Kanonbildung in der bildenden Kunst und ihre Problematik


Hausarbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffsdefinitionen
2.1 Kanon
2.2 Kunst

3. Erläuterung der einzelnen Kanonisierungsinstanzen
3.1 Museum
3.2 Akademie
3.3 Kunstmarkt
3.4 Kunstkritik
3.5 Kanonschrift

4. Probleme der Kanonbildung in der bildenden Kunst

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit fokussiert die Kanonbildung in der bildenden Kunst und die hieraus inhärente Problematik. Um für dieses komplexe Thema eine hinreichende Basis zu schaffen, werde ich zu Beginn die beiden zentralen Termini „Kanon“ und „Kunst“ näher erläutern. Da „jedes historisch feststellbare Kunstsystem“ notwendigerweise einen Kanon besitzt, „der die Konstitutionsbedingungen der Handlungen in diesem System historisch und systematisch definiert“[1], werde ich, an die Begriffsdefinition anschließend, dezidierter auf die einzelnen Instanzen eingehen, die zu einer Kanonisierung beitragen. Im Anschluss sind die Probleme der Kanonbildung in der bildenden Kunst zu analysieren. Dabei muss neben den Merkmalen des Kunstkanons auch auf die Aspekte der Beurteilungskriterien über Kunst sowie die historische Entwicklung des Kanons der bildenden Kunst eingegangen werden.

2. Begriffsdefinitionen

2.1 Kanon

Um die Problematik der Kanonbildung in der bildenden Kunst näher zu erläutern, bedarf es zunächst einer dezidierten Erläuterung des Terminus „Kanon“. Hierbei erteilt eine lexikalische Herleitung des Begriffs Auskunft über die unmittelbare Verbindung von Kanon und Kunst.

Der aus dem Semitischen entspringende Begriff Kanon bezeichnete ursprünglich eine Rohrart, welche aufgrund ihrer geraden Wuchsrichtung einst zur Herstellung von Waagebalken und Maßruten diente.[2] Im griechischen Sprachgebrauch tritt der Begriff Kanon im handwerklichen Milieu als Bezeichnung eines Richtscheites und von Instrumenten mit Maßeinteilungen in Erscheinung und wurde somit vom Konkreten ins Abstrakte übertragen.[3] In weiterer Übertragung wurde die Grundbedeutung des Begriffs Kanon in der bauenden wie bildenden Kunst allgemein auf andere Messinstrumente transponiert, was auf eine antike Schrift des Bildhauers Polyklet zurückzuführen ist, welche unter dem Titel ‚Kanon’ in die nachfolgende Überlieferung einging. Polyklet schuf ein durchgängiges System idealer Verhältnisgrößen der Körperglieder untereinander, was er anhand seiner Statue des Doryphoros demonstrierte. Später avancierte der Begriff Kanon zu einer Art geistigen Richtschnur, woraus die Forderung nach einem Kanon als eine Nachahmung geistiger und künstlerischer, als „klassisch“ erachteter Vorbilder resultierte. Das Wesen des Kanons liegt auch in der bildenden Kunst in seiner empirischen Entstehung und einer unveränderlichen Beibehaltung durch ideelle und kulturelle Traditionen.[4]

Diese lexikalischen Angaben zu dem, im Zentrum dieser Arbeit stehenden Begriff Kanon, offenbaren, dass sich mit Polyklet, mit dem der Begriff Kanon untrennbar verbunden ist, die bildende Kunst in die Bestimmung des Kanons integrierte,[5] der sich folglich neben der Literatur auch auf Artefakte, vorzugsweise auf Kunstwerke und Bilder, bezieht.[6] Laut Quintilian gilt Polyklet, von dessen Statue ‚Kanon’ sich die Gesetze der Proportion in der weiteren Kunstentwicklung ableiteten und dessen Idee es nachzuahmen galt,[7] als derjenige, der die Kunst selbst durch ein Werk der Kunst geschaffen hatte.[8]

Auch das zeitgenössische Verständnis des Begriffs Kanon geht mit der inhärenten Bedeutung einer Maßeinheit konform. In den Anfängen der europäischen Geistesgeschichte definierte man Kanon beispielsweise als „ein gesuchtes und je wieder neu zu findendes Maß“[9], ab dem 4./5. Jahrhundert wurde der Begriff Kanon dann disziplin-übergreifend als Fokus zur Bestimmung eines Maßstabes verstanden.[10]

