Die russischen Doppelverben


Hausarbeit, 2006

15 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Überblick über die Forschungslage

3. Der Begriff Doppelverben

4. Klassifikation der Doppelverben nach Weiss

5. Typen der Sachverhaltseinheit nach Pütsch

6. Zusammenfassung

Literatur

1. Einleitung

Der Gegenstand dieser Arbeit sind die sogenannten russischen Doppelverben. Dieses Phänomen der russischen Sprache wurde bis jetzt von mehreren Autoren erforscht und beschrieben. Jedoch die umfassendste und die ausführlichste Untersuchung dieses Gegenstandes bietet die Arbeit von Daniel Weiss “Dvojnye glagoly v sovremennom russkom jazyke” (1993) an, auf die ich mich in meiner Arbeit hauptsächlich stütze. Eine interessante Betrachtungsweise des Phänomens der Doppelverben, die unter anderem die Einteilung dieser Konstruktionen betrifft, liefert auch Heiderose Pütsch in ihrer Arbeit “Die russische Doppelverben – Eine Konstruktion zum Ausdruck einer Sachverhaltseinheit” (2001), die ich für diese Arbeit ebenfalls heranziehe.

Das Ziel dieser Arbeit ist das Phänomen der Doppelverben begrifflich zu erfassen, zu charakterisieren und es von den anderen ähnlichen Erscheinungen abzugrenzen. Es soll wie folgt vorgegangen werden: im zweiten Teil dieser Arbeit wird kurzer Überblick über die Situation auf dem Gebiet der Doppelverberforschung gegeben; im dritten Teil wird das Phänomen der Doppelverben definiert, umfassend beschrieben und es werden Kriterien seiner Abgrenzung von den anderen ähnlichen Erscheinungen präsentiert; im vierten Teil wird ausführlich auf die Klassifikation der Doppelverben von Weiss eingegangen; und anschließend im fünften Abschnitt dieser Arbeit wird die Einteilung der Doppelverben von Pütsch vorgestellt.

2. Überblick über die Forschungslage

Das Phänomen der Doppelverben wurde in der russischen Grammatik erst später untersucht. Erstmals wurde die Doppelverbkonstruktion 1913 von Milov als “Ziel einer Handlung” beschrieben. Später wurde sie von mehreren Autoren bald im Rahmen der standardsprachlichen Grammatik (Šachmatov 1941) bald unter Besonderheiten der Umgangssprache (Švedova 1960, Lapteva 1970, Zemskaja 1974, Krasil’nikova 1970, Sirotinina 1974) abgehandelt. Jedoch in den meisten Arbeiten wurden die Doppelverben entweder syntaktisch oder in bezug auf die Wortbildung dargestellt und nicht hinsichtlich ihrer Bedeutung beschrieben. Die erste russische Forscherin, die sich speziell mit der Funktion der Doppelverben befasste, war Švedova (1960).

Von verschiedenen Autoren wurden für diese Konstruktion verschiedene Begriffe verwendet. Bei Šachmatov stößt man auf dvuskazuemue sprjagaemo-glagol’nye predloženija, Gvozdev (1930) spricht von soglasovanie glagola s glagolom, Šapiro (1961) von složnye glagoly usw. Der Begriff “Doppelverben” wurde vermutlich erstmals in der Arbeit von Zemskaja (1974) eingeführt (s. Weiss 1993, 67), den auch Weiss (1993) und Pütsch (2001) wegen seiner Knappheit in ihren Ausführungen beibehalten.

1993 beschreibt Weiss die Doppelverben als eine Form mit spezifischer Funktion, die er im Ausdruck einer Situation bzw. einer Sachverhaltseinheit sieht. Bei der Klassifikation der Doppelverben geht er von der gegenseitigen semantischen Beziehung zwischen den beiden Komponenten aus, wobei er sich hauptsächlich auf die Arbeit von Švedova (1960) stützt.

Pütsch befasst sich ausführlich mit der Funktion der Doppelverben – der Sachverhaltseinheit, die sie als Verschmelzung zweier Basissituationen zu einem kognitiven Situationskomplex definiert. Von der inneren Beschaffenheit dieses kognitiven Situationskomplexes ausgehend, unterscheidet sie vier Typen der Sachverhaltseinheit, die durch die Doppelverbkonstruktionen ausgedrückt werden. Sie versucht auch einige Faktoren aufzuzeigen, die zur kognitiven Verschmelzung zweier Situationen beitragen.

3. Der Begriff Doppelverben

Als Doppelverbkonstruktion werden verbale Konstruktionen bezeichnet, in denen zwei (seltener mehr) Verben mit dem gemeinsamen ersten Aktanten – dem Subjekt, und seltener auch mit dem gemeinsamen zweiten Aktanten eine syntaktische Einheit bilden:

(1) Pozvol’ ja schožu frak nadenu. (Šachmatov 1941, 234)
(2) Potom ona pereechala v obščežitie ustroilas’ v studenčeskoe. (Mašinnyj fond russkogo jazyka)

Beide Komponenten haben die gleiche grammatische Gestaltung, d.h. kongruieren in Modus, Genus verbi, Person und Numerus, wobei sie sich hinsichtlich Tempus und Aspekt unterscheiden können, z. B.: sižu zadumalas’. Intonatorisch und prosodisch bilden Doppelverben eine Einheit, d.h. eines der Verben trägt den Akzent, und es wird keine Pause zwischen den Verben gesprochen. Die Verknüpfung der Verben erfolgt typischerweise asyndetisch. Doppelverben treten ausschließlich in der Umgangssprache oder in der Sprache literarischer Werke (z.B. bei Bunin: "Lošad' vašu vsju snegom zaneslo, vsja sognulas' stoit"; Weiss 1993, 77) auf. Am nächsten kommen ihnen in der Standart- bzw. Schriftsprache die koordinierten Verbindungen des Typs sidit i plačet.

