Die Darstellung des Themas Informationskontrolle in der amerikanischen Cyberpunk-Literatur am Beispiel von Neal Stephensons Snow Crash


Magisterarbeit, 2001

70 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Der extratextuelle Kontext von Snow Crash – Das Informationszeitalter und seine technischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen
2.1 Die fünf Phasen der Informationsrevolution und ihre Auswirkungen auf Informationskonservierung, -übermittlung und -kontrolle
2.2 Das Informationszeitalter und seine Folgen für die Informationskontrolle
2.3 Gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen des Informationszeitalters

3. Merkmale und Techniken der Science Fiction und deren Umsetzung in Snow Crash
3.1 Erkenntnis und Verfremdung als Techniken der Science Fiction
3.2 Erkenntnis und Verfremdung in Snow Crash

4. Informationskontrolle als zentrales Thema von Snow Crash
4.1 Erzählstruktur, Handlungsverlauf und Figuren
4.1.1 Die Rahmenhandlung
4.1.2 Viren, Me und Deep Structures – Informationskontrolle mittels neurolinguistischer Manipulation
4.2 Intertextuelle Bezüge in Snow Crash - Drei Teilbereiche von Stephensons Darstellung der Informationskontrolle
4.2.1 Sumerische Geschichte und Religion
4.2.2 Glossolalie
4.2.3 Linguistische Theorie

5. Zusammenfassung der Romananalyse und Schlußbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Science Fiction-Literatur wird von den meisten Literaturkritikern als wenig ernst zu nehmende Gattung qualifiziert. Viele von ihnen bezeichnen sie als Trivialliteratur, oder, um die Begriffe von Darko Suvin (1979: vii) zu gebrauchen, als „ Paraliterature“, die von der „ High Literature“, also der anspruchsvollen Literatur abzugrenzen ist[1]. Kommerziell gesehen gehört die Science Fiction jedoch zu den erfolgreichsten Gattungen. Suvin folgert aus dieser Tatsache, daß die Literaturwissenschaft, wenn sie sich nur auf die „ High Literature“ beschränkt und damit neunzig Prozent ihres gesamten Untersuchungsgebietes, die „ Paraliterature“ nämlich, unbeachtet läßt, Gefahr läuft, nur ein Zerrbild der Gesamt­literatur zu erhalten (ebd.). Zwar erscheinen unter dem Begriff Science Fiction viele Werke, die zu Recht den Ausdruck Trivialliteratur tragen, aber die gesamte Gattung darf deswegen nicht als minderwertig kategorisiert werden. Suerbaum et. al. merken deshalb zu Recht an,

[...], daß die Gattung in sich nach Zielgruppen und Anspruchsniveau gestuft ist. Sie richtet sich teils an Erwachsene, teils an Jugendliche und bietet alles, von platter Massenware bis zu komplexen Texten mit avantgardistischem und elitärem Anstrich. Es findet sich dagegen keine Handgabe, die ganze Gattung als >niedere< oder >höhere< Form der Literatur einzustufen oder innerhalb ihrer Grenzen eine scharfe Trennungslinie zu ziehen. (1981: 35)

Demnach darf die Science Fiction-Literatur nicht als homogene Gattung betrachtet wer­den. Ebenso wie andere Gattungen, wie etwa der Kriminalroman, hat sie neben Romanen reiner Unterhaltungsliteratur auch Romane hervorgebracht, die als anspruchsvolle Litera­tur gelten können. Es stellt sich dennoch die Frage, welche Erkenntnisse eine Untersu­chung von Science Fiction Romanen vermitteln kann, warum sich die Literaturwissen­schaft also neben dem schon oben von Darko Suvin genannten Grund mit dieser Gattung beschäftigen sollte. Suvin gibt auf diese Frage zwei Antworten. Zum einen sagt er:

SF has particularly affected such key strata or groups of modern society as college graduates, young writers, and the avant-garde of general readers appreciative of new sets of values. This is a significant cultural effect which goes beyond any merely quantitative census. (1979: 3)

Diesen von Suvin angeführten kulturellen Effekt der Science Fiction kann man beispiels­weise sehr gut an der Verwendung des Begriffes Cyberspace erkennen: ursprünglich stammte der Begriff aus William Gibsons Roman Neuromancer (1984), heutzutage ist er als Synonym für die virtuelle Realität in Computerspielen oder im Internet in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen[2]. Neben diesem soziologischen Aspekt spricht Suvin der Science Fiction aber auch noch eine gesellschaftspolitisch relevante Dimension zu. Er vertritt folgende Meinung:

[...] SF takes off from a fictional („literary“) hypothesis and develops it with totalizing („scientific“) rigor [...]. The effect of such factual reporting of fictions is one of confronting a set normative system – a Ptolemaic-type closed world picture – with a point of view or look implying a new set of norms [...]. (ebd.: 6)

Aufgrund dieser Konfrontation eines gegebenen normativen Systems ist für Suvin die Science Fiction „a diagnosis, a warning, a call to understanding and action [...]“ (ebd.: 12). Dieselbe Auffassung vertreten Suerbaum et. al., wenn sie das Ziel der Science Fiction als „Bewußtmachung eines Problems und Vertretung eines Standpunktes“ (1981: 28) definie­ren. Die Science Fiction setzt sich also kritisch mit den Gegebenheiten ihrer Zeit und ihrer Gesellschaft auseinander und übt Kritik an den gesellschaftlichen, politischen oder kultu­rellen Umständen. Oder, wie Suerbaum et. al. es ausdrücken,

sie [die Science Fiction] will dem Leser Belehrung und Erkenntnisse vermitteln, will ihn herausfordern, über sich selbst und seine Umwelt nachzudenken und Lehren aus den erfundenen Geschichten zu ziehen, [...]. Science Fiction will didakti­sche Literatur sein. (ebd.: 13)

Dieser didaktische Anspruch der Science Fiction ist es, der sie zu einer ernstzunehmenden literarischen Gattung macht und der eine literaturwissenschaftliche Untersuchung ihrer Werke rechtfertigen kann.

