Sprachnormierung in Frankreich und der Frankophonie am Beispiel Québécs


Seminararbeit, 2005

23 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Sprachnormierung in Frankreich
2.1 Sprache, Norm und Sprachnorm
2.2 Sprachnormierung der französischen Sprache
2.3 Die Académie française

3. Frankophonie - ein Begriff, viele Bedeutungen
3.1 Historische Entwicklung des Begriffes
3.2 Die institutionelle Frankophonie
3.3 Die Rolle der Académie française in der Frankophonie

4. Sprachpflege und Sprachnormierung in Québec
4.1 Historische Entwicklung in Québec
4.2 Das français québécois
4.3 Das Office québécois de la langue française
4.3.1 Das OQLF und der normative Diskurs
4.3.2 Das OQLF und les québécismes
4.4 Unterschiede in der Sprachpflege zu Frankreich
4.5 Einfluss der Académie française auf die Sprachnormierung in Québec

5. Schlussbemerkung

6. Anhang

7. Literaturangaben

1. Vorwort

Um zum eigentlichen Thema, der Sprachnormierung in der Frankophonie hinzuleiten, müssen zunächst einige Begriffe geklärt werden. Dies geschieht im ersten Kapitel. Hier werden zunächst der Normbegriff, dann die Sprachnormierung und Sprachpflege in Frankreich erläutert, um dann im zweiten Kapitel die Frankophonie zu beleuchten. Im dritten Kapitel wird dann die Sprachpflege und Sprachnormierung in Québec thematisiert. In Québec lebt die größte frankophone Gemeinschaft außerhalb Frankreichs. Hier wird auf Unterschiede in der Normierungspraxis zu Frankreich hingewiesen.

2. Sprachnormierung in Frankreich

2.1 Sprache, Norm und Sprachnorm

Sprache ist das wichtigste Kommunikationsmittel des Menschen. Sie kann als „ein historische entstandenes und überliefertes sozial institutionalisiertes System von Zeichen, das der menschlichen Gesellschaft zur Kommunikation dient […]“1 , interpretiert werden. Kommunikation funktioniert aber nur, wenn es bestimmte Regeln gibt, wie Sprache benutzt werden kann oder welche Wörter mit welcher Bedeutung besetzt sind. Hier setzt der Begriff der Norm an. Allgemein wird Norm als „Regel, Maßstab des Handelns“2 definiert. Settekorn stellt folgendes fest: „Normen sind auf Handlungen bezogen, […]. Sie regulieren Abläufe von Interaktionen, da sie für die wechselseitigen Erwartungen der Interaktanten konstitutiv sind. In diesem Sinn sind Normen sozial.“3 Eine gültige Definition besagt, dass soziale Normen „empirisch feststellbare Verhaltensweisen […]“ sind, „[…] die in einer Gesellschaft erwartet werden und denen man zu entsprechen hat (Brauch, Sitte), wenn keine Sanktionen folgen sollen“4 .

Normen haben folglich die wichtige Funktionen, dass sie angeben „wie gewisse Handlungen vollzogen werden“5 , genauer: durch Normen wird der „zielgerichtete Vollzug von Handlungen reguliert und damit deren sozialer Sinn gesichert […]“6 . Durch die oben angesprochenen Sanktionen werden die „[…] Verbindlichkeit und Allgemeingültigkeit von Normen und deren Anerkennung […] etabliert“7 , wobei Sanktionen nicht nur negative Ereignisse, wie Bestrafung, sondern auch positive Ereignisse sein können, indem beispielsweise gelobt wird. Positive Sanktionen sollen so das normenkonforme Verhalten festigen, wohingegen negative Sanktionen Konformitätsdruck ausüben. Abschließend ist die folgende Definition von Sprachnorm, auch im Hinblick auf deren Entstehung treffend:

Sprachnormen stellen einen Sonderfall sozialer Normen dar; sie sind definierbar als gedankliche Festsetzungen, die den Vollzug sprachlicher Interaktionen regeln, kollektive Verbindlichkeit beanspruchen und deren Nichtbefolgung zu Sanktionen seitens der jeweiligen Sprachgemeinschaft führen kann […]. Wie für Normen überhaupt, so gilt auch für Sprachnormen, daß sie in bestimmten historischen Zusammenhängen entstehen, […]. Sprachnormen sind Teil des kollektiven Sprachbewusstseins. Eine geordnete verständnissichernde Kommunikation erscheint ohne die Befolgung von Sprachnormen unmöglich.8