Auch heute fungiert der Terminus Kanon in diversen Bereichen als Ausdruck für einen Vorgang, „in dem bestimmte Kulturaspekte als heilig, verbindlich“ und „vorbildlich“[11] angesehen werden. Kanon definiert hierbei jedoch nicht einen festgelegten Inhalt oder eine Materie, sondern wird lediglich als Form verstanden. Von daher ist jedem Kanon „Theorie, verstanden als Anschauung und Reflexion, geradezu inhärent.“[12] Analog zur Suche nach ethischen Maßstäben fungiert der Kanon darüber hinaus als Richtschnur zur Beurteilung von bereits gewonnenen Erkenntnissen.[13]

Aus jeder Form der Kanonisierung resultiert aufgrund der Zensur unweigerlich eine Dialektik zwischen dem, was aufgenommen und somit ins Unantastbare erhoben wird, und dem, was als irrelevant bewertet und somit ausgeschlossen wird.[14] Neben der Abgrenzung gegen das Fremde, Unechte, Falsche weist sich die Zensur auch durch die Immunisierung gegen den Wandel aus.[15] Prinzipiell wird der Kanon von seinen Gegnern als „Stillstellung, Petrifizierung und Einbalsamierung, als Komplizenschaft mit dem Unzeitgemäßen, Autonomischen, Leblosen“[16] wahrgenommen, da diese konträr zu der Kanon-Einheit den Anspruch auf ersehnte Vielfalt erheben.[17] Der Kanonisierungsvorgang, der sich niemals auf einen Gesamtbestand bezieht, sondern stets repräsentative Symbole für das Ganze auswählt, impliziert jedoch nicht zwingend eine Sinnverknappung, sondern vielmehr die Heraushebung prägnanter Merkmale.[18] Ob positiv oder negativ konnotiert, steht der Begriff Kanon zudem immer in einem untrennbaren Zusammenhang mit Autorität,[19] da Macht die Grundvoraussetzung für jede Kanonbildung darstellt.[20] Neben seinem wertenden Charakter gilt die Zeitresistenz des Kanons als Ergebnis einer kulturellen Strategie als äußerlichstes und augenfälligstes Merkmal.[21] Jedoch ist er auf der anderen Seite lebendig, da er seit der Antike immer wieder hinterfragt, widerlegt, verworfen und erneuert wird,[22] da der Verhältnismaßstab abhängig von einer konkreten Situation immer wieder neu bestimmt werden muss, um seinem Gültigkeitsanspruch gerecht zu werden.[23] Die Faszination des Kanons entsteht dadurch, dass er zum einen bestimmt und bestimmend wirkt, zum anderen jedoch nicht letztgültig fassbar ist.[24]

2.2 Kunst

Neben der Definition des Kanonbegriffs bedarf es somit auch einer näheren Erläuterung des Terminus ‚Kunst’. Was zunächst nicht schwer erscheinen mag, stellt sich jedoch sehr bald als eine beinahe unlösbare Aufgabe heraus, bei der sich die Meinungen der Wissenschaftler nicht divergenter verhalten könnten. So leitet das Lexikon der Kunst den Begriff Kunst von ‚Können’ her und definiert ihn in einem ersten Schritt als „allgemein jedes meisterhaft entwickelte, aus einer Fähigkeit zur Fertigkeit gewordene, vorwiegend produktive Können.“[25] In einem zweiten Ansatz wird Kunst hier als historisch konkretes, variables System verschiedenartiger Künste, wie Architektur, Literatur usw. beschrieben und darüber hinaus als „das vergegenständlichte Ergebnis der höchsten ästhetischen Aktivität des Menschen, d.h. einer besonderen Weise seiner Produktion, insofern eine ästhetische Form des gesellschaftlichen Bewusstseins, als auch der Kunst-Prozess“[26] dargestellt.

In der Antike, dem Mittelalter, der frühen Neuzeit und der Moderne existierte kein einheitlicher, komplexer Kunstbegriff. Während sich die, in der Antike gebräuchlichen Begriffe ‚téchne’ und ‚ars’ einzig auf das praktische Wissen sowie die Kompetenz im Umgang mit Materialien und dem Werk bezogen, war der Begriff Kunst im Mittelalter mit einer sakralen und überhöhten Bedeutung besetzt und galt als etwas, „das sich nicht erklären und nie erfolgreich auf den Begriff bringen lässt“.[27] Im 18. Jahrhundert wurde Kunst dann - im Wesentlichen vom Bildungsbürgertum konstituiert - zu einem Terminus mit normativ-exklusiver Macht, der primär auf die Bereiche Literatur, Musik und die bildende Kunst beschränkt war.[28] Marcel Duchamp war es schließlich, der den bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gültigen Kunstbegriff sowie sämtliche Versuche, Kunst zu definieren, zu Nichte machte, indem er äußerte, alles könne Kunst sein.[29] Wie Duchamps Definition des Begriffs Kunst, so resultiert auch die Meinung von Werner Hofmann über selbigen Terminus aus der allgemeinen, aufgrund der nicht mehr vorhandenen Kunstkriterien und Richtlinien entstandenen Problematik der Kunstbegriffsdefinierung.