Unter der Prämisse, daß Science Fiction Literatur eine kritische Auseinander­set­zung mit der gegebenen Realität zum Zeitpunkt ihrer Entstehung darstellen kann, lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, welche gesellschaftlichen Umstände für den Autor beim Schreiben relevant waren. Da der Autor aber nicht als isoliertes Individuum in einem be­ziehungsleeren Raum lebt, kann man davon ausgehen, daß die Relevanz, die er einem Thema beimißt, auch gesamtgesellschaftliche Bedeutung besitzt. Schutte beschreibt den Zusammenhang zwischen Autor, Text und Wirklichkeit wie folgt:

Die Analyse [...] versteht [...] den Text zunächst als eine Botschaft des Autors. [...] Er verhält sich – implizit oder explizit stellungnehmend – zu den gesellschaftlichen und literarischen Verhältnissen seiner Zeit, antwortet nach Inhalt und Form auf individuelle und gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen. (1997: 46)[3]

In dem oben genannten Zusammenhang zwischen den Inhalten der Science Fiction und der gegebenen Realität, in der sie entsteht, ist auch die Aussage von Suerbaum et. al. zu betrachten, der zufolge das Potential von Science Fiction nicht in der Prognose einer mög­lichen Zukunft, sondern in der Konstruktion von Alternativen zur heutigen Realität liegt (1981: 21). Science Fiction ist also eher auf die Gegenwart gerichtet als auf die Zukunft. Das heißt zum einen, wie oben schon bemerkt, daß die Grundlagen, auf denen der Welt­entwurf[4] eines Science Fiction Romans basiert, in der Gegenwart des Autors zu finden sein müssen. Das heißt aber auch, daß eine kritische Auseinandersetzung mit einem Science Fiction Roman immer nur vor dem Hintergrund dieser für den Autor gegenwärti­gen Situation erfolgen kann. Ohne ein Verständnis der gesellschaftlichen Umstände ist es nicht möglich, den Weltentwurf eines Science Fiction Romans als Konfrontation zum be­stehenden System zu verstehen. Daher ist es wichtig, sich mit dem „extratextuellen Kon­text“ (Schutte 1997: 76) des Romans zu beschäftigen, denn dieser extratextuelle oder auch zeitgenössische Kontext konstituiert die Wirklichkeit, in die der Autor schreibend eingrei­fen will, also den Hintergrund für seine intendierte Wirkung (ebd.: 77).

In den achtziger Jahren entstand in den USA innerhalb der Science Fiction eine neue literarische Richtung, die als Cyberpunk bezeichnet wird. Diese „Bewegung“[5] wurde thematisch von der Science Fiction der vierziger und fünfziger Jahre beeinflußt, die sich inhaltlich vor allem mit den Auswirkungen des technischen Fortschritts beschäftigte[6]. Vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklungen in den achtziger Jahren, besonders im Bereich der Computertechnik, setzt sich die Cyberpunk- Literatur mit den gesellschaft­lichen Implikationen dieser neuen Technologien auseinander. Vor allem der Zusammen­hang zwischen den neuen Technologien und der Verteilung von Macht sowie die Frage, wie die Technik den Menschen selber und das gesellschaftliche Zusammenleben beein­flußt, stehen dabei im Vordergrund.

Einer der zentralen Aspekte dieser Auseinandersetzung, also eine der wesentlichen gesellschaftlichen Herausforderungen, zu der die Autoren des Cyberpunk und insbeson­dere auch Neil Stephenson in dem hier zu untersuchenden Roman Snow Crash Stellung beziehen, ist die Ausübung von Informationskontrolle als Instrument der Macht. Macht und Information sind zwei Begriffe, die immer schon eng miteinander verknüpft waren:

Information ist für den Menschen [...] notwendige Basis des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Nur durch Information wird Kommunikation möglich. Sprache und Schrift, Bild und Ton sind Träger der Information [...]. Der Wunsch, die Informations- und Kommunikationsflüsse zu steuern, ist dadurch verständlich. Wer den Schlüssel zur Informationssteuerung hat, der steuert nicht nur die Information, der steuert die Gesellschaft. Informationsregulierung ist damit der direkteste, der einfachste Weg der Einflußnahme auf die Gesellschaft. (Brinkmann 1997: 3)

Der Zugang zu Informationen hat immer schon die Elite vom Volk abgegrenzt und daher als Instrument des Machterhalts gedient. Neben dieser ersten Dimension der Informa­ti­onskontrolle, d.h. der Beschränkung des Zugangs zu Informationen, gibt es jedoch noch eine zweite Dimension: die der gezielten Verbreitung bestimmter Informationen zur Ver­folgung gewisser Ziele. Diese Dimension der Informationskontrolle spiegelt sich vor al­lem in der politischen Propaganda und in den Praktiken bestimmter religiöser Gemein­schaften. In diesem Sinne kann Informationskontrolle als direkter Weg der Einflußnahme auf die Gesellschaft verstanden werden.