Der Begriff Sprachnormierung „umfasst sowohl die Kodifizierung oder Festschreibung einer Varietät als auch ihre spätere Elaboration bzw. ihren Ausbau.“9

2.2 Sprachnormierung der französischen Sprache

Zunächst muss festgestellt werden, dass die französische Sprache, wie alle anderen Sprachen, verschiedene Ausprägungen besitzt und auch früher schon besaß. „Die französische Sprache ist - wie jede Einzelsprache - zu keiner Zeit ein homogenes System, sondern ein heterogenes System.“10 Es existieren Varietäten, wie zum Beispiel Dialekte.

Jede sprachliche Varietät, also auch jeder Dialekt, ist durch Sprachnormen charakterisiert. Diese „sind zunächst deskriptiv („normal“), sie können präskriptiven („normativen“) Status erhalten (wie „bon usage“, „langue standard“), die besonderes Prestige besitzen.“11 Zusammenfassend ist also festzustellen, dass es verschiedene Sprachnormen, also les normes, zum Beispiel normes sociaux, régionales, etc. gibt, die deskriptiv sind, sowie davon unterschieden, la norme wie bon usage und langue standard, also eine norme préscriptive existiert.12

Die verschiedenen Dialekte waren bis zum 13. Jahrhundert einander gleichgestellt.13 Einige wichtige Dialekte in diesem Sprachraum waren zu dieser Zeit Normannisch, Pikardisch, Champagnisch und Franzisch, der Dialekt der Ile-de-France, der die Grundlage des heutigen Französisch bildet. Hier entwickelte sich nun eine überregio-nale Schriftsprache, die sogenannte Skripta14 , die von Geistlichen und Dichtern benutzt wurde. Ihre Basis ist das Franzische, „dessen höheres Prestige bereits allgemein anerkannt wird […].“15

Ende des 15. Jahrhunderts war der Übergang vom Feudalstaat zur zentralistischen Monarchie erreicht, was sogleich eine erste wirtschaftliche Einheit schuf. Auf der Grundlage eines Nationalbewusstseins konnte nun auch ein Sprachbewusstsein entstehen, denn „Das sich herausbildende Nationalbewusstsein befördert das Sprachbewusstsein, den sprachlichen Patriotismus.“16 Das heutige Französisch ist

das Ergebnis der Sprachnormierung seit dem 17. Jahrhundert. Mit der Entwicklung der höfischen Kultur im Absolutismus wird die Sprache des Hofs, der bon usage, mit der Norm gleichgesetzt, und die übrigen Sprachformen sind somit Abweichungen von dieser Norm.17

Wichtig ist hier François de Malherbe (1555-1628), der Hofdichter von Henry IV. „Malherbe will eine klare Literatursprache; diese clarté garantiert, dass sie ohne Schwierigkeiten verstanden wird, sie soll durchsichtig sein […]“18 . Die zur Zeit der Pleijadendichtung entstandenen Neologismen, also der quantitative Ausbau der Sprache wurde abgelehnt. „Der inzwischen erworbene Sprachreichtum wurde als Durcheinander betrachtet, das es zu ordnen galt.“19 Bis heute erkennt man in der französischen Sprachpflege die Abneigung gegen neue Wörter. Malherbes Ziel ist „pureté, clarté, précision, élégance. […], weniger ist für ihn mehr!“20 „Es ging jetzt nicht mehr um den weiteren quantitativen Ausbau, sondern um die Erhöhung ihrer [der französischen Literatursprache] Qualität.“21

Claude Favre de Vaugelas (1585-1650) „prägt mit seinen Remarques sur la langue française (1647) den bon usage als elitäre […] Sprachform.“22 Seine Definition des bon usage lautet: „C’est la façon de parler de la plus saine partie de la Cour, conformément à la façon d’escrire de la plus saine partie des Autheurs du temps.“23 Die Sprache des höfischen Adels und die einiger Schriftsteller war also das Vorbild für die präskriptive Norm des heutigen Französisch:

