Baudelaire plante im Erscheinungsjahr der „Fleurs du Mal“ die Abfassung eines Bandes mit Prosagedichten, die als Gegenstück zu seinem Gedichtzyklus fungieren sollten. Im August 1857 erschienen in der Zeitschrift „Le Présent“ zunächst sechs Prosagedichte unter dem Titel „Poèmes nocturnes“. Bei folgenden Einzeldrucken in Zeitschriften variierten die Betitelungen der Prosagedichte. Baudelaire benannte sie u.a. mit „Petits Poèmes en Prose“ und „Le Spleen de Paris“. Bis zu seinem Tod 1867 verfasste er weitere 44 Prosagedichte. Da die insgesamt 50 Prosadichtungen aber erst 1869 veröffentlicht wurden, sind Auswahl, Reihenfolge und Überschrift der Prosagedichte nicht von Baudelaire getroffen worden. Es ist festzuhalten, dass die Gedichtsammlung von fragmentarischem Charakter ist, was zahlreiche Pläne und Entwürfe Baudelaires bezeugen.
In dieser Arbeit wird das Prosagedicht No. XXVIII „La Fausse Monnaie“ behandelt. Es erschien erstmals am 1. November 1864 in „L´Artiste“ .
„La Fausse Monnaie“ stellt zusammen mit „Une mort heroique“, „Le Jouer généreux“, „La Corde“ und „Les Vocations“ (XXVII-XXXI) etwa die Mitte der „Petits Poèmes en Prose“ dar, deren Gedichte von Ungerechtigkeit und Schicksal geprägt sind. Die fünf Gedichte stellen eine Absurdität dar, die niederschmetternder und verheerender ist, als willkürliche Ungerechtigkeit.
Nach der Juli-Monarchie und der Unterdrückung von 1848 war die Suche nach (religiösem und politischem) Vertrauen noch nicht veraltet, aber Baudelaires Zeitgenossen bemerkten dessen Sinnlosigkeit. Die fünf Prosagedichte stellen schließlich die Skepsis des Erzählers dar. Obwohl Ironie seine Position tarnt, stellt er unbeirrbar das Leben ohne rationale Begründung dar, auch wenn er eine gerechte Ordnung aufrecht erhalten will. Der Leser soll zwischen Wohlwollen und dem Teuflischen unterscheiden können und vielleicht auch andere aus ihrer Bedrängnis retten. Der Erzähler hinterfragt schließlich Bedeutungslosigkeit und antizipiert das Wiederfinden von Bedeutung. Das Dilemma wird umso deutlicher, als es in geballter Form, also in fünf aufeinander folgenden Prosagedichten auftritt. Bei „Le Mauvais Vitrier“ (IX), „La Fausse Monnaie“, „La Corde“ (XXX) und „Assommons les Pauvres“ (XLIX) wird die Hartnäckigkeit des unbewussten Teufels im Menschen aufgezeigt .
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2.1. Der Inhalt von „La Fausse Monnaie“
2.2. Analyse
3. Kritische Hinterfragung Greiners Interpretation
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Baudelaire plante im Erscheinungsjahr der „Fleurs du Mal“ die Abfassung eines Bandes mit Prosagedichten, die als Gegenstück zu seinem Gedichtzyklus fungieren sollten. Im August 1857 erschienen in der Zeitschrift „Le Présent“ zunächst sechs Prosagedichte unter dem Titel „Poèmes nocturnes“. Bei folgenden Einzeldrucken in Zeitschriften variierten die Betitelungen der Prosagedichte. Baudelaire benannte sie u.a. mit „Petits Poèmes en Prose“ und „Le Spleen de Paris“. Bis zu seinem Tod 1867 verfasste er weitere 44 Prosagedichte. Da die insgesamt 50 Prosadichtungen aber erst 1869 veröffentlicht wurden, sind Auswahl, Reihenfolge und Überschrift der Prosagedichte nicht von Baudelaire getroffen worden. Es ist festzuhalten, dass die Gedichtsammlung von fragmentarischem Charakter ist, was zahlreiche Pläne und Entwürfe Baudelaires bezeugen.
