Die Literaturauffassung Büchners anhand des Briefes an die Familie vom 28. Juli 1835 und dem Kunstmonolog von Lenz

Interpretation zweier Szenen aus "Woyzeck" vor diesem Hintergrund


Seminararbeit, 2004

16 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Vorwort

II. Georg Büchners Literaturauffassung
1. Büchners Brief an die Familie
2. Der Kunstmonolog von Lenz

III. Textinterpretation
1. 4. Szene: Marie und ihr Kind
2. 5. Szene: Der Hauptmann. Woyzeck

IV. Nachwort

V. Literaturverzeichnis

I. Vorwort

Georg Büchner gilt auch heutzutage noch als Synonym für den revolutionären Schriftsteller. Was aber hat ihn dazu werden lassen? 1813 geboren, wächst er in einer Zeit turbulenter politischer Umstände auf; in Deutschland herrschen die Landesfürsten über die einzelnen Staaten und beuten das Volk aus, jedoch gibt es trotzdem nur vereinzelte Aufstände. Die zunehmende Distanz zwischen dem armen Volk und dem reichen Fürstentum empört Büchner derart, dass er dagegen Initiative ergreift. So gründet er zum Beispiel die „Gesellschaft der Menschenrechte“ und wird Herausgeber des Flugblattes „Der Hessische Landbote“, ein Aufruf an das Volk, sich gegen die Regierung aufzulehnen. Eindeutig formuliert er in der ersten Botschaft seine Parole:

„Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“[1]

Büchners Wille, die Welt zu verändern und den Menschen die Augen zu öffnen, findet aber nicht nur in den genannten politischen Aktivitäten Ausdruck, auch in seinen literarischen Werken verarbeitet er seine revolutionären Gedanken. So entsteht seine ganz eigene Auffassung von Literatur, die im Folgenden anhand von konkreten Beispielen erarbeitet werden soll.

II. Georg Büchners Literaturauffassung

1. Büchners Brief an die Familie

Um Einblick in die Literaturauffassung Georg Büchners zu bekommen, ist sein Brief an die Familie, den er am 28. Juli 1835 schrieb, ein äußerst aufschluss-reiches Dokument. Vorrangig mit der Absicht sein Drama „Dantons Tod“ vor dem Vorwurf der Unsittlichkeit gegen die Eltern zu verteidigen, erläutert Büchner seine eigene Auffassung von Literatur.

Die These, dass „der dramatische Dichter[...] nichts, als ein Geschichtsschreiber“[2] sei, wird hier zum zentralen Hauptgedanken seiner Argumentation. Der Dichter genießt in Büchners Augen sogar einen höheren Status als der Historiker, da „er uns die Geschichte zum zweiten Mal schafft“[3].

Dieser Vergleich legt zugleich als „höchste Aufgabe“[4] des Dichters fest „der Geschichte wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen“[5].

Aus dieser Verpflichtung zu historischer Richtigkeit ergibt sich jedoch ein Konflikt, da Büchner selbst, zum Beispiel in „Woyzeck“, bei der Gestaltung seiner Hauptfigur, in einigen Punkten sehr wohl von der geschichtlichen Vorlage abweicht. Diese Differenz zwischen einer wissenschaftlichen historischen Darstellung und der poetischen Umsetzung rechtfertigt Büchner mit dem Argument, dass der Dichter „uns gleich unmittelbar, statt eine trockne Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hinein versetzt“[6]. Damit ist es ihm möglich ohne mit begrifflichen Mitteln zu arbeiten den Anschein von authentischer Wirklichkeit zu erwecken. Je besser es dem Dichter gelingt seinem Drama Leben einzuhauchen, desto höher ist für Büchner die ästhetische Qualität des Werkes.

Aus diesem Grunde darf ihm auch kein Vorwurf gemacht werden, wenn sein Drama „weder sittlicher noch unsittlicher als die Geschichte selbst ist“[7].

Er hält sich an das naturalistische Konzept und integriert so auch niederen, teils obszönen Wortschatz, um nicht nur der Geschichte sondern auch der Sprache so nah wie möglich zu kommen. Seine Literatur ist damit nicht primär auf Ästhetik und Erbauen ausgerichtet, und ist deswegen auch nicht als „Lectüre für junge Frauenzimmer geschaffen worden“[8].

Es läßt sich folgern, dass für Büchner „ein Drama dann legitimiert ist ( z. B. in sittlicher Hinsicht ), wenn seine Darstellungen den geschichtlichen Vorbildern adäquat sind“[9].

