„Por mi raza habla el espiritu“ sind die Worte, die auf dem Stein des berühmten Bibliotheksgebäudes der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) weit sichtbar geschrieben stehen. Sie stammen von dem mexikanischen Philosophen und Schriftsteller José Vasconcelos, der im ideologischen Vakuum, das nach der Revolution Anfang der 1920er-Jahre entstand, mit seinen Überlegungen zur „Mestizaje“, der „iberoamerikanischen“ und der „kosmischen“ Rasse der mexikanischen Gesellschaft eine neue Identität gab, die diese bis heute prägt. Der Literaturnobelpreisträger und wichtigste mexikanische Intellektuelle des 20. Jahrhunderts, Octavio Paz, unterstrich bereits im Jahre 1950 die Bedeutung Vasconcelos, da für ihn schon damals „sein kurzes, doch segensreiches Werk [...] im wesentlichen noch lebendig [ist]“. Und die Literaturwissenschaftlerin Silvia Spitta schrieb Ende der 1990er über Vasconcelos Hauptidee der raza cósmica, dass „se ha vuelto [...] un concepto fundacional no sólo en México y toda Latinoamérica sino que también en el pensamiento chicano al norte del río Grande“. Der Philosoph Manuel Vargas meinte zudem, dass sich erst mit dem Zapatisten-Aufstand im Jahre 1994 eine neue Diskussion über Vasconcelos Werk entsponnen hätte.
Die Renaissance des Hauptwerkes von Vasconcelos ist jedoch mitnichten der einzige aktuelle Versuch, eine kollektive Identität zu definieren. Im Zuge der Debatten über die grassierende neoliberale Globalisierung und die Neuen Weltordnung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind immer wieder dergleichen Versuche zu entdecken, um Kräfte in Blöcken zu mobilisieren. Spätestens bei der durch das enge Abstimmungsverhalten der Dritten Welt gescheiterten Weltwirtschaftskonferenz 2003 in Cancún erlebte auch die Bewegung des Tercermundismo, der eigentlich durch das genannte Ende der bipolaren Weltordnung ihre ursächliche Motivation fehlt und demnach als abgeschlossen galt, ihre vielbeachtete Renaissance. Die Hintergründe dieser beiden überraschenden „Wiedergeburten“, die beide auf ihre Art die Konstruktion einer lateinamerikanischen Identität anstreben, wird das vorliegende Buch beleuchten, um der Frage auf den Grund zu gehen, wodurch die Suche nach einer kollektiven Identität motiviert ist und was ihre Folgen sind.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- La Raza Cósmica
- Rassismus: Begriffserklärung
- Das Konzept der Mestizaje
- Hauptthesen des Prolog-Essays von La Raza Cósmica
- José Vasconcelos
- Die Rassenkonzeption Vasconcelos
- Tercermundismo
- Tercermundismo und Globalisierung: Begriffsklärungen
- Etymologie: Die Dritte Welt
- Tercermundismo: Eine Definition
- Tercermundismo und Neo-Tercermundismo
- Tercermundismo: 1955 bis 1989
- Neo-Tercermundismo in Lateinamerika (seit 1989)
- Fazit
- Analyse der rassistischen Konzepte in „La Raza Cósmica“
- Untersuchung der Hauptthesen des Tercermundismo
- Bewertung der Tragfähigkeit von „La Raza Cósmica“ und Tercermundismo in einer modernen Gesellschaft
- Diskussion der Folgen von Identitätskonstruktionen für die Gesellschaft
- Bedeutung von kollektiver Identität in der Globalisierung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Konstruktion lateinamerikanischer Identität in zwei unterschiedlichen Kontexten: dem Werk „La Raza Cósmica“ von José Vasconcelos und der Bewegung des Tercermundismo. Die Untersuchung soll aufzeigen, welche Ideen diesen Konstruktionen zugrunde liegen, welche Folgen sie haben und ob sie in einer modernen Gesellschaft überhaupt tragbar sind.
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung stellt die beiden zentralen Themen der Arbeit vor: La Raza Cósmica von José Vasconcelos und die Bewegung des Tercermundismo. Sie zeigt auf, dass beide Konzepte auf die Konstruktion einer lateinamerikanischen Identität zielen und dass sie eine Renaissance erleben, die im Kontext der Globalisierung und der neoliberalen Weltordnung zu verstehen ist.
2. La Raza Cósmica
Dieses Kapitel analysiert das Werk „La Raza Cósmica“ von José Vasconcelos im Hinblick auf die darin enthaltenen rassistischen Konzepte. Dabei wird insbesondere auf die Definition von Rassismus eingegangen und die Ideen von Rasse und Rassismus, die Vasconcelos in seiner Konzeption der Mestizaje und der raza iberoamericana bzw. der raza cósmica verwendet, analysiert.
3. Tercermundismo
Das Kapitel befasst sich mit der Bewegung des Tercermundismo und seiner historischen Entwicklung. Es untersucht die Begriffserklärung des Tercermundismo im Kontext der Globalisierung und erläutert die Entstehung und die Entwicklung der Bewegung, insbesondere den Unterschied zwischen dem klassischen Tercermundismo und dem Neo-Tercermundismo.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter dieser Arbeit sind: La Raza Cósmica, José Vasconcelos, Mestizaje, Rasse, Rassismus, Tercermundismo, Globalisierung, Neo-Tercermundismo, lateinamerikanische Identität, kollektive Identität.
- Quote paper
- Mario Tibussek (Author), 2005, Konstruktion einer lateinamerikanischen Identität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47659