Die Möglichkeiten der Informationskontrolle hängen jedoch immer mit den techni­schen Voraussetzungen zur Informationsspeicherung und –übermittlung zusammen. Jede neue Entwicklung, die den Zugang und die Distribution von Informationen verändert, er­fordert auch neue Methoden zu deren Kontrolle. Am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts sah sich die Welt mit völlig neuen Technologien der Informationsverarbeitung, allen voran dem Personal Computer und dem Internet, konfrontiert. Die neue Technologie, die nicht von ungefähr auch als „Informationstechnologie“ bezeichnet wird, hat den Zugang und die Übermittlung von Information entscheidend beschleunigt und vereinfacht. Damit entste­hen neue Probleme in Bezug auf die Kontrolle über diese Informationen. Bisherige Tech­niken versagen angesichts der Möglichkeit, Informationen innerhalb kürzester Zeit dem Computer zu entnehmen und über das weltweite Datennetz zu verbreiten. Die Diskussion über Regulierungen des Zugangs zum und der Informationsveröffentlichung im Internet, die Mitte der neunziger Jahre vor allem in den USA, aber auch in Deutschland stattfand (Vgl. 2.2), verdeutlichen die Angst der Kontrollinstanzen, angesichts der neuen Technik ihre Stellung als solche zu verlieren. Denn, wie Lübbe sagt, „der technische Fortschritt [...] erschwert die Behauptung totalitärer Informationsmonopole“ (Lübbe: Abs. 20).

Auch Neal Stephensons 1992 erschienener Roman Snow Crash, der im Allgemei­nen als Cyberpunk- Roman der zweiten Generation bezeichnet wird[7], beschäftigt sich mit diesem Thema. Der Roman bietet sich für eine Analyse der Darstellung des Themas In­formationskontrolle in der Cyberpunk- Literatur an, weil er sich mit den verschiedenen Methoden der Informationskontrolle seit den Anfängen menschlicher Zivilisation aus­ein­andersetzt und das Thema damit in einen historischen Zusammenhang einordnet. Dar­auf aufbauend entwickelt Stephenson eine Hypothese, die nicht darauf beschränkt ist, In­for­mationskontrolle nur in ihrer Dimension als Zugangsbeschränkung zu Informationen zu sehen, wie das in den meisten anderen Cyberpunk -Romanen der Fall ist, sondern die eine wesentlich weitergehende Definition von Informationskontrolle einführt. Snow Crash bietet damit die ausführlichste Auseinandersetzung mit diesem Thema, die sich in der Cyberpunk-Literatur finden läßt. Der Roman verbindet auf einzigartige Weise typische Elemente des Cyberpunk mit sumerischer Mythologie, Religionsgeschichte und Erkennt­nissen der linguistischen Theorie, um daraus die Geschichte der unterschiedlichen Metho­den der Informationskontrolle von der Zeit der Sumerer bis heute darzustellen und eine neue Interpretation von Informationskontrolle als Instrument des Machterhalts zu erstel­len. Auf dieser Neuinterpretation baut Stephenson seine Hypothese des „ Neurolinguistic Hacking“ auf. Diese Hypothese, nach der es möglich ist, einen direkten Zugriff auf den Hirnstamm der Menschen zu erlangen und sie somit zu kontrollieren, soll im Verlauf die­ser Arbeit dargestellt und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen bewertet werden. Dabei soll zunächst der extratextuelle Kontext von Snow Crash, der den Hintergrund des Ro­mans bildet, dargestellt werden und anschließend ein Überblick über einige der in der Science Fiction verwendeten Techniken gegeben werden, die sich auch in Snow Crash wiederfinden und die für die Analyse des Romans wichtig sind. Anschließend sollen die formalen und inhaltlichen Aspekte des Romans untersucht werden. Schließlich soll erläu­tert werden, daß Stephensons Darstellung des Themas Informationskontrolle als kritische Auseinandersetzung mit modernen Informationsgesellschaften am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts zu verstehen ist und daß der Roman daher als ernstzunehmende Stellung­nahme des Autors zu den gesellschaftlichen Gegebenheiten seiner Zeit angesehen werden kann.

2. Der extratextuelle Kontext von Snow Crash – Das Informationszeitalter und seine technischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen

Die Auseinandersetzung mit dem Thema Informationskontrolle in Cyberpunk- Romanen und insbesondere auch in Snow Crash hat ihren Ursprung in den technischen und gesell­schaftlichen Veränderungen, die in den achtziger Jahren vor sich gingen. Vor allem der technologische Fortschritt im Bereich der Computertechnologie, aber auch der anderen Medien, war dabei bedeutsam. 1981 war das Jahr, in dem IBM mit dem Personal Com­puter die Computertechnik für jedermann zugänglich machte und damit die Ära einläutete, die heute als „Informationszeitalter“ oder in den Worten Neil Postmans als „fifth stage of the information revolution“ (1991: 68) bezeichnet wird. Revolution bedeutet immer eine radikale Umwälzung existierender Umstände. In dem Sinn, in dem Postman den Begriff der „Informationsrevolution“ benutzt, bedeutet er eine Veränderung in den Bereichen der Informationskonservierung und -verbreitung und deren Kontrolle. Da die Mechanismen der Informationskontrolle immer abhängig sind von den technischen Möglichkeiten der Informationskonservierung und –übermittlung, ist es sinnvoll, zunächst die fünf Phasen der Informationsrevolution darzustellen und zu untersuchen, welche Kontrollmechanismen jede der Phasen hervorgebracht hat. Anschließend soll erläutert werden, wie sich das Thema Informationskontrolle in unserem heutigen „multimedialen“ oder Informations­zeitalter darstellt.

