Das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit in der Netzwerkgesellschaft


Seminararbeit, 2019

14 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Öffentlichkeit und Privatheit nach Jürgen Habermas – Das klassische Konzept der Privatsphäre

3. Wandel der Subjektivierungsweise und vernetzter Individualismus

4. Das Ende der Privatsphäre?
4.1 Der Zerfall des öffentlichen Lebens und die Folgen
4.2 Kontrolle durch Personalisierung

5. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Ein dominantes gesellschaftliches und mediales Thema unserer Zeit ist der Schutz der Privatsphäre. In Zeiten, in denen riesige Internet-Konzerne wie Google, Facebook oder Amazon immer mehr persönliche Daten generieren und Staaten zum Wohle der öffentlichen Sicherheit darauf bedacht sind, die Kontrolle über die Bevölkerung zum Beispiel mittels Datenerhebungen und Videoüberwachung aufrechtzuerhalten, wird der Privatsphäre des Einzelnen ein hoher Stellenwert zugeschrieben (vgl. Friedewald 2018: 1f.).

In diesem Zusammenhang wird vor allem darüber diskutiert, wo Privatheit anfängt beziehungsweise wo Öffentlichkeit aufhört. Dabei ist der Begriff der Privatsphäre, in der modernen Vorstellung ein „durch Familie und enge Freunde begrenzter Lebensbereich“, an sich bereits umstritten (Sennett 1986: 31).

Das klassische Konzept der Privatsphäre, welches in der Moderne vorherrschend war, diente laut Felix Stalder (vgl. 2019: 97) der Vermittlung der Dynamiken der staatlichen Planung und der Autonomie des Individuums sowie deren öffentlicher Verhandlung. Heute werde dieses Konzept jedoch zunehmend schwächer, was unter anderem auf eine neue Kultur der Öffentlichkeit zurückzuführen sei, die ihrerseits aus einem veränderten Informations- und Kommunikationsangebot hervorgegangen wäre (vgl. Friedewald 2018: 3). Zudem haben sich speziell Netzwerke als wichtige Soziabilitätsformen durchgesetzt und sorgten somit auch für einen Wandel der Subjektivierungsweise von Individuen (vgl. Castells 2005: 140).

Stalder (vgl. 2019: 97) macht darüber hinaus den Wandel der Formen institutioneller Kontrolle neben den Subjektivierungsweisen politischer Akteure maßgeblich für den Zerfall des klassischen Privatsphäre-Konzepts verantwortlich.

Ziel dieser Arbeit ist es, herauszuarbeiten, in welchem Verhältnis Privatheit und Öffentlichkeit heutzutage zueinanderstehen. In diesem Kontext werden zuerst die Begriffe „Öffentlichkeit“ und „Privatheit“ sowie deren Bedeutung im klassischen Konzept der Privatsphäre von Jürgen Habermas erläutert. Daraufhin wird der Wandel der Subjektivierungsweise unter den Bedingungen der heutigen Netzwerkgesellschaft beschrieben. Schließlich soll untersucht werden, ob das „Ende der Privatsphäre“ bereits eingetreten ist oder kurz bevorsteht und welche Folgen dies für die künftige Bedeutung von Privatheit und Öffentlichkeit hat.

Grundlegend für die Untersuchung des Verhältnisses von Privatheit und Öffentlichkeit sind die Begriffe und Konzepte Jürgen Habermas´ sowie der Text „Autonomie und Kontrolle nach dem Ende der Privatsphäre“ von Felix Stalder (2019) über die Entwicklung und Transformation des Privatsphäre-Konzeptes.

2. Öffentlichkeit und Privatheit nach Jürgen Habermas – Das klassische Konzept der Privatsphäre

Privatheit ist seit jeher auf Öffentlichkeit bezogen. Somit ist es wichtig, bei der Untersuchung des Konzeptes von Privatsphäre auch den Begriff der Öffentlichkeit näher einzugrenzen und zu erklären.

Jürgen Habermas, der als erster Sozialwissenschaftler die Sphäre der Öffentlichkeit näher untersucht hat, sieht eine „Mannigfaltigkeit konkurrierender Bedeutungen“ bei der Verwendung der Begriffe „öffentlich“ beziehungsweise „Öffentlichkeit“ (Habermas 1990: 54). Er nähert sich dem Begriff der Öffentlichkeit, indem er diese als „ein Netzwerk für die Kommunikation von Inhalten und Stellungsnahmen, also von Meinungen “ sieht (Habermas 1992: 436).

