Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Begriff der Freiheit
2.1. Immanuel Kant
2.2. John Stuart Mill
3. Vergleich
3.1. Gemeinsamkeiten
3.2. Unterschiede
4. Schlussbetrachtung
5. Quellen
1. Einleitung
Freiheit und Politik stehen in engem Zusammenhang miteinander. Durch politisches Handeln werden verbindliche Entscheidungen herbeigeführt, die die Bürger zu befolgen haben. Dies scheint auf den ersten Blick gerade nichts mit Freiheit zu tun zu haben. Auf der anderen Seite jedoch, schaffen politische Entscheidungen überhaupt erst die Sicherheit, damit Menschen sich frei entfalten können (Becker, Schmidt, Zintl 2009: 127). Doch wie weit darf der Staat überhaupt gehen, um den Bürgern Freiräume zu schaffen und ab wann greift der Staat zu weit in das Privatleben seiner Bürger ein?
Mit der Frage der individuellen Selbstbestimmung und Freiheit setzen sich die Philosophen Immanuel Kant und John Stuart Mill in ihren Werken intensiv auseinander. Im folgenden Aufsatz sollen zunächst ihre Vorstellungen von Freiheit knapp dargestellt werden. Anschließend werden auf dieser Grundlage Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet, um abschließend abzuwägen inwieweit Kants und Mills Vorstellungen von Freiheit miteinander übereinstimmen, sich ergänzen oder voneinander abweichen.
2. Der Begriff der Freiheit
2.1. Immanuel Kant
Grundlegend wichtig für das Verständnis von Kants Vorstellung der Freiheit ist die Ausstattung des Menschen mit Vernunft. Macht der Mensch von seiner Vernunft Gebrauch, so ist er keiner naturgesetzlichen Kausalität unterworfen. Dies macht die Würde des Menschen aus und gibt ihm „das Recht [und die Pflicht] sich seiner Ausstattung entsprechend verhalten zu können“ (Becker, Schmidt, Zintl 2009: 131) und verleiht ihm das Menschenrecht der Freiheit. Für Kant bedeutet Freiheit, dass Ereignisse aus Regeln erfolgen, die der Mensch sich selbst auferlegt (Schulte 1991: 45).
Kant unterscheidet dabei zwischen negativer und positiver Freiheit. Negative Freiheit bedeutet, dass sich der Mensch nicht von sinnlichen Handlungsgründen leiten lässt, also sich nicht seinen Gefühlen und Leidenschaften unterwirft. Vielmehr kann sich der Mensch gegen die kausalen Einflüssen auf seine Willkür wehren und somit auch Zukunftsperspektiven entwickeln und diese langfristig verfolgen. Im positiven Sinne frei ist der Mensch dann, wenn er sich selbst ein Gesetz für den Gebrauch seiner freien Willkür geben kann (Klemme 2004: 57). Der Mensch handelt demnach nach einem praktischen Gesetz, das der reinen Vernunft entspringt, anstatt sich von sinnlichen Gründen determinieren und bestimmen zu lassen (Klemme 2004: 58). Dieses Gesetz nennt Kant Moralgesetz. Es besagt, „nach keiner anderen Maxime zu handeln, als die sich selbst auch als ein allgemeines Gesetz zum Gegenstand haben kann“ (Kant 1997: 13). Kein vernünftig denkender Mensch kann demnach wollen, dass ein ungerechtes Gesetz entsteht, da dies immer auch ihn selbst betreffen und schaden würde.
Erst die „selbstgesetzgebende Natur des menschlichen Willens“ (Byrd 1992: 159) ermöglicht einen kategorischen Imperativ. Dieser gibt den Menschen Ordnung und Orientierung, auf welche Weise sie von ihrer freien Willkür Gebrauch machen können und fungiert somit als eine Art objektive Richtschnur. Dadurch ist es dem Menschen möglich seine eigene Freiheit mit der der anderen Menschen in Übereinstimmung zu bringen, ohne miteinander in ständigem Konflikt zu leben (Klemme 2004: 58).
