Die 7 Todsünden bei Hieronymus Bosch, Otto Dix und weiteren Beispielen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

24 Seiten, Note: gelungen / bemerkenswert (Doz.)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der geistesgeschichtliche Hintergrund der Sieben Todsünden

3. Ursprung der Todsünden-Darstellung: Die Psychomachia des Prudentius

4. Die 7 Todsünden: Zwei Beispiele
4.1 Hieronymus Bosch
4.2 Otto Dix

5. Die 7 Todsünden: Die Allegorie in der Darstellung der einzelnen Laster
5.1 Superbia
5.2 Invidia
5.3 Ira
5.4 Acedia
5.5 Avaritia
5.6 Gula
5.7 Luxuria

6. Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung:

Abraham Lincoln, amerikanischer Präsident im 19. Jahrhundert, soll einmal gesagt haben: „Menschen, die keine Laster haben, haben auch keine Tugenden.“

Kaum etwas ist faszinierender und mithin öfter ein Teil psychologischer Rezeptionsgeschichte wie die menschlichen Laster und Tugenden. Abnorme Verhaltensweisen waren schließlich seit je her ein wesentlicher Bestandteil unserer Existenz und sind es heute noch. Die Verfehlung als Symbol unkontrollierter Schwäche, als Zeichen leidenschaftlichen Handelns und Denkens ist ein Merkmal, das immer wieder seine Berücksichtigung sowohl in der Literatur als auch bildenden Kunst findet.

Gerade die im Katholizismus begründeten sieben Todsünden stellen ein besonders interessantes Motiv dar, zumal hier die Verknüpfung zeitgeschichtlicher Wertevorstellungen mit der künstlerischen Verarbeitung eines weitgehend biblischen Begriffs den Versuch rechtfertigt, anhand bestimmter Werke das Todsündenthema diachronisch zu betrachten.

In dieser Arbeit jedoch soll weder der Anspruch einer allumfassenden Interpretation noch die Vollständigkeit hinsichtlich der Aufzählung von Kunsterzeugnissen verfolgt werden, die das Thema der Tugenden und Sünden aufgreifen. Vielmehr soll der Versuch unternommen werden, einige wenige – durchaus repräsentative Werke – als Vorlage für die Betrachtung der einzelnen Todsünden und deren Auftreten in einigen Werken der Malerei und Literatur dienen.

2. Der geistesgeschichtliche Hintergrund der 7 Todsünden

Die Ursprünge der Lehre lassen sich zurückverfolgen bis in die persisch babylonische Zeit und waren später im Kontext der Beicht- und Bußlehren des 12. Jahrhunderts von besonderer Bedeutung. Der Todsünden-Kanon bezieht sich im Wesentlichen auf „all jene Sünden, die zur Verdammnis und damit zum ewigen Tod des Sünders führen.“[1] Evagrius von Pontius, ein griechischer Theologe (* 346 - 399/400), stellte erstmals einen Katalog von acht Todsünden und bösen Leidenschaften zusammen. Die fleischlichen Versuchungen der Völlerei („Gula“) und der Wollust („Luxuria“) stehen an erster

Stelle, gefolgt von der Vernachlässigung der christlichen Pflichten (Verzweiflung und Trägheit des Geistes). Die weiteren Laster sind „Superbia“ und „Vana Gloria“, welche den gottesfernen Stolz beschreiben, sowie der Streit, welcher später dem Zorn („Ira“) zugerechnet wird. Am Schluss taucht der Geiz („Avaritia“) auf. Vom Neid („Invidia“) ist bei Pontius noch keine Rede.

Cassian (gestorben um 425), ein Schüler von Pontius, verbreitete die Lehre, welche sich noch auf eine achtzählige Reihung begründete, bis in den Westen nach Marseille, von wo sie aus zunehmend ausgestreut wurde. Etwa zweihundert Jahre später war es Papst Gregor der Große (590-604), der ein Siebener-Schema der sieben Hauptsünden entwickelte. Gregor fasste Ruhmsucht und Stolz sowie Traurigkeit und Faulheit zusammen und fügte den Neid hinzu. Im 7. Jahrhundert wurde die Traurigkeit durch die Trägheit ersetzt. Dies war schließlich das Ergebnis eines fortan jahrhundertelang gültigen Kataloges der Todsünden und er sollte „für die Kunst und Literatur der nachfolgenden Jahrhunderte (...) bestimmend bleiben“[2]:

1. Stolz (Superbia), 2. Neid (Invidia), 3. Zorn (Ira), 4. Trägheit (Acedia), 5. Habgier (Avaritia), 6. Völlerei (Gula), 7. Luxuria (Wollust)

3. Ursprung der Todsünden-Darstellung: Die Psychomachia des Prudentius

Von großer Relevanz bei der Betrachtung des Themas der „Sieben Todsünden“ ist die Berücksichtung seiner ikonographischen Voraussetzungen wie auch die Grundlagen einer einsetzenden Bildtradition, welche sich seit dem späten Mittelalter durch Einprägsamkeit und Deutlichkeit auszeichnet und die Personifizierung als Grundlage für eine neue Herangehensweise an christliche Motive beinhaltet.