Martin Endreß (2013: 153) definiert Öffentlichkeit nach Jürgen Habermas als „Begriff für den sozialen Raum, der kommunikatives Handeln und kommunikative Macht im Horizont eines solidarischen Zusammenlebens möglich macht und der unter modernen Vergesellschaftungsbedingungen zugleich dauerhaften Gefährdungen durch ökonomische, administrative und mediale Macht ausgesetzt ist“. Diese Definition macht zugleich deutlich, dass die Öffentlichkeit Bedrohungen ausgesetzt ist.

Habermas´ Habilitationsschrift „Strukturwandel der Öffentlichkeit“, erschienen 1962, sowie seine darin vorgenommene Analyse des Typus´ bürgerlicher Öffentlichkeit, sind bis heute grundlegend, wenn es darum geht, die Verschiebung des Verhältnisses von Privatheit und Öffentlichkeit in der Moderne zu erklären. Darin führt er aus, dass die moderne Öffentlichkeit erst im Zuge der Herausbildung von modernen Nationalstaaten entstanden sei, in denen sich eine Sphäre der öffentlichen Gewalt gebildet hätte. Dieser Sphäre, zu der sämtliche staatliche Institutionen wie Verwaltung, Militär und Polizei gehörten, hätten Privatleute gegenübergestanden, die zusammen als „Adressaten der öffentlichen Gewalt“ deren Publikum bildeten (Habermas 1990: 75).

Die kurz darauf entstandene Wirtschaftsform des Kapitalismus hätte zum einen die „Privatisierung des Reproduktionsprozesses“ hervorgebracht. Zum anderen besaßen nun die privatisierten wirtschaftlichen Tätigkeiten im Zuge der veränderten ökonomischen Bedingungen auch öffentliche Relevanz (vgl. ebenda: 76).

Des Weiteren spricht Habermas in seinem Werk von der Institutionalisierung einer publikumsbezogenen Privatheit, die unter anderem von einer „spezifischen Subjektivität“ (ebenda: 107) ausgehe. Diese Subjektivität habe ihrerseits ihren Ursprung in den kleinfamilial-intimen Beziehungen der bürgerlichen Familie. Somit folgerte Habermas: „Diese [Subjektivität], als der innerste Hof des Privaten, ist stets schon auf Publikum bezogen“ (ebenda: 114).

Privatheit als eben jener Zustand, in der die publikumsbezogene Subjektivität auftritt, steht demnach schon seit deren Entstehung in der bürgerlichen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts in einem unauflöslichen Verhältnis zur Öffentlichkeit.

Was Jürgen Habermas den innersten Hof des Privaten nennt, bezeichnet Felix Stalder nach Charles Taylor als eine „geistige Innenwelt“. Von ihr gehe die menschliche Vernunft sowie die Fähigkeit, „sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen … zu bedienen“, aus (Stalder 2019: 100, zitiert nach Kant 1784: Was ist Aufklärung?). Das Konzept der Privatsphäre schützte demnach diese innere Welt - der Hort der Privatheit - in der Moderne „gegen den Einfluss externer Autoritäten und […] damit die Fähigkeit des Bürgers zu [reflektieren]“ (ebenda). Somit kam dem Privatsphäre-Konzept in der Moderne eine zentrale Funktion zu, nicht nur beim Schutz von Privatheit, sondern auch bei der Subjektivierung des Individuums.

3. Wandel der Subjektivierungsweise und vernetzter Individualismus

Unter Subjektivierung werden in der Soziologie teils unterschiedliche Prozesse verstanden. Für diese Seminararbeit ist die Subjektivierung des Individuums unter den Bedingungen der Autonomie und Kontrolle, also im Spannungsverhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit, maßgebend. Insofern sei im Folgenden mit Subjektivierung schlichtweg die Konstitution und Selbstwahrnehmung eines Menschen beziehungsweise Subjektes als autonomes Individuum im öffentlichen Raum zu verstehen. Unter Autonomie versteht Stalder (2019: 106) „die Fähigkeit von Menschen, ihr Leben nach ihren eigenen Wünschen zu gestalten“.

Manuel Castells (vgl. 2005: 9) sieht im Netzwerk die Organisationsform des heutigen Informationszeitalters. Demnach hätten Netzwerke räumliche Gemeinschaften „als wesentliche Formen der Soziabilität ersetzt“ (ebenda: 140). Mit Soziabilität ist hier das Verhalten von Individuen und deren Austausch untereinander im sozialen Raum gemeint.

Mit dem Aufkommen wirkmächtiger moderner Internet- und Technologie-Konzernen sei darüber hinaus in den letzten Jahrzehnten eine neue Industrie entstanden, die durch eine hochgradig zentralisierende Infrastruktur gekennzeichnet wäre (vgl. Stalder 2011: 136).