2.1 Die fünf Phasen der Informationsrevolution und ihre Auswirkungen auf Informationskonservierung, -übermittlung und -kontrolle

Ursprung aller weiteren Entwicklungen im Bereich der Informationskonservierung ist die Erfindung der ersten Schriftzeichen durch die Sumerer etwa 3200 v. Chr., die in Tontafeln eingeritzt und dann durch das Trocknen oder später auch durch Brennen des Tons haltbar gemacht wurden. Orale Kulturen erhielten damit ein Werkzeug der Wissens- oder Infor­mationskonservierung. Die sumerische Schrift wird als „Keilschrift“[8] bezeichnet. Ur­sprünglich bestand sie aus mehr oder weniger komplexen Symbolen, die bestimmte Worte repräsentierten. So wurde beispielsweise das sumerische Wort für „Pfeil“, TI, mit dem Symbol eines Pfeiles repräsentiert. Die Keilschrift war also anfänglich logographisch. Ein solches System hat jedoch zwei Nachteile: zum Ersten ist eine sehr große Anzahl von Symbolen, oder Logogrammen, erforderlich, um alle Worte einer Sprache darstellen zu können, zum Zweiten können auf diese Art nicht alle Bestandteile der gesprochenen Spra­che dargestellt werden. Sumerisch war eine agglutinierende Sprache, d.h., daß zur Beu­gung von Wörtern ein oder mehrere Affixe an den Wortstamm angehängt wurden, die auf irgendeine Weise dargestellt werden mußten. Zur Lösung des ersten Problems wurden Homophone in der Folge durch das selbe Symbol repräsentiert: so hatte beispielsweise das sumerische Wort für „Leben“ die selbe phonetische Repräsentation wie „Pfeil“, nämlich TI, und das Symbol für „Pfeil“ wurde daher auch für „Leben“ verwendet. Auf diese Weise konnte man die Anzahl der Logogramme auf etwa 700 reduzieren. Das zweite Problem wurde dadurch gelöst, daß ein Affix, wenn es den selben phonetischen Wert hatte wie ein anderes Morphem, für das bereits ein Symbol existierte, durch das selbe Logogramm re­präsentiert wurde. So wurde beispielsweise das Symbol für „Pfeil“ in der Folgezeit gene­rell zur Darstellung der Silbe ti verwendet (Lehmann 1992: 48). Das sumerische Schrift­system entwickelte sich also im Laufe der Zeit von einem rein logographischen zu einem logo-syllabischen.

Sumer bestand aus mehreren Stadtstaaten, deren jeweiliges Machtzentrum der Tempel war, der dem Schutzgott jeder Stadt gewidmet war. Ursprünglich wurde die Keil-

schrift vor dem Hintergrund eines stetig wachsenden Warenaustauschs zwischen den ein-zelnen Stadtstaaten und ihren Nachbarn zu dem Zweck der Buchhaltung entwickelt, um die Warenbestände des Tempels besser überblicken und verwalten zu können. Das bedeu­tet, daß dieses erste Mittel der dauerhaften Informationsspeicherung ausschließlich in den Händen der Priester und Tempelschreiber lag und das Volk ausgegrenzt war. Harriet Crawford schreibt dazu: „Scribes were highly trained bureaucrats and specialists, who must have wielded a great deal of power as the majority of the population was illiterate, even at the high level“ (1991: 153). Die Erfindung der Schrift änderte also nichts an den bestehenden Machtkonstellationen. Im Gegenteil: sie verstärkte sie noch, denn „[...] the creation and use of writing was closely tied to divine creative powers. By uttering or writing down a word, objects get created or people get immortal. They reinforced the notion of writing as supernatural and therefore enforced the exclusivity of the „scribe“ class“ (Lo 2000: Abs. 6). Obwohl sie einen enormen Schritt auf dem Weg der Wissens­konservierung darstellt, hat sie keinen Einfluß auf die Kontrollmechanismen. Die Macht über die Informationen lag sowohl vor als auch nach der Entwicklung der Keilschrift in den Händen der Regierenden, in diesem Falle der Priester und anderen Tempelangehöri­gen. Dennoch entstand durch die Erfindung der Keilschrift zum ersten Mal ein kollektives Wissen, d.h. eine vom Individuum unabhängige Sammlung von Informationen. Und sie stellte die Grundlage für die weitere Entwicklung hin zu einem alphabetischen Schreib­system dar, wie es zuerst etwa am Ende des neunten oder Anfang des achten Jahrhunderts v. Chr. von den Griechen entwickelt wurde (Lehmann 1992: 51)[9].