In dieser Arbeit wird das Prosagedicht No. XXVIII „La Fausse Monnaie“ behandelt. Es erschien erstmals am 1. November 1864 in „L´Artiste“[1].
„La Fausse Monnaie“ stellt zusammen mit „Une mort heroique“, „Le Jouer généreux“, „La Corde“ und „Les Vocations“ (XXVII-XXXI) etwa die Mitte der „Petits Poèmes en Prose“ dar, deren Gedichte von Ungerechtigkeit und Schicksal geprägt sind. Die fünf Gedichte stellen eine Absurdität dar, die niederschmetternder und verheerender ist, als willkürliche Ungerechtigkeit.
Nach der Juli-Monarchie und der Unterdrückung von 1848 war die Suche nach (religiösem und politischen) Vertrauen noch nicht veraltet, aber Baudelaires Zeigenossen bemerkten dessen Sinnlosigkeit. Die fünf Prosagedichte stellen schließlich die Skepsis des Erzählers dar. Obwohl Ironie seine Position tarnt, stellt er unbeirrbar das Leben ohne rationale Begründung dar, auch wenn er eine gerechte Ordnung aufrecht erhalten will. Der Leser soll zwischen Wohlwollen und dem Teuflischen unterscheiden können und vielleicht auch andere aus ihrer Bedrängnis retten. Der Erzähler hinterfragt schließlich Bedeutungslosigkeit und antizipiert das Wiederfinden von Bedeutung. Das Dilemma wird umso deutlicher, als es in geballter Form, also in fünf aufeinander folgenden Prosagedichten auftritt.[2] Bei „Le Mauvais Vitrier“ (IX), „La Fausse Monnaie“, „La Corde“ (XXX) und „Assommons les Pauvres“ (XLIX) wird die Hartnäckigkeit des unbewußten Teufels im Menschen aufgezeigt[3].
2.1. Der Inhalt von „La Fausse Monnaie“
„La Fausse Monnaie“ ist im Passé Simple geschrieben, was den Eindruck erweckt, dass hier eine Erinnerung erzählt wird. Darin wechseln sich Erzählung und Gedankengang des Ich-Erzählers ab, der zusammen mit seinem Freund ein „bureau de tabac“ (Z. 1) verlässt, woraufhin der Freund beginnt, aufs sorgfältigste seine Geldstücke zu sortieren:
„dans la poche gauche de son gilet il glissa de petites pièces
d´or; dans la droite, de petites pièces d´argent; dans la poche
gauche de sa culotte, une masse de gros sols, et enfin, dans
la droite, une pièce d´argent de deux francs qu´il avait
particulièrement examiné.“ (Z. 2-7)
Daraufhin treffen sie auf einen Bettler, der ihnen „sa casquette en tremblant“ (Z. 11) hinhält. Der Ich-Erzähler beschreibt in den nächsten Zeilen den Blick des Bettlers:
„Je ne connais rien de plus inquiétant que l´éloquence muette
de ces yeux suppliants, qui contiennent à la fois, pour l´homme
sensible qui sait y lire, tant d´humilité, tant de reproches.
Il y trouve quelque chose approchant cette profondeur de
sentiment compliqué, dans les yeux larmoyants
des chiens qu´on fuette.“ (Z. 11-17)
Nachdem der Freund eine beträchtlich höhere Summe an den Bettler gegeben hat, als der Ich-Erzähler, konstatiert letzterer:
„Vous avez raison; après le plaisir d´être étonné, il n´en est pas
de plus grand que celui de causer une surprise.“ (Z. 19-21),
woraufhin der Freund zugibt, dem Bettler Falschgeld gegeben zu haben.
Diese Aussage bewegt den Ich-Erzähler dazu, über die Tat des Freundes ausführlich nachzudenken. Zunächst ist er der Meinung, sein Freund habe dem Bettler Falschgeld gegeben, um das triste Dasein dieses Menschen zu beleben. Er fragt sich also, welche Folgen ein Stück Falschgeld in den Händen eines Bettlers haben könnte. Es könnte sich z.B. zu wahren Geldstücken vervielfältigen und würde dem Mann somit einige Tage lang Reichtum bescheren, oder es könnte jemand das Falschgeld identifizieren und der Bettler müsste in Gefängnis.