Das Internet und seine auf Vernetzung beruhende Funktionsweise spielten demnach heutzutage bei der Herstellung von Soziabilität eine zentrale Rolle. So ist das Internet laut Castells (2005: 144) die „materielle Stütze für die Verbreitung des vernetzten Individualismus als vorherrschende Form der Soziabilität“. Daher nennt er die gegenwärtige Gesellschaftsform eine Netzwerkgesellschaft (vgl. Castells 2017: 567).

Der hier angesprochene vernetzte Individualismus ist nach Stalder (2019: 102f.) die Folge des Wandels der Subjektivierungsweise, der unter anderem von Netzwerken ausgeht. Durch das fortschreitende Wegbrechen traditioneller Institutionen wie der bürgerlichen Familie oder eines sicheren Arbeitsplatzes, und dem Auftauchen neuer, für breite Bevölkerungsschichten zugänglicher Kommunikations- und Transportinfrastrukturen, sei in den letzten Jahren eine neue Subjektivierungsweise entstanden (vgl. ebenda: 103).

In dieser formiere sich Soziabilität in Netzwerken, indem man sich eine Repräsentation schaffe, deren Wert sich nicht primär durch Anwesenheit, sondern vielmehr durch regelmäßige Kommunikation ergebe. Mithilfe dieser Repräsentation sowie unter Berücksichtigung der Normen und Regeln des jeweiligen Netzwerkes müsse man „zur sich formenden Sozialität“ möglichst kreativ beitragen, wenn man als Subjekt respektiert werden möchte (ebenda). Somit wird Subjektivierung in gewissem Maße gleichbedeutend mit Sozialisierung. Denn die Unterscheidung zwischen „innerer“ und „äußerer Welt“ verschwimme immer mehr. Subjektivität entstehe nunmehr durch Interaktion innerhalb der sozialen Welt und weniger durch Introspektion in der „inneren Welt“ (vgl. ebenda: 104). Die neue Subjektivierungsweise fordert also vom Subjekt, seine Persönlichkeit in der Gesellschaft, im Umgang mit anderen, zu formen.

Schon Richard Sennett (1986: 25) sah ein „Bedürfnis, im gesellschaftlichen Umgang die eigene Persönlichkeit zu offenbaren“.

Dadurch haben sich auch die Bedingungen für Autonomie geändert. Diese könnten demnach nun „nicht mehr in der inneren Welt, mit einer gewissen Distanz zur sozialen Welt, verortet werden, sondern als basierend auf vernetzten Projekten, in denen Sozialität verhandelt und gelebt wird" (Stalder: 106). Da das Internet viele solcher netzwerkartiger Projekte hervorbringe, würden sich zukünftig sogar mehrere Möglichkeiten ergeben, „sich relevante Räume der Autonomie zu schaffen“ (ebenda: 108). Diese Erweiterung der Möglichkeiten führt Stalder (ebenda) zurück auf den Anstieg freiwilliger, horizontaler Assoziationen, die „die Interessen und Begehren ihrer Mitglieder direkt zum Ausdruck bringen“.

Doch diese neue Subjektivierungsweise bringt auch einige Nachteile mit sich. Denn nicht nur auf den Wandel der Subjektivierungsweise hat das Netzwerk maßgeblichen Einfluss, sondern folgerichtig auch auf das klassische Privatsphäre-Konzept der Moderne, wie im nächsten Kapitel gezeigt wird.

4. Das Ende der Privatsphäre?

4.1 Der Zerfall des öffentlichen Lebens und die Folgen

Wie bereits dargelegt wurde, ist die Zukunft der Privatsphäre nicht nur mit der Zukunft von Privatheit, sondern auch mit der der Öffentlichkeit verbunden. Daher ist, wenn vom Ende der Privatsphäre die Rede ist, zwingend auch auf die Entwicklung des öffentlichen Lebens zu achten.

Richard Sennett (1986: 15) sieht in diesem Zusammenhang vor allem die „Entkräftung der öffentlichen Sphäre“ als ein gegenwärtiges1 gesellschaftliches Problem. Nicht nur dem Staat gegenüber, sondern auch gegenüber Bürgern, die fremd sind oder nicht ihrem engeren Familien- oder Bekanntenkreis angehören, verhielten sich die Menschen zunehmend apathisch. Dies hätte den Verfall des öffentlichen Lebens zur Folge (vgl. ebenda: 15f.).

[...]


1 Das Buch Sennetts ist zwar schon 1986 erschienen. Seine Diagnose gilt aber weiterhin als aktuell.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit in der Netzwerkgesellschaft
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Note
1,3
Jahr
2019
Seiten
14
Katalognummer
V486569
ISBN (eBook)
9783668967793
ISBN (Buch)
9783668967809
Sprache
Deutsch
Schlagworte
verhältnis, privatheit, öffentlichkeit, netzwerkgesellschaft
Arbeit zitieren
Anonym, 2019, Das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit in der Netzwerkgesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/486569

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