Die erste wirkliche Phase der Informationsrevolution wurde durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts eingeleitet. Sie ermöglichte zum ersten Mal die Massenproduktion geschrie­bener Worte, wodurch das Wissen aus den Händen einiger Weniger in die Hände der All­gemeinheit gegeben wurde. Das Resultat war eine Demokratisierung der Bildungsstruktur, wie auch Marshall McLuhan feststellt:

Die Kultur der Handschriften hat eine mündliche Methode der Bildung gestützt, die man in ihren höheren Sphären „Scholastik“ nannte; aber als man denselben Text einer beliebigen Zahl von Schülern oder Lesern vorlegen konnte, machte der Buchdruck dem scholastischen System der Disputation sehr schnell ein Ende. Der Buchdruck stellte ein gewaltiges neues Gedächtnis für alte Schriften zur Verfügung, wodurch ein persönliches Gedächtnis unzulänglich wurde. (1995: 267)

Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern stellt also einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einem kollektiven Wissen dar. Mit den Folgen von Gutenbergs Erfindung beschäftigt sich Neil Postman ausführlich. Er bezeichnet diese Folgen als „ Information Explosion “ (1992: 62) und führt an, daß vierzig Jahre nach der Erfindung der Druckpresse mehr als acht Millionen Bücher gedruckt waren. Die durch den Buchdruck entstandene Informationsfülle löste in den Menschen Ängste und Verwirrung aus (ebd.). Ursprung dieser Verwirrung war der erstmalige Kontakt vieler Menschen mit Ideen, Theorien und Vorstellungen, die bisher nur einer kleinen Elite vorbehalten waren und die nun für jeder­mann zugänglich waren. Oder, wie Postman es ausdrückt: „Printing brought an end to the alchemists‘ secrets by making science into a public enterprise“ (ebd.: 64).

Alleine in England stieg die Zahl der Schulen von 34 im Jahre 1480 auf 444 im Jahre 1660 an. Dieser Anstieg an Lehreinrichtungen stellt den Versuch dar, die neu ent­standene Informationsfülle zu kontrollieren und zu ordnen. Die Kontrollfunktion der Schulen hat aber noch eine weitere Dimension. Mit der Aufstellung von Lehrplänen defi­niert die Schule Maßstäbe dafür, was gute, also wichtige Information ist und was nicht. Sie filtert den Informationsfluß und übt dadurch eine manipulative Funktion aus.

Die zweite Phase der Informationsrevolution wurde durch die Erfindung der Tele­grafie ausgelöst. Sie machte es möglich, Informationen innerhalb kürzester Zeit von einem Ort zum anderen zu übermitteln und löste damit die bis dahin bestehende Abhängigkeit von Zeit und Raum auf. Die Distanz, welche die Information zu überwinden hatte, verlor jegliche Bedeutung. Und „prior to the telegraph, information was sought as part of the process of understanding and solving particular problems. Prior to the telegraph, information tended to be of local interest. Telegraphy changed all of this, [...]“ (ebd.: 67). Die Telegrafie löste also die bis dahin bestehende Verbindung zwischen der Information und ihrem Nutzen auf. Wie Postman weiter ausführt, änderte die Telegrafie den Wert und den Charakter von Informationen. Sie machte aus Informationen eine Ware, die von ihrem Inhalt losgelöst war. Im Folgenden bestimmte nicht mehr die Qualität von Informationen ihren Wert, sondern die Quantität. Diese Entwicklung wurde von der Massenpresse so­wohl begünstigt als auch ausgenutzt (ebd.: 68). Für uns scheint es heutzutage schwer vor­stellbar, nicht jeden Tag über die Geschehnisse auf der ganzen Welt auf dem laufenden gehalten zu werden. Mit der Erfindung der Telegrafie war es jedoch zum ersten Mal mög­lich, Informationen schneller zu verbreiten, als das vorab mittels der üblichen Transport­wege, also auf Straße oder Schiene, durchführbar war und damit die Leser jeden Tag mit Informationen über abgelegene Teile der Welt zu informieren. Der Wertewandel, den die Information dadurch erlebte, ist nicht zu unterschätzen, denn zum ersten Mal nahm Infor­mation damit einen gewissen Unterhaltungswert an, der sich dadurch definiert, daß die Information, die durch die Telegrafie vermittelt wurde, nicht mehr unbedingt bedeutsam für das tägliche Leben war.

Etwa zur gleichen Zeit wie der Telegraf wurde auch die Fotografie erfunden. Laut Postman löste sie die nächste Phase der Informationsrevolution aus. Die Fotografie setzte Bilder nicht nur als Ergänzung zur Sprache ein, sondern tendierte dazu, die Sprache als Instrument zum Verstehen und Deuten der Realität abzulösen (ebd.), denn der Wahrheits­wert eines Fotos erschien leichter zu überprüfen als der des geschriebenen Wortes, zumin­dest bevor die Möglichkeiten der Bildbearbeitung, also der Retusche, entdeckt wurden. Vor allem im Bereich der Werbung gewann die Fotografie zunehmend an Bedeutung. Dadurch änderte sich erneut die Qualität von Informationen, der Weg der Kommerzialisie­rung, der durch die Telegrafie eingeleitet worden war, wurde durch sie weitergeführt, in­dem Fotos nun nicht mehr nur zur Übermittlung von Wissen, sondern auch von Gefühlen eingesetzt wurden.

Mit der Entdeckung, daß man Fotos verfälschen kann, änderte sich die Stellung der Fotografie als Instrument zur Überprüfung der Realität. Vor allem in der politischen Pro­paganda wurde diese Möglichkeit ausgenutzt. Lübbe gibt dazu folgendes Beispiel an:

Im faschistischen Italien [...] gibt es das pompöse Bild, das den Duce auf einem Schimmel reitend mit hocherhobenem Schwert zeigt. [...] Im Original zeigte indessen dieses Photo überdies einen Stallburschen, der für alle Fälle das Ross am Zügel hielt – eine Szene von nicht gerade heroischer Anmutungsqualität. Entsprechend wurde der Stallbursche herausretuschiert und das so imperial gemachte Photo millionenfach propagandistisch verbreitet. Aber die Beseitigung des ungleich weniger imperialen Originals gelang nicht vollständig. Dann und wann tauchte ein Bild des stallburschenbetreuten Duce auf [...]. „Informationelle Verschmutzung“ – so könnte man diesen Vorgang nennen, nämlich aus der Perspektive der Informationskontrollinteressen geschlossener Systeme [...]. (Abs. 23)

Somit stellt auch die Fotografie eine Instanz der Informationskontrolle dar. Ebenso wie das gesprochene oder geschriebene Wort bietet sie die Möglichkeit gezielter Manipulation mittels verfälschter Informationen.