In allen bisherigen Beschreibungen des Phänomens der Doppelverben wird die Behauptung vertreten, dass diese Konstruktion “als eine Prädikatseinheit wahrgenommen würde” (Weiss 1993, 69). Diese Eigenschaft der Doppelverbkonstruktion hob bereits deren erster Forscher Milov hervor, der darauf hinwies, dass es sich bei den Doppelverben um den Ausdruck nicht zweier, sondern nur einer Situation handelt (Milov 1913).

Dass Doppelverbkonstruktionen in den meisten Fällen als Ausdruck eines Situationskomplexes interpretiert werden, zeigt Pütsch (s. Pütsch 2001, 115) anhand einer Befragung von Muttersprachlern. Zuerst wurden den Probanden Sätze vorgelegt, die Doppelverben enthielten. Dann wurden dieselben Verben in einer koordinierten Struktur verwendet. Es wurde nach dem Typ möglicher Anschlusssätze gefragt. Ist ein singularischer Rückbezug auf die Konstruktion durch ėto dejstvije möglich, wird diese Konstruktion kognitiv als ein Situationskomplex repräsentiert. Ist ein pluralischer Rückbezug durch ėti/oba dejstvija notwendig, handelt es sich um zwei unabhängigen Situationen:

(3) Daže esli ja budu prosit’-umoljat’, uže net ekzamena, kotoryj ja mogu sdat’.

Ėto dejstvije student sčital niže svojego dostoinstva.

*Oba dejstvija student sčital niže svojego dostoinstva.

(4) Daže esli ja budu prosit’ ili umoljat’, uže net ekzamena, kotoryj ja mogu sdat’.

Oba dejstvija student sčital niže svojego dostoinstva.

*Ėto dejstvije student sčital niže svojego dostoinstva. (Pütsch 2001, 116)

Jedoch das Merkmal des kognitiven Verschmelzens ist rein intuitiv, denn die Frage, ob ein gegebenes Prädikatspaar eine oder mehrere Handlungen darstellt, von verschiedenen Befragten nicht immer eindeutig beantwortet wird. Aus diesem Grund eignet es sich nicht als Kriterium für die Doppelverbkonstruktion und wird in die obere Definition nicht aufgenommen. Wenn, auf der anderen Seite, auf dieses Merkmal verzichtet wird, müssen den Doppelverben solche Prädikatsmodelle zugeordnet werden, die nach Meinung von Weiss zu solchen nicht gehören (s. Weiss 1993, 69):

(5) Ja tebe skazala, čto ty sessiju ėtu budeš’ plakat’ sdavat’. (Weiss 1993, 69)

(6) Ja budu každyj raz stradat’ tuda chodit’. (Zemskaja 1973, 168)

Diese Beispiele können aufgrund ihrer prosodischen Einheit fälschlich den Doppelverben zugeordnet werden. Es lässt sich jedoch leicht zeigen, dass es sich bei diesen Konstruktionen um komplexe asyndetische Sätze handelt. Dafür soll eine Konjunktion eingefügt werden, in diesem Fall kogda, vgl.:

(5’) Ja tebe skazala, čto ty budeš’ plakat’, kogda sessiju ėtu budeš’ sdavat’.

(6’) Ja budu každyj raz stradat’, kogda budu tuda chodit’.

Es bietet sich also eine sichere Testmethode an, die das Kriterium der kognitiven Verschmelzung präzisieren lässt: kann eine Verbkonstruktion in einen komplexen Satz umgewandelt werden, so kann diese als Doppelverbkonstruktion nicht gelten.

Auch die nächsten Doppelverbkandidaten werden von Weiss’ wichtigstem Informanten Mel’čuk abgelehnt (s. Weiss 1993, 70):

(7) I potom / manera takaja / sdelala / i ničego ne uberet uchodit /

(Zemskaja 1973, 167)

(8) A: nu davaj dostan’!

B: čto že ja sejčas vse brošu budu dostavat’ (Mašinnyj fond russkogo jazyka)

Diese Prädikatspaare stellen eher eine asyndetische Verknüpfung gleichartiger Satzglieder dar. Bei deren Zuordnung zu den Doppelverben spielen gewisse Rolle unterschiedliche Aspekte beider Verben in Verbindung mit der Bedeutung “zeitliche Abfolge”. Außerdem legt hier die Anwendung des obenangeführten Tests die Einfügung der Konjunktion i nahe, die gerade an denjenigen Konstruktionen teilnimmt, die eine Art Vorstufe zu den Doppelverben darstellen (Švedova 1960, 86-91). Die prosodische Einheit, die hier eventuell vorkommt, ist eher zufällig und es kann auf sie durchaus verzichtet werden, ohne, dass ein Bedeutungswechsel eintritt. Auf diese Weise dient der Notwendigkeitsgrad der prosodischen Einheit als Kriterium für die Abgrenzung der Doppelverbkonstruktionen von solchen ähnlichen Konstruktionen, wie die Koordination gleichartiger Satzglieder.

Auch folgende Verbenpaare lassen sich nicht eindeutig bestimmen. Von einen Befragten wurden sie als ein Prädikat und von anderen als zwei unabhängige Prädikate interpretiert:

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die russischen Doppelverben
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Slavische Philologie)
Veranstaltung
Wissenschaftliche Übung
Note
1
Autor
Jahr
2006
Seiten
15
Katalognummer
V48481
ISBN (eBook)
9783638451833
Dateigröße
477 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Doppelverben, Wissenschaftliche
Arbeit zitieren
Anna Prawez (Autor:in), 2006, Die russischen Doppelverben, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48481

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