Die Frage nach dem Sinn der eigenen Existenz mag schon den ein oder anderen vor ein unlösbares Problem gestellt haben. Die Lösung mag sein, eben diese Frage zu vermeiden. Oder sogar fest zu stellen, dass dies die eigentlich interessante Frage gar nicht sein kann. Niklas Luhmann ist es durch eine ähnlich grundlegende perspektivische Neuausrichtung gelungen, Sinn als Grundbegriff seiner Systemtheorie zu etablieren. Sinn, das kann „nicht irgendeine Energiequelle, nicht irgendeine Ursache, nicht das organisch-psychische Substrat sinnhaften Erlebens meinen, geschweige denn den Einzelmenschen“ 1 , entschied Luhmann und wandte sich damit von einem transzendental geprägten Sinnbegriff ab, der Sinn ausschließlich als Ausdruck subjektiven Erlebens versteht.
Dieser Ansatz ist aus Luhmanns Sicht in zweierlei Hinsicht ungenügend: Zum einen verweist er Sinn damit in einen unerklärbaren und nicht untersuchbaren Bereich der Soziologie. Denn Sinn wird dann einem unspezifischen, transzendentalen Subjekt zugeschrieben, das getrennt von jenem konkreten, empirisch begreifbaren Subjekt und seinem Sein besteht 2 . Und zum anderen setzt er an viel zu später Stelle an, nämlich erst da, wo nach dem konkreten Sinn von Subjekten gefragt wird. Dem liegt die Annahme Luhmanns zugrunde, dass das Subjekt selbst ja bereits „sinnhaft konstruierte Identität“ 3 ist, also Sinn nicht nur eine bloße intentionale Selbstwahrnehmung sein kann, sondern ein eigenständiger Operationsmodus, der für sich allein untersucht werden kann und muss. Sinn wird also nicht bloß vom Subjekt konstruiert, sondern ist ein selbst konstitutiv tätiges Phänomen.
Wenn nun also der Luhmannsche Sinnbegriff untersucht wird, dann muss dies ohne eine Anlehnung an den Subjektbegriff geschehen. Stattdessen schlägt er eine funktionale Analyse auf Basis einer „Problemkonstruktion“ vor, die Systemprobleme in Relation zu Lösungsmöglichkeiten stellt. [....]
Inhaltsverzeichnis
- Sinn sein und Sinn haben - Der Sinnbegriff in der Systemtheorie
- Was leistet Sinn? - Eine funktional-analytische Betrachtung
- Sinn und System
- Komplexität und Kontingenz
- Was ist Sinn? - Eine phänomenologische Betrachtung
- Drei Dimensionen von Sinn
- Symbolische Generalisierung
- Sinnlosigkeit und Nicht-Sinn in der Systemtheorie
- Sinnlosigkeit
- Nicht-Sinn
- Sinn gemacht? - Schlussbetrachtungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit dient als Einführung in Niklas Luhmanns Systemtheorie und ihren zentralen Begriff des Sinns. Sie untersucht den Sinnbegriff aus funktional-analytischer und phänomenologischer Perspektive und beleuchtet die damit verbundenen Fragen der Komplexität, Kontingenz und Sinnlosigkeit.
- Der Luhmannsche Sinnbegriff und seine Abgrenzung von subjektiven Sinnverständnissen
- Die funktionale Rolle des Sinns in psychischen und sozialen Systemen
- Die Beziehung zwischen Sinn, System und Umwelt
- Komplexitätsreduktion und die Selektion von Möglichkeiten
- Das Verhältnis von Sinn und Sinnlosigkeit in Luhmanns Theorie
Zusammenfassung der Kapitel
1. Sinn sein und Sinn haben - Der Sinnbegriff in der Systemtheorie: Dieses Kapitel führt in Luhmanns Systemtheorie und seinen Verständnis von Sinn ein. Es unterscheidet sich von traditionellen Ansätzen, indem es Sinn nicht als subjektives Erleben, sondern als eigenständigen Operationsmodus sowohl psychischer als auch sozialer Systeme begreift. Luhmann kritisiert transzendentale Sinnbegriffe als unerklärbar und ununtersuchbar und schlägt stattdessen eine funktionale Analyse vor, die Systemprobleme mit Lösungsansätzen verbindet. Der Fokus liegt auf der Konstitution von Sinn und den zugrundeliegenden Prozessen, mit der Frage nach der Möglichkeit von Sinnlosigkeit im Kontext eines universalistischen Sinnbegriffs.
