Unterrichtseinheit: Der Versailler Friedensvertrag (9. Klasse)


Unterrichtsentwurf, 2001

18 Seiten


Leseprobe


I. Planungsbegründung

Der Inhalt dieser Stunde ist insofern vorgegeben, als von der Themeneinheit 12 des an den Richtlinien ausgerichtete Stoffverteilungsplan, der Themeneinheit „Heil Dir im Siegerkranz“, nur noch der Versailler Vertrag nicht thematisiert worden ist.

Um aber in dieser Hinsicht nichtsdestotrotz Autonomie unter Beweis zu stellen, werde ich kurz darlegen, wie ich den Unterrichtsinhalt „Versailler Vertrag“ einschätze.

Wenn ich ihn von der fachwissenschaftlichen Seite her betrachte, stellt sich die Bewertung äußerst ambivalent dar. Auf der einen Seite läßt sich der Versailler Vertrag als wichtige Kriegsfolge und damit auch als eine bedeutsame Ursache für das Scheitern der Weimarer Republik begreifen. Die im Versailler Vertrag bestimmte Alleinschuld und die Reparationsforderungen stellen für die junge Republik eine hohe materielle wie psychologische Belastung dar. Die junge Demokratie konnte so mit der schweren Niederlage Deutschlands gleichgesetzt werden. Den Nationalsozialisten bot sich die Möglichkeit, gegen die Demokratie zu sprechen, weil jeder Schlag gegen sie als Schlag auch gegen die mit ihr gleichgesetzte „Schmach von Versailles“ gewertet werden konnte. Damit wurde weiter in eine Kerbe geschlagen, die bereits durch die „Dolchstoßlegende“ und das Gerede von den „Novemberverbrechern“ weit eingehauen war. Die Parteien, die nun für den Vertrag stimmten und die für die Verteidigung der Republik sehr bedeutsam waren, würden für große Bevölkerungsteile kaum noch eine Identifikationsmöglichkeit bieten. Als die Regierung den Vertrag nicht nur unterzeichnete, sondern den darin enthaltenen Forderungen auch noch nachkam, würde das Schlagwort der „Erfüllungspolitik“ als Propaganda hinzutreten.

Bedeutsam ist der Vertrag ferner, weil mit ihm nicht nur die junge demokratische Staatsform assoziiert und diskreditiert wurde, er ist auch wichtig, weil die Völkerbundssatzung dem Versailler Vertrag vorangestellt ist – auf diese Weise hatte Wilson den Vertrag für den heimischen Senat annehmbar machen wollen. Die Nationalsozialisten hatten so leichtes Spiel, auch gegen den Völkerbund zu sprechen, der sich ohnehin in einer schwachen Position zeigte.

Auf der anderen Seite besteht aus fachwissenschaftlicher Sicht aber die Gefahr, daß der Geschichtslehrer, indem er den Unterrichtsinhalt „Versailler Vertrag“ auf diese Weise, nämlich mit seiner Bedeutung für das Scheitern der Republik begründet, genau der rechten Propaganda der damaligen Zeit erliegt. Denn gerade Brüning, der Sparkanzler, rechtfertigte – psychologisch kaum ungeschickter handhabbar – seine strikte Deflationspolitik damit, daß man um der Franzosen willen sparen und noch mehr sparen müsse.

Dabei stellt sich der Erste Weltkrieg aus einer etwas distanzierteren Sicht gerade als Krieg heraus, der keinen Gewinner kennt. Außer den USA hatten alle Beteiligten verloren, auch, ja insbesondere, Frankreich, auf dessen Territorium sich der Krieg hauptsächlich abgespielt und das Land geradezu umgepflügt hatte.

Die Reparationsforderungen waren also so unberechtigt nicht, zumal ja die USA ihre Kredite unnachgiebig von Frankreich zurückforderten.

Aber die Reparationenfrage ist auch nicht so schwerwiegend, wie es die rechte Seite die Bevölkerung glauben machen wollte. Entscheidend ist vielmehr das Kriegsjahr 1917, als sich die Oberste Heeresleitung für das „Alles-auf-eine-Karte-Setzen“ entschieden hatte und dabei keine Kosten für die Rüstungsproduktion gescheut hatte. Die deutschen Kriegskosten betrugen 160 Mrd., die der Staat sich per Kriegsanleihen beschafft hatte und wodurch er schließlich achtmal verschuldet war. 75 Prozent der Kriegskosten fielen allein in die letzten beiden Kriegsjahre; so kostete nur der Rückzug der deutschen Armee 1918 mehr, als der ganze 1870/71er Krieg Bismarcks. Der als Reparationen zu zahlende Betrag von 50 bis 60 Mrd. erscheint vor dieser Summe fast unbedeutend.

Durch die Hyperinflation und die anschließende Währungsreform wurde diese Last auf die Bevölkerung abgewälzt, v. a. auf diejenigen, die ihr Geld in Kriegsanleihen investiert hatten, und der Staat war entschuldet.