Nach Kant gibt es zwei Arten der Freiheit, die er in seinem Werk Metaphysik der Sitten beschreibt. Er unterscheidet zwischen innerer und äußerer Freiheit (Klemme 2004: 94). Die Gesetze, die sich der Mensch selbst gibt, die sein Innenleben betreffen, fallen unter die innere Freiheit. Auf diesen Bereich darf kein Zwang ausgeübt werden, weder vom Staat noch von anderen Menschen. Anders ist dies im Bereich der äußeren Freiheit. Bei der sogenannten juridischen Gesetzgebung ist die Legalität der äußeren Handlungen von enormer Bedeutung. Werden die äußeren Gesetze nicht erfüllt, so kommt es zur Bestrafung durch den Staat, der über die Einhaltung der Gesetze wacht. „Das Recht hat nach Kant die Funktion, die äußere Handlungsfreiheit des einen mit der äußeren Handlungsfreiheit des anderen in Übereinstimmung zu bringen“ (Klemme 2004: 95). Die äußere Freiheit der Menschen soll dadurch geschützt werden.
Moral darf im Gegensatz zu Recht nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Der Staat darf nur Zwang auf die Menschen ausüben, um deren Freiheit zu sichern. Er darf nicht darüber hinaus gehen und die Freiheitsrechte der Menschen bedrohen. Auch der Staat selbst ist an das Recht gebunden, was jedoch, nach Kant, nicht einklagbar ist, da die Staatsgewalt letzte Instanz ist. Kant ist vielmehr davon überzeugt, dass durch den öffentlichen Vernunftgebrauch eine friedliche Transformation der Verhältnisse stattfinden kann (Becker, Schmidt, Zintl 2009: 135 ff).
2.2. John Stuart Mill
Der einflussreichste britische Philosoph John Stuart Mill (1806 – 1873) schreibt rund 70 Jahre nach Immanuel Kant (Capaldi 2004: 9). Mills Sorge gilt besonders der Demokratie, da er Gefahren bezüglich der politischen und sozialen Freiheit des Individuums in einer Demokratie sieht. Dies begründet er durch zwei Überlegungen. Zum einen sieht er die Gefahr der Unterdrückung von Minderheiten. Die Demokratie wird von vielen für eine gefahrlose Regierungsform gehalten, weil sie denken ein Volk könne nicht gegen sich selbst regieren. Dies ist jedoch nicht der Fall, da in einer Demokratie nicht jeder nur über sich selbst regiert, sondern sich die Menschen unter den politischen Willen der Mehrheit fügen müssen, auch wenn sie abweichender Meinung sind. Den Hauptgrund, den Mill als Gefahr der Demokratie sieht, ist, dass neben der politischen Machtausübung auch die Möglichkeit zur sozialen Machtausübung existiert. Es könnte somit durch die öffentliche Meinung eine Tyrannei der Mehrheit ausgeübt werden (Gräfrath 1992: 137 f). Diesem Konformitätsdruck könnte entgegengewirkt werden, wenn die Menschen lernen Respekt im täglichen Umgang miteinander zu empfinden. Dann schalten sich auch wieder die Instinkte der Menschen zum Schutz ihrer Freiheit ein.
„Es gibt eine Grenze für das berechtigte Eingreifen der kollektiven Meinung in die per- sönliche Unabhängigkeit, und diese Grenze zu finden und gegen Übergriffe zu schützen ist für eine gute Sicherung des menschlichen Lebens ebenso unentbehrlich wie der Schutz gegen politischen Despotismus“ (Mill 1997: 31).
Mill stellt deshalb das Freiheitsprinzip auf. Er definiert damit welche Handlungen berechtigt von der Gesellschaft kontrolliert werden dürfen und welche gegen die Freiheit des Individuums gerichtet sind. Das Freiheitsprinzip besagt, dass „die Gesellschaft die Freiheit von Personen nur einschränken darf, wenn dies zum Zweck ihres Selbstschutzes beziehungsweise zum Schutz ihrer Mitglieder geschieht“ (Gräfrath 1992: 139).