Repräsentativ für eine frühe Darstellung des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse, Tugend und Laster, sind Aurelius Prudentius Clemens´ „Psychomachia“-Zeichnungen. „Psychomachia“ war ein Epos, das 405 veröffentlicht wurde und in 915 Hexametern das Duell zwischen den christlichen Tugenden und heidnischen Lastern als allegorische Personifikationen beschreibt. „Zugleich geht es in diesem Kampf um den Kampf der Kinder Gottes gegen ihre Widersacher.“[3]

Prudentius wurde mit diesem Werk zum Schöpfer des allegorischen Epos und damit zum Vorbild für viele spätere Dichtungen. Genauso gerühmt wurden auch seine Federzeichnungen.

4. Die 7 Todsünden: Zwei Beispiele

4.1 Hieronymus Bosch

In Verbindung mit der Todsünden-Tafel von Hieronymus Bosch wird in der Literatur oft von einer ikonographischen Revolution der Todsünden-Darstellung gesprochen: „Beschränkte sich ihr Erscheinen bisher auf die Buchmalereien, finden sie nun – vielleicht durch deren Einfluss – erstmalig Eingang in die großflächigen Gemälde.“[4] Gerade durch die szenenhafte Darstellung der Todsünden begründete Bosch eine andersartige, wenngleich nicht völlig neue Herangehensweise an die malerische Gestaltung. Vor allem in niederländischen Werken wird die Tradition einer spezifischen Ikonographie begründet, die weit vor Bosch entwickelt worden ist. „Boschs Originalität liegt vor allem in

der besonderen Art und Weise seines Erzählstils.“[5]

Die gesamte Komposition ist in ihrer kreisförmigen Struktur auf den Bildmittelpunkt ausgerichtet, den Walter S. Gibson in seinem Buch „Hieronymus Bosch“ als symbolische Verbildlichung des Göttlichen Auges interpretiert. Bestätigt wird diese Annahme auch durch den erkennbaren Schriftzug: „Cave, cave, Dominus videt.“

Die Todsünden erscheinen auf dieser Tafel in sieben Einzelszenen, welche um die Iris des göttlichen Auges herum abgebildet sind. Sie werden durch Säulen voneinander getrennt. Die Szenen sind keineswegs gleich groß: Sowohl die Ira, die durch ihre Anordnung unterhalb des inneren Kreises eine zentrale Stellung einnimmt, als auch die Avaritia nehmen den meisten Raum ein. „Diese merkwürdige Verschiebung führen wir darauf zurück, dass die spezifisch theologische Sünde der Superbia keinen so schlagenden Kontrast zu dem zentralen Schmerzensmann ergeben hätte, als jene zwei grobstofflichen Versündigungen und gemeinen Laster.“[6]

Die „Schaubühne des Zornes“[7] ist eine Bauernwirtschaft, vor deren Kulisse zwei Personen unmittelbar in einen Streit verwickelt sind. In Folge dieser Duellierung ist die linke Figur bereits mit einem Stuhl auf dem Kopf „gekennzeichnet“ worden, sein Widersacher schwingt - nur mühsam von der um Beschwichtigung bemühten Frau daran gehindert – sein Schwert. Sowohl der umgeworfene Tisch als auch die verstreuten Kleidungsstücke geben jener Szenerie den dramaturgischen Effekt eines privaten Schlachtfeldes, das den lokalen Mittelpunkt einer Streitfehde darstellt.

Weniger tumultartig geht es bei der Superbia (Hoffart) zu. „Frau Eitelkeit“ (Fraengler)[8] steht mit dem Rücken zum Zuschauer und betrachtet sich und ihren auffälligen Kopfschmuck im Spiegel. Dieser wird ihr durch eine Person, welche hinter dem Spind auftaucht, gehalten. Die Vermutung liegt nahe, dass ebenjene Person die Teufelsgestalt darstellt.

Aus der geschlossenen Räumlichkeit zurück in die offene Landschaft versetzt, begegnet man der Todsünde der Wollust. Sie spielt sich im Wesentlichen in und vor einem Zelt ab und beherbert Höflinge und Kurtisanen, welche sich den Vorteilen der musischen Genüsse und kulinarischen Annehmlichkeiten hingeben. Durchbrochen wird diese Idylle von einer Prügelszene rechts im Bild.