Während der Ich-Erzähler sich der „ailes à l´esprit de [son] ami“ (Z. 40) bedient, unterbricht ihn aber dieser, indem er die Aussage des Ich Erzählers von Zeile 19-21 bejaht:
„Oui, vous avez raison; il n´en est pas de plaisir
plus doux que de surprendre un homme en
lui donnant plus qu´il n´espère.“ (Z. 44-47)
Dieser Satz öffnet dem Ich-Erzähler die Augen, denn sein voran gegangener Gedankengang verliert mit dieser Aussage des Freundes an Sinn, was die nun folgenden Überlegungen des Ich-Erzählers besagen. Der Freund wollte mit seiner Tat nämlich nicht vorsätzlich das Leben des Bettlers etwas beleben, sondern auf ökonomische Weise Gottes Herz verdienen, indem er (scheinbar) eine gute Tat vollbracht hat, ohne tatsächlich Geld ausgeben zu müssen. Nach der Moralvorstellung des Ich-Erzählers wäre ein „criminelle jouissance“ (Z.55) noch entschuldbar gewesen, aber dass der Freund aus Dummheit Schlechtes tut, ist unentschuldbar.
Das Prosagedicht soll im Folgenden sowohl narrativ als auch diskursiv erklärt werden.
2.2. Analyse
Es handelt sich um eine kurze Alltags-Anekdote[4] mit lyrischen Reflexionen, die von den Überlegungen des Ich-Erzählers bestimmt wird. Der Gedankengang des Ich-Erzählers gibt also Aufschluss über die Intention und Bedeutung des Prosagedichts und soll im Folgenden erläutert werden.
In Zeile 8 sagt der Ich-Erzähler zu sich selber, nachdem er zuvor beobacht hat, wie der Freund sein Geld sortiert:
„Singulière et minutieuse réparation!“
Darin klingt eine Wertung des Freundes in Bezug auf sein Verhältnis zum Geld mit, da er es äußerst sorgfältig sortiert, er ihm demnach große Bedeutung zuschreibt. Das unterstützt auch das Ausrufezeichen am Ende des Satzes.
In den Zeilen 11-17 beschreibt der Ich-Erzähler den Bettler und dessen Blick und die Empfindung, die der Ich-Erzähler ihm, bzw. seiner Situation gegenüber hat. Er bemerkt außerdem, dass nur ein feinfühliger Mensch in den Augen anderer lesen kann („l´homme sensible, qui sait y lire“, Z.13f). Somit zeichnet sich der Ich-Erzähler als eine solche Person aus. Nach der Meinung Baudelaires entspricht ein „l´homme sensible“ auch einem Poeten. Dass der Ich-Erzähler aber nicht nur eine sensible, sondern auch nachdenkliche Person ist, was den Verlauf des Gedichts bestimmt, lässt er an seiner Aussage
„toujours occupé à chercher midi à quatorze heures“ (Z. 24f)
erkennen.
Baudelaire hat in den „Fusées I“ festgehalten, dass für ihn volkstümliche Redewendungen von ungeheurer Tiefe zeugen. Hier ist die Aussage, „Schwierigkeiten zu sehen, wo keine sind“ in Zusammenhang mit dem in Klammern stehenden Einschub unmittelbar nach dem Zitat
„(de quelle fatigante faculté la nature m´a fait cadeau!)“ (Z.25f)
aber vor allem ironisch aufzufassen. Es ist eine „nicht uneitle, halb scherzhafte Selbstcharakterisierung“[5] des Ich-Erzählers.
