großbritanniens, S.140; Beck Verlag; München 1998)

[7] (Anmerkung des Verfassers: Das heutige Québec)

[8] (Anm. d. Verf.: Das heutige Ontario)

[9] (Prinzip: Das Parlament ist absoluter Souverän in Großbritannien und würde über, nicht unter einer Verfassung stehen. Seine Entscheidungen sollen notfalls nicht durch feststehende Regeln oder Gesetze erschwert werden. Demnach wäre eine geschriebene Verfassung für das politische System eher hinderlich.

[10] (Vgl.: Bernhard Knopp, Corienne Naumann-Breeze: Words in Context, S.5ff; Ernst Klett Verlag; Stuttgart 1993)

[11] (Vgl.: Landeszentrale für politische Bildungsarbeit: Partner Québec, S.8ff.; Verlag Heike Schaefer; München 2003)

[12] (Vgl.: Partner Québec, S.10ff.)

[13] (In Québec: mit französischem Recht)

[14] (Vgl.: www.scs-csc.gc.ca/aboutcourt/creation/index_e.asp ; Download am 5.11.2005 13.44 Uhr)

[15] (Für Kanada ist der BNA die erste Verfassung. Allerdings fehlte in dieser Verfassung ein Grundrechtekatalog)

[16] (Ein starkes Unterhaus und ein schwacher Senat mit suspensivem Veto)

[17] (Generalgouverneur als Staatsoberhaupt, Premierminister als Führer der Exekutive)

[18] (Provinzen sollten viel Eigenverantwortung übernehmen. Eine klare Verantwortungsteilung war geplant, es kristallisierte sich jedoch eine Verantwortungsvermischung heraus, die zu typischen föderalistischen Zuständigkeitsstreitigkeiten führen sollte.)

[19] (Kanada ist auch heute noch, streng genommen eine parlamentarische Monarchie, das Staatsoberhaupt ist der Governor General, der noch immer der Vertreter der Queen ist. Näheres bei: Karl Lenz: Kanada, S.266ff.; wissenschaftliche Buchgesellschaft; Darmstadt 2001)

[20] (Natürlich beschreibt der BNA auch andere wichtige Aspekte zum politischen System Kanadas, wie Legislative, Exekutive und den Föderalismus, für diese Arbeit entscheidend sind jedoch vor allem die Änderungen in der Judikative.)

[21] (Vgl.: www.scs-csc.gc.ca/aboutcourt/creation/index_e.asp ; Download am 5.11.2005 13.44 Uhr)

[22] (Am ersten offizielle Gerichtstag am 17.Januar gab es keinen einzigen Fall für den obersten Richter William Bell Richards und seine Richter. Erst 1877 nahm der Supreme Court seinen regulären dienst auf. Näheres unter: http://www.dfait-maeci.gc.ca/canadaeuropa/germany/aboutcanada06-de.asp; 10.11.2005 16.53 Uhr)

[23] (Der eher ausgeprägt Föderalismus konnte natürlich durch die berechtigte, ständige Rücksichtnahme auf Québec erst so weit gedeihen, dass es mittlerweile möglich ist sich durch ein Referendum von Kanada abzuspalten. Näheres über Föderalismus bei: Roland Sturm: Föderalismus in Deutschland, S.9-22; Landeszentrale für politische Bildungsarbeit; München 2003)

[24] (Der deutsche Begriff „Heimholung“ ist nur bedingt verwendbar)

[25] (Vgl.: http://laws.justice.gc.ca/en/const/index.html ; 10.11.2005 17.11 Uhr

[26] (Gemeint ist hierbei das Statute of Westminster von 1931, Das Britische Parlament war nur noch auf Anfrage durch die Kanadische Regierung in dieser Hinsicht tätig, blieb jedoch formal letzte Instanz bei einer Verfassungsänderung)

[27] (Peter H. Russel: A Constitutional Odyssey – Can Canadians become a Souvereign People?; University of Toronto Press; Toronto 2004)

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Rolle des Supreme Courts im politischen System Kanadas
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (GSI)
Veranstaltung
Übung politische Systeme
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
22
Katalognummer
V47316
ISBN (eBook)
9783638442916
ISBN (Buch)
9783638659321
Dateigröße
653 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit gibt einen Überblick über die Entstehung, Aufbau und Organisation sowie die Bedeutung des obersten Gerichtshofes in Kanada. Ein Vergleich mit dem Bundesverfassungsgericht, sowie ein allgemeiner Einblick in die kanadische Rechtsgeschichte lässt sich durch die Lektüre ebenfalls erreichen. Interessant für Amerikanisten, Jurastudenten und natürlich Studenten der politischen Wissenschaft
Schlagworte
Rolle, Supreme, Courts, System, Kanadas, Systeme, Geschichte Kanadas, Rechstlehre, Jura, Vergleichende Politikwissenschaft
Arbeit zitieren
Stefan Plenk (Autor:in), 2005, Die Rolle des Supreme Courts im politischen System Kanadas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47316

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