An Heinrich Wittenwilers Ring, entstanden um 1400, scheiden sich die Forschungsgeister. Größtenteils wird das Werk im Kontext höfischer Literatur gesehen, was zu einer Fokussierung auf die teilweise stark herausgearbeiteten sexuellen Elemente führt. Diese oft detaillierten Beschreibungen von Genitalen und sexuellen Handlungen, die als häufig als „mehr oder weniger unterhaltsame“ Teile einer moralisch-didaktischen Erzählung angesehen werden, brachten dem ‚Ring’ einen (unverdienten) Ruf von Obszönität ein. So bezeichnet Jürgens-Lochthove, die sich in ihrem Buch eingehend mit dem Obszönen im ‚Ring’ auseinandergesetzt hat, als „eine sich selbst genügende literarische Gestaltung des Sexuellen, die auf der Freude an Sexualität beruht und der man möglicherweise den Stimulationseffekt, der häufig mit obszönen Inhalten verbunden ist, nicht ganz absprechen kann.“ Eine solche Beurteilung, so Schmitt, kann nur das Resultat einer Betrachtung der Handlung in deren gestalterischem Zusammenhang mit der höfischen Literatur sein, weswegen die Forschung oft genug versuche, den Kontrast zwischen höfischer Minne, welche als ’natürlich’ angesehen ist, und des auf die körperliche Ebene beschränkten Werbens von Bertschi hervorzuheben.
In dieser Diskussion kommt allerdings die Frage, ob sich Sexualität und Geschlechteridentität (gender) in Wittenwilers ‚Ring’ tatsächlich als etwas Natürliches oder von Gesellschaft und Kultur Konstruiertes darstellen, zu kurz. Bereits Judith Butler hebt hervor, dass Sexualität „immer durch Diskurs und Machtverhältnisse konstruiert ist, wobei der Begriff „Macht“ teilweise im Sinne heterosexueller und phallischer Kulturkonventionen verstanden wurde“5, weswegen es keine Sexualität „vor“, „außerhalb“ oder „jenseits“ solcher Machtverhältnisse geben könne. Dabei ergibt sich durch die Schaffung einer ’natürlichen Heterosexualität’, innerhalb derer Geschlechteridentitäten als binär -nämlich männlich und weiblich - dargestellt werden, eine „innere Kohärenz“ von sex(biologisches Geschlecht) und gender(Geschlechteridentität).
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Protagonisten
- Hofieren mit stechen und turnieren
- Mätzli auf dem Speicher
- Mätzlis "sexual awakening"
- Mätzli beim Arzt
- Festlegung von Geschlechterdifferenz durch Gewalt
- Geschlecht sozial-kulturell definiert
- Die Hochzeit
- Die Hochzeitsnacht
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Darstellung von männlicher und weiblicher Sexualität in Heinrich Wittenwilers „Ring“, entstanden um 1400, und analysiert, wie Geschlechteridentitäten und Machtverhältnisse im Kontext des Werks konstruiert werden. Insbesondere steht die Figur Mätzli im Fokus, deren sexuelle Identität vor dem Hintergrund der literarischen Tradition der Fabliaux betrachtet wird.
- Die Konstruktion von Geschlechteridentitäten und Machtverhältnissen in „Ring“
- Die Darstellung von männlicher und weiblicher Sexualität in der frühen Neuzeit
- Die Rolle der Figur Mätzli und ihre Bedeutung für die Darstellung von weiblicher Sexualität
- Der Einfluss höfischer Literatur auf die Gestaltung von Geschlechterphantasien
- Die Auseinandersetzung mit dem „Obszönen“ in „Ring“ und seine literarische Funktion
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik des Werks ein und stellt die Forschungsdiskussion um „Ring“ dar. Sie zeigt auf, dass die Fokussierung auf die sexuellen Elemente des Werks zu einer Vernachlässigung der Frage führt, ob Sexualität und Geschlechteridentität in „Ring“ tatsächlich als etwas Natürliches oder als gesellschaftliches Konstrukt dargestellt werden.
Kapitel 2 stellt die Protagonisten, Bertschi Triefnas und Mätzli Rüerenzumph, vor und erläutert ihre Darstellung im Kontext höfischer Konventionen. Bertschis Selbstinszenierung als „junkherr“ wird ironisch dargestellt, während Mätzli durch ihre Beschreibung als „Bauerndirne“ in ihrer Funktion innerhalb einer heterosexuell ausgerichteten Beziehung positioniert wird.
Kapitel 2.1 analysiert Bertschis „Liebe“ zu Mätzli und seine Bemühungen, sie durch ein Turnier zu gewinnen. Die detaillierte Beschreibung des Turniers wird als phallische Symbolik interpretiert, welche die sexuellen Aspekte des Werks und die Konstruktion von Geschlechterrollen im Kontext von Machtverhältnissen verdeutlicht.
Schlüsselwörter
Geschlechterphantasien, Geschlechteridentität, Sexualität, Fabliaux, höfische Literatur, „Ring“, Wittenwiler, Bertschi Triefnas, Mätzli Rüerenzumph, phallische Symbolik, Machtverhältnisse, binär generiertes Geschlechtersystem, gender-Konstruktion.
- Arbeit zitieren
- Nadine Scherny (Autor:in), 2005, Geschlechterphantasien der frühen Neuzeit: Wittenwilers 'Ring', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47485