Weiterhin lehnt Büchner es ab die Aufgabe des Dichters im Lehren von Moral zu sehen, vielmehr ist es seine Intention den Leuten die Vergangenheit ins Bewusstsein zu rufen, um sie aus ihr, wie aus einem Geschichtsstudium und der Beobachtung menschlicher Umwelt, lernen zu lassen. Die Auswahl des Stoffes liegt im Belieben des Dichters selbst, „ er erfindet und schafft Gestalten“[10], liefert also keine Reduplikation von Geschichte.

Mit diesem Punkt der Ausführung durchbricht Büchner gewissermaßen seine anfängliche These, der Verpflichtung auf geschichtliche Richtigkeit,

auf einer höheren Ebene geht es dann um die geistige Wahrheit, um das Erfassen von historischen Tendenzen und des spezifischen Charakters einer Zeit, eins Ereignisses oder einer Person.[11]

Hiermit führt Büchner ein „ästhetisches Moment“[12] ein; durch die Verarbeitung als gestalterische Freiheit, gesteht er dem Dichter einen Freiraum zu, der in der Verfügungsgewalt über den geschichtlichen Stoff liegt.

Die Intention hinter Büchners Werken ist es den Menschen die Augen zu öffnen, sie sollen das, „was im menschlichen Leben um sie herum vorgeht“ beobachten und nicht „mit verbundenen Augen über die Gasse gehen“, auch wenn in der Welt „unmoralische Dinge“ geschehen und „so viele Liederlichkeiten vorfallen.“[13]

Im Folgenden argumentiert Büchner fort:

Wenn man mir übrigens noch sagen wollte, der Dichter müsse die Welt

nicht zeigen wie sie ist, sondern wie sie sein solle, so antworte ich, daß ich es nicht besser machen will, als der liebe Gott, der die Welt gewiß gemacht hat, wie sie sein soll.[14]

Dieses Zitat, in dem er Gottes Autorität eingesteht, scheint zunächst seltsam, da Büchner atheistisch gesinnt war. Hier verwendet er, um seiner These Nachdruck zu verleihen, Gott als eine Art „Argumentationstrick“.

Zum Ende des Briefes hin werden Büchners kunsttheoretische Reflexionen detaillierter, er greift nun direkt die „sogenannten Idealdichter“[15], im heutigen Verständnis die Klassiker, an.

Sein Vorwurf begründet sich darin, „daß sie fast nichts als Marionetten mit himmelblauen Nasen und affectirtem Pathos“[16] geschaffen haben. Büchner unterstellt den Künstlern, die sich nicht an der Realität orientieren, Künstlichkeit.

Dies bezieht sich hauptsächlich auf die Heldenfiguren im klassischen Drama, sie sind mündig, handeln eigenverantwortlich und tragen ihre Probleme stets in Mono- oder Dialogen aus, wodurch sie dann zu Lösungen gelangen. Das Schicksal ist ihre einzige Determination. Büchner verlangt aber von einem Drama, dass es gerade nicht diese idealtypischen Figuren zeigt, die nichts weiter als „Marionetten“ des Dichters sind und so keine lebenden Menschen repräsentieren.

Die Personen als unfreie, von der Umwelt, ihrer Rolle in der Gesellschaft und durch die familiären sowie finanziellen Umständen determinierte Individuen darzustellen, das ist sein Ziel.

Die klassischen Dramenfiguren dagegen sind „keine Menschen aus Fleisch und Blut“ und bieten so, mit ihrem „Thun und Handeln“, keine Möglichkeit „Abscheu oder Bewunderung“ zu empfinden. Der von Büchner geforderte Effekt der aristotelischen Katharsis bleibt aus.

Abschließend nennt Büchner noch konkrete Beispiele:

Mit einem Wort, ich halte viel auf Goethe und Shakespeare , aber sehr wenig auf Schiller.[17]

Das positive Erwähnen Shakespeares zeigt Parallelität zum Sturm und Drang, seine Gestalten wurden im Gegensatz zu den „Holzpuppen“ des französischen Klassizismus als „echte Natur“ aufgefasst[18]. Weiter ist anzunehmen, das Büchners Sympathie dem jungen Goethe gebührt, und nicht dem Dichter der „Iphigenie“ und des „Tasso“.

Schiller hingegen fungiert hier als Inbegriff eines negativen Beispiels, als „Galionsfigur“[19] der von Büchner so verachteten Idealdichter.

