Michelangelo Antonioni ist der bildende Künstler unter den bedeutenden italienischen Regisseuren des 20. Jahrhunderts. Auf die exquisite Artifizialität seiner Filmbilder ist stets ausgiebig hingewiesen worden. Günter Rohrbach konstatierte 1962 diesbezüglich einen Höhepunkt mit dem damals neuesten (gerade in Cannes mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichneten) Werk „L’eclisse“:
Man sieht heute bei keinem Filmregisseur Bilder von noblerer Schönheit als bei Antonioni. Aber in der Perfektion des optischen Arrangements liegt eine Gefahr. Die Bilder Di Venanzos [Kameramann] sind von so ausgesuchter Apartheit, daß die Grenze zum Verstiegenen und Manierierten allzuleicht überschritten wird. Vieles bei Antonioni entzieht sich der Befragung auf seine direkte Sinnfälligkeit, hier noch mehr als bei anderen Filmen. [...] Dennoch fragt man sich in diesem Film gelegentlich (in den anderen stellt sich ein solcher Verdacht nicht ein), ob für einige Einstellungen nicht eher pures artifizielles Vergnügen als Bemühung um stilistische Geschlossenheit maßgeblich war. [...] Wenn ein Künstler von so eminenter Geschmackssicherheit gelegentlich ins Kunsthandwerkliche entgleist, mag daran nicht zuletzt der Umstand schuld sein, daß sich das gleiche Thema nicht beliebig oft variieren läßt.1Rohrbach steht mit seinen Vorbehalten gegenüber Antonionis Bildsprache, gerade was „L’eclisse“ betrifft, nicht alleine. Nicht nur die zeitgenössische Kritik, auch die aktuelle Forschung wird nicht müde, auf den hohen Anspruch an Artifizialität hinzuweisen, der Antonionis Arbeit am Bild leitet.2Beiden Parteien kann natürlich nur schwerlich widersprochen werden: Antonionis Arbeiten (und „L’eclisse“ ganz besonders) strotzen nur so von Motiven und filmischen Verfahrensweisen, die auf veränderte und bewusstere Sehpraktiken verweisen: Eine inflationäre Präsenz von Fenstern, Gittern, Rahmen, Spiegeln und Bildern ist an dieser Stelle ebenso zu bemerken wie unzählige den ‚Regeln‘ der découpage classique widersprechende Montagetechniken und die Verachtung des vom Hollywood-Kino aufgestellten Do gmas narrativer Ökonomie.3Beide Tatsachen thematisieren auf ihre je eigene Weise das Sehen selbst und verweigern dem Rezipienten so die Akzeptanz des Bildraums als kohärente Parallelwelt.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Hauptteil
- 2.1 Piero: Triumphator des Ökonomischen
- 2.1.1 Gérard Genette: Summary
- 2.1.2 Paul Ricoeur: Ökonomische Zeiterfahrung
- 2.1.3 Gilles Deleuze: Das Bewegungs-Bild und seine Parodie
- 2.2 Vittoria: Existentialistischer Flaneur
- 2.2.1 Gérard Genette: Deskriptive Pause
- 2.2.2 Paul Ricoeur: Existentialistische Zeiterfahrung
- 2.2.3 Gilles Deleuze: Das Zeit-Bild
- 2.3 Konzepte des Liebens
- 2.1 Piero: Triumphator des Ökonomischen
- 3. Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert Michelangelo Antonionis Film „L'eclisse“ unter der Fragestellung, wie Zeitlichkeit im Film dargestellt und erlebt wird. Dabei werden die Protagonisten Piero und Vittoria als Repräsentanten unterschiedlicher Zeitkonzeptionen betrachtet.
- Die Analyse von Zeitlichkeit in Antonionis „L'eclisse“
- Die Darstellung unterschiedlicher Zeitkonzeptionen durch die Protagonisten
- Die Verbindung zwischen Bildästhetik und Zeitlichkeit
- Die Verflechtung von Zeitlichkeit, psychischen Strukturen und diskursiven Realitäten
- Die Beziehung zwischen Piero und Vittoria als Konflikt zweier Zeitmodelle
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt Michelangelo Antonionis Film „L'eclisse“ als ein Werk vor, das sich durch eine hohe Artifizialität und die Thematisierung von veränderten Sehpraktiken auszeichnet. Der Hauptteil analysiert die Zeitlichkeit im Film anhand der beiden Protagonisten Piero und Vittoria. In Kapitel 2.1 wird Piero als Vertreter der ökonomischen Zeiterfahrung vorgestellt, während Kapitel 2.2 Vittoria als existentialistischen Flaneur charakterisiert. Beide Kapitel beziehen sich auf verschiedene Theorien, um die Darstellung von Zeitlichkeit in den Filmbildern zu analysieren.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen Zeitlichkeit, Bildästhetik, psychische Strukturen, diskursive Realitäten und die Beziehung zwischen den Protagonisten Piero und Vittoria. Der Fokus liegt auf der Analyse der Zeitlichkeit im Film „L'eclisse“ von Michelangelo Antonioni. Wichtige Konzepte sind dabei die Ökonomische Zeiterfahrung, die Existentialistische Zeiterfahrung, die Bewegungs-Bilder und die Zeit-Bilder.
- Quote paper
- Mirko Mandic (Author), 2004, Chroniken des Scheiterns. Implizite und explizite Modelle von Zeitlichkeit in Michelangelo Antonionis "L'eclisse", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48425