„In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist.“ 1 Dennoch verzichten zunehmend mehr Menschen freiwillig auf ihr Mitbestimmungsrecht in Form der Stimmabgabe. In der Bundesrepublik Deutschland ist seit Mitte der Achtziger Jahre ein Rückgang der Wahlbeteiligung auf allen politischen Ebenen, von Landtags- bis hin zu Bundestagswahlen zu verzeichnen 2 . Hier entwickelte sich ein neuer Aufgabenbereich für die deutsche Wahlforschung, die bis dahin mit einer im europaweiten Vergleich überdurchschnittlich hohen Wahldisziplin rechnen konnte 3 . Zu der Kernfrage wer wen aus welchem Grund wählt, kam die Frage hinzu wer nicht wählt und wie er dies begründet. „Bisherige Ergebnisse über die Nichtwähler“, so urteilt Kleinhenz, „sind mehr als zufälliges Abfallprodukt politikwissenschaftlicher Untersuchung anzusehen“ 4 .
Im Zuge der Ausdifferenzierung politikwissenschaftlicher und wahlsoziologischer Erklärungsansätze zu diesem Phänomen gewann so eine Theorie an Bedeutung, die zuvor überwiegend in der amerikanischen Politikwissenschaft Anerkennung gefunden hatte. Die Rational-Choice-Theorie, angewendet auf das (Nicht-) Wählerverhalten im Rahmen der ökonomischen Politiktheorie von Anthony Downs, beschreibt die Wahlentscheidung als eine auf dem individuellen Kosten-Nutzen-Kalkül basierende Überlegung. Dadurch hebt sie sich deutlich von den rein makrosoziologischen Ansätzen ab, die politische Partizipation in einen „sozial- und politikgeschichtlichen Erklärungszusammenhang“ 5 stellen und, wie zum Beispiel bei der Cleavage- Theorie von Lipset und Rokkan, von gesamtgesellschaftlichen Strukturen als Ursache für den Wahlverzicht ausgehen. Darüber hinaus bietet die Rational-Choice-Theorie, im Gegensatz zu sozialstrukturellen Ansätzen wie der Wertewandel- oder Dealignment-These 6 , einen Erklärungsansatz, der mehrere und auch kurzfristige Entscheidungsfaktoren einbezieht 7 . [...]
Inhaltsverzeichnis
- Von der Wahlforschung zur Nichtwählerforschung - eine Einleitung
- Der aktive Nichtwähler - welche Fragen sind an eine Theorie der rationalen Stimmenthaltung zu stellen?
- Der Rational- Choice-Ansatz - ist Wählen rational?
- Die Theorie des rationalen Wahlverhaltens nach Anthony Downs
- Anforderungen an den rationalen Wähler
- Kosten und Nutzen des Wahlaktes
- Das Wahlparadoxon
- Kritische Weiterentwicklungen des Rational-Choice-Ansatzes
- Die Strategie des geringsten Bedauerns
- Der rationale Narr und Wählen als Katz-und-Maus-Spiel
- Die Stimmabgabe als psychische Gratifikation
- Chancen und Risiken des Rational-Choice-Ansatzes
- Zusammenfassung und Ausblick
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit dem Phänomen des Nichtwählens und untersucht die Anwendbarkeit des Rational-Choice-Ansatzes in der Nichtwählerforschung. Sie analysiert die Theorie des rationalen Wahlverhaltens nach Anthony Downs sowie dessen kritische Weiterentwicklungen in der modernen Politikwissenschaft. Ziel ist es, die Chancen und Grenzen des Rational-Choice-Ansatzes in der Erklärung von Nichtwahlverhalten zu beleuchten und zu bewerten.
- Das Wahlparadoxon und die Frage, ob Wählen tatsächlich rational sein kann
- Die Rolle des Kosten-Nutzen-Kalküls in der Wahlentscheidung
- Die Bedeutung von persönlichen Wertmaßstäben und Handlungsdeterminanten
- Die Integration von psychischen Gratifikationen in den Rationalitätsbegriff
- Der Vergleich des Rational-Choice-Ansatzes mit anderen Erklärungsansätzen für Nichtwahlverhalten
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel führt in die Thematik der Nichtwählerforschung ein und beleuchtet den Wandel der Wahlbeteiligung in der Bundesrepublik Deutschland. Der Rational-Choice-Ansatz wird als Alternative zu makrosoziologischen und sozialstrukturellen Ansätzen vorgestellt, die die Entscheidung für oder gegen die Stimmabgabe als rationalen Prozess begreifen. Das zweite Kapitel fokussiert auf das Konzept des „aktiven Nichtwählers“ und beleuchtet die Frage, welche Anforderungen an eine Theorie der rationalen Stimmenthaltung gestellt werden müssen. Das dritte Kapitel behandelt die Theorie des rationalen Wahlverhaltens nach Anthony Downs, insbesondere die Anforderungen an den rationalen Wähler, das Kosten-Nutzen-Kalkül des Wahlaktes und das Wahlparadoxon. Schließlich werden kritische Weiterentwicklungen des Rational-Choice-Ansatzes vorgestellt, die die Strategie des geringsten Bedauerns, den rationalen Narr und die Stimmabgabe als psychische Gratifikation einbeziehen.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter dieser Arbeit sind: Nichtwählerforschung, Rational-Choice-Ansatz, Wahlparadoxon, Kosten-Nutzen-Kalkül, Stimmabgabe, psychische Gratifikation, Wahlbeteiligung, Wahlverhalten, Anthony Downs, politische Partizipation, Handlungsdeterminanten, Wertmaßstäbe.
- Arbeit zitieren
- Vera Zischke (Autor:in), 2003, Der rationale Nichtwähler - Ein Ausblick über den Rational Choice Ansatz in der Nichtwählerforschung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47968