Die staatlich festgeschriebenen Anforderungen an die Jugendlichen in der DDR waren hoch - sozialistische Persönlichkeiten sollten sie werden, die politischen Zielvorgaben als die eigenen anerkennen und zudem sollten sie im alltäglichen Leben deutlich machen, dass dies auch ihrer vollen Überzeugung entsprach. Die Freiheiten in der Umsetzung dieser Vorgaben waren gering - in der Regel durchlebte der Jugendliche die sogenannte sozialistische Normalbiographie. Die Weichen dafür wurden bereits in frühester Kindheit mit einem umfassenden Netz an vorschulischer Kinderbetreuung gesetzt, gefolgt vom Besuch der Einheitsschule und der Freizeitorganisationen, bis hin zur staatlich angeleiteten Berufswahl. Strukturelle Besonderheiten des DDR-Systems wie zum Beispiel jene Kinderkrippen und der politisch-ideologische Hintergrund der staatlichen Erziehung machen die Sozialisation der DDR-Jugendlichen zu einem umfassenden Untersuchungsgegenstand. Im Verlauf dieser Arbeit sollen die staatlichen Sozialisationsinstanzen der DDR untersucht und deren Folgen für die Mentalitätsentwicklung der Jugendlichen bewertet werden. Die Kernfragen lauten dabei: War die staatlich eingeforderte vollständige Identifikation mit dem Marxismus-Leninismus Wirklichkeit oder Wunschdenken der SED? War eine distanzierte, kritische Haltung zum politischen System der DDR möglich, nachdem dessen Sozialisationsinstanzen durchlaufen waren? Lag eine kritische Distanz überhaupt im Interesse der Jugendlichen? Und gab es eine DDR-spezifische Jugendmentalität? Als Jugendspanne gilt in der vorliegenden Arbeit der Zeitraum vom 14. bis zum 25. Lebensjahr. Diese Festlegung orientiert sich sowohl an der themenbezogenen wissenschaftlichen Literatur, als auch an der Rahmengebung des Zentralinstitutes für Jugendforschung in Leipzig, das zu DDR-Zeiten als wohl bedeutendstes Untersuchungsorgan für Stimmungen und Überzeugungen der Jugendlichen galt und für nachfolgende Untersuchungen noch bis heute gilt. Die Jugend in der DDR wird außerdem als Gesamtheit begriffen und nicht in verschiedene Generationen unterteilt. Denn neben einigen Veränderungen in den Erziehungspraktiken der DDR, die hier auszugsweise Erwähnung finden, blieb das hauptsächliche Erziehungsziel, die sozialistische Persönlichkeit, über die Jahre hinweg unverändert. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einführung - die Normalbiografie des ostdeutschen Jugendlichen
- Der Sozialisationsbegriff
- Der Sozialisationsbegriff im Marxismus-Leninismus
- Staatliche Sozialisationsinstanzen in der DDR - der Staat als Erziehungsberechtigter?
- Die Vorschulische Erziehung in Krippe und Kindergarten
- Das Schulsystem der DDR
- Berufsfindung in einer Planwirtschaft
- Hochschule im Sozialismus
- Freizeit oder Teilzeit? Cliquen und Jugendorganisationen in der DDR
- Die Jugendorganisationen der DDR
- Formalisierung und Symbolisierung in den Jugendorganisationen
- Jugendclubs als Grauzone zwischen Privatheit und Öffentlichkeit
- Heimatland DDR - Mentalitätsentwicklung und nationale Identität
- Identifikation mit der DDR im Allgemeinen
- Identifikation mit dem Marxismus-Leninismus im Speziellen
- Resümee - Sozialisationsziele und Erfolge
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der politischen Sozialisation und Mentalitätsentwicklung von Jugendlichen in der DDR. Sie analysiert die staatlichen Sozialisationsinstanzen und ihre Auswirkungen auf die Identifikation mit dem Marxismus-Leninismus sowie die Entwicklung einer spezifischen DDR-Jugendmentalität.
- Analyse der sozialistischen Normalbiografie in der DDR
- Untersuchung der Rolle des Staates als Erziehungsberechtigter in der DDR
- Bewertung der Bedeutung von Jugendorganisationen für die politische Sozialisation
- Erforschung der Herausbildung einer spezifischen DDR-Jugendmentalität
- Beurteilung der Identifikationsmöglichkeiten mit dem Marxismus-Leninismus
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und beleuchtet die staatlich vorgegebene "Normalbiografie" von Jugendlichen in der DDR. Kapitel 2 erläutert den Sozialisationsbegriff im Allgemeinen und im Kontext des Marxismus-Leninismus. Kapitel 3 befasst sich mit den staatlichen Sozialisationsinstanzen in der DDR, darunter die vorschulische Erziehung, das Schulsystem, die Berufsfindung und die Hochschulausbildung. Kapitel 4 analysiert die Rolle von Jugendorganisationen und Jugendclubs in der DDR. Kapitel 5 untersucht die Entwicklung einer spezifischen DDR-Jugendmentalität und die Identifikation mit der DDR und dem Marxismus-Leninismus.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die politische Sozialisation, Mentalitätsentwicklung, Jugendorganisationen, DDR-Jugend, Marxismus-Leninismus, Identifikation, staatliche Sozialisationsinstanzen und die Normalbiografie in der DDR. Weitere wichtige Themen sind die Rolle des Staates als Erziehungsberechtigter, die Auswirkungen staatlicher Sozialisationsinstanzen auf die Jugend und die Herausbildung einer spezifischen DDR-Jugendmentalität.
- Arbeit zitieren
- Vera Zischke (Autor:in), 2002, Jugend in der DDR: politische Sozialisation und Mentalitätsentwicklung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47975