2. Der Kunstmonolog von Lenz

Georg Büchners Literaturauffassung wird auch in seinem Werk „Lenz“, das in der wahren Geschichte des Sturm und Drang-Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz seine Vorlage findet, greifbar. An einer entscheidenden Stelle der Novelle, an der Lenz, der allmählich dem Wahnsinn verfällt, gerade noch für zurechnungsfähig gehalten werden kann, legt ihm Büchner ein künstlerisches Glaubensbekenntnis in den Mund.

Dieser sogenannte Kunstmonolog ist der einzige lichte Moment Lenzens, in dem er Kaufmann, einem Bekannten seiner Familie, gegenüber den Idealismus stark anfechtet; „die idealistische Periode fing damals an, Kaufmann war ein Anhänger davon“[20]. (An dieser Stelle greift Büchner zu einer kleinen Manipulation, der Idealismus begann erst später.)

Gleich zu Beginn seiner Argumentation macht Lenz seine negative Haltung gegen die Dichter dieser Periode deutlich:

Die Dichter, von denen man sage, sie geben die Wirklichkeit, hätten auch keine Ahnung davon, doch seien sie immer noch erträglicher, als die, welche die Wirklichkeit verklären wollten.[21]

Hier ist bereits eine erste Parallele zu Büchners Brief an die Familie zu erkennen, auch Lenz macht den idealistischen Dichtern zum Vorwurf nur ein Wunschbild der Realität, das mit dieser nichts gemein hat zu kreieren.[22]

[...]


[1] Dedner, Burghard: Georg Büchner Woyzeck, Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart: Reclam 2000, S. 205

[2] Büchner, Georg: Brief an die Eltern, Straßburg, 28. Juli 1835; Dokument 23 in: Dedner, Burghard: Georg Büchner Woyzeck, Erläuterungen und Dokumente, Stuttgart 2000, S. 255

[3] Ebd.

[4] Ebd.

[5] Ebd.

[6] Ebd.

[7] Ebd.

[8] Büchner, Georg: Brief an die Eltern, Straßburg, 28. Juli 1835; Dokument 23 in: Dedner, Burghard: Georg Büchner Woyzeck, Erläuterungen und Dokumente, Stuttgart 2000, S. 255

[9] Meier, Albert: Georg Büchners Ästhetik, München: Wilhelm Fink, Dissertation 1980, S.92

[10] siehe 7., S. 255

[11] siehe 8., S. 94

[12] siehe 8., S. 94

[13] siehe 7., S. 255

[14] Büchner, Georg: Brief an die Eltern, Straßburg, 28. Juli 1835; Dokument 23 in: Dedner, Burghard: Georg Büchner Woyzeck, Erläuterungen und Dokumente, Stuttgart 2000, S. 256

[15] Ebd., S. 256

[16] Ebd., S. 256 [ebenso alle nachfolgenden Zitate auf S. 5]

[17] Büchner, Georg: Brief an die Eltern, Straßburg, 28. Juli 1835; Dokument 23 in: Dedner, Burghard: Georg Büchner Woyzeck, Erläuterungen und Dokumente, Stuttgart 2000, S. 256

[18] vgl. Meier, Albert: Georg Büchners Ästhetik, München: Wilhelm Fink, Dissertation 1980, S.95f

[19] Ebd., S.96

[20] Büchner, Georg: Lenz, Studienausgabe. Hg. v. Gersch, Hubert. Stuttgart: Reclam 1998, S.14

[21] Büchner, Georg: Lenz, Studienausgabe. Hg. v. Gersch, Hubert. Stuttgart: Reclam 1998, S.14

[22] vgl. Glebke, Michael: Die Philosophie Georg Büchners. Marburg: Tectum 1995, S.129

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Literaturauffassung Büchners anhand des Briefes an die Familie vom 28. Juli 1835 und dem Kunstmonolog von Lenz
Untertitel
Interpretation zweier Szenen aus "Woyzeck" vor diesem Hintergrund
Hochschule
Universität Regensburg
Veranstaltung
Proseminar I
Note
2
Autor
Jahr
2004
Seiten
16
Katalognummer
V48025
ISBN (eBook)
9783638448369
ISBN (Buch)
9783638791397
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Literaturauffassung, Büchners, Briefes, Familie, Juli, Kunstmonolog, Lenz, Proseminar
Arbeit zitieren
Gloria Körner (Autor:in), 2004, Die Literaturauffassung Büchners anhand des Briefes an die Familie vom 28. Juli 1835 und dem Kunstmonolog von Lenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48025

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