Die vierte Phase der Informationsrevolution kam mit der Entstehung dessen, was Postman unter „ Broadcasting“ (1991: 69) zusammenfaßt, also mit der Erfindung von Ra­dio und Fernsehen. Letztendlich ist diese Phase nur eine Weiterführung der Tendenzen, die man schon bei den beiden vorhergegangenen Phasen beobachten kann. Zum Einen führte sie zu einer weiteren Kommerzialisierung von Information, also der Verbreitung von Informationen nur um der Informationen willen, zum Anderen bot sie aber auch ein neues Mittel zur gezielten Kontrolle und Manipulation. In der Literatur findet sich bei­spielsweise der Hinweis, daß Hitlers Aufstieg ohne den Volksempfänger kaum so einfach und schnell vor sich gegangen wäre. Denn mit der Erfindung des Rundfunks wurde es zum ersten Mal möglich, die breite Masse der Bevölkerung direkt zu erreichen und eine Art von Verbundenheit zu schaffen (Vgl. McLuhan 1995: 450-451). Aber wie das Beispiel des Dritten Reichs auch zeigt, ließ sich das Radio auch als Machtinstrument mißbrauchen, um gezielte Propaganda zu verbreiten.

Ein anschauliches Beispiel für die zunehmende Kommerzialisierung von Informa­tionen in den Medien einerseits und die Steuerung der übermittelten Informationen ande­rerseits bietet der Golfkrieg 1991. Über den amerikanischen Nachrichtensender CNN wurde der Krieg 24 Stunden täglich live in die Wohnzimmer der Menschen gesendet. Peter Arnett, damals Reporter für CNN in Bagdad, äußerte sich dazu wie folgt: „Zum ersten Mal wurde für ein weltweites Publikum eine militärische Auseinandersetzung als fortwährendes Drama präsentiert“ (Der Stern 3/2001: 44). So wurde der Krieg gewisser­maßen als Medienspektakel inszeniert. Die Regierung der USA untersagte CNN und Arnett jedoch, direkt über den Krieg, also die militärischen Aktionen, zu sprechen und übte damit gezielte Informationskontrolle aus (ebd.).

Durch die Erfindung des Computers wurde die fünfte und bisher letzte Phase der Informationsrevolution ausgelöst, die, spätestens seit der Entwicklung des Personal Com­puters 1981 und des Internets Anfang der neunziger Jahre, von den sogenannten „neuen Medien“ bestimmt wird.[10]

Jede der bisher beschriebenen Phasen stellt technisch gesehen eine Erweiterung der vorhergehenden dar, denn jede neue Technik ist zwar eine Ergänzung der bisherigen, hat diese jedoch nicht abgelöst. Inhaltlich dagegen hat jede neue Technik den Wert und den Umgang mit Information verändert. Und dadurch mußten sich auch die jeweiligen Methoden der Informationskontrolle ändern. Momentan läßt sich beobachten, wie sich die

tradi­tionelle Rollenverteilung von Informationsproduzenten und –rezipienten auflöst, indem das Internet jedem Nutzer die Möglichkeit der Informationsdistribution in Echtzeit bietet. Angesichts dieser Entwicklung können bisherige Kontrollmechanismen nicht greifen.

Anfangs diente der Computer dazu, komplizierte Rechenaufgaben auf schnellere und effi­zientere Weise zu lösen, als dies dem Menschen möglich war. Der Computer war also ursprünglich ein Gerät zur Rationalisierung, welches jedoch zunächst staatlichen und son­stigen Organisationen, wie beispielsweise Universitäten, vorbehalten war. Die Erfindung des PC, des ersten Computers für den Hausgebrauch, änderte diese Situation. Mit ihm war es nun auch Privatpersonen möglich, sich der Vorzüge des Computers, nämlich der leich­teren und schnelleren Verwaltung und Zugänglichkeit von Informationen, zu bedienen. Die Existenz des PC und die Entwicklung des Internets im weiteren Verlauf der achtziger und neunziger Jahre haben zwei unmittelbare Folgen: zum Einen ermöglichen die neuen Technologien der Wissenskonservierung das Wachstum von Wissen, indem sie den Zu­gang zu Informationen erleichtern. Es gibt heutzutage kein Thema mehr, zu dem man nicht in kürzester Zeit eine Fülle von Informationen im Internet oder auf anderen digitalen Medien, wie etwa CD ROMs findet. Zum Anderen wird immer mehr Wissen aus unserem Gehirn ausgelagert. Die Informationstechnologie wird zur Verlängerung unseres Gehirns. Das Erlernen und Behalten von Wissen verliert seine Bedeutung, wenn man den Computer als externes Speichermedium benutzen kann. Dadurch findet eine weitere Verlagerung von individuellem zu kollektivem Wissen statt[11].

