Goethes Marienbader Elegie: Ein Seelendrama

Das Produkt eines höchst leidenschaftliches Zustandes


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Entstehungsgeschichte der Trilogie der Leidenschaft

II. Kleine Analyse der Gesamtkomposition

III. Marienbader Elegie
3.1 Die Elegie: ein Klagelied
3.2 Strukturanalyse
3.3 Ein Seelendrama

Schluß

Bibliographie

Titelblatt: Johann Peter Eckermann Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, 16. November 1823; in: Christoph Michel (Hrsg.), Johann Wolfgang Goethes, Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche, Bd. 12, Frankfurt am Main 1999, Seite 75.

Einleitung

1827 erschienen drei Gedichte Goethes unter dem Titel Trilogie der Leidenschaft, darunter das Liebesgedicht Elegie. Das Gedicht entstand nach der Trennung Goethes von der 18jährigen Ulrike von Levetzow. Diese Elegie soll der Hauptgegenstand der Arbeit werden.

Bereits mit dem Titel Elegie wird darauf hingewiesen, daß es sich um ein Klagelied handelt. Bereits hier stellt sich die Frage, inwiefern dieses Gedicht mit seinem generischen Titel die Merkmale einer Elegie erfüllt. Goethe kennzeichnete die Elegie „Das Produkt eines höchst leidenschaftlichen Zustandes“[1]. Dieses Produkt handelt vom Verlust der Geliebten und dem Versuch, den daraus resultierenden Schmerz zu lindern. Es soll hier gezeigt werden, wie der Dichter diesen Prozeß der Schmerzlinderung im Strukturaufbau eines Dramas realisiert.

Doch zuerst soll zu Beginn der Arbeit die Entstehungsgeschichte der Trilogie der Leidenschaft skizziert werden, sowie Goethes Aufenthalt in Böhmen und die Bekanntschaft mit Ulrike von Levetzow. Daraufhin folgt eine inhaltliche Gesamtinterpretation der Trilogie. Schließlich setzt sich der letzte Abschnitt formal und inhaltlich mit der Elegie auseinander.

I. Entstehungsgeschichte der Trilogie der Leidenschaft

Unter dem Titel Trilogie der Leidenschaft hat Goethe 1827 erstmals drei Gedichte zusammengefaßt, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten und aus verschiedenen Anlässen in den Jahren 1823 und 1824 entstanden waren. „So kam es denn, daß alle drei jetzt beisammenstehenden Gedichte von demselbigen liebesschmerzlichen Gefühle durchdrungen worden und jene Trilogie der Leidenschaft sich bildete, ich wußte nicht wie“[2], berichtet Goethe über seine Komposition.

Das erste Gedicht An Werther wurde im März 1824 auf Anregung des Verlegers Christian Friedrich Weygand in Leipzig als Einleitung einer 50jährigen Jubiläumsausgabe des Werther verfaßt.

Das letzte Gedicht der Trilogie, das als erstes noch im böhmischen Marienbad zwischen dem 16. und 18.August 1823 entstanden war, wurde von Goethe am 18. August in einer französischen Fassung in das Album der Petersburger Hofpianistin Marie Szymanowska eingetragen. Unter dem Titel Aussöhnung fand es schließlich seinen Platz als Ausklang der großen Liebesklage.

Den Mittelteil der Trilogie mit dem generischen Titel Elegie schrieb Goethe zwischen dem 5. und 12. September 1823 auf der Rückfahrt von Karlsbad nach Jena in der Reisekutsche.[3]

Der Anlaß für die Elegie war die endgültige Trennung Goethes von Ulrike von Levetzow.

Als der 72jährige Goethe 1821 im böhmischen Kurort Marienbad Amalie von Levetzow und deren älteste Tochter Ulrike begegnete, faßte Goethe zunächst eine väterliche Zuneigung zu dem siebzehnjährigen Mädchen, das gerade ihre Schulausbildung in einem französischen Pensionat in Straßburg abgeschlossen hatte. Aus der väterlichen Sympathie und Aufmerksamkeit entwickelte sich in den folgenden Sommeraufenthalten in Böhmen eine sich stetig steigernde Liebe Goethes zu Ulrike.