Sehr wichtig in Mills Verständnis von Freiheit ist der intrinsische und instrumentelle Wert der Freiheit. Er geht dabei auf die Meinungsfreiheit und Handlungsfreiheit ein. Seine Überzeugung ist es, dass jeder das Recht hat seine Meinung zu äußern, ganz gleich wie unangepasst diese ist. Intrinsisch argumentiert er dabei, dass keiner dem anderen den Vernunftgebrauch vorschreiben darf, da es die spezifische Würde des Menschen ist selbst zu denken. Instrumentell betont er, dass Meinungsfreiheit Erstarrung verhindert und die Gesellschaft dazulernt, wenn nicht gedankenlos an Bestehendem festgehalten wird, sondern Offenheit für Neues herrscht (Becker, Schmidt, Zintl 2009: 139 f). Wichtig ist Mill auch, dass jeder seine Art der Lebensgestaltung wählen kann und dass Vielfalt herrscht. Auch das Übernehmen von Gebräuchen soll nicht Folge gedankenloser Konformität sein, sondern ganz bewusst abgewogen werden, genau wie das Abweichen von diesen. Der intrinsische Wert dabei ist die Möglichkeit jedes Individuums zur freien Persönlichkeitsentfaltung. Der instrumentelle Wert daran ist, dass alle einen Vorteil von den Fortschritten haben, die dank der Querdenker in Gang gesetzt werden (Becker, Schmidt, Zintl 2009: 140 f).
Schranken sind dann angebracht, wenn Handlungen oder Meinungen sich auf andere Menschen beziehen und für diese freiheitsgefährdend werden können. Die Richtschnur der Schrankenbildung ist bei Mill das Wohlergehen Dritter. „Schranken meines Handelns sind unter Freiheitsgesichtspunkten legitim, soweit sie das Wohlergehen […] Dritter schützen“ (Becker, Schmidt, Zintl 2009: 142). Daraus ergibt sich eine Dreiteilung möglicher Beziehungen zwischen dem Individuum und seiner Umgebung (s. Grafik 1, S. 9). Es gibt die vitalen Interessen Dritter, die als Rechte fixiert werden müssen um sie zu schützen. Es gibt den Bereich der persönlichen Lebensführung, den nur das Individuum etwas angehen, wofür es selbst verantwortlich ist und auf den kein Zwang ausgeübt werden darf. Und es gibt einen weiteren Bereich, den der legitimen, aber schwächeren Interessen Dritter, die jedoch nicht in Rechte transformiert werden (Becker, Schmidt, Zintl 2009: 142 f). Diesen Bereich regelt sozialer Druck, also der Einfluss von Missbilligung, Toleranz oder Anerkennung. Nach Mills Vorstellung ist dies ein extrem wichtiger Bereich und mit ihm ist die Frage verknüpft, was überhaupt die Umgebung etwas angeht. Dabei soll die Gesellschaft selbst entscheiden, wann gesetzliche und wann moralische Maßnahmen besser geeignet sind um das Individuum zu schützen. Ordnung kann demnach „nicht allein auf staatlichen Zwang gebaut werden, sondern beruht auch auf der Geltung sozialer Normen“ (Becker, Schmidt, Zintl 2009: 143).
Das Problem, dass Mill dabei sieht ist, dass es für den Mechanismus der Missbilligung keine Schranken gibt, sondern dieser subjektiv angewandt wird. Somit ist der gegenseitig Respekt, wie zu Beginn der Ausführungen über Mill erwähnt, enorm wichtig, um ein harmonisches Miteinander unter der Prämisse der Freiheit zu gewährleisten. Dabei kann der Staat durchaus unterstützend wirken, indem er Bürger zu eigenverantwortlichem Handeln führt und bei der Erziehung der Bürger zu moralisch kompetenten Individuen beiträgt (Becker, Schmidt, Zintl 2009: 144 f).
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