Die mit dem bon usage definierte Norm lebt [!] als klassisches Französisch bis heute fort und ist auch in ihrer heutigen Ausprägung eine Supernorm, […].24

2.3 Die Académie française

Im Jahre 1634 gründete Kardinal Richelieu25 die Académie française. Er wollte „aus dem Französischen ein diplomatisches Instrument machen […]“26 , was durch intensive Beschäftigung mit der Sprache erfolgen sollte. Zu seiner Zeit fanden regelmäßige Treffen einiger Schriftsteller und Bürger der höfischen Elite in den Pariser Salons statt. Hier wurde über Literatur und Sprache diskutiert. Als Richelieu auf diese Treffen aufmerksam wurde, institutionalisierte er sie, um sie unter königliche Autorität zu stellen.

Heute ist die Académie française die wichtigste nationale Einrichtung öffentlicher Sprachpflege in Frankreich. Sprachpflege kann folgendermaßen definiert werden: sie „stellt […] ein bewußtes, zielorientiertes Eingreifen in Sprechen und Sprache dar, sie dient der gelenkten Herausbildung, Entwicklung und Bewahrung der Gemeinsprache […].“27 Die Académie selbst sieht sich auch als „greffier du bon usage,“28 also als Urkundsbeamter des bon usage.

Die 40 Mitglieder der Académie sind hauptsächlich Schriftsteller, aber auch Philosophen, Wissenschaftler oder Politiker, „deren literarischen Werke Vorbildfunktionen übernehmen und zur Festigung des bon usage beitragen.“29 Sie müssen sich folglich durch eine vorbildliche Benutzung der französische Sprache auszeichnen: „[…] qui ont tous illustré particulièrement la langue française. “30 Nur nach dem Tod eines Mitglieds kann ein neues Mitglied aufgenommen werden. Außerdem müssen Mitglieder die französische Staatsbürgerschaft besitzen, mindestens als zusätzliche Staatsbürgerschaft.

Die Hauptaufgabe der Académie française liegt in der Arbeit an der französischen Sprache, wie in Artikel 4 der Statuten der Académie festgeschrieben ist:

La mission confiée à l’Académie est claire : « La principale fonction de l’Académie sera de travailler, avec tout le soin et toute la diligence possibles, à donner des règles certaines à notre langue et à la rendre pure, éloquente et capable de traiter les arts et les sciences. »31

Es wird bewusst betont, das die französische Sprache fähig sein soll, zugleich Sprache der Kunst und Wissenschaft zu sein. Die Reinheit der französischen Sprache soll bewahrt werden, indem in den Sprachgebrauch eingedrungene Begriffe, insbesondere aus dem Englischen, abgelehnt werden und dafür französische Entsprechungen gesucht werden. Die Sprachnormierung und sprachpflegerische Arbeit wird der Öffentlichkeit im Dictionnaire de l’Académie française zugänglich gemacht, das es bereits in neunter Auflage gibt. Es soll als Wörterbuch des bon usage gelten.

Generell zielen die Arbeiten an der Französischen Sprache zielen auf die „Verteidigung der französischen Sprache“, die „défense de la langue française“32 ab. Im Jahre 1958 gründete sich unter der Schirmherrschaft der Académie française eine Organisation mit dem Namen Association Défense de la langue, die ein gleichlautendes Heft und sogenannte communiqués de mise en garde herausgibt. Darin werden Sprachverstöße und anglophone Fachtermini getadelt. So soll die Gefährdung der précision der französischen Sprache durch Bedeutungswandel oder Sinneswandel, die Gefährdung der clarté durch Neologismen und die Gefährdung der universalité (Weltgeltung) durch das Englische, dass in der von der Wirtschaft dominierten Welt und Weltpolitik eine zunehmend größere Rolle spielt, bekämpft werden.33 Die Internetseite der Académie française drückt dies so aus: „Le rayonnement de la langue française est menacé par l’expansion de l’anglais, plus précisément de l’américain, qui tend à envahir les esprits, les écrits, le monde de l’audiovisuel.“34