Der Dichter lud Ulrike zu Spaziergängen ein und da sie Goethes mineralogische Passion nicht teilte, brachte er ihr anstelle von seltenen Steinen schöne Blumen mit oder legte ihr, um sie für seine Gesteine zu interessieren, Schokolade zwischen die Mineralien. Doch trotz der häufigen gemeinsamen Ausflüge galt das Verhältnis der beiden als völlig unverdächtig.

Hatte Ulrike im Sommer 1821 noch allein mit ihrer verwitweten Mutter in Marienbad verbracht, so traf im folgenden Jahr die ganze Familie Levetzow ein, das heißt die Mutter mit ihren drei Töchtern Ulrike, Bertha und Amélie. Wieder bemühte sich Goethe intensiv um das junge Mädchen. Aber erst im Jahr darauf 1823 kristallisierte sich immer deutlicher heraus, daß Goethe mehr für Ulrike empfand als nur väterliche Zuneigung. So hielt Goethe am 7. August 1823 bei der Mutter, Amalie von Levetzow, um die Hand ihrer Tochter an. Der Heiratsantrag Goethes wurde jedoch von Amalie und Ulrike höflich, aber bestimmt abgelehnt wegen des allzu großen Altersunterschiedes.[4] Daraufhin zog es Frau von Levetzow vor zunächst mit der Familie nach Karlsbad überzusiedeln. Nach zwei Wochen verließ Goethe ebenfalls Marienbad und reiste für fünf Tage nach Eger. Dann aber erschien auch er am 25. August in Karlsbad. Die folgenden 10 Tage verbrachten Goethe und Levetzows täglich zusammen bis zur Abreise Goethes und Levetzows am 5. September.

Ulrike, die im hohen Alter von 95 Jahren als einsame Stiftsdame auf einem Gut ihres Stiefvaters in der Nähe des böhmischen Teplitz - unverehelicht - starb, schrieb in ihren Memoiren über ihre Beziehung zu Goethe: „ Ich könnte wohl noch viel von der Zeit erzählen, doch ich denke, das genügt, um all das Fabelhafte, was darüber gedruckt, zu widerlegen – denn: keine Liebschaft war es nicht“[5].

Auf dem Rückweg von Böhmen nach Thüringen hatte Goethe dann jene Elegie gedichtet. „Ich schrieb das Gedicht, unmittelbar als ich von Marienbad abreis’te und ich mich noch im vollen frischen Gefühle des Erlebten befand. Morgens acht Uhr auf der ersten Station schrieb ich die erste Strophe und so dichtete ich im Wagen fort und schrieb von Station zu Station das im Gedächtnis nieder, so daß es Abends fertig auf dem Papiere stand. Es hat daher eine gewisse Unmittelbarkeit und ist wie aus einem Gusse, welches dem Ganzen zu Gute kommen mag“[6] erzählte Goethe schließlich seinem Freund Eckermann im November 1823.

Unmittelbar nach seiner Ankunft in Weimar fertigte Goethe schließlich eine Reinschrift an: „Er hatte die Verse eigenhändig mit lateinischen Lettern auf starkes Velinpapier geschrieben und mit einer seidenen Schnur in einer Decke von rotem Maroquin befestigt, und es trug also schon im Äußern, daß es dieses Manuskript vor allen seinen übrigen besonders wert hatte“[7] weiß Eckermann am 27. Oktober 1823 zu berichten.

II. Kleine Analyse der Gesamtkomposition

Über An Werther sagte Goethe im Dezember 1831 zu Eckermann: „ Da ich aber immer noch einen Rest jener Leidenschaft im Herzen hatte, so gestaltete sich das Gedicht wie von selbst als Introduktion zu jener Elegie“[8].

Der vorherrschende Tempus in An Werther ist das Präsens, doch ist es ein historisches Präsens, denn es beschwört einen Helden herauf, nämlich den verstorbenen Werther.[9] Mit dem Begriff des „Scheidens“[10] wird das zentrale Motiv des Gedichtes benannt. Auf jedes Wiedersehen folgt das Scheiden, so daß der Verlust des geliebten Menschen als einzige Konstante des Lebens erscheint. Das lyrische Ich vergegenwärtigt in der ersten Strophe die mit Werther verbrachte Zeit. Schließlich in den Strophen zwei bis fünf spricht es vom Glück des Jünglings auf Erden. Doch dies wird im letzten Vers der fünften Strophe abrupt unterbrochen, da „ tückisch harrt das Lebewohl zuletzt“[11]. Das Lebewohl ist somit die letzte Instanz, der man nicht entkommen kann und die den Tod bringt: „Scheiden ist der Tod!“[12]

Dieses Scheiden von einer geliebten Person versucht nun das lyrische Ich in dem darrauffolgendem Gedicht Elegie zu bewältigen, doch nicht anhand des Romanhelden Werthers, sondern anhand der Geliebten. Doch dieser Versuch mißlingt und das lyrische Ich ist sich selbst verloren und zu Grunde gerichtet.