Brüning hingegen betonte allein die Reparationen und verschwieg, daß das eigentliche Problem in der deutschen Kriegsverschuldung lag, so daß er sich die Möglichkeit eines Lastenausgleichs verbaute. Hätte er gesagt, man müsse jetzt zusammenstehen, wäre so etwas möglicherweise durchzusetzen gewesen, aber nun lag ja alle Schuld an der mißlichen Lage bei den Franzosen. Brüning versuchte so auch die Reparationen ohne eine besondere Steuer mit dem normalen Haushalt zu lösen, was scheitern mußte.

Ich habe die fachwissenschaftliche Kontroverse so ausführlich dargestellt, um meine Unsicherheit auszudrücken, ob es gerechtfertigt ist, dem Thema immerhin zwei Schulstunden des stundenmäßig nicht gerade großzügig versehenen Geschichtsunterrichts zu widmen.

Von einem mehr den Schüler fokussierenden Didaktikverständnis aus gesehen, habe ich nun zudem die sozialkulturellen und psychologisch-anthropologischen Voraussetzungen hinsichtlich des Stundenthemas zu reflektieren.

Zunächst erschien mir der recht hohe Ausländeranteil der Klasse bedeutsam. Ich würde möglicherweise nicht ein besonders ausgeprägtes Interesse einer Vielzahl von Schülern an gerade deutscher Geschichte voraussetzen können. Der Versailler Vertrag war aber ein Thema, das vom Welt krieg wieder auf die enger nationale , nämlich deutsche Geschichte zurückführte. Die oben vorgestellte einseitige, sich schon aus fachwissenschaftlichen Gesichtspunkten verbietende Deutung des Versailler Vertrages mußte ich also um so mehr zu vermeiden bemüht sein, zumal ein Schüler französischer Herkunft war, wenn auch zugewanderter französischer Herkunft. Ich war damit vor die Schwierigkeit gestellt, den Schülern zu vermitteln, daß geschichtliche Vorkommnisse eine Sache sind, ihre zeitgenössische Wahrnehmung und ihre Instrumentalisierung durch Demokratiefeinde aber eine andere ist; denn wenn der Versailler Vertrag damals auch überbewertet worden war, seine Überbewertung hatte nichtsdestotrotz schlimme Folgen gezeitigt.

Was die psychologisch-anthropologischen Voraussetzungen angeht, war mir schon aus meiner Schulzeit bekannt, daß es geradezu ein Geschichts-Gen geben müsse, mit dem einige Schüler bedacht waren und andere nicht. Geschichte war mir neben Mathematik als das Fach in Erinnerung geblieben, an dem sich die Klasse wirklich in zwei Lager spaltete: in eins, daß Geschichte zutiefst haßte, und eins, wesentlicher kleiner als das erste, das ihr frönte.

Diesen vorkritischen Befund aus meiner eigenen Schulerfahrung fand ich bei dem Geschichtsdidaktiker Borries bestätigt.[1] Dort wird für Deutschland bezüglich der „allgemeinen Motivation für Geschichte“[2] ein Wert von ca. -0,1 angegeben. Der Wert

-1 bezeichnet in der Grafik ein niedriges Interesse an Geschichte, der Wert +1 ein hohes; der Wert 0 ist der internationale Mittelwert. Deutschland liegt damit – wenn auch nur geringfügig – unterhalb des internationalen Mittelwertes, ist aber noch weit entfernt von Werten, wie sie die Niederlande, Großbritannien oder Slowenien aufweisen, für die hinsichtlich der allgemeine Motivation für Geschichte ein Wert von ca. -0,5 angegeben ist.

[...]


[1] Vgl. Bodo von Borries, Jugend und Geschichte. Ein europäischer Kulturvergleich aus deutscher Sicht. Unter Mitarbeit v. Andreas Körber u. a. (Opladen: 1999) (Reihe Schule und Gesellschaft, hrsg. v. Franz Hamburger u. a., Bd. 21).

[2] Ebd., S. 300.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Unterrichtseinheit: Der Versailler Friedensvertrag (9. Klasse)
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal  (Geschichte)
Autor
Jahr
2001
Seiten
18
Katalognummer
V4743
ISBN (eBook)
9783638128995
ISBN (Buch)
9783638930949
Dateigröße
521 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Martin Walser behauptete am 8. Mai 2002 im Gespräch mit Schröder, der Versailler Vertrag sei wesentlich schuld an der verhängnisvollen Entwicklung der Weimarer Republik. Mein Unterrichtsentwurf räumt auf mit dieser fatalen Fehldeutung und lehrt zu unterscheiden zwischen der realen Bedeutung eines Ereignisses und seiner Perzeption. Wenn es gelingt, das Schülern zu vermitteln, ist viel erreicht.
Schlagworte
Unterrichtseinheit, Versailler, Friedensvertrag, Klasse)
Arbeit zitieren
Marcel Haldenwang (Autor:in), 2001, Unterrichtseinheit: Der Versailler Friedensvertrag (9. Klasse), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4743

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