2. Was leistet Sinn? – eine funktional-analytische Betrachtung: Dieses Kapitel erörtert die funktionale Rolle des Sinns in psychischen und sozialen Systemen. Sinn wird als „Ordnungsform menschlichen Erlebens“ beschrieben, die zwischen möglichen und unmöglichen Handlungsoptionen differenziert. Es wird die Besonderheit von Sinn als Operationsmodus herausgestellt, der die operative Geschlossenheit der Systeme wahrt, gleichzeitig aber Offenheit gegenüber der Umwelt ermöglicht. Die Selbstreferenz der Systeme und die Differenz zwischen System und Umwelt werden im Zusammenhang mit der Co-Evolution von psychischen und sozialen Systemen diskutiert. Der Abschnitt "Sinn und System" vertieft den Zusammenhang zwischen beiden Systemtypen, ihrer gegenseitigen Umweltbeziehung und der Komplexitätsreduktion durch Sinn als "Übersetzungsprogramm".
Schlüsselwörter
Niklas Luhmann, Systemtheorie, Sinn, Komplexität, Kontingenz, Selbstreferenz, psychische Systeme, soziale Systeme, Kommunikation, Bewusstsein, Sinnlosigkeit, funktionale Analyse, phänomenologische Betrachtung, Komplexitätsreduktion.
Häufig gestellte Fragen (FAQs) zu: Sinn sein und Sinn haben - Der Sinnbegriff in der Systemtheorie
Was ist der zentrale Gegenstand dieses Textes?
Der Text bietet eine umfassende Einführung in Niklas Luhmanns Systemtheorie und ihren Kernbegriff des Sinns. Er analysiert den Sinnbegriff aus funktional-analytischer und phänomenologischer Perspektive und beleuchtet damit verbundene Fragen der Komplexität, Kontingenz und Sinnlosigkeit.
Welche Perspektiven werden auf den Sinnbegriff eingenommen?
Der Text untersucht den Sinnbegriff sowohl aus funktional-analytischer als auch aus phänomenologischer Sicht. Die funktional-analytische Perspektive konzentriert sich auf die Rolle des Sinns in psychischen und sozialen Systemen, während die phänomenologische Betrachtung die Erfahrungsdimension des Sinns beleuchtet.
Welche Schlüsselkonzepte der Systemtheorie werden behandelt?
Wichtige Konzepte der Systemtheorie, die im Text behandelt werden, sind unter anderem: Selbstreferenz, Komplexität, Kontingenz, die Unterscheidung von System und Umwelt, Komplexitätsreduktion und die funktionale Differenzierung von Systemen.
Wie wird Luhmanns Sinnbegriff von traditionellen Ansätzen abgegrenzt?
Luhmann unterscheidet seinen Sinnbegriff von traditionellen, subjektiven Sinnverständnissen. Er versteht Sinn nicht als individuelles Erleben, sondern als eigenständigen Operationsmodus sowohl psychischer als auch sozialer Systeme. Transzendentale Sinnbegriffe werden als unerklärbar und ununtersuchbar kritisiert.
Welche Rolle spielt Sinn in psychischen und sozialen Systemen?
Sinn wird als "Ordnungsform menschlichen Erlebens" beschrieben, die zwischen möglichen und unmöglichen Handlungsoptionen differenziert. Er ermöglicht die operative Geschlossenheit der Systeme und gleichzeitig die Offenheit gegenüber der Umwelt. Der Text untersucht die Co-Evolution von psychischen und sozialen Systemen im Kontext von Sinn.
Wie wird das Thema Sinnlosigkeit im Text behandelt?
Der Text thematisiert den Begriff der Sinnlosigkeit im Kontext des universalistischen Sinnbegriffs Luhmanns. Er unterscheidet zwischen "Sinnlosigkeit" und "Nicht-Sinn" und untersucht deren Bedeutung innerhalb der Systemtheorie.
Welche Kapitel umfasst der Text und worum geht es darin?
Der Text gliedert sich in Kapitel, die den Sinnbegriff aus verschiedenen Perspektiven beleuchten: Einleitung zum Sinnbegriff in der Systemtheorie, eine funktional-analytische Betrachtung der Funktion des Sinns, eine phänomenologische Betrachtung, eine Auseinandersetzung mit Sinnlosigkeit und Nicht-Sinn und abschließende Betrachtungen. Jedes Kapitel vertieft spezifische Aspekte des Sinnbegriffs im Kontext der Systemtheorie.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren den Inhalt des Textes?
Schlüsselwörter sind: Niklas Luhmann, Systemtheorie, Sinn, Komplexität, Kontingenz, Selbstreferenz, psychische Systeme, soziale Systeme, Kommunikation, Bewusstsein, Sinnlosigkeit, funktionale Analyse, phänomenologische Betrachtung, Komplexitätsreduktion.
- Arbeit zitieren
- Vera Zischke (Autor:in), 2005, Der Sinnstifter - Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47972