Mit Aussöhnung dem Schlußgedicht der Trilogie, sucht Goethe die radikale Negativität der ersten beiden Gedichte versöhnlichen ausklingen zu lassen.

In der erste Strophe der Aussöhnung wird noch einmal der in der Elegie dargestellte Verlust, den das „Herz“[13] erleidet, resümiert. In der zweiten Strophe wird dann eine andere Sprache eingeführt, die der „Töne“[14] und der „Tränen“[15]. Die Musik bringt dem leidenden Herzen die Erlösung und überfüllt es mit ewiger Schöne. Und so kann das Herz in der letzten Strophe feststellen, daß es „noch lebt und schlägt“[16] und schlagen möchte.

In Kontext der Trilogie ist Aussöhnung demnach als Gegenentwurf auf die Elegie bezogen. Das läßt sich schon daran ablesen, daß das Gedicht dieselbe sechszeilige Stanzenstrophe aufweist wie die Elegie.

War in An Werther der Mensch „in verschlungen wiederholter Not“[17] und hatte die Elegie „ein herrliches Geflecht verschlungenen Minnen“[18] gefeiert, so wird nun von der Musik gesagt, daß sie „verflicht zu Millionen Tön’ um Töne“[19] und den Menschen mit ewiger Schöne überfüllt. Die Strukturgleichheit von Leiden, Liebe und Musik führt, die in den ersten beiden Texten aufgetretenen Ausweglosigkeit, scheinbar einer Lösung zu. So kann Aussöhnung in seiner dritten Strophe mit der utopischen Vorstellung von „ewig“[20] dauernde Liebe enden, die durch die vorhergehenden Gedichte schon von Anfang an als leerer Wunschtraum entlarvt ist.[21] Im kompositorische und thematisierten Zusammenhang des Gesamtgedichtes erhalten dann die Verse der Aussöhnung kathartische Funktion, die der düsteren Tragik der ersten beiden Gedichte übergeordnet werden können.[22]

III. Die Marienbader Elegie

3.1 Die Elegie: ein Klagelied

Das zweite Gedicht von der Trilogie der Leidenschaft hat den generischen Titel – Elegie. Somit steht bereits zu Anfang fest, daß es sich hier um ein Klagelied handelt. Die Gattung Elegie knüpft an das griechische Versmaß des elegischen Distichons an, in dem auf ein Hexametervers ein Pentameter folgt. Die Herkunft des Namens Elegie ist ungeklärt. Man nimmt an, daß das griechische Wort für ein Distichengedicht elegeion von dem armenischen Wort für Flöte abstammt. Die Flöte spielte in Kleinasien die Begleitmusik für Klagelieder, die aber nicht nur sanft und traurig klangen, sondern auch wild und orgiastisch. Aus diesem Nebeneinander von betonter Lust und Trauer muß die Vielfältigkeit der Elegie erklärt werden, die man in der griechischen Lyrik vorfindet. Die metrische Besonderheit des Distichons erklärt sich durch die Art des Vortrages der Elegie. Der Vorsänger und der Chor erhoben in ständigen Wechsel ihre Stimmen. Dabei fiel dem Vorsänger der epische Vortrag (Hexameter) zu, der die Taten und Vorzüge des Verstorbenen schilderte, während der Chor in refrainartigen Klagen einfiel (Pentameter). Aus diesem Gegensatz entwickelte sich die lyrische und metrische Spannung zwischen Hexameter und Pentameter im Distichon. Vom Gehalt her war die frühe griechische Elegie nicht eingeschränkt, es gab vor allem patriotisch, gnomische und erotische Elegien. Erst Euripides führte die Bezeichnung elegos für das Klagelied ein und schuf so eine Verengung des Begriffs.[23]

Die römischen Elegien-Dichter Catull, Tibull, Properz und Ovid faßten den Begriff der Elegie wieder weiter. Sie dichteten erotische, idyllische und threnetischen Elegien. Allerdings überwog in den römischen Elegien die wehmütige Stimmung. Somit wurde trotz des vielseitigen Gehalts der Distichen-Dichtung die wehmütige Stimmung zum entscheidenden Charakteristikum der Elegie.[24]

Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert wurde die Elegie durch Opitz in die deutsche volkssprachliche Literatur aufgenommen. Opitz definierte die Elegie inhaltlich relativ weit, verlangte jedoch als Thema einen traurigen Sachverhalt. Dabei versuchte Opitz durch den kreuzreimenden Alexandriner den Charakter des Distichons nachzuahmen. Im 18. Jahrhundert erlebte die Elegie durch Klopstock eine neue Blüte. Er führte das griechisch-lateinischen Distichon in deutscher Sprache ein, damit war die formale Voraussetzung für die klassische deutsche Elegie geschaffen.[25] Daran knüpft, in bezug auf das Versmaß, auch Goethes „Römische Elegie“ an: Auf einen daktylischen Hexameter folgt ein Pentameter.[26]

[...]


[1] Eckermann, 16. November 1823, Seite 75.

[2] Eckermann, 1. Dezember 1831, Seite 741.

[3] Bernd Witte, Trilogie der Leidenschaft; in: Regine Otto, Bernd Witte (Hrsg.), Goethe-Handbuch, Bd. 1 Gedichte, Stuttgart 1996, Seite 481.

[4] Astrid Seele, Frauen um Goethe, Hamburg 1997, Seite 121-124.

[5] Ulrike von Levetzows Erinnerung an Goethe; (Hrsg.) August Sauer, Prag 1919, Seite 11.

[6] Eckermann, 16. November 1823, Seite 75.

[7] Ibidem, 27. Oktober 1823, Seite 62.

[8] Ibidem, 1. Dezember 1831, Seite 741.

[9] Elisabeth M. Wilkinson, Goethes Trilogie der Leidenschaft, Als Beitrag zur Frage der Katharsis, Frankfurt am Main 1957, Seite 10.

[10] Johann Wolfgang von Goethe, An Werther; in: Erich Trunz (Hrsg.), Goethes Werke, Bd. 1, Hamburger Ausgabe, München 1974, Seite 380-382, I Vers 9.

[11] Ibidem, V Vers 6.

[12] Ibidem, VI Vers 8.

[13] Johann Wolfgang von Goethe, Aussöhnung; in: Erich Trunz (Hrsg.), Goethes Werke, Bd. 1, Hamburger Ausgabe, München 1974, Seite 385-386, I Vers 2.

[14] Ibidem, II Vers 6.

[15] Ibidem.

[16] Ibidem, III Vers 2.

[17] Goethe, An Werther, VI Vers 7.

[18] Johann Wolfgang von Goethe, Elegie; in: Erich Trunz (Hrsg.), Goethes Werke, Bd. 1, Hamburger Ausgabe, München 1974, Seite 381-385, IV Vers 2.

[19] Goethe, Aussöhnung, II Vers 2.

[20] Ibidem, III Vers 5.

[21] Witte, Trilogie der Leidenschaft, Seite 486f.

[22] Joachim Müller, Goethes „Trilogie der Leidenschaft“ – lyrische Tragödie und „aussöhnende Abrundung“, Versuch einer genetischen Interpretation; in: Detlev Lüders (Hrsg.), Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts, Jg. 1978, Tübingen 1978, Seite 127.

[23] Klaus Weissenberger, Formen der Elegie von Goethe bis Celan, Bern 1969, Seite 11-14.

[24] Dirk Kemper, Elegie; in: Klaus Weimar (Hrsg.) Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1, Berlin 1997, Seite 430.

[25] Weissenberger, Formen der Elegie, Seite 11-14.

[26] Die „Römische Elegie“ ist vom inhaltlichen eher als Idylle zu bezeichnen. Vgl.: Ivo Braak, Poetik in Stichworten, Kiel 1969, Seite 144.

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Details

Titel
Goethes Marienbader Elegie: Ein Seelendrama
Untertitel
Das Produkt eines höchst leidenschaftliches Zustandes
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V47839
ISBN (eBook)
9783638446938
ISBN (Buch)
9783638901307
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Produkt, Zustandes, Goethes, Marienbader, Elegie, Seelendrama
Arbeit zitieren
M.A. Maria Glotzbach (Autor:in), 2004, Goethes Marienbader Elegie: Ein Seelendrama, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47839

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