Es gehört zum „bestimmten Habitus des poetischen Ich“[6], dass es ironisch sein kann, wenn es die Distanz wahrt. Dass in „La Fausse Monnaie“ relativ selten die Anrede gebraucht wird, lässt diese Distanz entstehen. Der Poet muss die Distanz wahren, um sein eigenes Ich zu schützen. Durch die ausführlichen Überlegungen des Ich-Erzählers in „La Fausse Monnaie“, entsteht von ihm zudem der Eindruck eines Observateur. Fritz Nies konstatiert außerdem:
„Pathos, Affekt, Gefühl - von der traditionellen Poetik als entscheidende
Wesenszüge aller Poesie bezeichnet - sind [...] in den Petits Poèmes en
Prose weitgehend zurückgedrängt, als Aussprache inneren Ergriffenseins
ebenso wie als Ansprechen der Erscheinung einer äußeren oder inneren
Welt. Wo sie sich trotzdem finden, kennzeichnen sie meist nicht das Ich,
sondern eine andere Figur, von welcher dieses in der dritten Person spricht.“[7]
Aber zurück zu der Beschreibung des Blickes vom Bettler: Der Ich-Erzähler empfindet ihn als „inquiétant“ (Z.12), wobei er ihm eine stumme Beredsamkeit zuspricht („éloquence muette“, Z. 12). Das Oxymoron weist eine Gegensatzspannung auf, die aus der „beunruhigende[n] Mischung aus Demut und Vorwurf“[8] besteht. Thorsten Greiner kritisiert an dieser Stelle, dass das der Freund, nicht aber der Ich-Erzähler bemerke. Demnach erkennt Greiner gerade nicht in dem Ich-Erzähler den sensiblen Menschen, da dieser den Ausdruck der Bettleraugen mit denen von geprügelten Hunden vergleicht („Il y trouve quelque chose approchant cette profondeur de sentiment compliqué, dans les yeux larmoyants des chiens qu´on fouette.“, Z. 15-17). Der Vergleich des Ich-Erzählers wirke dabei vorwurfsvoll, da aus ihm „die Unterwerfung unter den Prügelnden spricht“[9]. Greiner erkennt in dem Bettlerblick demütiges Bitten, wobei dieser sich zugleich mit der vorwurfsvollen Komponente gegen eine Erfüllung seiner Bitte verwahre. „Dies ist die ‘komplizierte Gefühlstiefe’, die das Ich beunruhigt und zu seinem falschen Vergleich verleitet, vom Freund aber verstanden wird.“[10]
Vergleicht man die Reaktion des Ich-Erzählers in „La Fausse Monnaie“ in Bezug auf den Blick des Bettlers mit der des Ich-Erzählers aus „Les Yeux des Pauvres“ (no. XXVI) in Bezug auf die Blicke der drei Armen vor dem Café, so stehen sich hier Beunruhigung und Mitleid gegenüber.
[...]
[1] dann: 25. Dezember 1864 „Revue de Paris“; 1. Juni 1866 „Revue du XIXème siècle“
[2] s.: E. K. Kaplan, ”Baudelaire´s Prose Poems“. The esthetic, the ethical and the religious in the Parisien Prowler, Athen 1990, p. 103f
[3] s.: Ders., p. 154f
[4] Da Baudelaire den Alltag als Gegenstand des Gedichts gewählt hat, bedient er sich auch der Alltagssprache als Form. Baudelaire hat also die Prosa gewählt, da der Gegenstand ein alltäglicher ist. In den gesamten „Petits Poèmes en Prose“ beschäftigt sich Baudelaire mit der Großstadt, da er das Gewöhnliche, Alltägliche gesucht hat.
[5] Th. Greiner, Ideal und Ironie. Baudelaires Ästhetik der <<modernité>> im Wandel vom Vers- zum Prosagedicht, Tübingen 1993, p. 230
[6] F. Nies, Poesie in prosaischer Welt. Untersuchungen zum Prosagedicht bei Aloysius Bertrand und Baudelaire, Heidelberg 1964, p. 259
[7] Ders., p. 262
[8] Th. Greiner, Ideal und Ironie., p. 257
[9] Greiner, a.a.O., p. 257
[10] Ders., p. 258
- Quote paper
- Katharina Krings (Author), 2001, Erläuterungen zu Baudelaires "La Fausse Monnaie" aus den "Petits Poèms en Prose", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48121
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