Die Académie beteiligt sich so an einem rückwärtsorientierten sprachnormativen Diskurs35 , denn nach Muller, den Schmitt (1998) zitiert, ist für Frankreich das Opfern der Sprachnorm mit dem Verlust der Identität und Kultur gleichzusetzen. Bewusst werden Kriegsmetaphern benutzt. „Dabei stellt la langue française das bedrohte Opfer dar, dem la guerre erklärt wurde […].“36 Allein das Wort défense weckt Kriegsassoziationen. Das Verb envahir auf der Internetseite (siehe oben) passt ebenfalls in dieses Schema. So wird bewusst ein Gefühl der Bedrohung für die Sprache geschaffen. Nach Schmitt (1998) soll durch diese Haltung der Sprachpflegeorganisationen auch „auf den gesellschaftlichen Kommunikationsprozess in der Frankophonie Einfluß genommen werden.“37 Im zweiten Kapitel dieser Arbeit wird noch näher auf die Frankophonie eingegangen.

[...]


1 Johannes Klare, 1998, 7.

2 Schülerduden Politik und Gesellschaft, 1992, 273.

3 Wolfgang Settekorn, 1988,3.

4 Schülerduden Politik und Gesellschaft, 1992, 273.

5 Wolfgang Settekorn, 1988, 5.

6 Wolfgang Settekorn, 1988, 5.

7 Wolfgang Settekorn, 1988, 6.

8 Schmitt, 2001, 438, zitiert nach Winkelmann.

9 Winkelmann, 1990, 336.

10 Klare, 1998, 10.

11 Klare, 1998, 12.

12 vgl. Stein, 1998, 133 und Klare 1998, 12.

13 vgl. Stein, 1998, 137.

14 Skriptae sind „Schreibsprachen“, Schreibtraditionen oder Graphietraditionen in Texten - die oft beträchtliche graphische Variationen aufweisen - mit regionalen und vor allem überregionalen (supraregionalen) sprachlichen Merkmalen. Johannes Klare, 1998, 58.

15 Stein, 1998, 137.

16 Klare, 1998, 93.

17 Stein, 1998, 163.

18 Klare, 1998, 118.

19 Rodegra, 1996, 9.

20 Klare, 1998, 118.

21 Klare, 1998, 118.

22 Stein, 1998, 163.

23 Maier, 1984, 135.

24 Stein, 1998, 164.

25 Richelieu (1585-1642), mächtiger Kardinal unter Louis XIII (Regierungszeit 1610-1643)

26 Rodegra, 1996, 17.

27 Schmitt, 1998, 220.

28 http://www.academie-francaise.fr/role/defense.html

29 Fallegger, 1998, 38.

30 http://www.academie-francaise.fr/immortels/droite.html

31 http://www.academie-francaise.fr/role/statuts.pdf

32 http://www.academie-francaise.fr/role/missions.html

33 vgl. Schmitt, 1998, 228-230.

34 http://www.academie-francaise.fr/role/defense.html

35 vgl. Schmitt, 1998, 219.

36 Schmitt, 1998, 223.

37 Schmitt, 1998, 221.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Sprachnormierung in Frankreich und der Frankophonie am Beispiel Québécs
Hochschule
Universität Paderborn  (Fakultät für Kulturwissenschaften)
Veranstaltung
Norme et normalisation du langage: le cas du français
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V48376
ISBN (eBook)
9783638451079
ISBN (Buch)
9783638887885
Dateigröße
659 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschäftigt sich zunächst mit Definitionen von Sprache und Sprachnorm. Dann: geschichtlicher Überblick Sprachnormierung in Frankreich, auch Geschichte und Aufgabenfelder der Académie Francaise. Als nächstes wird die Frankophonie behandelt. Es werden Begriff, Geschichte und Rolle der Académie in der Frankophonie beleuchtet, um dann Sprachnormierung in der Frankophonie am konkreten Beispiel Québécs zu zeigen:Organe,Wortbeispiele,etc. 3-Seitiges Quellenverzeichnis plus Internetquellen!
Schlagworte
Sprachnormierung, Frankreich, Frankophonie, Beispiel, Québécs, Norme
Arbeit zitieren
Steffen Kittler (Autor:in), 2005, Sprachnormierung in Frankreich und der Frankophonie am Beispiel Québécs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48376

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