[...]


[1] Schmidt, Siegfried J.: „Abschied vom Kanon? Thesen zur gegenwärtigen Situation“, in: Assmann, Aleida; Assmann, Jan (Hrsg.): Kanon und Zensur, München, 1987, S. 337.

[2] Vgl.: Olbrich, Harald u.a. (Hrsg.): Lexikon der Kunst: Architektur, bildende Kunst, angewandet Kunst, Industrieformgestaltung, Kunsttheorie, Leipzig 1991, S. 629.

[3] Vgl.: Moog-Grünewald, Monika: Kanon und Theorie, Heidelberg 1997, S. VII.

[4] Vgl.: Olbrich u.a. 1991 (wie Anm. 2), S. 629.

[5] Vgl.: Leisch-Kiel, Monika: „Kanon“, in: Bechtloff, Dieter (Hrsg.): Kunstforum International, Bd. 162, 11/2002, S. 67.

[6] Vgl.: Hahn, Alois: „Kanonisierungsstile“, in: Assmann, Aleida ; Assmann, Jan (Hrsg.): Kanon und Zensur, München, 1987, S. 28.

[7] Vgl.: Moog-Grünewald 1997 (wie Anm. 3), S. VII.

[8] Vgl.: Leisch-Kiel 2002 (wie Anm. 5), S. 70.

[9] Leisch-Kiel 2002 (wie Anm. 5), S. 72.

[10] Vgl.: Leisch-Kiel 2002 (wie Anm. 5), S. 73.

[11] Hahn 1987 (wie Anm. 6), S. 28.

[12] Moog-Grünewald 1997 (wie Anm. 3), S. VII.

[13] Vgl.: Leisch-Kiel 2002 (wie Anm. 5), S. 73.

[14] Vgl.: Assmann, Aleida; Assmann, Jan: „Kanon und Zensur“, in: Assmann, Aleida; Assmann, Jan (Hrsg.): Kanon und Zensur, München, 1987, S. 11.

[15] Vgl.: Assmann; Assmann 1987 (wie Anm. 14), S. 11.

[16] Metzger, Rainer: „Über das Kanonische“, in: Bechtloff, Dieter (Hrsg.): Kunstforum International, Bd. 162, 11/2002, S. 52.

[17] Vgl.: Pfaller, Robert: „Vom Kanon zum Schibboleth“, in: Bechtloff, Dieter (Hrsg.): Kunstforum International, Bd. 162, 11/2002, S. 56.

[18] Vgl.: Hahn 1987 (wie Anm. 6), S. 28.

[19] Vgl.: Leisch-Kiel 2002 (wie Anm. 5), S. 66.

[20] Vgl.: Steiner, Reinhard: „Idea del tempio della pittura“, in: Bechtloff, Dieter (Hrsg.): Kunstforum International, Bd. 162, 11/2002, S. 97.

[21] Vgl.: Assmann; Assmann 1987 (wie Anm. 14), S. 15.

[22] Moog-Grünewald 1997 (wie Anm. 3), S. VIII.

[23] Vgl.: Leisch-Kiel 2002 (wie Anm. 5), S. 73.

[24] Vgl.: Leisch-Kiel 2002 (wie Anm. 5), S. 67.

[25] Olbrich u.a. 1991 (wie Anm. 2), S. 115.

[26] Olbrich u.a. 1991 (wie Anm. 2), S. 115.

[27] Pfisterer, Ulrich (Hrsg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft – Ideen, Methoden, Begriffe, Stuttgart, 2003, S. 192.

[28] Vgl.: Pfisterer 2003 (wie Anm. 27), S. 192.

[29] Vgl.: Weber, Jürgen: Entmündigung des Künstlers. Geschichte und Funktionsweise der bürgerlichen Kunsteinrichtungen, München 1979, S. 17.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Kanonbildung in der bildenden Kunst und ihre Problematik
Hochschule
Universität Siegen
Veranstaltung
Kanonbildung in der Literatur vom 18. Jahrhundert bis heute
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V47721
ISBN (eBook)
9783638446020
Dateigröße
522 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kanonbildung, Kunst, Problematik, Kanonbildung, Literatur, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Katharina Lang (Autor:in), 2004, Kanonbildung in der bildenden Kunst und ihre Problematik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47721

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