Man kann das Informationszeitalter jedoch nicht nur durch die Entwicklung im Computerbereich definieren. Auch die anderen Medien, wie etwa das Fernsehen, sind Teil der Informationsüberflutung, die wir heute erfahren. Das Informationszeitalter hat die Welt verändert, in technischer, menschlicher, gesellschaftlicher, aber auch wirtschaftlicher Hinsicht. Und es hat funktionierende Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt und die Kontrollinstanzen vor das Problem gestellt, neue Wege finden zu müssen, um ihre Funktion weiter ausüben zu können.

Den Zustand, in dem sich unsere Gesellschaft heute befindet, beschreibt Neil Postman folgendermaßen:

From millions of sources all over the globe, through every possible channel and medium – light waves, airwaves, ticker tapes, computer banks, telephone wires, television cables, satellites, printing presses – information pours in. Behind it, in every imaginable form of storage – on paper, on video and audio tape, on discs, film, and silicon chips – is an ever greater volume of information waiting to be retrieved. Like the Sorcerer’s Apprentice, we are awash in information. (1991: 69)

Welche Auswirkungen dieses Szenario des heutigen multimedialen Zeitalters oder Infor­mationszeitalters auf die Frage der Informationskontrolle hat, soll im nächsten Kapitel untersucht werden.

2.2 Das Informationszeitalter und seine Folgen für die Informationskontrolle

Jede neue Stufe der Informationsrevolution schuf neue Wege der Informationskontrolle, entweder im Sinne der Regulierung oder als Methode der Manipulation. Bücher kann man verbieten, verbrennen oder, wie im Fall von Salman Rushdie, die Autoren mit dem Tod bedrohen. Fotografien kann man vernichten oder verfälschen. Radio- und Fernsehsen­dungen kann man verbieten, wenn sie unliebsame Inhalte haben oder auch andererseits für die Verbreitung erwünschter Informationen benutzen. Man kann jedoch auch versuchen, den Zugang zum Medium selber einzuschränken. Ein Beispiel dazu stammt aus der Me­dienpolitik der DDR:

Im Oktober 1969 [...] wurde [in der DDR] das SECAM-Farbfernsehsystem eingeführt, um den Empfang westdeutscher Programme zu beeinträchtigen, die im PAL-System gesendet und von den DDR-Bürgern als „Schaufenster in den Westen“ intensiv genutzt wurden. (Glaab 1999: 566)

Besonders in totalitären Staaten wurde und wird Informationskontrolle im Sinne von Zu­gangsbeschränkung ausgeübt. So sind etwa in einigen fundamentalistischen islamischen Staaten, wie beispielsweise in Afghanistan, private Satellitenanlagen verboten, weil die Staatsführung verhindern will, daß Nachrichten aus dem Ausland empfangen werden kön­nen.

Mit der Erfindung des Computers, dann des PCs und schließlich des Internets ha­ben sich die Wege der Informationsverbreitung verändert. Brinkmann gibt ein interessan­tes Beispiel für den Versuch der chinesischen Regierung, Informationen vor dem eigenen Volk zurückzuhalten und dem Scheitern dieses Versuchs aufgrund des Internets:

Das jüngste Beispiel bildete die flammende Rede der US-amerikanischen First Lady Hilary [ sic ] R. Clinton auf der Internationalen Frauenkonferenz in Peking. Ihre Angriffe gegen die Verletzung der Menschenrechte und die massive Einschränkung der Meinungsfreiheit in China wurden von den Medien des Gastgeberlandes totgeschwiegen. Wenige Stunden später aber stand der volle Redetext im Internet allen zur Verfügung. (Brinkmann 1997: 3)

Eine Kontrolle des freien Informationsaustausches im Internet ist zwar schon oft ange­strebt worden, gestaltet sich jedoch aufgrund des internationalen und eher anarchistischen Charakters dieses Mediums eher schwierig. Sowohl staatliche als auch private Organisa­tionen haben immer wieder Versuche unternommen, die Inhalte, die im Internet verbreitet werden, zu kontrollieren. Beispiele hierfür sind der „ Telecommunications Act of 1996“ in den USA, das „Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz“ (IuKDG) von 1997 in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch verschiedentliche Versuche von Internet-Anbietern wie AOL oder CompuServe, bestimmte Inhalte zu sperren, die über ihre Netze verbreitet wurden (ebd.: 11-15). Die meisten dieser Versuche der Informationskontrolle scheitern jedoch immer wieder entweder an massiven Protesten von Internet-Benutzern, die sich auf die Rede- und Informationsfreiheit berufen, meistens jedoch an den techni­schen Eigenheiten des Internets. Verbietet man eine Internetseite oder eine Newsgroup, wird sie früher oder später unter anderem Namen wieder auftauchen.

Neben den beiden bereits beschriebenen Dimensionen der Informationskontrolle haben die neuen Informationstechnologien jedoch noch eine weitere hervorgebracht. Sie läßt sich mit dem Begriff des „gläsernen Menschen“ umschreiben. Jedes Mal, wenn wir beispielsweise einen Geldautomaten benutzen, mit Kreditkarten bezahlen oder auch im Internet surfen, hinterlassen wir Spuren, Informationen über uns, die irgendwo im welt­weiten Computernetz gespeichert werden[12]. Die Angst vor dem Mißbrauch dieser Infor­mationen ist gerade in den letzten Jahren gestiegen.