Lethargie und Traurigkeit zeichnet die Situation im Accidia-Bild aus. Eine vornehme Bürgerfrau mit Meßbuch und Rosenkranz in Händen steht im Kirchgang eines Klosters und sieht mit müden, regungslos wirkenden Augen ihren Mann, der „den hellen Tag wehleidig am Kamin verdöst“[9], vor ihm eingerollt ein kleiner schlafender Hund.

Die Gefräßigkeit (Gula) wird von einem „stiernackigen, strupphaarigen, gierkeuchenden Wanst“[10] symbolisiert, der sich gerade der hemmungslosen Völlerei hingibt. Von Schweinsfüßen, Bratwürsten bis zum Gänsebraten steht ihm die ganze Auswahl fettmachender Begierden zur Verfügung. Am Bein der sich versündigenden Korpulenz hängt "„sein pampiges Ebenbild“[11], möglicherweise sein Sohn, dessen Unersättlichkeit ihn gierig auf die einladende Tafel der vielen Köstlichkeiten blicken lässt. Korrelativ steht dagegen der Diener rechts im Bild. Ihm ist nur der Schluck aus dem Wasserkrug vergönnt.

Im Stile einer Gerichtsverhandlung wird der Geiz, die Avaritia, als sechste Todsünde thematisiert. Im Bild erkennbar sind Richter (auf der Bank sitzend), ihm zugewandt der reiche Angeklagte. Am linken Bildrand stehen ein Advokat und ein Zeuge, am rechten der gemäß seiner Kleidung in ärmeren Verhältnissen lebende Kläger. Offensichtlich geht es hier um Bestechung, denn der Angeklagte, welcher einen Judasbeutel in der Hand hält, sucht das vertrauliche Gespräch mit dem Richter. Dessen Aufmerksamkeit ersucht auch der Kläger in diesem Moment, welcher zunächst durch den Richterstab aufgehalten wird. Doch auch der Arme weiß um die Korrumpierbarkeit des Juristen und schiebt ihm etwas in den Ärmel.

Am Ende der sieben Todsündentafel steht der Neid, die Invidia. Die Szenerie spielt sich vor dem Haus eines Zöllners ab, der den Pflasterzoll erhebt. Dessen Tochter hinter dem Schalter verdreht gerade einem reisenden Bürger den Kopf. Der Gefährte von ihm wartet mit einem Falken auf der Faust und neidvollen Blicken in Richtung des Paares auf den Fortgang der Reise.

Der Zöllner selbst, der den Reisegefährten mit spitzbübischer Verachtung anzuschauen scheint, lockt seine kläffenden Hunde mit einem Knochen, den er ihnen vorenthält, „wie er das Töchterchen wohl gern als Lockvogel benützt, trotzdem jedoch sein Kind den reichen Müßiggängern aufs gehässigste missgönnt.“[12]

Bosch führt den Betrachter ein in konkrete Szenerien, in Situationen, die nicht den Charakter des Abstrakt-Unwirklichen haben. Seine erzählerische Imagination zeichnet sich vielmehr durch eine Typologisierung aus, die jeden Protagonisten zu einem Teil seiner Milieuschilderung werden lässt. Die allegorischen Merkmale spiegeln sich wieder in den jeweils unübersehbaren Klassenunterschieden (wie z.B. bei der Avaritia und der Invidia deutlich erkennbar), welche die Beteiligten zur Versündigung geradezu herausfordert.

[...]


[1] Susanne Blöcker: Studien zur Ikonographie der Sieben Todsünden in der niederländischen und deutschen Malerei und Graphik von 1450 – 1560, Münster, Hamburg 1993, S. 4

[2] Blöcker, S. 5

[3] Gerhard Kurz: Metapher, Allegorie, Symbol, Göttingen 1982, S. 46

[4] Susanne Blöcker, S. 24

[5] Daniela Hammer-Tugendhat: Hieronymus Bosch. Eine historische Interpretation seiner Gestaltungsprinzipien, München 1981, S. 19

[6] Wilhelm Fraenger: Hieronymus Bosch, Dresden 1975, S. 272

[7] Ebd., S. 272

[8] Ebd., S. 273

[9] Fraengler, S. 274

[10] Ebd.

[11] Ebd.

[12] Fraengler., S. 275

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die 7 Todsünden bei Hieronymus Bosch, Otto Dix und weiteren Beispielen
Hochschule
Technische Universität Berlin
Veranstaltung
Allegorie im Mittelalter
Note
gelungen / bemerkenswert (Doz.)
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V48782
ISBN (eBook)
9783638453806
ISBN (Buch)
9783656448563
Dateigröße
520 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Todsünden, Allegorie, Mittelalter
Arbeit zitieren
Jan-Matthias Schultze (Autor:in), 2005, Die 7 Todsünden bei Hieronymus Bosch, Otto Dix und weiteren Beispielen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48782

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