Im Weiteren soll zunächst ein kurzer Überblick über die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen gegeben werden, welche die neue Informationstechnologie ausgelöst hat, weil Neal Stephenson diese in Snow Crash aufgreift und weiterführt, sie also den extratextuellen Kontext für den Roman darstellen, und sie daher für das Ver­ständnis des Romans wichtig sind. Denn wenn man Snow Crash im Sinne Schuttes als Botschaft des Autors und als Stellungnahme zu den gesellschaftlichen Verhältnissen sei­ner Zeit versteht, kann diese Botschaft nur vor dem Hintergrund dieses gesellschaftlichen Kontextes erkannt werden.

[...]


[1] Vgl. dazu auch Jehmlich (1980: 1) und Suerbaum et. al. (1981: 35).

[2] Weitere Beispiele für die Verwendung von Begriffen, die ursprünglich aus der Science Fiction stammen, findet man z.B. auch bei der Fernsehshow Big Brother (nach George Orwells 1949 erschienenem Roman Nineteen Eighty-Four), beim ersten NASA Space Shuttle, das 1976, nach dem Raumschiff in der amerikanischen Fernsehserie Star Trek, Enterprise getauft wurde, oder auch beim ersten atombetriebenen U-Boot der US Navy, dessen Name Nautilus lautete, nach dem U-Boot in Jules Vernes 1870 erschienenem Roman Twenty Thousand Leagues Under the Sea. Interessant ist auch die Fülle an neuen Worten, die aus dem Begriff Cyberspace hervorgegangen sind, wie z.B. Cybersex oder Cybercop, um nur einige zu nennen.

[3] Kursivdruck in Zitaten stammt, falls nicht anders vermerkt, immer aus dem Original.

[4] Der Begriff „Weltentwurf“ stammt aus Suerbaum et. al. (1981).

[5] Der Begriff „Bewegung“ wird hier benutzt, weil sich die Autoren, die zum Cyberpunk gezählt werden, selbst nicht als homogene Gruppe und somit auch nicht als Vertreter eines eigenen Genres innerhalb der Science Fiction verstehen, sondern als eher zufällig unter dem Oberbegriff Cyberpunk zusammengefaßte Gruppe von Autoren. Vgl. dazu Sterling (1993: 344), Gibson (1993: 280) und Suvin (1993: 350).

[6] Zu den wichtigsten Autoren dieser Zeit sind Isaac Asimov, aber auch Aldous Huxley, Samuel R. Delaney und Ray Bradbury zu zählen. Vgl. dazu „Cyberpunk“. Encyclopaedia Britannica Online und Suerbaum et. al. (1981: 54-56).

[7] Der Grund für die Wahl des Begriffs „zweite Generation“ liegt darin begründet, daß Snow Crash erst acht Jahre nach dem ersten Cyberpunk Roman, William Gibsons Neuromancer (1984), erschien, zu einem Zeitpunkt, an dem die Cyberpunk Bewegung bereits ein Ende erreicht zu haben schien.

[8] Den sumerischen Schriftzeichen wurde wegen ihrer geometrischen Form der Name „Keilschrift“ gegeben. „The earliest styli, often made from a reed, had one pointed end used to incise lines and one circular one used to impress the clay. At the end of Uruk IV/III a new type of stylus is found with a triangular section instead of a circular one and this was used to impress wedge-shaped marks onto the tablet. [...] The advent of the stylus with the triangular end affected the shape of the signs, which became more geometric (Crawford 1991: 152-153).

[9] Ohne die Entwicklung der Schrift wäre z.B. auch die Entwicklung der drei großen Weltreligionen, dem Judentum, dem Christentum und des Islam anders verlaufen, denn anders als frühere Religionen basieren diese drei auf der Niederschrift ihres Glaubens. Vgl. 4.2.1.

[10] Eine übersichtliche Darstellung der Entstehungsgeschichte des Internets findet sich in Dery (1996: 5-6).

[11] Die Flut an erhältlichen Informationen erfordert aber auch eine neue Verfahrensweise im Umgang mit diesen Informationen. Die Aufgabe besteht nun darin, aus dem Überangebot an Informationen, die uns unsere multimediale Gegenwart bietet, diejenigen heraus zu filtern, die für bestimmte Zwecke benötigt werden. Denn der größte Teil der Informationen, mit denen wir geradezu überhäuft werden, ist für uns nicht relevant. Der Überfluß an Informationen, denen wir heute ausgesetzt sind, hat jedoch auch im Hinblick auf das Thema Informationskontrolle Relevanz. Vgl. Kapitel 5.

[12] Ist man z.B. bei Amazon.de einmal als Kunde registriert, erhält man jedes Mal, wenn man die Internetseite besucht, Vorschläge, welche Waren für einen persönlich eventuell von Interesse sein könnten. Amazon registriert also das bisherige individuelle Kaufverhalten und paßt seine Kaufvorschläge dementsprechend an. Vgl. http://www.amazon.de.

Ende der Leseprobe aus 70 Seiten

Details

Titel
Die Darstellung des Themas Informationskontrolle in der amerikanischen Cyberpunk-Literatur am Beispiel von Neal Stephensons Snow Crash
Hochschule
Universität zu Köln  (Englisches Seminar)
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
70
Katalognummer
V48729
ISBN (eBook)
9783638453431
Dateigröße
595 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Darstellung, Themas, Informationskontrolle, Cyberpunk-Literatur, Beispiel, Neal, Stephensons, Snow, Crash
Arbeit zitieren
Claudia Haman (Autor:in), 2001, Die Darstellung des Themas Informationskontrolle in der amerikanischen Cyberpunk-Literatur am Beispiel von Neal Stephensons Snow Crash, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48729

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